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Bis ich meinen Atem verliere (Until I Lose My Breath): Balcis Film ist eine eindringliche Vater-Tochter-Geschichte |
Von Nora Moschuering
Seit 13. April ist es offiziell: Nachdem das Istanbuler Film Festival (04.-19. April) gezwungen wurde, die Vorführung der kurdischen Dokumentation Bakur von Cayan Demirel und Erturul Maviolu abzusagen und infolgedessen insgesamt 23 Regisseure ihre Filme zurückgezogen haben, sagte die Festivalleitung alle Wettbewerbe, sowie die Abschlusszeremonie ab. Filmmacher, Juroren und Festivalmacher solidarisieren sich dadurch mit dem Film und setzen eine Statement gegen staatliche Kontrolle. Bakur handelt vom Alltag der Kämpfer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und lässt auch ranghohe PKK-Mitglieder zu Wort kommen. Dem Film fehlte ein Zertifikat zur Registrierung, das das türkische Kultusministerium für alle einheimischen Beiträge verlangt. Viele halten dieses Zertifikat allerdings für ein Mittel der Zensur.
Auch auf den Türkischen Filmtagen ist der türkisch-kurdische Konflikt ein Thema. In The Fall from Heaven (So., 19.04., 20:30 Uhr und Do., 23.04., 18 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek) stehen zwei Frauen im Mittelpunkt. Die Elektroingenieurin Emine lebt in Istanbul und arbeitet auf einer Baustelle, auf der vor allem kurdische Arbeiter beschäftigt sind. Ayse, ein kurdisches Mädchen, wohnt
zusammen mit ihrer Familie in einem südostanatolischem Dorf und träumt von Istanbul. Beide verlieren ihren Bruder im Konflikt.
In Folge meiner Stimme (Mi., 22.04., 18 Uhr und So., 26.04., 20:30 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek), der auf der letztjährigen Berlinale ausgezeichnet wurde, geht es ebenfalls um das Verhältnis von Türken und Kurden. Der Vater der kleinen Jiyan wird von
türkischen Polizeikräften gefangen genommen. Die Familie soll seine Waffen ausliefern, Waffen, die er allerdings nie besessen hat. Jiyan und ihre Großmutter machen sich deshalb auf die Suche nach einem Gewehr, um den Vater/Sohn auslösen zu können. Gemeinsam begeben sich auf eine Reise in die Bergwelt Kurdistans, die zwischen demütigenden Kontrollen und Sanktionen, aber auch Herzlichkeit und Komik changiert. Durch beide Filme erhält man einen sehr persönlichen Eindruck über das
Leben mit dem Konflikt, der seit 1984 etwa 40.000 Menschenleben gefordert hat. Obwohl seit zwei Jahren im früheren Kampfgebiet Südostanatolien eine Waffenruhe herrscht, ist dieser Konflikt noch lange nicht beendet. Momentan liegen die Friedensverhandlungen wieder auf Eis und die Vorgehensweise des Türkischen Staates bei der Kontrolle von einheimischen Filmen (siehe Istanbuler Film Festival), aber natürlich auch die Entwicklung rund um Syrien, den Islamistischen Staat und
besonders um die kurdische Enklave Kobani, tragen nicht zur Beruhigung der Lage bei.
Dennoch wird dieser Konflikt bei den 26. Türkischen Filmtagen eher am Rand betrachtet, viele der insgesamt achtzehn Dokumentar- und Spielfilme, die in München laufen, drehen sich um Gemeinschaften und ihre Traditionen und Regeln. Auffällig oft sind es in den Filmen Frauen, die im Mittelpunkt stehen, und die mit ihnen umgehen müssen oder aus ihnen ausbrechen.
Der kleine Mert singt, eher verzweifelt als fröhlich. Dann tanzt er, eher aggressiv als unbeschwert. Mert steht dabei auf einem Stein und er hofft durch das fortwährende Ausführen von Befehlen des ihn schikanierenden Hirten ein Lamm von ihm zu bekommen. Mert ärgert sich immer mehr, er misstraut, doch er macht stoisch und wider aller Vernunft weiter. Die Szene stammt aus dem preisgekrönten Eröffnungsfilm Kuzu – Das Lamm (Sa., 18.04., 19 Uhr, Carl-Orff-Saal) von Kutlug Ataman, darin begibt man sich in Merts Dorf, im Hochland Ostanatoliens und mitten hinein in dessen Alltag, der von gesellschaftlichen Regeln bestimmt ist. Mert soll traditionell beschnitten werden und es gehört zur Tradition, dass zur Beschneidung ein Lamm geschlachtet wird. Aber Mert und seine Familie haben kein Geld für ein Lamm.
Auch in Nuri Bilge Ceylans Winterschlaf (Sa., 25.04., 19:30 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek, der Film lief in München bislang noch nicht in der Originalfassung!), der 2014 die Goldene Palme in Cannes gewann, geht es um gesellschaftliche Rollen und Regeln. Der ehemalige Schauspieler Aydin betreibt in den Bergen Kappadokiens ein Hotel, in dem er mit seiner Frau und seiner Schwester wohnt. Zwischen Aydin und den Frauen, aber auch zwischen ihm und dem ganzen Dorf herrschen Spannungen. Langsam zieht die Kälte des Winters in das Dorf und in die Menschen.
In Kuzu findet übrigens Merts Mutter schließlich eine unkonventionelle Lösung des Problems. Von zwei weiteren eigensinnigen Frauen die ihre Zukunft suchen, aber immer noch mit einem Bein in der Vergangenheit stehen, erzählen die beiden Filme Across the Sea (So., 19.04., 18 Uhr und Mi., 22.04., 20:30 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek) und Until I Lose My Breath (Di., 21. 04., 18 Uhr und Do., 23.04., 20:30 Uhr im Vortragssaal der Bibliothek). Die Türkin Damla lebt in Across the Sea seit acht Jahren in New York, hat einen Ehemann und ist schwanger. Sie entscheidet sich, zusammen mit ihrem Ehemann Kevin ihr Heimatland zu besuchen. Doch dort bemerkt sie recht schnell, dass räumliche und zeitliche Trennung nicht alles vergessen lassen, als sie ihre erste große Liebe wieder trifft. In dem Vater-Tochter-Drama Until I Lose My Breath versucht die Halbwaise Serap zu ihrem eigenbrötlerischen Vater zu ziehen. Dieser hat aber ganz andere Pläne, die mit denen seiner ebenso eigensinnigen Tochter kollidieren.
Im »Großen Kinderkino« läuft Deine Schönheit ist nichts wert (Fr., 24.04., 15 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek/FSK 6, empfohlen ab 10) »… ohne meine Liebe zu dir«, die Zeile stammt aus einem Gedicht, dass der halb türkische, halb kurdische Veysel in seiner Wiener Schule vortragen will. Veysel spricht nicht viel, er ist erst seit einigen Monaten in Österreich und kommt mit der neuen Sprache nicht zurecht. Er und seine Familie versuchen anzukommen und in Wien bleiben zu dürfen, aber das ist gar nicht so einfach. Ein Film nicht nur für Kinder, sondern wirklich auch für »Große«.
Um die Türkei als Grenzland zu Europa, mit einem Fuß auf dem europäische Kontinent und einer Grenze zu Syrien, wo immer mehr Flüchtlinge das Land betreten, geht es in den drei Dokumentarfilmen zu Flucht und Migration (Sa., 26.04., 13 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek). In Asfur wird die Lebenssituation syrischer Flüchtlinge in den türkischen Metropolen gezeigt. Zwei Schleuser an der Grenze zu Griechenland werden in Nacht Grenze Morgen begleitet und in Fremdkörper wird ein Flüchtling in einem deutschen Flüchtlingslager bedroht.
Zurück nach Istanbul und den aktuellen Entwicklungen in der Stadt, der Dokumentarfilm Liebe wird die Welt verändern (Sa., 26.04., 15 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek) erzählt von der Besetzung des Taksim-Platzes in Istanbul 2013. Genau wie die Festivalmacher, Filmemacher und Juroren die gerade gegen die Bevormundung durch den türkischen Staat protestieren, behandelt auch diese Dokumentation die schwierige Beziehung zwischen Staat und Bürgern und ihrem Kampf um Freiheit.
26. Türkische Filmtage, 18.-26.04.2015, Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig, Carl-Orff-Saal (nur Eröffnung). Rosenheimerstr. 5. Eine Veranstaltung der Filmstadt München und Sinema Türk.