04.11.2021
ABSTAND/ZOOM

N_NEBENBEI

The French Dispatch
So ganz nebenbei mal das Wimmelbild anhalten: The French Dispatch
(Foto: The Walt Disney Company)

Aber nebenbei, also nebenbei schreiben kann ich überhaupt nicht. Bei Texten brauche ich immer die volle Konzentration, und da hat sich auch trotz Lockerungen nichts dran geändert

Von Nora Moschuering

Leger könnte ich jetzt schreiben, dass ich diesen Text so ganz nebenbei verfasst habe, ihn aus dem Ärmel geschüt­telt, kurz gedroppt habe, während ich wieder im Haupt­stream, also im Vorder­grund, mit so einigem anderem beschäf­tigt war: Sozialen Zusam­men­künften, zwischen­mensch­liche Inter­ak­tionen, ja gar zufäl­ligen Begeg­nungen. Immer mit Abstand, Maske, Test, Impf­nach­weis, aber ja: Da wurde mit Sekt ange­stoßen und zum Rhythmus der Musik mit Kopf und einge­ros­teten Knien gewippt. Ganz vorsichtig und ein wenig verknackt. Im Vergleich zu dem, was da in den letzten einein­halb Jahren statt­ge­funden hat, war das ein regel­rechter Exzess, der sich ja auch über den Vergleich definiert und was früher bis 5 Uhr morgens tanzen war, ist jetzt eben: Kopf nicken und etwas in die Knie gehen, bei ganz weit geöff­neten Fenstern. Aber nebenbei, also nebenbei schreiben kann ich überhaupt nicht. Bei Texten brauche ich immer die volle Konzen­tra­tion, und da hat sich auch trotz Locke­rungen nichts dran geändert. Was sich geändert hat, ist die Anzahl der Filme, die ich im letzten Monat im Kino gesehen habe und obwohl sie so unter­schied­lich sind, versuche ich sie alle in diesen Text zu quetschen.

Ich werde sie in zwei Blöcke teilen. Die ersten beiden Filme, über die ich schreibe, sind Filme, die mit Texten zu tun haben. Einmal bildet ein Text, ein Roman, die Basis des Films: Erich Kästners »Fabian« und das andere Mal steht eine fiktive Zeitung im Mittel­punkt, »The French Dispatch«, um die sich die einzelnen Film-Episoden drehen. Beide Filme widmen sich auf eine ganz eigene Weise dem Nebenbei, der Requisite, dem Szenen­bild, dem Kostüm und der Statis­terie, aber auch den filmi­schen Mitteln wie dem Format, die allzu oft nicht erkannt, sondern unbewusst wahr­ge­nommen werden.

Inspi­riert hat mich dazu auch der »5 Minuten Harry Podcast« von Cold­mirror, die seit 5 Jahren alle paar Monate fünf Minuten aus dem ersten Harry-Potter-Film analy­siert. Extrem detail­ver­sessen und extrem sympa­thisch bespricht sie alles in den Einstel­lungen oder auch einzelnen Bildern: Die Gemälde und Vorbilder in der Trep­pen­halle, die Schach­fi­guren auf dem Schach­brett, Dumble­dores Kleidung, die Gestal­tung einzelner Bücher, die Drehorte, Abbyes, Schlösser und Biblio­theken, die Verwen­dung von VFX und CGI, Harrys Augen­farbe, Farb- und Licht­ge­stal­tung und ... einfach alles, und das dauert dann meist so 1 Stunde. Und immer kommt sie zu dem Schluss, wie liebevoll und sorgsam das meiste gemacht, zusam­men­ge­tragen und gebaut wurde, wie viel Liebe zum Detail in Dinge geflossen ist, die man eigent­lich nur bewusst sehen kann, wenn man den Film anhält, die aber maßgeb­lich zur Atmo­sphäre beitragen und einen unbewusst beein­flussen und beein­dru­cken (weswegen es sich schon lohnt, diesen an Ausstat­tung so reichen Film öfter zu gucken), womit ich zu Wes Andersons The French Dispatch komme, denn auch hier hätte ich gerne ab und an im Kino »Stopp!!« gerufen und »das geht so nicht, ich habe diese Bilder gar nicht fassen können. Was habe ich da gerade gesehen?« Klein­teile, Bilder an der Wand, Schreib­ti­sche, Farben, Essen und dazu schneller, auf den Punkt gebrachter Text. Anderson erzählt Welten in einer kurz vorbei­fah­renden Kame­ra­se­quenz von viel­leicht 20 Sekunden, in Tableaus, die er baut, die nur ein paar Sekunden zu sehen sind. So erzählt er mit visuellen Mitteln, wie man durch die Rubriken eine Zeitung blättert. Und um das noch mal zu doppeln, wird jeder Text und die jeweilige Entste­hungs­ge­schichte drum herum, innerhalb der Episode noch einmal einge­ordnet, sei es durch einen Vortrag, eine TV-Show oder ein Essen. Das öffnet noch einmal eine nächste wieder etwas anders funk­tio­nie­rende Ebene, die auch eine eigene Art der Ausstat­tung hat. Puh, aber auch ziemlich toll. Fast tut es einem ein wenig weh, beim Lesen kann man immerhin mal anhalten, zurück­gehen, noch mal lesen, aber bei The French Dispatch täte mir eine Stand­bild­ana­lyse schon gefallen.

Weiter zu Dominik Grafs Fabian oder Der Gang vor die Hunde, ein Film der ungefähr so lange dauert (etwa 3 Stunden) wie es braucht, das Buch zu lesen (etwa 300 Seiten). Wie in The French Dispatch wird auch hier auf eine Weise mit Mitteln gear­beitet, die so großartig, wie auch angenehm über­for­dernd sind, bei Fabian sind es explizit filmische Mittel die ange­wendet werden (bei The French Dispatch ist es ja eher eine Art Bühnen­bild): Schwarz­weiß, Farbe, das heute unge­wöhn­liche Bild­format 1,33:1, Zooms, Stummfilm, Tonfilm, Super 8, HD, Footage aus den 1930ern und Aufnahmen aus dem Berlin von heute. Es wäre auch despek­tier­lich, das Ganze als Nebenbei abzu­stem­peln, auch bei The French Dispatch, und so möchte ich an dieser Stelle betonen, dass »nebenbei« in diesem Text auf keinen Fall etwas Über­flüs­siges oder Beiläu­figes bedeutet, sondern im Gegenteil, dass ich betonen möchte, wie essen­tiell es ist. Es kommt besonders auch bei Fabian drauf an, denn die Figur des Fabians ist ja ein Betrachter, ein passiver, ironi­scher Flaneur, mit einer eher pessi­mis­ti­schen Grund­hal­tung. Er betrachtet das alltäg­liche und oft unmo­ra­li­sche Nebenbei, bildet sich seine Meinung und greift selten ein. Dieses »Nebenbei«, Fabians Beob­ach­tungen in der Weimarer Republik, führen schließ­lich zwei Jahre später u.a. zur Mach­ter­grei­fung der Natio­nal­so­zia­listen.

Bei den nächsten zwei Filmen spielt das Nebenbei eine ganz andere Rolle, einmal wird es als solches insze­niert und das andere Mal irgendwie im Unscharfen vergessen.

Ich habe mich auf Titane gefreut. Alles was ich darüber gelesen habe, hat mich immens ange­spro­chen: Provokant, grotesk, radikal, Genre­ver­schmel­zung, wandel­bare Körper­lich­keit, Titan­platte im Kopf und eine Wirbelsäule daraus, das Verschmelzen von Orga­ni­schem und Nicht-Orga­ni­schem, also viel­leicht eine Art »monströse Welt ohne Gender«, wie es Donna Haraway in ihrem Cyborg-Manifest schreibt. Ich kann jetzt auch nicht schreiben, dass ich enttäuscht bin, ich bin viel eher irritiert. Viel­leicht erinnert der ein oder die andere sich noch an Des Teufels Saat (1977), in dem Julie Christie von einer künst­li­chen Intel­li­genz, die ihr voll auto­ma­ti­siertes Haus steuern kann, gefangen gehalten und schließ­lich geschwän­gert wird. Aus einem Ei schlüpft zum Schluss ein groteskes Metall­wesen, aus dem sich aber dann ein sehr mensch­li­ches Kind mit einer Compu­ter­stimme heraus­schält. Ja, das war absurd, aber es kam zumindest ein bisschen die Frage danach auf, wie weit wir gehen wollen und was den Menschen ausmacht. Na ja, ich würde diesen Film trotzdem nicht unbedingt empfehlen. Gedacht habe ich auch an Matthew Barneys fünf­stün­diges Epos Rivers of Fundament (2014), in dem Norman Mailer nach­ein­ander als drei Autos wieder­ge­boren wird, oder irgendwie so. Soweit ich mich erinnere, gibt es auch mal Sex mit einem Auto (bei Fast and Furious haben das eigent­lich auch alle, nur eben subtiler – dass ich das mal schreiben würde) und irgendwie entsteht daraus ein Kind. Ich finde es spannend, diese Idee einer Zukunft, in der sich der Mensch nicht unbedingt getrennt von allem wahrnimmt, sondern in der der mensch­liche Körper mit Dingen verschmelzen kann, eine Cybor­gi­sie­rung. Aber müssen das Autos sein?!!? Ich glaube nicht, dass Autos die Zukunft sind! Auf der anderen Seite finde ich es gut, dass unser feti­schi­siertes Zusam­men­leben mit ihnen darge­stellt wird, aber so? Mhm. Ich kann auch gerade noch verstehen, dass K.I.T.T. aus »Knight Rider« irgendwie als auf eine Art leben­diges Wesen mit Sexu­al­trieb durchgeht, aber dieser alte, mit Flammen bemalte Was-auch-immer, mit dem die Haupt­person in Titane »schläft«? Na ja, zurück zum Nebenbei, denn hier werden, zumindest in der ersten Hälfte des Films, Menschen ganz nebenbei umge­bracht. Es ist zwar ein bisschen anstren­gend für Alexia/Adrien, die Haupt­figur, wenn es zu viele werden, aber das ist dann auch das Einzige, was sie zögern lässt und nicht etwa ein soli­da­ri­sches Gefühl ihrer eigenen Spezies gegenüber. Das scheint sie, viel­leicht ja durch die Metall­platte am Gehirn, die ihr als Kind einge­setzt wurde, verloren zu haben. Sehn­suchts­voll erinnere ich mich an Ema, in der die titel­ge­bende Haupt­figur ein wenig an Alexia/Adrien erinnert, allein ihre Frisur, ihre Kleidung, ihre lange, dünne Gestalt, aber Ema befreit sich, sie eignet sich ihr Leben an und formt es. Auch bei ihr geschieht das zum Teil eini­ger­maßen egois­tisch, es ist aber immer zusammen mit den Menschen um sie herum geschehen und ihr Anreiz war eben nicht, von einem Baby-Cyborg-Wesen getötet zu werden, sondern selbst­be­stimmt Mutter zu werden. Alexia/Adrien formt zwar auch ihren Körper, das geschieht aber fast immer unter Druck und mit Schmerzen. Zum Schluss findet sie dann doch so was wie Liebe, aller­dings zu einer eher frag­wür­digen hyper-männ­li­chen Vater­figur, der seiner­seits seinen Körper und den Tod zu beherr­schen versucht, indem er sich Hormon­spritzen setzt (ein phar­ma­ko­lo­gi­scher Cyborg). Zurück zum Nebenbei. Die Morde werden natürlich so nebenbei erzählt, weil das das Empfinden der Haupt­figur ist, also ist es genauer genommen kein wirk­li­ches Nebenbei, sondern ein als solches Insze­niertes.

Der letzte Film ist Keine Zeit zu sterben. In ihm hat James Bond weder Zeit zu sterben, noch richtig zu leben. Ein wichtiger Teil der Aktion-Szenen, die mir hier mal ausnahms­weise besser gefallen haben als all das Geschwurbel zwischen­durch, ist schon immer, dass das Drumherum durch die Aktion verdeckt wird. Die realen und künst­li­chen Kulissen werden zu einem Nebenbei und wenn man sich auf den Hinter­grund konzen­triert, dann merkt man erst, wie flach er ist, wie wenig da eigent­lich ist, wie einfach der Wald aussieht, die Beton-Mauern, ja selbst die italie­ni­sche Stadt Matera. Würde man daraus einen »5 Minuten James Bondcast« machen, dann würden – anders als beim Harry Podcast – aus 5 Minuten Film wahr­schein­lich 1 Minute Analyse. Na, ich würde es nicht anhören.