21.03.2019

Mehr als schöne Bilder

Echt schönes Bild! Ahlat Agaci
Echt ein schöner Film! The Wild Pear Tree

Die Türkischen Filmtage feiern ihren 30. Geburtstag mit einem vielfältigen Programm. Zahlreiche türkische Regisseurinnen und Regisseure reisen an die Isar, um mit dem Publikum zu diskutieren. Und natürlich gibt es auch eine Geburtstagsparty

Von Ingrid Weidner

Als Film­be­geis­terte 1989 den Verein Sine­maTürk Film­zen­trum e.V. gründeten, wollten sie dem Münchner Publikum anspruchs­volle Filme aus der Türkei vorstellen. Aus der Idee entwi­ckelte sich ein Festival, das in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag feiert, und zwar mit zwölf Spiel­filmen, fünf Doku­men­tar­filmen, acht Kurz­filmen und einem Kinder­film.

Eröffnet werden die Türki­schen Filmtage mit der gesell­schafts­kri­ti­schen Komödie Son Çikis (Siren’s Call) von Ramin Matin. Tahsin, ein junger Architekt aus Istanbul, leidet unter Burnout. Eines Abends trifft er Siren, eine frühere Freundin, die inzwi­schen ein alter­na­tives Leben auf einem Biobau­ernhof an der Südküste der Türkei führt. Tahsin beschließt, Siren zu folgen, bricht alle Brücken hinter sich ab und macht sich auf den Weg zum Flughafen. Doch der Weg dorthin gerät zu einem alptraum­haften Trip durch das vom Bauboom heim­ge­suchte Istanbul. Tahsin landet in trost­losen Vierteln, die er selbst geplant hat. In diesem Labyrinth ist er mit seinem Roll­koffer scheinbar gefangen, doch es entwi­ckelt sich eine eigene, komische Dynamik. (Deutsch­land­pre­miere am Donnerstag, 21.03. um 19 Uhr im Carl-Orff-Saal, der Regisseur Ramin Matin ist anwesend)

Direkte Kritik an der aktuellen poli­ti­schen Situation in der Türkei findet sich kaum in den Filmen des Programms, Anspie­lungen auf die gesell­schafts­po­li­ti­sche Situation dagegen schon, wie Margit Lindner erzählt. Sie gehört zum Vorstand des Vereins Sine­maTürk Film­zen­trum e.V. und zum Team, das die Filme sichtete. »In der Türkei gibt es eine große Film­in­dus­trie, es werden viele Fern­seh­se­rien produ­ziert, viele Filme gehen auch in den Export. Die Arbeits­chancen in der Film­branche sind gut«, so Lindner. Probleme habe es keine gegeben, die gewünschten Filme für das Programm zu bekommen.

Das Sich­tungs­team konnte aus einem großen Fundus an neuen Filmen auswählen. Im Programm finden sich auch viele Erst­lings­werke von jungen Regis­seu­rinnen und Regis­seuren, die die gesell­schaft­liche Verun­si­che­rung aufgreifen und hinter­fragen. »Ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Regis­seure herum­winden«, sagt Lindner. Weil viele Künstler ihre Werke in München vorstellen, bietet sich die Chance, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, etwa über die Frage, ob es in der Türkei eine Zensur gibt. Ausge­wählt wurden Filme, die eine spannende, inter­es­sante oder mitreißende Geschichte erzählen, die Zuschauer fesseln und nicht nur schöne Bilder liefern, wie Lindner betont.

Selbst­fin­dung und Identität sind Fragen, mit denen sich Ahlat Agaci (The Wild Pear Tree) von Nuri Bilge Ceylan beschäf­tigt. Der Film ist am 24.03. um 11 Uhr sowie am 30.03. um 19 Uhr zu sehen. Das dreis­tün­diges Epos dreht sich um einen jungen Mann mit ambi­tio­nierten Zukunfts­plänen. Sinan kehrt nach dem Studium in das Dorf seiner Kindheit zurück. Zwar hat er wie sein Vater Grund­schul­lehramt studiert, doch er träumt von einer Karriere als Autor. Während er seinen Platz im Leben und in seiner alten Heimat sucht, trifft er auf unter­schied­liche Menschen – seine Eltern, Freunde von früher, eine alte Liebe, zwei junge Imame und einen lokalen Schrift­steller. Und er sieht sich mit den Schulden seines spiel­süch­tigen Vaters konfron­tiert, die Sinans größtem Ziel entge­gen­stehen: Das nötige Geld für seine erste Roman­ver­öf­fent­li­chung aufzu­treiben. Premiere feierte der Film von Nuri Bilge Ceylan 2018 im Wett­be­werb um die Goldene Palme in Cannes, Ahlat Agaci war die offi­zi­elle Einrei­chung der Türkei für die Kategorie »Bester fremd­spra­chiger Film« für den Oscar 2019.

Rollen­kli­schees von der treu sorgenden Ehefrau nimmt die schwarze Komödie Sofra sirlari (Serial Cook) von Regisseur Ümit Ünal aufs Korn (am 22.03. um 18 Uhr und am 25.03. um 20.30 Uhr). Nach einigen Todes­fällen munkelt man, dass die schüch­terne Hausfrau und talen­tierte Köchin eine Seri­en­kil­lerin sein könnte, die sich an den Männern in ihrer Umgebung rächt.

Eine ganz andere (Frauen-) Geschichte erzählt Sibel. Die stumme junge Frau lebt mit ihrem Vater und ihrer Schwester in einem abge­le­genen Bergdorf am schwarzen Meer. Der Film war bereits schon in den Münchner Kinos zu sehen und wurde von uns bespro­chen. Wer das Werk von Çağla Zencirci und Guillaume Giova­netti verpasst hat, kann es am 23.03. um 20.30 Uhr oder am 28.03. um 18.30 Uhr nachholen.

Um Identität und Herkunft, erfüllte und zerbors­tene Träume geht es in Kele­be­kler (Butter­flies) von Tolga Karaçelik, der am 24.03. und am 27.03. jeweils um 20.30 Uhr zu sehen ist. Seit die Geschwister Cemal, Kenan und Suzan ihr Heimat­dorf verlassen haben, hatten sie keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Doch als dieser die drei bittet, ihn zu besuchen, machen sie sich wider­stre­bend auf den Weg. Cemal, ein frus­trierter Astronaut, Kenan, ein erfolg­loser Schau­spieler, und Suzan, eine Lehrerin mit psychi­schen Problemen, reisen gemeinsam in die türkische Provinz und treffen dort auf ihre verdrängte Vergan­gen­heit. Beim Sundance-Festival 2018 wurde das Werk mit dem großen Preis der Jury in der Kategorie »Weltkino« ausge­zeichnet und erhielt beim Inter­na­tional Istanbul Film Festival 2018 den Spezi­al­preis der Jury.

Der Doku­men­tar­film Der Fotograf Istanbuls – Ara Güler aus dem Jahr 1988 zeigt den 1928 in Istanbul geborenen Chro­nisten, der Mitglied der berühmten Agentur Magnum in Paris war. Über fünf Jahr­zehnte lang streifte er mit seiner Kamera durch die Stadt am Bosporus, porträ­tierte ihre Bewohner und Viertel. 2018 starb Ara Güler im Alter von 90 Jahren. Die beiden Münchner Regis­seure Erdal Buldun und A. Özdil Savaşçı sind 1998 den Spuren des welt­berühmten Foto­grafen gefolgt. Im Anschluss an die Vorfüh­rung am 23.03. um 16 Uhr disku­tieren sie mit dem Publikum.

Yasar Kemal EfsanesiDie Legende Yasar Kemal ist ein doku­men­ta­ri­sches Porträt des kurdisch-türki­schen Schrift­stel­lers Yaşar Kemal (1923 – 2015). Der Film (am 31.03. um 12 Uhr) enthält bisher unver­öf­fent­lichte Archiv­auf­nahmen und Inter­views mit dem Autor. Außerdem kommen Freunde wie Ara Güler, Arif Keskiner, Zülfü Livaneli, Orhan Pamuk, Türkan Şoray, Atıf Yılmaz und Aziz Nesin zu Wort. Sie erzählen von Yaşar Kemal, der als kriti­scher Beob­achter der Politik in der Türkei galt. Kemal veröf­fent­lichte insgesamt 140 Romane und Gedicht­bände, die in viele Sprachen übersetzt wurden.

Zum Abschluss des Festivals gibt es am 31.03. um 20 Uhr den Klassiker Arabesk von Ertem Eğilmez und Ferdi Eğilmez aus dem Jahr 1988 zu sehen, eine Persi­flage auf das türkische Kino.

Aber was wäre ein runder Geburtstag ohne Party? Eben, deshalb wird am Freitag, 29.03., ab 21 Uhr mit DJ Süperfly und DJ Soure­ditor im 35 milli(m)eter in der Bayer­straße gefeiert.

30. Türkische Filmtage München – 21. bis 31. März 2019
Carl-Amery-Saal im Gasteig | Eröff­nungs­film: Carl-Orff-Saal

Eintritt: 7 €, ermäßigt 5 €, Eröff­nungs­film 10 €, ermäßigt 8 €
Kurzfilme und Kinder­film: Eintritt frei
3er-Karte (ohne Eröff­nungs­film): 15 €, ermäßigt 12 €
Das voll­s­tän­dige Programm und alle weiteren Infos unter www.tuer­kis­che­film­tage.de