Im Osten geht die Sonne auf |
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Märchenhaft: Der aus dem Schlamm geborene Oscar |
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(Foto: Prokino Filmverleih / Studiocanal) |
Auf den ersten Blick war es ein Abend ohne Überraschungen im Kodak Theatre von Los Angeles. Heath Ledger bekam postum den lange angekündigten Oscar für seinen »Joker«-Auftritt im letzten BATMAN-Film, Kate Winslet konnte im sechsten Anlauf endlich die begehrte Trophäe gewinnen, ebenfalls eine Auszeichnung »mit Ansage«, und mit den acht Oscars für Slumdog Millionaire, unter anderem in den zwei wichtigsten Kategorien »Regie« und »Bester Film«, setzte sich bei den 5800 Mitgliedern der »Academy of Motion Picture Arts and Sciences«, die über die Oscar-Vergabe bestimmen, derjenige der beiden vielnomminierten Favoriten durch, den in den vergangenen Tagen schon die Buchmacher vorn gesehen hatten.
Und doch war, blickt man etwas genauer hin, einiges knapp, manches unvorhersehbar und vieles überraschend an diesem Sonntagabend – und der leichte Wind, der zuvor auf dem roten Teppich manch kostbare Abendrobe zum Flattern gebracht und manch teuer aufgetürmte Frisur zerzaust hatte, konnte auch als so sanfter wie entschiedener Vorbote jenes Gezeitenwechsels gedeutet werden, für den jene 81. Oscarverleihung im Rückblick stehen wird.
Überraschung Nummer eins: Beim Auslandsoscar zerstoben gleich drei deutsche Hoffnungen: Dass Bernd Eichingers Der Baader Meinhof Komplex, und der mit deutschem Geldanteil finanzierte Revanche von Götz Spielmann leer ausgehen würden, war erwartet worden. Aber auch der klare Favorit, Ari Folmans wesentlich in Berlin produzierter, israelischer Beitrag Waltz With Bashir verpasste nach Cannes und anderen Festivals einmal mehr ganz knapp einen großen Preis – ihm bleibt immerhin der »Golden Globe« als Trostpflaster. Im Nachhinein versteht man warum: Es ist nämlich nicht das Politische, das die Mehrheit der Abstimmenden beim Auslandsoscar (nicht identisch mit der Academy) gewinnt, und nicht, wie auch gern behauptet wird, ein »jüdisches Thema« – die Kontinuität bei diesem Preis liegt eher in rein privaten Geschichten mit Sentimentalität und tieferer Bedeutung – wie die früheren Siegerfilme Tsotsi und Das Meer in mir. Das verbindet auch die beiden deutschen Oscargewinner Nirgendwo in Afrika und Das Leben der Anderen, das trennt sie von den Verliererfilmen Sophie Scholl, Der Untergang und The Baader Meinhof Complex, die sämtlich öffentliche, historische Figuren zeigten. In dieses Schema fügt sich Yojiro Takitas Departures, die melancholische Geschichte eines arbeitslosen Cellisten der zum Bestatter wird, perfekt.
Überraschung Nummer zwei: Nicht der immer wieder favorisierte Mickey Rourke gewann den Preis des »Besten Hauptdarstellers«, sondern Sean Penn. Dabei hatten die meisten Auguren zuvor argumentiert, Penn habe schließlich erst 2004 gewonnen, und Stehaufmännchen Rourke verkörpere perfekt den uramerikanischen Comeback-Traum, den Amerika so liebt. Der – am Applaus schon früh erkennbar – eindeutige Sieg Penns am Sonntag ist zum einen darin begründet, dass Milk der bessere Film ist – The Wrestler war nur in zwei Darstellerkategorien nominiert –, zum zweiten, dass die White-Trash-Kultur des Wrestlings der Mehrheit der bürgerlichen Academy dann doch fremder ist als ein gebildeter, manierlicher Politiker, der für die Gleichberechtigung der Schwulen
eintritt. Überhaupt gibt es bestimmte Rollen-Typen, die beim Oscar seit jeher als preisträchtig gelten: Neben Auftritten, die den Schauspieler häßlich machen, seinen Glamour konterkarieren, auch Auftritte mit Körpereinsatz: Robert de Niro mit angefutterten Pfunden bei Raging Bull, Charlize Theron in Monster. Oder Behinderte – Dustin Hoffman in Rain Man, Jack Nicholson in Einer flog über das Kuckucksnest. Und Kriminelle. Das belegt der Oscar für Kate Winslets Auftritt in Der Vorleser – nicht
für den zehnmal besseren Zeiten des Aufruhrs (Revolutionary Road). Es liegt eine bittere Ironie in der Tatsache, dass Kate Winslet, nach so vielen glanzvollen Auftritten in den vergangenen zehn Jahren, ausgerechnet mit einer Rolle zu Oscar-Weihen kam, für die sie nur zweite Wahl gewesen war. Aber sie sieht
hässlicher aus als sonst. Sie ist kriminell. Sie zeigt sich nackt.
Winslet hatte sich über solche Schemata sogar schon mokiert, als sie 2005 in der Serie »Extras« mitmachte, die am Set eines Holocaust-Filmes spielt. Winslet stellt eine Nonne im Widerstand während der Nazizeit dar und sagt in einer Drehpause: »Now, I am doing it because I have noticed that if you do a film about the holocaust, you are guaranteed an Oscar.« Und gibt zwei Beispiele: »Schindler’s Bloody List, The
Pianist: Oscars coming out their arses.«
Nun hat sie ihn endlich bekommen, tatsächlich für eine Rolle in einem Holocaust-Film.
Schließlich ist Penns Auftritt eminent politisch: Eine Feier des Engagements, des liberalen Bürgerrechts-Aktivismus, des Aufstands der Anständigen gegen Repression und für die Liberalität des Leben-und-Leben-lassen – das passt in die Post-Bush-Landschaft der aktuellen USA-Politik, zu einem Amerika, das die Traumata des Irak-Kriegs und des eigenen Fundamentalismus vergessen möchte.
In die passt auch die Überraschung Nummer drei: Die Eindeutigkeit mit der sich S Slumdog Millionaire durchsetzte und den Riesen-Apparat des zehn Mal so teuren Benjamin Button aus dem Rennen warf. Denn trotz beteiligtem Hollywood-Geld ist dies ein Außenseiterfilm. Mehrfach von den Studios abgelehnt und von der Produktionsgesellschaft »Warner Bros.« weiterverkauft, mit vergleichsweise geringen Mitteln – die Produktionskosten betrugen nur 15 Millionen Dollar, deutsche Blockbuster sind heute teurer – produziert, triumphiert beim Oscar wie schon in den letzten Jahren der Independent-Film über Riesenblockbuster à la Benjamin Button oder auch The Dark Knight, die nur noch technische Preise gewinnen – trotz Rekordeinnahmen an der Kinokasse. Daran könnte sich unsere famose »Deutsche Filmakademie«, die den Oscar gern als Vorbild nennt, dann mal ein Beispiel nehmen: The Dark Knight, obwohl eindeutiger Publikumsfavorit und obwohl von mehr Zuschauern gesehen als alle anderen nominierten Filme zusammen, war noch nicht einmal als »Bester Film« nominiert.
Den Preis für die »Beste Kamera« gewann sogar der im europäischen Autorenkino etablierte britische »Dogma«-Kameramann Anthony Dod Mantle und schlug die »DOP’s« der Studiofilme aus dem Rennen. Slumdog Millionaire ist in seiner ästhetischen Identität wie von seiner Handschrift her kein originärer US-Film, sondern mischt gleichberechtigt (britisch-)europäische, indische und US-amerikanische Elemente. Handlung und Figuren sind ganz und gar indisch, die Vorlage auch.
Es ist aber falsch, wie Bert Rebhandl in der taz über global vereinheitlichte Ästhetik ausgerechnet am Beispiel von Slumdog Millionaire zu wettern – denn der ist vom Hollywood Mainstream wie auch dem Arthouse-Mainstream, der die europäischen Festivals zunehmend dominiert, gleich weit entfernt. Natürlich ist Slumdog Millionaire ein Konsensfilm, wie immer bei Preisen, die per Massenabstimmung vergeben werden. Und wahrscheinlich könnte man sich auch schnell darauf einigen, dass es noch ein paar andere, preiswürdigere Filme gegeben hätte. Aber warum muss man jetzt die Academy schelten, weil die »Kernkompetenzen der Hollywood-Industrie (der Blockbuster und die Komödie) bei den Oscars vernachlässigt« würden?
Slumdog Millionaire ist in seiner ganzen wahnsinnigen Kraft ein Beispiel für fruchtbares Multikulti, dafür also, dass globalisiertes Kino keineswegs herzlos sein muss. Im Gegenteil ist Danny Boyles bester Film seit TRAINSPOTTING energetisch und leidenschaftlich, ein Film, der die Essenz des Kinos – Bewegung in der Zeit – feiert und nun zum Jungbrunnen für ein erschöpftes
Hollywood werden könnte, dem außer Fortsetzungen und Remakes bewährter Erfolgsformeln derzeit wenig einfällt. Die diesjährigen Oscars belegen unverkennbar: Der Blick der USA geht nach Europa – neben England und Frankreich auch nach Deutschland, besonders in die Berliner Babelsberg-Studios, wo Hollywoods Meister sich die Klinke in die Hand geben – und nach Asien. Nach dem Oscarregen für den Chinesen Ang Lee vor ein paar Jahren, diesmal also zwei Preise für Japan (Kunio
Katō gewann mit Tsumiki No Le den Preis für den »Besten animierten Kurzfilm«, Yōjirō Takita mit Okuribito die Auszeichnung für den »Besten fremdsprachigen Film«) und acht für das Erfolgsmärchen eines Jungen aus dem indischen Slum – im Osten geht die Sonne auf.
Rüdiger Suchsland