08.06.2006

Der Feststeller

Von Michael Haberlander

Stellen Sie sich vor: Sie sitzen in einem schlecht besuchten Kino, die Saal­lichter sind noch an, die Tür öffnet sich, zwei Personen treten ein, worauf eine nach einem Blick über die spora­disch besetzten Sitz­reihen sagt: »Das Kino ist ja fast leer.«
Sie haben nun die Gewiss­heit, die kommenden zwei Stunden den Raum mit einem Fest­steller zu teilen.

Der Fest­steller zeichnet sich durch zwei Merkmale aus.
Erstens: Er stellt laufend etwas fest (daher der Name), was zweitens für jeden offen­sicht­lich ist. Das gilt für seine Anmerkung über das leere Kino ebenso, wie etwa für seine Fest­stel­lung »Erst kommt Werbung«, wenn die unver­meid­li­chen Spots beginnen oder »Jetzt fängt der Film an«, wenn die Saal­lichter ganz gelöscht werden und der Trailer des Film­stu­dios vom Hauptfilm kündet.

Den ersten Höhepunkt erlebt der Fest­steller schon beim Vorspann, denn auf der Leinwand geschrie­bene Worte üben auf ihn einen geradezu magischen Reiz aus. Er kann deshalb nicht anders, als einzelne Worte laut mitzu­lesen, etwa »Miramax« oder »Bruce Willis« oder ein zur Expo­si­tion einge­blen­detes »Paris«.
Auch im weiteren Verlauf hält diese Faszi­na­tion für das Geschrie­bene an, weshalb zuver­lässig – wie bei einer Simul­tanü­ber­set­zung – Begriffe wie »Testament« oder »Labor« oder »Geheim« im Saal zu hören sind, wenn entspre­chende Schrift­s­tücke oder Schilder auf der Leinwand erscheinen.

Doch es gibt noch mehr fest­zu­stellen. Etwa »Der Eiffel­turm«, wenn das berühmte Pariser Wahr­zei­chen zu sehen ist oder »Tom Hanks«, wenn der weltweit bekannte Schau­spieler erstmals im Film erscheint.
Auch hier gilt wieder, dass der Fest­steller nur das absolut Offen­sicht­liche und Bekannte fest­stellt, weshalb man ihn nie mit Aussagen wie »Ah, der Jardin du Luxem­bourg« oder »Liev Schreiber!« vernehmen wird.

Gerade in seiner Beschrän­kung auf das Offen­sicht­liche lässt sich der Fest­steller von anderen Kinogeher-Arten unter­scheiden. Während also der Fest­steller ein schlichtes »Das ist Tom Hanks« von sich gibt, platzt der Komiker bei der selben Szene mit einem »Forrest Guuump. Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, hahaha« heraus, kommen­tiert der Kommen­tator knapp »Was hat der denn für eine Frisur?« und weiß der Klug­schwätzer zu berichten: »Das wurde gar nicht im Rom gedreht. Alle Außen­auf­nahmen wurden in Ungarn gemacht.«

Während die knappen, fakti­schen Bemer­kungen des Fest­stel­lers für die anderen Zuschauer zwar störend aber über­wie­gend igno­rierbar sind, können seine Äuße­rungen zum Hand­lungs­ver­lauf manche Menschen an die Grenzen ihrer Selbst­be­herr­schung führen.
Sätze wie »Der bekommt jetzt Schläge«, wenn eine gemeiner Kerl den schweig­samen Kara­te­meister zu lange provo­ziert oder »Der Mann ist ihr Vater«, nachdem ein lange verschwie­genes Fami­li­en­ge­heimnis unmiss­ver­s­tänd­lich gelüftet wurde, treiben bestimmte Zuschauer zur Weißglut.

Ihre bissigen, an den Fest­steller gerich­teten Kommen­tare, stoßen bei diesem auf weit­ge­hendes Unver­s­tändnis. Er ist sich keines Vergehens bewusst, was darauf hindeutet, dass er seine Anmer­kungen selbst gar nicht wahrnimmt und es sich dabei wohl um einen nicht willent­lich steu­er­baren Reflex handelt.

Erlösung vom Fest­steller gibt es für den genervten Kinogeher erst, wenn er die Worte »Der Film ist aus« bzw. »Ende« hört.

Nach dem Film gibt der Fest­steller selten ein quali­ta­tives Urteil ab, was zwei­fels­frei daran liegt, dass solche Einschät­zungen aufgrund ihrer Subjek­ti­vität nicht allgemein offen­sicht­lich sind.

Während andere also darüber streiten, ob der Film gut oder schlecht war, brilliert der Fest­steller mit Erkennt­nissen wie »Der Film war ganz schön lang« oder »Da waren aber eine Menge Explo­sionen zu sehen.«

Michael Haber­lander