66. Berlinale 2016
Im Labyrinth des Redens |
![]() |
|
Im ehemaligen Krematorium von Wedding wurde über den deutschen Films nachgedacht | ||
(Foto: privat) |
Von Dunja Bialas
Sicherlich, der Ort war eine Steilvorlage. »Wird heute der deutsche Film beerdigt?!«, fragt mich aufgeregt-begeistert eine Kollegin des Kommunalen Kinos bei meiner Ankunft im ehemaligen Krematorium im Wedding, elegant umgetauft in »Silent Green«. Da sitzen sie also. 300 Gäste, die sich tatsächlich angemeldet haben, um einer Mammutkonferenz beizuwohnen zur Frage: »Warum spielt der deutsche Film auf den großen internationalen Festivals keine Rolle?« Die großen deutschen Autorennamen sind verschwunden, konstatiert später auf dem Panel Locarno-Programmer Sergio Fant. Und nicht einmal der Berlinale gelang es, neue Werke der verlässlichen Berlin-Autoren Christian Petzold, Rudolf Thome, Thomas Arslan oder Angela Schanelec zu befördern. Im Wettbewerb läuft als einziger deutscher Beitrag ein Abschlussfilm, 24 Wochen von Anne Zohra Berrached. Was ja nicht schlecht sein muss. Vielleicht ein Zeichen für einen überfälligen Wechsel. Regisseur Christoph Hochhäusler, der die vom Verband der deutschen Filmkritik zusammen mit der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung (»Silent Green«…) veranstaltete Konferenz als Zuschauer besuchte, wird nach der Veranstaltung auf Facebook verkünden: Was für eine Frechheit, von namhaften Experten, die allerdings den deutschen Film überhaupt nicht kennen, eine Diagnose über den Zustand des deutschen Kinos erstellt zu bekommen.
Aufs Podium waren drei Teilnehmer eingeladen: neben dem bereits erwähnten Sergio Fant saßen der mit einem beeindruckenden grauen Rauschebart versehene New Yorker Kritiker Richard Brody und Charles Tesson, Leiter der Semaine de la Critique in Cannes. Letzterer gab sich ziemlich schmallippig. Nicht nur, dass ihm die englische Konferenzsprache nicht lag – Brody machte hierzu die sehr interessante Bemerkung, dass die freiwillige Unterwerfung der Deutschen unter die englische Sprache ja durchaus auch symptomatisch für das mangelnde Selbstbewusstsein des deutschen Films sein könne – Tesson war leider gänzlich unvorbereitet, was sich in einer improvisierten und in die Länge gezogenen Keynote offenbarte. Im Vorfeld war dennoch, um Unwissenheit zuvorzukommen, den Teilnehmern eine Sichtungsliste von Filmen zugegangen, darunter erfolgreiche Seller wie Im Labyrinth des Schweigens oder Victoria und Nischenfilme wie Zeit der Kannibalen oder Das merkwürdige Kätzchen. Sergio Fant empfand trotz der Vielfältigkeit die Auswahl als »sadomasochistische« Geste der Veranstalter, Brody wies darauf hin, dass auch andere Kinonationen es mit Wellen (einer lang anhaltenden allerdings in Frankreich) oder nur wenigen Autoren zu tun haben, und dass sich auch das spanische oder italienische Kino seit langem in einer Krise befindet – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Fant stellte die spannende Frage, weshalb er es als Programmer in Locarno eigentlich immer nur mit ersten, zweiten oder dritten deutschen Filmen zu tun bekäme – und danach keine deutschen Produktionen mehr eingereicht würden (ist Locarno als ausgewiesenes A-Festival etwa den deutschen Produzenten zu mickrig, zu unbekannt?).
Es hätte eine Brücke zum zweiten, dann auf deutsch gehaltenen Panel und mit Bettina Reitz (ehemals Fernsehdirektorin des BR, heute HFF-Präsidentin, also direkt an den Wurzeln der Misere verortbar), Lars Henrik Gass (Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen) oder der in Berlin lebenden amerikanischen Dozentin und »Senses of Cinema«-Kritikerin Brigitta Wagner gleichfalls hochkarätig besetzten Podium werden können. Leider aber ging die Dialogizität der gesamten Konferenz mit ausufernden Redebeiträgen der Teilnehmer flöten und wurde zum letztlich unsteuerbaren Schiff. Das versenkt wurde, als viel zu früh auf das Auditorium geöffnet wurde, und Bettina Reitz mit ausgebuffter Professionalität ungebremsten Charme versprühen durfte. Ihr sichtbares Verlangen, selbst auf einem Podium, auf dem dem deutschen Film krematorischer Gegenwind entgegenblies, es jedem Recht zu machen, kristallisierte sich in einer nicht greifbaren, nicht angreifbaren Nicht-Position. Erhellend waren im zweiten Teil des Abends allein die Impulsvorträge von Brigitta Wagner und Lars Henrik Gass. Wagner wagte doch tatsächlich den Medieneinsatz und führte anschaulich an Beispielen aktueller Filmproduktionen vor, woran es dem deutschen Film mangelt, aber auch, wo seine Chancen liegen: die historische und touristische Falle (Elser, Kirschblüten – Hanami) umgehen, sich der Gegenwart, den unkonventionellen Blicken und neuen, auch interkulturellen Territorien oder den Nichtorten öffnen (Oh Boy, Victoria, Orly). Lars Henrik Gass, der mit Oberhausen jenseits des großen Marktes agiert, hatte pointierte Seitenhiebe für die Filmstiftung parat. Leider ging es im folgenden dann auch nur mehr um die Filmfinanzierung, die inhaltlich-thematische Frage nach dem Stoff und seiner Gestaltung, wie von Wagner vorgestellt, verpuffte.
So offenbarten sich am Ende von über vier Stunden Veranstaltung in den oberen Rängen wieder unbesetzte Urnen-Nischen, in die sich bei dem großen Andrang die Zuhörer anfangs hineingequetscht hatten. Der deutsche Film war nicht beerdigt, aber fast. Erkenntnisse, jenseits der Metaebene, gab es leider kaum. Außer: Der deutsche Film muss besser werden. Seit Joe Hembus eine wiederkehrende Erkenntnis.