Eine hoffnungsvolle Reise |
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Railmovie mit zwei Frauen: Der preisgekrönte Something Useful eröffnet die 29. Türkischen Filmtage | ||
(Foto: Pelin Esmer / Türkische Filmtage) |
Von Ingrid Weidner
»Nicht jeder Weg führt zum Ziel, aber jede Reise enthält Hoffnung« – dieses poetische Motto umschreibt die Filmauswahl der 29. Türkischen Filmtage in München. Zwischen dem 13. und 22. April laden zehn Spielfilme, sechs Dokumentationen und ein Kurzfilmprogramm zu einer cineastischen Reise durch die Türkei ein. Zusammengestellt hat das Programm der Verein SinemaTürk, Mitglied der Filmstadt München.
Reisen verändern jeden, der sich mit offenen Augen auf den Weg macht. Immer kommen Reisende mit neuen Erfahrungen, Eindrücken und auch neuen Bildern – im Kopf oder in der Kamera – zurück. Selbst wenn manche nur ihre eigenen Vorurteile bestätigt sehen wollen. Doch Reisepläne in das landschaftlich reiche und kulturell vielfältige Land Türkei legen momentan Viele auf Eis. Manche schreckt die aufgeheizte politische Stimmung ab, andere fürchten gar eine Verhaftung. Selbst unbeschwerte Pauschalreisende meiden die türkischen Mittelmeerstrände. Gerade weil die Türkei wegen der politischen Umstände nun weiter weg rückt, erscheint eine filmische Reise als ein möglicher Zugang.
Vom Nordosten bis in den Süden des Landes, von der Ägäisküste bis an die Grenze zu Syrien reicht die Route. Eröffnet wird der Filmreigen mit Something Useful (İŞE YARAR BİR ŞEY) von Pelin Esmer am Freitag, den 13. April um 19 Uhr im Carl-Orff-Saal, und zwar mit der ganz klassischen, etwas aus der Mode gekommenen Art des Reisens im Nachtzug. Den nimmt Leyla, eine Rechtsanwältin und Dichterin, die von Ankara nach Izmir zu einem Klassentreffen unterwegs ist. Während der Zugfahrt lernt sie einige Mitreisende kennen, auch die junge Krankenschwester Canan. In den Gesprächen erfährt Leyla, dass Canan sich auf eine geheimnisvolle Mission eingelassen hat. Leyla ist fasziniert von dieser Geschichte und am Ende der Zugfahrt beschließt sie, Canan zu begleiten. So viel sei verraten: Die Frage nach dem Sinn des Lebens beantwortet Pelin Esmer in ihrem Film auf poetische Weise.
Die Regisseurin Pelin Esmer schrieb das Drehbuch zu diesem Film zusammen mit dem Lyriker Barış Bıçakçı. Im vergangenen Jahr gewann Something Useful auf dem – übrigens ebenfalls gerade stattfindenden – IFF Istanbul den Preis der internationalen Filmkritik FIPRESCI und auf dem IFF Adana in den Kategorien Bestes Drehbuch, Beste Kamera, Beste Hauptdarstellerin. Zur Eröffnung wird die Produzentin des Films, Dilde Mahalli, anwesend sein. (Wiederholung am 16. April um 18.30 Uhr)
In die ostanatolische Stadt Kars entführt Orhan Pamuk'a söylemeyin Kars'ta çektigim filmde Kar romani da var. Der lange Titel, der im Deutschen Sagt Orhan Pamuk nicht, dass sein Roman »Schnee« in meinem Film vorkommt heißt, verrät wenig über den Inhalt. Der in Kars lebende, blinde Sänger Yüksel Ermutlu erhält den Auftrag, vor einer abendlichen Gesellschaft aufzutreten. Auf der Suche nach geeigneten Musikern, die ihn begleiten könnten, wandert er von Tür zu Tür. Auf seiner Suche begegnet er immer wieder dem Barbier Kâzım, einem großen Bewunderer Orhan Pamuks, der dessen in Kars spielenden Roman »Schnee« mit lebendigen Personen zu illustrieren versucht. Der Regisseur Rıza Sönmez schuf einen halb dokumentarischen, halb märchenhaften Film. In der Türkei ist Rıza Sönmez als Schauspieler bekannt. Er stellt seinen ersten Langfilm am Dienstag, den 17. April um 20:30 Uhr selbst vor. Gezeigt wird das unterhaltsame Porträt der Stadt Kars zuvor bereits am 14. April um 18:00 Uhr.
Um das Erinnern und Vergessen dreht sich Kaygi (Inflame), der erste Spielfilm der Regisseurin Ceylan Özgün Özçelik. Die 30-jährige Hasret lebt allein in der Wohnung ihrer Eltern, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen. Jede Nacht durchlebt sie die gleichen Alpträume und eine Ahnung schleicht sich ein, dass die Eltern vielleicht nicht durch einen Verkehrsunfall, sondern anders starben. Der psychologische Thriller über das Erinnern und Vergessen ist auch ein politischer Film, der das Erinnerungsvemögen einer ganzen Gesellschaft in den Blick nimmt. Zu sehen am 19. April um 20:30 Uhr. Zum Wiederholungstermin am 21. April um 20:30 Uhr ist die Regisseurin Ceylan Özgün Özçelik zu Gast.
In Zer von Kazım Öz geht es um eine ganz andere Reiseroute. Jan lebt in New York, studiert Musik und treibt orientierungslos durchs Leben. Als seine kranke Großmutter aus der Türkei nach Amerika geholt wird, entdeckt er, dass ihr Leben von einem Geheimnis geprägt ist. Der Schlüssel dazu ist das Lied »Zer«, das ihm die Großmutter auf dem Sterbebett vorsingt. Nach ihrem Tod entschließt sich Jan, ins kurdische Kernland der Türkei zu reisen. In dieser unruhigen Region findet er schließlich zu seinen Wurzeln. Zer ist am 14. April um 20:30 Uhr und am 18. April um 18:00 Uhr zu sehen.
Auch die sechs ausgewählten Dokumentarfilme zeigen verschiedene Regionen der Türkei sowie die kulturelle und ethnische Vielfalt des Landes, auch wenn Diversität, andere Meinungen und Sprachen in der Türkei mittlerweile politisch unerwünscht sind. In Mr. Gay Syria begleitet die Kamera zwei aus Syrien geflohene Männer, die einen gemeinsamen Traum haben, nämlich an der internationalen Kür des »Mr. Gay World« in Malta teilzunehmen (14. April um 16:00 Uhr).
Das Dorf Maheser an der türkischen Grenze zu Syrien kommt in den Nachrichten kaum vor, wohl aber die kurdische Stadt Kobane auf der anderen Seite der Grenze. Wie der seit vielen Jahren dort wütende Krieg sich auf das Leben in Maheser auswirkt, wie Geflohene und Dorfbewohner dort leben und was der Krieg für die Menschen bedeutet, beschreibt der Dokumentarfilm GÖZYAŞINA YER YOK (No Place for Tears), zu sehen am 15. April um 14:00 Uhr, die Regisseurin Reyan Tuvi ist anwesend.
Der Dokumentarfilm Son Yaprak (The Last Leaf) beschreibt das Leben des 85-jährigen Kirchendieners Mihal Şişko, der auf der Prinzeninsel Kinali geboren wurde und seit seinem zehnten Lebensjahr dort arbeitet. Durch seine Erzählungen erfahren wir, wie sehr sich das Leben auf der am dichtesten besiedelten Prinzeninsel im Marmarameer in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat, auf der früher fast die Hälfte der Einwohner Griechen, Armenier und Juden waren. Nicht ganz zu Unrecht sieht sich der Kirchendiener als das »letzte am Baum verbliebene Blatt«. Mit aller Kraft möchte er die griechisch-orthodoxe Tradition und mit ihr seine Erinnerungen und Wurzeln auf der nur zwanzig Kilometer von Istanbul entfernten Insel erhalten. (15. April, 16:00 Uhr).
Im Dokumentarfilm Die Legende vom hässlichen König (ÇİRKİN KRALIN EFSANESI) will der junge Regisseur Hüseyin Tabak seinem großen Vorbild, dem Regisseur Yilmaz Güney (geboren 1937, gestorben 1984) näher kommen. Doch der Mythos vom brilianten Regisseur und Revolutionär kommt während der Recherche ins Wanken. International bekannt wurde der kurdisch-türkische Filmemacher Güney, der nach seiner Flucht aus dem Gefängnis bis zu seinem Tod in Paris lebte, mit dem Film Yol – Der Weg (zu sehen als Abschlussfilm der Türkischen Filmtage am 22. April um 20:30 Uhr), für den er 1982 die Goldene Palme in Cannes erhielt. Der Dokumentarfilm von Hüseyin Tabak wurde auf den Hofer Filmtagen 2017 als bester deutscher Dokumentarfilm ausgezeichnet.
Reisen bildet, auch cineastische Reisen, beispielsweise durch das vielfältige, bunte und inspirierende Programm der diesjährigen Türkischen Filmtage.
Die Türkischen Filmtage sind eine Veranstaltung der Filmstadt München.