Mehr als schöne Bilder |
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Echt ein schöner Film! The Wild Pear Tree |
Von Ingrid Weidner
Als Filmbegeisterte 1989 den Verein SinemaTürk Filmzentrum e.V. gründeten, wollten sie dem Münchner Publikum anspruchsvolle Filme aus der Türkei vorstellen. Aus der Idee entwickelte sich ein Festival, das in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag feiert, und zwar mit zwölf Spielfilmen, fünf Dokumentarfilmen, acht Kurzfilmen und einem Kinderfilm.
Eröffnet werden die Türkischen Filmtage mit der gesellschaftskritischen Komödie Son Çikis (Siren’s Call) von Ramin Matin. Tahsin, ein junger Architekt aus Istanbul, leidet unter Burnout. Eines Abends trifft er Siren, eine frühere Freundin, die inzwischen ein alternatives Leben auf einem Biobauernhof an der Südküste der Türkei führt. Tahsin beschließt, Siren zu folgen, bricht alle Brücken hinter sich ab und macht sich auf den Weg zum Flughafen. Doch der Weg dorthin gerät zu einem alptraumhaften Trip durch das vom Bauboom heimgesuchte Istanbul. Tahsin landet in trostlosen Vierteln, die er selbst geplant hat. In diesem Labyrinth ist er mit seinem Rollkoffer scheinbar gefangen, doch es entwickelt sich eine eigene, komische Dynamik. (Deutschlandpremiere am Donnerstag, 21.03. um 19 Uhr im Carl-Orff-Saal, der Regisseur Ramin Matin ist anwesend)
Direkte Kritik an der aktuellen politischen Situation in der Türkei findet sich kaum in den Filmen des Programms, Anspielungen auf die gesellschaftspolitische Situation dagegen schon, wie Margit Lindner erzählt. Sie gehört zum Vorstand des Vereins SinemaTürk Filmzentrum e.V. und zum Team, das die Filme sichtete. »In der Türkei gibt es eine große Filmindustrie, es werden viele Fernsehserien produziert, viele Filme gehen auch in den Export. Die Arbeitschancen in der Filmbranche sind gut«, so Lindner. Probleme habe es keine gegeben, die gewünschten Filme für das Programm zu bekommen.
Das Sichtungsteam konnte aus einem großen Fundus an neuen Filmen auswählen. Im Programm finden sich auch viele Erstlingswerke von jungen Regisseurinnen und Regisseuren, die die gesellschaftliche Verunsicherung aufgreifen und hinterfragen. »Ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Regisseure herumwinden«, sagt Lindner. Weil viele Künstler ihre Werke in München vorstellen, bietet sich die Chance, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, etwa über die Frage, ob es in der Türkei eine Zensur gibt. Ausgewählt wurden Filme, die eine spannende, interessante oder mitreißende Geschichte erzählen, die Zuschauer fesseln und nicht nur schöne Bilder liefern, wie Lindner betont.
Selbstfindung und Identität sind Fragen, mit denen sich Ahlat Agaci (The Wild Pear Tree) von Nuri Bilge Ceylan beschäftigt. Der Film ist am 24.03. um 11 Uhr sowie am 30.03. um 19 Uhr zu sehen. Das dreistündiges Epos dreht sich um einen jungen Mann mit ambitionierten Zukunftsplänen. Sinan kehrt nach dem Studium in das Dorf seiner Kindheit zurück. Zwar hat er wie sein Vater Grundschullehramt studiert, doch er träumt von einer Karriere als Autor. Während er seinen Platz im Leben und in seiner alten Heimat sucht, trifft er auf unterschiedliche Menschen – seine Eltern, Freunde von früher, eine alte Liebe, zwei junge Imame und einen lokalen Schriftsteller. Und er sieht sich mit den Schulden seines spielsüchtigen Vaters konfrontiert, die Sinans größtem Ziel entgegenstehen: Das nötige Geld für seine erste Romanveröffentlichung aufzutreiben. Premiere feierte der Film von Nuri Bilge Ceylan 2018 im Wettbewerb um die Goldene Palme in Cannes, Ahlat Agaci war die offizielle Einreichung der Türkei für die Kategorie »Bester fremdsprachiger Film« für den Oscar 2019.
Rollenklischees von der treu sorgenden Ehefrau nimmt die schwarze Komödie Sofra sirlari (Serial Cook) von Regisseur Ümit Ünal aufs Korn (am 22.03. um 18 Uhr und am 25.03. um 20.30 Uhr). Nach einigen Todesfällen munkelt man, dass die schüchterne Hausfrau und talentierte Köchin eine Serienkillerin sein könnte, die sich an den Männern in ihrer Umgebung rächt.
Eine ganz andere (Frauen-) Geschichte erzählt Sibel. Die stumme junge Frau lebt mit ihrem Vater und ihrer Schwester in einem abgelegenen Bergdorf am schwarzen Meer. Der Film war bereits schon in den Münchner Kinos zu sehen und wurde von uns besprochen. Wer das Werk von Çağla Zencirci und Guillaume Giovanetti verpasst hat, kann es am 23.03. um 20.30 Uhr oder am 28.03. um 18.30 Uhr nachholen.
Um Identität und Herkunft, erfüllte und zerborstene Träume geht es in Kelebekler (Butterflies) von Tolga Karaçelik, der am 24.03. und am 27.03. jeweils um 20.30 Uhr zu sehen ist. Seit die Geschwister Cemal, Kenan und Suzan ihr Heimatdorf verlassen haben, hatten sie keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Doch als dieser die drei bittet, ihn zu besuchen, machen sie sich widerstrebend auf den Weg. Cemal, ein frustrierter Astronaut, Kenan, ein erfolgloser Schauspieler, und Suzan, eine Lehrerin mit psychischen Problemen, reisen gemeinsam in die türkische Provinz und treffen dort auf ihre verdrängte Vergangenheit. Beim Sundance-Festival 2018 wurde das Werk mit dem großen Preis der Jury in der Kategorie »Weltkino« ausgezeichnet und erhielt beim International Istanbul Film Festival 2018 den Spezialpreis der Jury.
Der Dokumentarfilm Der Fotograf Istanbuls – Ara Güler aus dem Jahr 1988 zeigt den 1928 in Istanbul geborenen Chronisten, der Mitglied der berühmten Agentur Magnum in Paris war. Über fünf Jahrzehnte lang streifte er mit seiner Kamera durch die Stadt am Bosporus, porträtierte ihre Bewohner und Viertel. 2018 starb Ara Güler im Alter von 90 Jahren. Die beiden Münchner Regisseure Erdal Buldun und A. Özdil Savaşçı sind 1998 den Spuren des weltberühmten Fotografen gefolgt. Im Anschluss an die Vorführung am 23.03. um 16 Uhr diskutieren sie mit dem Publikum.
Yasar Kemal Efsanesi – Die Legende Yasar Kemal ist ein dokumentarisches Porträt des kurdisch-türkischen Schriftstellers Yaşar Kemal (1923 – 2015). Der Film (am 31.03. um 12 Uhr) enthält bisher unveröffentlichte Archivaufnahmen und Interviews mit dem Autor. Außerdem kommen Freunde wie Ara Güler, Arif Keskiner, Zülfü Livaneli, Orhan Pamuk, Türkan Şoray, Atıf Yılmaz und Aziz Nesin zu Wort. Sie erzählen von Yaşar Kemal, der als kritischer Beobachter der Politik in der Türkei galt. Kemal veröffentlichte insgesamt 140 Romane und Gedichtbände, die in viele Sprachen übersetzt wurden.
Zum Abschluss des Festivals gibt es am 31.03. um 20 Uhr den Klassiker Arabesk von Ertem Eğilmez und Ferdi Eğilmez aus dem Jahr 1988 zu sehen, eine Persiflage auf das türkische Kino.
Aber was wäre ein runder Geburtstag ohne Party? Eben, deshalb wird am Freitag, 29.03., ab 21 Uhr mit DJ Süperfly und DJ Soureditor im 35 milli(m)eter in der Bayerstraße gefeiert.
30. Türkische Filmtage München – 21. bis 31. März 2019
Carl-Amery-Saal im Gasteig | Eröffnungsfilm: Carl-Orff-Saal
Eintritt: 7 €, ermäßigt 5 €, Eröffnungsfilm 10 €, ermäßigt 8 €
Kurzfilme und Kinderfilm: Eintritt frei
3er-Karte (ohne Eröffnungsfilm): 15 €, ermäßigt 12 €
Das vollständige Programm und alle weiteren Infos unter www.tuerkischefilmtage.de