15.09.2011
68. Filmfestspiele von Venedig 2011

Wer einmal in der Gondel sitzt...

A Dangerous Method
Cronenbergs A Dangerous Method: Elegant & cool
(Foto: Universal Pictures International Germany GmbH)

Freud, Geheimdienste, Seuchen, Könige, Perser und vieles mehr, Folge 2

Von Rüdiger Suchsland

Venedig, 1.9.2011, zweiter TagW.E. – es ist schon ungemein roman­tisch, wenn man sich klarmacht, was der Titel dieses Films bezeichnet: Man liest ihn »we«, also Englisch für »Wir« und diese Einheit bezieht sich auf »Wallis« und »Edward« die geschie­dene, wieder­ver­hei­ra­tete Ameri­ka­nerin und den briti­schen Thron­folger, die sich in den 30er Jahren verliebten. Als Edward König wurde, schien eine solche Ehe aber völlig unpassend, und der König musste sich entscheiden. Kein Jahr auf dem Thron, dankte er im Dezember 1936 ab, und sein Bruder Georg, der Vater der jetzigen briti­schen Königin, übernahm seine Position – dessen Geschichte hatte zu Jahres­be­ginn erst The King’s Speech erzählt.

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W.E. kommt also marke­ting­stra­te­gisch zur richtigen Zeit, fast ein bisschen zu richtig, um hier nur an Zufall zu glauben. Man sieht verfilmte Prin­zes­sin­nen­träume, in denen der Prinz nicht nur sexy aussieht, perfekt tanzt und elegant Konver­sa­tion führt, sondern auch noch sozial engagiert ist: »Something must be done.« rief er einst briti­schen Reportern zu, als er ein Obdach­lo­sen­quar­tier besuchte – »caring«genug, um bewegend und engagiert zu wirken, vage genug, um niemanden vor den Kopf zu stoßen oder die Grenzen der parla­men­ta­ri­schen monarchie hzu über­schreiten. Und heute einer der wenigen Momente neben der ganzen Abdan­kungs­af­faire, der von Edward VIII. im kollek­tiven Gedächtnis konser­viert ist. Edward war offen­kundig besessen von Wallis. weswegen sie für die einen eine Hexe ist, die die schönen Prinz verzau­bert hat, für die anderen eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur, weil es ihr gelang, für sich den Frau­en­traum zu verwirk­li­chen, dass ein Mann einmal alles aufgibt für einen. Träumen das eigent­lich Männer manchmal umgekehrt auch?

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Hand­werk­lich ist W.E. auch durchaus anspre­chend: Sanft fließende Kame­ra­be­we­gungen und eine sehr kompli­ziert gebaute, in Vor- und Rück­blenden hin- und hersprin­gende Narration, Form­fragen also domi­nieren den Film. Am besten geglückt ist kaum zufällig eine Tanzszene, jene, in der sich Wallis und Edward beginnen, fürein­ander zu inter­es­sieren. Madonna, die auch das Drehbuch schrieb, kombi­niert Elemente eines Psycho­thril­lers mit den typischen Ingre­di­en­zien eines Melodrams. Denn der Film hat neben Wallis Simpson noch eine andere Haupt­figur: Eine junge Britin in der Jetztzeit, die über ihrem Kinder­wunsch und dem fremd­ge­henden Gatte schier wahn­sinnig wird, und sich zunehmend und zunehmend bizarrer mit der histo­ri­schen Wallis iden­ti­fi­ziert.

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Wen hat Madonna nicht alles gespielt, und in Zitatform ange­spielt in ihrer nun auch schon bald 30-jährigen Karriere: Evita, Marilyn, Leni Riefen­stahl, Marlene Dietrich. Eine wie Wallis fügt sich in dieses politisch-ästhe­ti­sche Geflecht aus Glamour und Verzweif­lung, Faschismus und Art Deco, Frau­en­power und Resis­tance ganz gut. Und man kann sicher sein, dass, wäre der Film zehn Jahre früher entstanden, Madonna selbst diese Rolle gespielt hätte. Denn Simpson ist im Sinne Madonnas wohl auch eine para­dig­ma­ti­sche Figur: Selbst­be­wusst und frei, ange­feindet und leiden­schaft­lich, Opfer wie Täterin. Und perfekt gekleidet. Sollte Madonna jetzt nach ihrem zweiten Spielfilm ernsthaft eine Karriere als Regis­seurin planen, ist dies eine gute Voraus­set­zung: Inhalt­lich popu­lis­tisch, stilis­tisch durchaus mit Anspruch und Können.

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Das Ergebnis wirkt insgesamt trotzdem unaus­ge­goren – ein Film wie eine Frau­en­zeit­schrift: Schöne Bilder, schöne Frauen, aber mit allerhand Problemen, und ansonsten das, was man gern für »Frau­en­themen« hält: Männer, Kinder, Königs­fa­mi­lien, Mode und Anti­qui­täten.

Wie Madonnas Videos ist W.E. eine Orgie des Feti­schismus und der Objekte, in der Wallis' Leben anhand der Muster der Teetassen erzählt wird, vor denen ihre knallrot lackierten, perfekt mani­kürten Finger noch besser hervor­ste­chen, in der Abbie Cornish dauernd in schwarzer Unter­wä­sche durch die Wohnung und Hotel­zimmer läuft – und trotzdem so hässlich aussieht, wie noch nie: wie ein Pummel­chen mit flachem Mond­ge­sicht. Auch die Menschen, die Haupt­fi­guren-Frauen zumal sind hier Objekte; Puppen, die gut angezogen und hin und herge­schoben werden.

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Und so klingt das Ganze dann in der inter­na­tio­nalen Pres­se­mit­tei­lung: »W.E. is a romantic explo­ra­tion of the myste­rious connec­tion across decades between two women confron­ting the conse­quences of desire. Caught in a loveless Manhattan marriage, abused and frus­trated Wally (Abbie Cornish) obsesses over Wallis Simpson (Andrea Rise­bo­rough), the stylish American divorcee who captured the heart of Edward VIII (James D’Arcy) who abdicated the throne as King of England. As the Duchess of Windsor, Wallis spends the rest of her life in the glare of celebrity exile. Inspired by the Duchess’s deter­mi­na­tion to pursue love in the face of social exile, Wally escapes into the arms of another man (Oscar Isaac) whose love sets her free. Madonna and a world class team of colla­bo­ra­tors present a passio­nate tale of the search for love and the meaning of happiness. W.E. (for Wallis and Edward, forever entwined in the love story of the 20th century) is a rich, cinematic portrayal of two strong women resolved to find romance.«

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Nicht weniger feti­schis­tisch, aber auf völlig andere Art ist auch The Sorcerer and the White Snake (Baishe chuanshuo) vom Hongkong-Regisseur Tony Ching Siu-Tung, der unter anderem auch verant­wort­li­cher Stunt-Koor­di­nator bei der Pekinger Olympiade war. Wieder einmal ein chine­si­scher Märchen­klas­siker, wieder­einmal mit knall­buntem Zuckerguß aus dem Computer – wir erinnern uns an Chen Kaiges The Promise. Alles spielt in einer mythi­schen Ur-Welt, in der die Natur belebt ist: Schlangen können ebenso sprechen, wie Schild­kröten, Hamster und Ginseng­wur­zeln, des tumeln sich Feen und Dämonen und dazwi­schen stör­ri­sche buddhis­ti­sche Mönche, die für Ordnung sorgen und unge­hor­same Dämonen in den Bergen in einer Pagode gefangen halten. Denn »Demons and humans are not meant to be together.« Das mag stimmen, im Einzel­fall führt es aber hzu viel Leid und Chaos. Davon erzählt diese Geschichte über die Liebe einer weißen Schlange zu einem Menschen. Die Schlange mate­ria­li­siert sich glück­li­cher­weise in Gestalt einer schönen Schlan­gen­frau, die aussieht wie die Meer­jung­frauen bei uns – nur mit Schlan­gen­leib statt Flos­sen­schwanz. Auch die etwas unan­ge­neh­meren Fleder­maus­vam­pire machen aus dem ganzen Film einen nerdy wet dream. Küsse unter Wasser werden getauscht, andere Dämonen sehen aus, wie weiße Füchse mit Frau­en­stimmen, die in Bambus­wäl­dern hausen, Jet Li als Obermönch kämpft gegen einen fiesen Flederm­aus­dämon, der äußerlich am ehesten an Night­crawler in den X-Men-Filmen erinnert. Als comic relief neben der ersten Liebe gibt es noch die nur halb­ge­glückte Trans­for­ma­tion eines Mönches. Im Prinzip ist das ein völlig sinnloser Quatsch, der für unsere Augen nur stel­len­weise »schön« aussieht. Aber es geht um Univer­selles, dem sich auch der west­lichste Film­zu­schauer kaum dauerhaft versagen kann: Die Macht der Liebe, die nicht nur König­reiche, sondern selbst die Gesetze der Natur bezwingt – für eine Weile jeden­falls.

Venedig, 2.9.2011, dritter Tag – Ja ja, es ist alles relativ. Klar doch. Es gibt überhaupt – ich betone überhaupt – keine Wahrheit. Und jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung. Und was ich sage, muss nicht stimmen, selbst­ver­s­tänd­lich. Denn es ist manchmal falsch, wie ich einen Film finde. Und man darf auch anderer Meinung sein. die Antwort eines sowje­ti­schen Kritikers auf gerechte Kritik.

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Die entspre­chende Anklage kam von einem Genossen, der hier nur noch Guiseppe Rapido heißen darf, weil er sich verbeten hat, und zwar ein für alle Mal, in diesem Blog nament­lich erwähnt zu werden. Viel­leicht ist trotzdem alles etwas anders. Ich würde es gern lieber mit Oscar Wilde halten. Der hatte einmal schön formu­liert: »Der Kritiker soll das Publikum erziehen, der Künstler aber soll den Kritiker erziehen.« Oh ja, das kann ich unter­schreiben: Ich will mehr Filme, die mich erziehen, von denen ioch etwas erfahre, etwas lerne.

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Zu was Stephen Soder­bergh, der alte Bilder­schlamper, uns erziehen will, wäre eine genauere Betrach­tung wert: Contagion (Anste­ckung) glänzt zunächst einmal mit diversen Top-Stars: Kate Winslet, Marion Cotillard, Gwyneth Paltrow, Matt Damon, Jude Law und Lawrence Fishburne. Diese Menge braucht Soder­bergh aller­dings auch, denn Contagion ist ein apoka­lyp­ti­scher Seuchen-Thriller. Es geht um eine EHEC-ähnliche Epidemie, bei der die Menschen wie die Fliegen sterben. Zwar zeigt der Film nichts, was man nicht schon in anderen Welt­un­ter­gangs­filmen wie 28 Days Later und Outbreak gesehen hätte, trotzdem beein­druckt die hand­werk­liche Perfek­tion des Regis­seurs. Er webt einen Bilder­tep­pich, strickt ein Netz aus Bezie­hungen von Anste­ckung, Gesund­heits­po­lizei und Medi­en­be­richten über die ganze Welt – eine Symphonie der Seuche. Und Globa­li­sie­rungs­kino par excel­lence, bei dem schnell zwischen Tokio und New York hin und herge­schnitten wird, und der Weg der Seuche visuell markiert: Erdnüsse, ein Computer, eine Hand auf einer Stange im Bus... Das Ganze ist sehr elegant und schön anzusehen – viel­leicht liegt hier schon das Problem bei einem Seuchen­film. Vor allem aber muss man fragen, was es am Ende soll?

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Das erste Opfer der Seuche ist Gwyneth Paltrow – kein Wunder, sie ist ja auch Veganerin und guckt ihre wenigen Film­mi­nuten entspre­chend geschwächt und blutleer aus der Wäsche. Die schönste Szene des Films ist dann die, in der Paltrow tot auf dem Obduk­ti­ons­tisch liegt. Da wird ihr mit schönem Säge­geräusch der Schädel aufgesägt und die Kopf­schwarte nach vorne gezogen – plötzlich hängen ihr die blonden Haare unterm Kinn. Da guckt man ihr ins Hirn, von dem offen­kundig nicht viel übrig­ge­blieben ist – Vegan­rertum? – und es fällt dann gleich auch der schönste Dialog des Films: »Oh my god. What’s that?« – »Should I call anyone?« – »Call everyone« Ein neues Wort, das wir im Film gelernt haben, heißt »Seuchen-Cluster« Offenbar analy­sieren Forscher bei Seuchen auffäl­lige Häufungen in Clustern.

Die ärger­lichsten Momente sind jene, in denen Soder­bergh die Seuche dann doch noch puri­ta­nisch mora­li­siert: Zum Auslöser ist eine Kombi­na­tion aus Fremd­gehen, Glücks­spiel und dem Verzehr von Schwei­ne­fleisch. Und ganz am Ende sind eben doch Asien und mangelnde Hygiene an allem schuld! Gut wenn man Sünden­böcke hat.

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»Mit meiner Ball­al­ala­leika, war ich der König von Jamaika« – so sang einst Bata Ilic in Dieter Thonas Hecks ZDF-Hitparade. Ein Lied, das mich seiner­zeit nach­haltig beein­druckte, wobei den recht eindeu­tigen sexuellen Subtext noch nicht verstand. An Ilic und leider auch das Niveau seiner Kunst musste man denken, als die erste echte Enttäu­schung des Venedig-Programms über die Leinwand flimmerte: Poulet au Prunes (Hühnchen mit Pflaumen) von der in Paris lebenden Iranerin Marjane Satrapi, deren Debüt Perse­polis noch alle begeis­tern konnte. Doch statt einen zweiten Anima­ti­ons­film hat Satrapi nun einen ersten Real-Film gedreht: Eine »märchen­hafte«, »magische« Geschichte um einen unglück­li­chen Geiger, der im Teheran des Jahres 1958 nach jahre­langer unglück­li­cher Ehe zu sterben beschließt – als eben seine Ehefrau die Geige kaputt macht, mit der er sich beim Spielen immerzu an seine wahre, unglück­liche Liebe erinnert. Vor dem Sterben lässt er – das ist dann der Film – sein trauriges Leben Revue passieren. Man mag es für poetisch halten, wenn die Kamera im Stil von Amélie einer Schnee­flocke auf ihrem Fall vom Himmel folgt, bis sie ein vorwit­ziger Kinder­mund verschluckt – in der Gesamt­schau wirkt das aber nur pseudo-poetisch und so verschmockt, dass selbst Stars – Chiara Mastroi­anni und Isabella Rossel­lini in den Neben­rollen – nichts mehr retten konnten.

Poulet au Prunes ist hoch­gradig biederes, geschmäck­le­ri­sches Histo­ri­en­kino. Zudem ein Beispiel depperten Orien­ta­lismus', denn warum müssen alle Perser von Franzosen gespielt werden – mit Ausnahme der wunder­baren Gols­hifteh Farahani?

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Venedig, 3.9.2011, vierter Tag»Peoples brains where different in the past.« sagte David Cronen­berg auf der Pres­se­kon­fer­renz nach der Venedig-Premiere seines Films, »their nervous systems were different... My film gathers a fasci­na­ting puzzle...« Es muss großartig sein, mit Cronen­berg einen Film zu drehen. man bekommt, das erzählen seine Schau­spieler schon seit Jahren, Stapel von Büchern zum Lesen und einen nimmer­müden, immer gesprächs­be­reiten Regisseur. Am Ende läuft das Ganze auf ein kleines Ober­se­minar hinaus, zum Thema »Exis­tenz­phi­lo­so­phie und virtuelle Welten« (eXistenZ), »Selbst­justiz, Rache und die Gewalt­ge­schichte Amerikas« (A History of Violence), »Muta­tionen und Hybride« (Die Brut), »Kultur­ge­schichte der Parasiten« (Shivers), »Wissen­schaft, Epidemien und das neue Fleisch« (Rabid), »Perver­sion und Feti­schismus« (Crash), »Drogen­kultur und künst­le­ri­sche Produk­ti­vität« (Naked Lunch), »Video­kunst und die Präsenz des Leibes im Cyber­space« (Video­drome), »Russland, seine Menschen, seine Mafia«, »Das Böse und die Musik« und »Zeichen­system Gefängnis« (Eastern Promises) – und so weiter. Immer ist derglei­chen verbunden mit einem Grundkurs in Kultur­ge­schichte, post­mo­dernen Körper­welten und Praxis des Filme­ma­chens. Es gibt nur wenige Regis­seure, die so klug und gebildet sind wie Cronen­berg, und keinen, der so wenig Aufhebens darum macht.

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Pfer­de­kut­schen klappern über sandige Straßen, nach Amerika fährt man mit dem Dampf­schiff, und die Post kommt achtmal am Tag. Die Herren tragen Bärte und Zylinder, die Damen ein engge­schnürtes Korsett, sind aber gar nicht so selten gern bereit, es aufzu­schnüren, und sich den Herren alles andere als damenhaft hinzu­geben. Es wird schon gern mal gepeitscht und gefesselt, von hinten genommen sowieso, in jener Welt, wie sie David Cronen­berg (eXistenZ) uns zeigt. In seinem neuen Film A Dangerous Method, der bereits am letzten Freitag im Wett­be­werb von Venedig lief, nimmt der kana­di­sche Regisseur seine Zuschauer mit auf eine Zeitreise. Sie führt in jene alteu­ropäi­sche bürger­liche »Welt von Gestern«, die nicht nur Stefan Zweig beschwor, bevor sie in den Stahl­ge­wit­tern des Ersten Welt­kriegs unterging. Genauer: Ins Wien und in die Schweiz der Jahre kurz nach der Jahr­hun­dert­wende, als Sigmund Freud das Unbe­wusste entdeckte, »Überich« und »Es« defi­nierte, Dinge wie Hysterie, Neurose, den Ödipus-Komplex und den Todes­trieb und mit alldem die Psycho­ana­lyse erfand. Cronen­berg erzählt von jener Zeit zwischen 1904 und 1914, als deren Methoden noch unsicher waren, als Freud öffent­lich heftig ange­griffen wurde, und seine »Bewegung« erst zu formen begann. Der 1856 geborene Freud (Viggo Mortensen) erkannte in dem eine Gene­ra­tion jüngeren Carl Gustav Jung (Michael Fass­bender) einen poten­ti­ellen Nach­folger und wollte ihn näher an die eigene Arbeit heran­führen. Aus dem anfäng­li­chen Vater-Sohn-Verhältnis zwischen beiden wurde aber binnen weniger Jahre tiefe Eifer­sucht und Rivalität. Der rationale Freud warf dem irra­tio­nalen Jung, der sich auch mit Tele­pa­thie und Para­psy­cho­logie beschäf­tigte, »Mythi­zismus« und »Scha­ma­nismus« vor – von den tieferen Ursachen dieses Bruchs – theo­re­ti­schen, wie höchst privaten Diffe­renzen – handelt Cronen­bergs Film.

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Der Film ist elegant und cool, zugleich zurück­hal­tend, wie selbst­si­cher. Dort wo es mal kurz über­flüssig cheesy aussieht, wie beim compu­ter­ge­nerierten Ozean­dampfer, mit dem Freud und Jung gemeinsam nach Amerika reisen, fallen dann geniale Dialogsätze, die all das in den Schatten stellen: »Do you think they know we're on our way, bringing them the plague?« fragt Morten­sens Freud süffisant.

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Eine der schönsten Szenen und zentralen Stellen in Cronen­bergs Film ist die erste Begegnung zwischen beiden. Sie kennen sich durch Brief­wechsel, und irgend­wann besucht Jung den bewun­derten Meister in der Wiener Berggasse. Es gibt ein kleines char­mantes Gespräch darüber, ob Freud nun ein Columbus oder ein Galilei des Unbe­wussten sei. Er bevorzugt den Vergleich mit Columbus: »Columbus wusste nicht, was er entdeckte, er wusste nur, dass er etwas entdeckt hat.« Jung kann sich nicht benehmen, besitzt zum Beispiel keine Tisch­ma­nieren. Fachlich sind beide Männer von einander faszi­niert, kulturell und politisch über­wiegen die Diffe­renzen: »Es gibt ein Problem: Hier in Wien sind nahezu alle Psycho­ana­ly­tiker Juden.« – »Ich sehe nicht, wo hier das Problem liegen soll.« – »Eine exquisit protes­tan­ti­sche Antwort.« Dieser kurze – histo­risch über­lie­ferte – Dialog zwischen Freud und Jung zeigt Freuds klare Einsicht in den latenten Anti­se­mi­tismus seiner Gegenwart, wie umgekehrt Jungs poli­ti­sche Blindheit. Man wüsste gerne mehr über Jungs Verhältnis zum Jüdischen. »Jewish, import-export, well educated« – so beschreibt er eine neue Patientin am Frühs­tücks­tisch gegenüber seiner Frau. Da sind die Stereo­typen, ungenau maskiert, beisammen: Das Jüdische als das ökono­misch versierte, intel­lek­tuell über­le­gene, insofern aller­orten latent bedroh­liche Element.

Er zeigt auch, wie Freud sich mit den Jahren zunehmend als Jude zu fühlen begann, wie er immer deut­li­cher Stolz auf sein Judentum entwi­ckelte – aller­dings auch eine gewisse Arroganz: »Ihr Traum von einer mysti­schen Verei­ni­gung mit dem blonden Siegfried ist zur Verdam­mung verur­teilt. Hören Sie auf, von dem Arier zu träumen. Wir sind Juden.« Dies sagt Cronen­bergs Freud in einer zweiten zentralen Stelle des Films. Er sagt dies zu Sabina Spielrein, der dritten Haupt­figur des Films. Spielrein, eine 1885 geborene russische Jüdin, kam 1904 als Hysterie-Patientin zu Jung, wurde von ihm behandelt – und seine Geliebte. Später dann kam es zum Bruch, Spielrein wurde Freuds Patientin, und ihre Affaire mit Jung zum Modell-Fall, zum Auslöser für Freuds Diktum, ein ange­hender Analy­tiker müsse zuerst selbst eine Psycho­ana­lyse durch­laufen. Später wurde Spielrein selbst Psycho­ana­ly­ti­kerin. Sie forschte über »Sex als destruk­tive Macht«. Gespielt wird sie von Keira Knightley. Die grimas­siert recht viel, vor allem, am Anfang, aber schließ­lich ist sie da noch eine Hyste­ri­kerin. Aber wenn Knightley im Film redet, inter­es­siert mich das nicht, geht eher auf die Nerven.

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»This is a story about obsession.« hätte man über diesen Film titeln können. In jedem Fall ist es auch eine Story über Sex. Oder was man seiner­zeit darunter verstand. Dazu gehörte in jedem Fall, das lange über Sex geredet wird, bevor er womöglich statt­findet. Und das Schuld­ge­fühle ebenfalls scheinbar untrennbar dazu­gehörten. Der Kontrast zwischen Spielrein und Jungs Ehefrau Emma zeigt auch, wie Krankheit für sie zu einer Chance werden kann, aus dem Korsett der patri­ar­chalen Gesell­schaft zu schlüpfen. Die deutsche Schau­spie­lerin Anna Thalbach kommt nur sehr undankbar vor, ein paar Sekunden lang halbnackt als Nympho­manin, die von drei Schwes­tern fesget­halten wird und dabei versucht, Jung in die Augen zu sehen.

Spielrein ließ sich, glaubt man dem Film, von Jung beim Sex gern auspeit­schen, am liebsten vor dem Spiegel. Ob das alles wirklich so stimmt, dazu muss man wohl die Fach­li­te­ratur konsul­tieren, vor allem Sabine Rieche­bächer, die mehrere Bücher über die Spielrein geschrieben hat, aber wir glauben sowieso, dass Recherche eine von Cronen­bergs Stärken ist.

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Eine der letzten Szenen des Films ist die, in der sich der Bruch zwischen Freud und Jung vollendet. Während aus dem Off Freuds Stimme aus dessen letztem Brief an Jung liest, sieht man Freud selbst durch den Park von Schloß Schön­brunn spazieren. Als er sinnie­rend im Gehen innehält, steht neben ihm eine Sphinx-Statue...

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Obwohl dieser Film keine akade­mi­sche Übung ist, und kein Doku­men­tar­film, gelingt es Cronen­berg besonders gut, das Charisma Freuds einzu­fangen. Neben der groß­ar­tigen Leistung dieses Films als Rekon­struk­tion der Epoche bis in kleinste Einzel­heiten, etwa die Einrich­tung von Freuds Arbeits­zimmer, oder von Neben­fi­guren dieses intel­lek­tu­ellen Dramas wie Otto Gross, dem späteren Monte-Verita-Lebens­re­former – wirklich lustig mit groß­ar­tigem Witz und, soweit ich das sagen kann, treffend verkör­pert als koka­in­süch­tiger Derwisch und Befrei­ungs­fa­na­tiker von Vincent Cassel, der hier aber mit Werwolf-Bart eher aussieht wie Kirk Douglas' Van Gogh in Vincente Minnellis Lust for Life –, hat der Film freilich noch eine andere, etwas versteckte Pointe: Zwar hat der Kanadier ein Histo­ri­en­drama gedreht, und eine wichtige Episode der Kultur­ge­schichte des 20. Jahr­hun­derts erzählt. Zugleich aber liegt der Gedanke nahe, dass die fried­li­chen Jahre von denen der Film erzählt, unserer eigenen Gegenwart nicht unähnlich sind: Auch wir erleben eine Zeit voller Chancen, voller wissen­schaft­li­cher Errun­gen­schaften, von Reichtum und hohem zivi­li­sa­to­ri­schen Niveau, in der trotzdem die Unsi­cher­heit zunimmt, die Warn­si­gnale vor Rück­schlägen und das Gewit­terg­rollen am Horizont nicht zu übersehen sind. Die scheinbar ewig fried­liche milde Zeit vor 1914 war schneller zuende, als Zeit­ge­nossen es sich träumen ließen: Auf 1914 folgte 1918, 1933 und 1945. Kaum einer hätte sich 1913 die Zivi­li­sa­ti­ons­brüche, die folgten, vorstellen können.

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Irgendwo im Internet lesen wir trotzdem Kriti­sches: »Und jetzt also ein Kostüm­film, in dem ... in sehr geschmack­vollen Kulissen geredet und geredet wird, wo die hoch­be­gabte junge Russin Sabina Spielrein ihren Analy­tiker Jung mit Reden verführt, und Jung zu seinem anfäng­li­chen Übervater Freud mit Reden – das erste Gespräch dauert 13 Stunden – eine Beziehung auf- und radikal wieder abbaut.« Die Kriti­kerin findet das schlimm. Aber warum ist reden in der Kunst eigent­lich schlimm? Warum darf man im Theater reden, aber nicht im Kino? Ist nicht eher die Tatsache schlimm, dass viele Leute das Reden heute verlernt haben, und das Zuhören auch?

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»We have to go into uncharted territory.« (Jung in Cronen­bergs Film). Merk­wür­di­ger­weise kommt im Kino Freud bisher kaum vor. Dabei spricht heute die ganze Welt Freud. Und im Kino spielt das zentrale Motivs Freuds, die Möglich­keit des Verrats an sich selber, ständig eine Rolle. Freud oder auch The Secret Passion hieß einer der unbe­kannten Filme von John Huston Anfang der Sechziger Jahre, zu dem kein Gerin­gerer als Jean-Paul Sartre das Drehbuch schrieb. Freud wurde von Mont­go­mery Clift gespielt. Es geht darin um die frühen Jahre von Freud, und in gewissem Sinn ist das Ganze, wie Dennis Schwartz in einer Kritik treffend schrieb, »ein Film Noir, mit Freud als Detektiv.«

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»Never repress anything.« sagt Cronen­bergs Gross. Und sein Freud: »Otto Gross … doing great harm to our movement. … you are undis­puted crown­prince.«

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Wieviel Mut dazu gehörte, sich während des vikto­ria­ni­schen Zeital­ters auf Frauen einzu­lassen, kann man sich verge­gen­wär­tigen, wenn man wieder einmal einen Blick auf Ibsen oder Strind­berg wirft, die beide dauernd über Frauen schrieben, sie aber meist zu Kari­ka­turen und Kranken degra­dierten oder zu mythi­schen Wesen und archai­schen Urmächten über­höhten. Oder einen Blick auf Oscar Wilde: Al Pacino. Der beginnt seinen eigenen Film Wilde Salome zwar mit dem vorhin vermissten Satz: »This is a story about obsession«, versem­melt aber alles völlig. Irgendwie geht es um Oscar Wilde, vor allem aber um Pacino selbst und irgendwie auch um die Figur der Salome. Die begann ja etwa zur gleichen Zeit die bürger­liche Gesell­schaft Europas zu faszi­nieren, in der Freud seine Theorien in die Welt setzte. Salome ist auch eine Ur-Femme Fatale. Auch das hat etwas mit Freud zu tun, alles lag in der gleichen dicken Salonluft – es ging um die Einsicht, dass Geschlecht und Sexua­lität gesell­schaft­lich ausbeutbar sind. Das Ergebnis ist Theater-Gesch­mocke und viel Schau­spie­le­rei­tel­keit. das bessere »making off« eines miss­glückten Stücks, das ein Film werden sollte. Am meisten enttäuscht sein werden die, die Pacinos Shake­speare-Doku Looking for Richard mochten.

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Auch Philippe Garrel, wir hatten das vor ein paar Tagen erwähnt, wirft in Un ete brulant einen Blick auf »die« Frauen. In der Pres­se­kon­fe­renz beschreibt Garrel seinen Film als seine persön­liche Version von Godards Die Verach­tung und verwies auf eine in der Malerei ganz übliche Tradition: »Ich habe meinen Meister kopiert.« Ich denke, dass das manchmal besser ist, als verkrampfte Origi­na­lität. Das Kino sollte sich wieder mehr auf die Tradition der Werkstatt besinnen.

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Wenn man mal begreifen wollte, was die Wirkung Monica Beluccis ausmacht – mise­ra­bles Spiel hin oder her –, musste msan ihren Auftritt in Garells Pres­se­kon­fe­renz sehen: Sie kam genau jene zehn Sekunden zu spät, um alle ufmerk­sam­keit der Presse auf sich zu ziehen. als erstes ein öffent­li­ches Küsschen für Garell – das war das Foto des Tages.

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In der Pres­se­kon­fe­renz zu A Dangerous Method erzählt Cronen­berg: »Mein Zugang zum Kino hat sich verändert. Ich drehe weniger, ich schneide schneller. Ich gebe dem Film, was er will. Meine Hingabe gilt dem Script und den Schau­spie­lern.« Dann geht es noch darum, dass die Brief­wechsel seiner­zeit »wie Internet vor dem Internet« gewesen seien.

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»Blogging is not writing. It’s grafitti with punc­tua­tion.« Das ist so ein Satz, der noch hängen­blieb von Stephen Soder­berghs Seuchen­thriller Contagion und für große Lacher im Kino sorgte. Dabei ist der Blogger in diesem Film, gespielt von Jude Law in einem fast komö­di­an­ti­schen Auftritt mit schlechten schiefen Zähnen, von denen einer auch noch schwarz angefault ist, gar kein Idiot und auch keine durch­ge­hend unsym­pa­thi­sche Figur. Er hat einen guten Instinkt, und eine plas­ti­sche Sprache. Der Virus sagt er, sei »wie Godzilla, King Kong und Fran­ken­stein zusammen.« Aller­dings ist der Blogger unsym­pa­thisch, denn er ist ein Fanatiker. Womit wir beim nächsten Film wären.

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Es gibt bisher eigent­lich nur zwei Filme, die einem bisher Lust machen, sich sofort nach dem Festival einen Stapel Bücher zu besorgen, und zu lesen. Einer ist David Cronen­bergs Freud-Jung-Drama A Dangerous Method, der schon am Freitag lief, uns immer noch im Kopf herum­spukt, und über den wir hier auch bald noch schreiben werden. (Gerade ist ja, das nur in Klammern, die Phase erreicht, in der wir beim besten Willen nicht mehr mit dem Schreiben hinter­her­kommen und eigent­lich noch die Filme von Freitag und danach bespre­chen wollen, aber, weil es ja schon Montag ist,doch vieles vor und herschieben.) Das andere, was man lesen will, ist alles von John Le Carré. Schuld daran ist Tinker, Tailor, Soldier, Spy, die lang­erwar­tete Kino­ver­fil­mung von Le Carrés gleich­na­migem Roman (auf deutsch: »Dame, König, As, Spion«) durch den Schweden Tomas Alfredson (Låt den rätte komma in).

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»The fanatic is always concei­ving a secret doubt.« – so lautet einer der schönsten Sätze in diesem Film. Und wäre dies nicht vor allem ein Style- und Fashion-Statement, dann wäre dieser Film auch eine wunder­bare Ansamm­lung von Sätzen und klugen Gedanken. Etwa, als fast am Schluß des Films der Entlarvte Smiley zugesteht, er sei von der Gegen­seite als gefähr­lich einge­schätzt worden. Und dann erklärt: »But you have a mild spot: As Annas Lover, you were not able to see me straight.« Er wurde nur deshalb der Liebhaber von Smiley Ehefrau, um als Verräter sicherer zu sein.

Ein Film der Sehnsucht auslöst. Ein Film, der nochmal gesehen werden will. Denn man kann hier alles Mögliche entdecken, soviel, wie bei einem Mal angucken nicht auszu­schöpfen ist. Diese Sehnsucht hat ihre Ursache auch darin, dass dieser Film auf etwas völlig Irra­tio­nalem basiert, bezie­hungs­weise es erst auslöst: Nostalgie nach dem Kalten Krieg. Nostalgie gegenüber einer grauen Welt ohne Mobil­te­le­fone und Internet, nach einer modernen Kunst, die sich mit ihren Ecken, ihrem Grau in Grau, der dicken, hart und grindig gewor­denen Farbpaste, in der die Quadrate auf ihren Lein­wänden gemalt sind, in Kontrast befindet zu allem Plüsch und allem Runden, das die Einrich­tungen dieser Jahre dominiert. Die aber nichts zu tun hat mit dem Medi­en­krims­krams und Instal­la­ti­ons­bu­den­zauber, der heute die Kunstwelt dominiert – zum Beispiel der Biennale ein paar Boots­mi­nuten weiter.

Eine zweite zumindest bemer­kens­werte, für mich inter­es­sante Gemein­sam­keit zum Croenberg-Film ist, dass wir auch hier mit einem sehr über­la­denen, sehr klas­si­schen, sehr braunen Herren­ar­beits­zimmer begegnen. Bei Cronen­berg ist es das von Freud, hier das von Smileys Boss »Control«, den John Hurt spielt. Diese Arbeits­zimmer sind von allen Ecken einge­rahmt durch Bücher­re­gale, die prall gefüllt sind. Dazwi­schen und vor den Büchern stehen kleine Mitbringsel, Statuen, Fotos im Rahmen, Kostbares neben billigem Tand. Auf dem schweren Schreib­tisch türmen sich die Papier­stapel, man meint, den Staub riechen zu können. Es ist das 20. Jahr­hun­dert, dem man hier begegnet, und greift man wirklich zu hoch,wenn man sagt: Diese Arbeits­zimmer in denen Forscher und Dikta­toren arbei­teten, waren einer der para­di­ma­ti­schen Räume dieses Jahr­hun­derts? In dem nichts klein und schnell zugäng­lich und digital war. Und dies nicht weiter ins Gewicht fiel. »Your gene­ra­tion, your legacy« sagt einmal jemand zu Smiley, natürlich in anderem Zusam­men­hang, aber es trifft auch hier zu.

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Ein Film der Objekte, des Set-Design, der Dinge, die hier mehr erzählen, als alle Worte. Die, wenn es sich um Kleidung handelt, ihre Figuren charak­te­ri­sieren: Der Tweed, die Anzüge, die Trench­coats, die Kravatten. Wenn Brazil das Drama dieser vergan­genen Welt war, dann ist Tinker, Tailor, Soldier, Spy ihre Tragödie. Es würde wahr­schein­lich genügen, diese briti­schen Gesichter zu zeigen, in deren Reihe sich sogar Hurt und Colin Firth fügen. Dieser britschen Sprache zuzuhören. Auch die Sprache und die Gesichter sind hier reine Objekte.

Natürlich ist dies zugleich ein grad­li­niger Spio­na­ge­thriller, voller Hard-Boiled-Talk wie »This meeting is not taking place. Is that clear?« Oder: »This isn’t about soldiers and trenches anymore.« Ein weiterer Aspekt ist die Kombi­na­tion aus Wissen und Einsam­keit, Angst und Spießertum, die die Agenten auszeichnet.

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»The mother of all secrets« wird in den Unter­ti­teln übrigens übersetzt in »Il padre de tutti secreti«.

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Alfredson macht alles richtig und viel Kluges: Er ändert die Roman­hand­lung im Hinblick darauf, alles Filmi­scher zu machen, ohne aber das Ganze anzu­tasten. Etwa als er die Weih­nachts­feier des »Circus«, des briti­schen Geheim­dienstes, zeigt, kommt es zu einem der schönsten Momente: Da tritt ein Clown mit Lenin-Maske auf, und aus den Laut­spre­chern tönt die Sowjet­hymne. Fast alle singen mit. Großartig! Kommt aber im Roman nicht vor. Alfredson zeigt nie Karla, Smileys Gegen­spieler in Moskau, er zeigt nie seine Frau Ann – wozu auch? Wir sollen sie fühlen, und wir sollen sie so fühlen, wie sie Smiley uns erzählt.

Die etwas Älteren von uns erinnern sich natürlich an den Fernseh-Sieben­teiler aus den späten 70er Jahren, in denen Alec Guinness den briti­schen Geheim­dienstler und Roman­helden George Smiley spielte. Diesmal wird er, ganz anders, aber nicht weniger über­zeu­gend, von Gary Oldman gespielt.

»I am gonna miss the cricket in Moscow.« sagt der von Colin Firth gespielte Entlarvte am Ende zu Smiley. Und dann begründet er seinen Verrat: »It was an aesthetic choice as well as a moral one.« Dazu läuft das fran­zö­si­sche Chancon »La mere« und das klingt dann zwar wie von Adamo, ist aber, wie der Abspann verrät, doch von Julio Iglesias gesungen. Der Osten! Als ästhe­ti­sche Entschei­dung!! Darauf muss man erstmal kommen. Das galt natürlich für Willy Brandt, Richard von Weiz­sä­cker und die ganzen anderen Großväter, die 1989 plötzlich trium­phieren konnten, weil sie die schönen Allen von »Mittel­deutsch­land« wieder­be­kamen. Aber für einen briti­schen Agenten im Jahr 1973?

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Sehnsucht also nach dem Kalten Krieg. Aber auch diese Zeit hatte ihre Sehn­süchte, wie ein kleiner Dialog zwischen Smiley und seiner Ex-Kollegin Connie erzählt: »This was a good time, George.« – »It was the war, Connie« – »A real war. Englishmen could be proud then.« Und sie war hell­sichtig und es waren bereits seiner­zeit Sätze möglich, die wir heute, leider mehr denn jme unter­schreiben können: »The west has become very ugly, George.«