13.07.2006

Der Kommentator

Unser kleines Bestiarium der Kinogeher. Wer im Kino neben ihnen sitzt. Folge 7: Der Kommentator

Von Michael Haberlander

War hier in Folge 3 bereits die Rede von der Empa­thi­schen, der es nicht gelingt, ihre emotio­nelle Betei­li­gung am Lein­wand­ge­schehen für sich zu behalten, so soll es heute um ihr männ­li­ches Pendant, den Kommen­tator gehen.

Auch für den Kommen­tator scheint es unmöglich zu sein, seine Gedanken während eines Kino­be­su­ches unaus­ge­spro­chen zu lassen, weshalb er seine Meinung ohne Scham und Rücksicht offen äußert. Entschei­dend für seine genaue Bestim­mung und für die Abgren­zung von anderen Arten sind dabei Auslöser und Inhalt dieser Aussagen.

Ausgelöst werden seine Kommen­tare dann, wenn etwas außerhalb seines üblichen kultu­rellen Erfah­rungs­schatzes liegt. Da dieser Erfah­rungs­schatz äußerst konven­tio­nell ist und seine Grenzen ungefähr bei einem durch­schnitt­li­chen Fern­seh­krimi liegen, findet der Kommen­tator im Kino, das seit jeher zum Un- und Außer­ge­wöhn­li­chen neigt, endlosen Anlass für seine Bemer­kungen. Es ist dabei egal, ob es um unge­wöhn­li­ches bzw. unge­wohntes Aussehen, Verhalten, kultu­relles Vers­tändnis oder besondere filmische Umsetzung geht; vor dem Kommen­tator sind alle Abwei­chungen gleich und werden mit Worten wie »Das glauben die ja selber nicht.«, »Wie schaut denn der/das aus?« oder gar »Ein solcher Schmarrn!« reflek­tiert.

Besonders schwer erträg­lich ist es deshalb, einen Kommen­tator während eines »exoti­schen« Films (z.B. einem asia­ti­schen Kampf­sport- oder Yakuza-Epos) im Publikum zu haben. Sonderbar gekleidet Menschen, mit sonder­barem Verhalten und sonder­baren Gebräu­chen, die während ihrer Kämpfe minu­ten­lang durch die Lüfte fliegen, bei ihren Feinden Wunden mit meter­hohen Blut­fon­tänen verur­sa­chen und uner­wartet anfangen, in großen Gruppen zu tanzen und zu singen, stellen für den Kommen­tator den GAU dar.

Die vorherr­schenden Tonarten für seine Kommen­tare sind dabei Unglauben, Ablehnung, Miss­trauen mit einem Schuß despek­tier­li­cher Häme. Der Inbegriff dieser Haltung ist seine Frage: »Was ist das denn für ein Unsinn?!« Manchmal reicht ihm auch ein gut vernehm­bares Prusten, Grunzen, gespieltes Auflachen oder eine ähnlich gelagerte nonver­bale Mittei­lung, um seiner Bestim­mung nach­zu­kommen.

Unzwei­fel­haft scheint, dass der Kommen­tator sein Verhalten nicht steuern und deshalb seinen Mittei­lungs­drang nicht unter­drü­cken kann. Wie ist es sonst zu erklären, dass er für alle Anwe­senden gut hörbare Kommen­tare abgibt, die ihn in 95 Prozent aller Fälle wie einen unge­bil­deten und/oder uner­fah­renen und/oder kultur­losen Igno­ranten erscheinen lassen?

Da sich seine Kommen­tare (meist zeitlich voll­kommen unpassend) fast ausschließ­lich auf Äußer­lich­keiten und Neben­säch­li­ches beziehen, ist darüber hinaus davon auszu­gehen, dass er dem eigent­li­chen Inhalt bzw. der Handlung des Films nicht oder kaum folgen kann oder will. Dies, zusammen mit seinem Mokieren über bestimmte filmische Effekte und Stil­mittel, deutet darauf hin, dass der Kommen­tator nur selten ins Kino geht.

Insgesamt kann man wohl sagen, dass er seine Kino­be­suche auch nicht besonders genießt. Außer­ge­wöhn­lich hoch ist dementspre­chend sein Anteil an der Gruppe der Menschen, die vorzeitig das Kino verlassen.

Als kleiner Trost bleibt dem genervten Kinofan die muntere Speku­la­tion darüber, welch sonder­bare und widrige Umstände dazu geführt haben, dass der Kommen­tator ausge­rechnet in diesem ameri­ka­ni­schen Inde­pen­dent- oder jenem irani­schen Problem­film gelandet ist, wo es doch allent­halben unkom­pli­zierte, konven­tio­nelle (Kino)Unter­hal­tung als Alter­na­tive gegeben hätte.

Michael Haber­lander