Rheingold

D/I/NL/F 2022 · 138 min. · FSK: ab 16
Regie: Fatih Akin
Drehbuch:
Kamera: Rainer Klausmann
Darsteller: Emilio Sakraya, Mona Pirzad, Majid Bakhtiari, Sogol Faghani, Julia Goldberg u.a.
Große Oper...
(Foto: Warner)

Das was ist, so viel blasser als das, was war

Fatih Akins Gangsta-Rapper-Drama exponiert deutsche migrantische Subkultur mit großen, pathetischen Bildern und einer echten Heldenreise – ein in Deutschland viel zu seltenes Erlebnis

»Eurem Taucher­spiele nur taugte das Gold? Mir gält’ es dann wenig!«
– Alberich in Richard Wagners Rheingold

»Es gab für mich nicht mehr nur eine Wahrheit. Es gab unzählige. Es gab eine Wahrheit für meine Familie, es gab eine Wahrheit für das Gericht, es gab eine Wahrheit für meine Kunst. Und es gab meine Wahrheit. Heute ist meine Wahrheit die Summe aller Fakten.«
– Xatar in seiner Auto­bio­grafie Alles oder Nix

Es tut weh, wie wenig den deutschen Film Migra­tions-Realität inter­es­siert. Werke wie Qurbanis Berlin Alex­an­der­platz, Raabes Borga oder Dietrichs Toubab sind die Ausnahme. Und Sozi­al­mär­chen wie sie Frank­reich am laufenden Band produ­ziert werden, um die Ausge­stoßenen der Vororte mit ins Hoch­kultur-Boot zu holen – man denke etwa an Haute Couture, Die Küchen­bri­gade oder den in Kürze anlau­fenden Tenor – exis­tieren eigent­lich gar nicht.

Man könnte glauben, dass es Gangsta-Rap ein wenig einfacher machen würde, Interesse zu wecken, ist er doch einer der wenigen erfolg­rei­chen gesell­schaft­li­chen Inte­gra­ti­ons­for­meln, so wie es Cem Kaya in seinem klugen Film Ask, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod  über 60 Jahre migran­ti­sche, türkische Musik in Deutsch­land erzählt hat. Aber bis auf Uli Edels gefloppten Bushido-Film Zeiten ändern Dich und ein paar zarte Jugend­fil­man­nähe­rungen in Das schönste Mädchen der Welt oder Alle für Ella wird auch dieses so wichtige Feld den Ameri­ka­nern über­lassen, Filme wie Straight Outta Compton, oder 8 Mile sprechen Bände.

Dabei hat auch Deutsch­land, wie Uli Edel ja bereits gezeigt hat, seine Gangsta Rapper, mit schil­lernden, weil ambi­va­lenten Aufstei­ger­ge­schichten, die fürs Kino und als Rollen­mo­dell durchaus taugen. Das hat auch Fatih Akin erkannt, der sich ja bereits 2011 als Produzent mit Blutz­brüdaz und den Rappern Sido und B-Tight in den Haupt­rollen diesem Thema angenähert hatte und nun als Regisseur und Dreh­buch­autor mit Rheingold einen weiteren Versuch wagt.

Anders als Blutz­brüdaz ist Rheingold jedoch keine mit Selbst­ironie und Klamauk gebro­chene Komödie, sondern knall­hartes, immer wieder sche­ren­schnitt­ar­tiges, Genre-betontes Coming-of-Age. Das liegt natürlich auch an der Vorlage, der 2015 veröf­fent­lichten Auto­bio­grafie Alles oder Nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir des deutsch-kurdi­schen Musik­pro­du­zenten und Rappers Xatar, der bereits 2009 durch einen Überfall auf einen Gold­trans­porter und damals noch unter seinem bürger­li­chen Namen Giware Hajabi nationale Bekannt­heit erlangt hatte.

Akin kümmert sich jedoch nicht nur um den spek­ta­ku­lären Höhepunkt von Hajabis krimi­neller Karriere, sondern arbeitet über Rück­blenden auch die bildungs­bür­ger­liche, kurdische Vergan­gen­heit mit auf, denn Hajabis Vater ist ein berühmter Komponist kurdi­scher und Dirigent klas­si­scher west­li­cher Musik, Grund genug aus Khomenis Iran in den Irak und dann nach Paris zu fliehen und von dort nach Deutsch­land. Wo sich Hajabi trozt seiner Herkunft in Bonn Tannen­busch langsam krimi­na­li­siert und Teil kurdi­scher, mafiöser Struk­turen wird.

Akin bewegt sich in diesen Passagen auf über­zeu­gend sozi­al­rea­lis­ti­schem Terrain. Wer Bonn Tannen­busch kennt, wird dieses vernach­läs­sigte Vehikel des einst glamourösen Bonn bei Akin riechen und schmecken können und auch die weiteren Orts­wechsel sind so unspek­ta­kulär alltä­g­lich wie realis­tisch in die verfilmte Lebens­linie inte­griert. Auch schau­spie­le­risch überzeugt Akins Film. Die Kinder- und Jugend­schau­spieler ebenso wie später die Erwach­senen, allen voran der Musiker und Schau­spieler Emilio Sakraya, der Xatar mit genau dem unge­bro­chenen Machismo-Ernst verkör­pert, das diesem Leben mit all seinen Trans­for­ma­tionen vom good zum bad und wieder zurück zum good Guy auch zusteht.

Denn so wie die in Cem Kayas großar­tiger Doku­men­ta­tion Ask, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod porträ­tierte letzte Genera­tion migran­ti­scher türki­scher Musiker über den Gangsta-Rap letzt­end­lich in Deutsch­land ankommen, so kommt auch Xatar mit seinem Gangsta-Rap, seiner Musik, letzt­end­lich in Deutsch­land an.

Akin gibt der Hinfüh­rung zu dieser Ankunft aller­dings eine immer stärker werdende „Note“, die sich vom Sozi­al­rea­lismus des ersten Teils markant unter­scheidet, tritt nun durch die große Oper ind en Vorder­grund, in der die Dinge nun mal sche­ren­schnitt­ar­tiger verlaufen und Gesang und Musik und ihre Insze­nie­rung im Mittel­punkt stehen. Akin verschränkt dafür Xatars Sozia­li­sie­rung mit klas­si­scher Musik (zu der natürlich auch Wagner gehört) und seine Gier nach dem Gold mit Wagners Musik und der Nibe­lungen-Erzählung. Wie Alberich von den Rhein­töch­tern, wird Xatar von seiner großen Kindheits- und Jugend­liebe verschmäht und so wie Alberich verflucht auch Xatar die Liebe, um das Gold – das hier bizar­r­er­weise kein Ring ist, sondern aus einer Ladung von Zahn­fül­lungen besteht – rauben zu können. Und so wie in Wagners Rheingold muss auch Xatar in einem sich lange und grausam dahin­zie­henden rituellen und immer wieder pathe­ti­schen (oder halt opern­haften) Exor­zismus erkennen, dass nur die Entschei­dung gegen das Gold letzt­end­lich große Liebe (und Frieden) ermö­g­licht.

Inwieweit dieser Wechsel jedoch tatsäch­lich das große Glück bedeutet, das Alberich, ein letzt­end­lich Geschei­terter, nie erfahren hat, wird auch in Akins Ende, das sich der Mytho­logie zu entziehen versucht, nicht deutlich. Denn Xatar ist zwar ange­kommen, hat Heimat und hat Familie und hat auch Reichtum, doch erscheint das, was ist, so viel blasser als alles, was war, das man sich ein wenig irritiert fragt, was genau Akin hier zeigen will.

Denn ist Akins Film bis zu dieser Schluss­ein­stel­lung ein Film, der sich auch nicht vor expli­ziter, akribisch genau choreo­gra­fierter Realität und Gewalt scheut, so wie wir das bereits in seinem letzten Film über den Frau­en­mörder Fritz Honka in Der Goldene Handschuh gesehen haben, verblasst in der Schluss­szene alles. Sogar die Dialoge wirken wie aufgesagt, scheint das Haus, in dem Xatar wohnt, eigent­lich ein Haus zu sein, in dem niemand wohnt. Hat Akin in diesem Epilog einfach die Lust verloren, ist das einfach nur schlecht geschrieben und gespielt? Oder hinter­fragt Akin an dieser Stelle, als eigent­lich alles schon vorbei ist, seinen Helden zum ersten Mal und exponiert ihn als den, der er viel­leicht ist: Dann wäre Xatar, anders als die Helden der eingangs erwähnten fran­zö­si­schen Sozi­al­mär­chen doch ein Verlo­rener und kein Ange­kom­mener, nicht anders als Alberich.