12.07.2007
artechocks kleines Bestiarium der Kinogeher – Folge 0

Der Komiker

Komiker
Komiker
(Zeichnung: Kunstnet)

Wer im Kino neben ihnen sitzt

Von Michael Haberlander

Über die Probleme eines abnormen Humor­ver­s­tänd­nisses wurde an dieser Stelle schon beim Immerlach gespro­chen. Während der Immerlach einen passiv gestörten Humor hat, ist beim Komiker eine aktive Humor­an­omalie zu beob­achten.

Einen Komiker im Kino zu bestimmen, ist meist nicht schwer. Bereits vor dem eigent­li­chen Film findet er zahl­reiche Gele­gen­heiten, gegenüber seiner Beglei­tung laut­starke, vermeint­lich komische Kommen­tare abzugeben. Als Stan­dard­si­tua­tion gilt etwa der sich schließende Vorhang nach dem Werbe­block, den der Komiker (beein­dru­ckend konse­quent) mit Worten wie »So, schön war’s. Also gehen wir!«, oder »Das war aber ein kurzer Film« kommen­tiert.

Zum Glück weit­ge­hend einge­stellt wurde der Versuch, vor der Vorstel­lung Eis direkt im Kinosaal zu verkaufen. Die typische Frage der Kino­an­ge­stellten »Will jemand Eis?«, bot dem Komiker über Jahre hinweg die dankbare Möglich­keit, sein frag­wür­diges Vers­tändnis von Schlag­fer­tig­keit unter Beweis zu stellen.

Auch im eigent­li­chen Film gehören Fragen, die nicht unmit­telbar beant­wortet werden, bei denen der Befragte nur kurz zögert oder nachdenkt, zu einer der Domänen des Komikers. Egal ob jemand auf der Leinwand wissen will »Wo bist du gewesen?«, »Wer sind Sie?« oder »Was soll ich nur tun?«, der Komiker findet umgehend eine Antwort, die sich durch drei Eigen­schaften auszeichnet.
1. Sie ist in einem sehr weit gefassten Sinne als komisch zu betrachten.
2. Sie amüsiert in erster Linie den Komiker.
3. Sie kümmert sich nicht im Geringsten darum, ob es sich um einen komischen, ernsten, span­nenden oder tragi­schen Film(moment) handelt.

Vor allem der letzte Punkt kann zu nach­hal­tigen Konflikten mit den anderen Kino­be­su­chern führen.
Da der Komiker bei seinen Äuße­rungen keinen Unter­schied macht, ob es sich beim gezeigten Film um einen 70er Jahre-Western, einen span­nenden Hightech-Thriller oder ein ergrei­fendes Holocaust-Drama handelt, kommt es immer wieder zu scharfen Rügen der anderen Kino­be­su­chern, die emotio­nell mit seinem Frohsinn über­for­dert sind.
Doch auch hier hilft dem Komiker sein Humor, wenn der etwa einen genervt ihm zuge­wandten Zuschauer souverän erwidert: »Hey, da vorne ist die Leinwand, nicht hier hinten!«

Uner­schöpf­lich sind die Aspekte, die der Komiker in einem Film sonst noch (grundlos) lustig findet und worüber er sich (vorbe­haltlos) lustig macht:
Das Aussehen, die Sprache oder das Verhalten der Schau­spieler, unge­wohnte kultu­relle Eigen­heiten ferner Länder, Nacktheit in jeder Form, religiöse Riten, mensch­li­ches Leid, Tiere, die Darstel­lung starker Emotionen, Unfälle und Kata­stro­phen...
Zu allem fällt dem Komiker eine Anmerkung ein, mal ein knapper one-liner, mal nur ein einzelnes Wort, mal Stöhnen, Seufzen, demons­tra­tive Lachen oder ein sonstiges aussa­ge­kräf­tiges Geräusch.

Schwierig ist es fest­zu­stellen, was der Komiker vom gezeigten Film hält. Mögli­cher­weise bringt er durch seine Kommen­tare eine Unzu­frie­den­heit mit dem Gezeigten zum Ausdruck. Mögli­cher­weise nimmt er den Film als Kunstwerk gar nicht wahr, sondern betrachtet ihn als eine bunte Abfolge von Stich­worten. Viel­leicht sieht er darin aber auch ein unge­schlif­fenes Juwel, das durch seine Anmer­kungen erst richtig glänzt.
So eine Einstel­lung bedarf natur­gemäß einer gehörigen Portion Welt­fremd­heit, die dem Komiker (in seiner vermut­lich solip­s­i­ti­schen Leben­s­ein­stel­lung) mit großer Wahr­schein­lich­keit zuzu­rechnen ist.

Falsch ist die Annahme, dass nur Personen mit einfacher Bildung und geringer gesell­schaft­li­cher Aner­ken­nung zu den Komikern gehören. Vielmehr finden sie sich in allen intel­lek­tu­ellen und sozialen Schichten und gerade mehr oder minder gebildete Exemplare können mit ihren fehl­ge­lei­teten Bonmots zu den schlimmsten dieser Art zählen.

Unzwei­fel­haft dagegen ist, dass Komiker mit über­wäl­ti­gender Mehrheit Männer sind. Wer jemals einen weib­li­chen Komiker im Kino erlebt hat weiß, dass dieser Umstand als positiv zu bewerten ist.

Unter keinen Umständen sollte man der Versu­chung erliegen, einen Kommentar des Komikers mit Lachen zu quit­tieren. Eine solche (wenn auch nur einmalige und unfrei­wil­lige) Ermu­ti­gung wird man im weiteren Film­ver­lauf bitter bezahlen.
Wer jedoch regel­mäßig das Bedürfnis verspürt, die Äuße­rungen von Komikern mit einem eigenen witzigen Kommentar zu kontern, weiter­zu­spinnen oder gar zu über­treffen, der sollte inne­halten und vorste­henden Text gewis­sen­haft noch einmal lesen.

Michael Haber­lander