66. Berlinale 2016
Schmutzig und grob gleich Realismus |
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Ein guter Auftakt: Meteorstrasse | ||
(Foto: Aline Fischer) |
Eine Männerwelt, Flüchtlinge aus einem palästinensischen Lager im Libanon, im Berlin von heute. Und mitten drin ein junger Mann, Mohammed, gerade 18, der noch seine Orientierung sucht. Einerseits zieht es ihn raus, weg, ins Offene, einerseits ist er ein moderner Mensch, andererseits doch jenen unseligen Traditionen verhaftet, nach denen die Älteren immer Recht haben. Meteorstraße heißt dieser kraftvolle Film, mit dem am heutigen Freitag-Abend die
Sektion »Perspektive Deutsches Kino« auf der Berlinale eröffnet wird.
Die Meteorstraße, nach der er benannt ist, liegt nahe am Berliner Flughafen Tegel – also irgendwie Randlage, geprägt vom fortwährend brausenden Fluglärm über den Dächern der Sozialwohnungen, aber auch irgendwie verheißend im Klang: Aufbruch, Startrampe, es donnern die Rotoren in die Freiheit über den Wolken.
Regie in diesem Männer-Jungs-Film über die Frage, was es denn eigentlich heißt ein Mann zu sein?
– führte eine junge Frau: Aline Fischer, eine hochbegabte Regisseurin, die aus dem Elsass stammt, zuerst Soziologie und dann in Potsdam Film studierte, und jetzt nach je einem Dokumentar- und Essayfilm ihren ersten Spielfilm vorlegt. Ein guter Auftakt der Reihe, dem man die Herkunft aus dem Dokumentarfilm jederzeit anmerkt.
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Vielleicht ist etwas zuviel Faszination für das Raue, Schmutzige, offenkundig Reale in diesem Film, der zum Teil mit Laien gedreht wurde, – ansonsten ist dies ein sehr gelungenes Debüt.
Man kann es sich auch auf einem internationalen Festival gut vorstellen. Keinen Grund gibt es aber, hier von Cannes zu träumen, was hinter den Kulissen mal kolportiert wurde, oder zu glauben, dieser Film gehörte in den Wettbewerb – nein! Noch nicht einmal in einen, für den man
verzweifelt noch einen deutschen Beitrag sucht. Insofern hat die Berlinale richtig entschieden, den Film in der »Perspektive« zu zeigen. Um so erstaunlich, dass der offenbar von der Kritik – »zu wenig deutsche Filme im Wettbewerb« – erschütterte Berlinale-Leiter jetzt im RBB Kulturradio erklärte, »Der Eröffnungsfilm Meteorstraße, ein Film, der hier in Berlin und Babelsberg mit dem rbb zusammen produziert worden ist, ist nicht nur ein sehr guter
Film, er ist genau ein Berlinale-Film. Der hätte meiner Meinung nach auch in den Wettbewerb gepasst.«
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Nun ist es bei Kosslick, wenn er über deutsche Filme redet, immer ein bisschen so, als rede er über die »Fischgerichte aus der Region« (»Die Berlinale ist bis auf Fischgerichte, die aus der Region kommen, vegetarisch.«), nämlich in Stückzahlen und Regionaleffekten: »Ich habe überhaupt kein Problem mit deutschen Filmen, denn sie sind im Kino erfolgreich. Es wird viel Umsatz gemacht mit deutschen Filmen. Und beim Festival zeigen wir natürlich auch Koproduktionen aus Deutschland.
Der deutsche Film kommt nicht zu kurz, auf keinen Fall.«
Wollen wir, dass so über deutsches Kino geredet wird?
Des Direktors Sicht auf die Sektion Perspektive ist auch... nennen wir es mal: unbekümmert. »Insgesamt sind wir mit deutschen Filmen gut bestückt. Wir haben ja die Perspektive Deutscher Film, wo es nur um deutsche Filme geht.«
Zwölf Filme, darunter acht lange und vier mittellange Spiel- und Dokumentarfilme zeigt in diesem Jahr die »Perspektive Deutsches Kino«. Das dies
die einzige Sektion des internationalen Festivals ist, die ganz dem nationalen Kino vorbehalten ist, macht sie zu einer Nische, und verdient besondere Aufmerksamkeit in einem Jahr in dem die deutsche Filmproduktion schwächelt, wie noch nie in den letzten Jahren.
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Diese für Meteorstraße konstatierte Faszination für Realität und deren Darstellung durch fast schon fetischistische Verehrung für das Dreckige, Grobe, vermeintlich Wilde, mit Handkamera verwackelte, damit man’s auch wirklich glaubt, prägt viele Filme dieser Sektion – es handelt sich dabei natürlich nicht minder um eine ästhetische Geste, als bei einem gelackten Star-Movie, oder bei den stilisierten stillen Dramen der Berliner Schule, die
vor ein paar Jahren das Nichts – mit großem »N« – und statischen Bildern inszenierten.
Nur ist das Laienhafte, Unfertige gerade größer in Mode – als ob erst im nicht-Schönen das Wahre, Gute beglaubigt würde. Vor zehn Jahren gab es schon einmal in der Perspektive die Welle des »Hartz IV Kino«.
Das gilt zum Beispiel auch für Lotte von Julius Schultheiß bei der Karin Hanczewski, die ein bisschen wirkt wie die Lidl-Version von Alice Dwyer eine
junge Frau spielt, die jünger wirkt, als sie ist, eindeutig zuviel trinkt, auch nüchterrn ziemlich aggro drauf ist, und nicht erwachsen werden will.
Es wird berlinert, was das Zeug hält, die Menschen sind jung und wild, und Männer sagen zu Frauen: »Du bist wie nen schwarzes Loch.« Dann trifft sie ihre Tochter, die sie nie kennen wollte, und die jetzt erwachsen wird – Zwei geschundene Seelen freunden sich an.
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Von einigen Ausnahmen wie Meteorstraße – der aber eben nicht zufällig eigentlich von einer Französin stammt! – abgesehen, spiegeln diese Filme den zur Zeit eher durchwachsenen, allemal verunsicherten Zustand des deutschen Gegenwartskinos: Die »Berliner Schule« ist kein Vorbild mehr, und der »Berliner Flow« des »German Mumblecore« wird es nicht werden – auch nicht wenn diese Filme ihre rührenden Momente haben, verspielt sind, und aus dem
Desaster des deutschen Kinos, keine Haltung, keine Vorbilder, kein Selbstbewusstsein und inzwischen auch kein Geld zu haben immerhin die Tugend einer Leinwand-Arte-Povera machen.
Von etablierten Regisseuren wie Hans-Christan Schmid, Oskar Roehler, Tom Tykwer, Andreas Dresen oder Fatih Akin kommt zur Zeit auch wenig Anregung für andere, und auch Pro Quote produziert mehr Erklärungen als Filme.
Dabei wäre es dringend nötig, das Nicht-Brave zu fördern und dem grassierenden
Naturalismus und den sozialpädagogischen Tendenzen des Kino-Mainstreams eine Gegenposition gegenüberzustellen.
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Zu solchem Realismus-Hang passen weit besser die Dokumentarfilme: Etwa Valentina von Maximilian Feldmann und Luise Schröder ist inhaltlich wie ästhetisch eindrucksvoll: Es geht um das Familienportät eines Roma Mädchens aus Mazedonien. Hochinteressant und auch insbesondere stilistisch überzeugend ist Manuel Inackers Palasseum, die lakonische Bestandsaufnahme eines Gebäudekomplexes in Berlin-Schöneberg, die, obschon nur 25 Minuten lang, hier einen längeren Text verdient hätte. Der ist jetzt logistisch nicht möglich. Wir holen es nach, versprochen.
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Die Suche nach Identität, nach Zukunft, nach Sicherheiten verbindet all diese Heimatfilme der besonderen Art. Seit 15 Jahren gibt es die »Perspektive Deutsches Kino«, sie ist die erste Sektion von so vielen, die der Berlinale-Boss bei seinem Amtsantritt begründet hat. Die »Perspektive« will in ihren eigenen Worten »Anlaufstelle« sein, erste »Anerkennung« für den Filmnachwuchs bieten.
Aber für den Nachwuchs ist die natürlich Berlinale besonders hart, denn ein Festival wie
dieses könnte nie ein Refugium für junges Kino sein. Seit ihrer Entstehung leidet die Sektion hieran, und ebenso leidet sie darunter, besonders konjunkturabhängig zu sein und im Verdacht einer Resterampe zu stehen, nur das zu bieten, das in den anderen Sektionen und in Saarbrücken ein paar Wochen zuvor durchfiel.
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Aber andererseits zeigt der Rückblick, wer hier alles mit ersten Filmen lief: Robert Thalheim, Florian Schwarz, Dietrich Brüggemann, Sonja Heiss, Bettina Blümner, Lola Randl – die Perspektive zeigt trotz aller Moden auch die Möglichkeiten und die Vielfalt des deutschen Kinos – vielleicht besser als alle anderen Sektionen.
Früher hatten es die Filmemacher und mit ihnen die Perspektive selbst aber auch noch leichter, weil man nicht auf Premieren beharrte, sondern
einfach nur ein offenes gut gelauntes Forum sein wollte.