18.03.2021

Ceci n'est pas un festival? – Teil 2

Herr Bachmann und seine Klasse
Bachmann bleibt am Ball
(Foto: Berlinale / Maria Speth, Herr Bachmann und seine Klasse)

Edelmann und Willmann auf der Berlinale und der Woche der Kritik 2021

Von Anna Edelmann & Thomas Willmann

Als die meisten der dies­jäh­rigen Berlinale-Filme gedreht, und allemal konzi­piert wurden, war die Realität von 2020 noch Science Fiction. Und niemand hätte erwartet, dass sich je die Frage stellt: Ist das digitale Abbild einer Berlinale getreu genug – oder kann man es getrost in der Pfeife rauchen? Trotzdem war offenbar schon enorm präsent, was dann das Online-Jahr unseres Lebens so derart prägen sollte: Ein neues Verhältnis zu Media­lität, Virtua­lität.

Etliche Filmen schienen mit sich selbst auszu­han­deln, was das, was sie da grad tun, eigent­lich mit der Realität zu schaffen hat: »Ist das, was wir hier machen, echt? Ist es ein bloßes, womöglich trüge­ri­sches Abbild der Realität? Oder entwi­ckelt das Abbild seine eigene Form von Realität?«

Das fing noch vor der Ebene des Abbil­dungs-Apparats mit der Frage nach der tieferen Wahr­haf­tig­keit von Schau­spiel an – der unre­du­zier­baren Realität der Körper vor der Kamera: In Hong Sang-soos Inteu­ro­deok­syeon disku­tierten ein Regisseur und ein hoff­nungs­voller Schau­spieler über eine Kussszene. Der Jung­dar­steller wollte damals die Lein­wand­part­nerin nicht küssen, weil er das Gefühl hatte, damit seine reale Freundin zu hinter­gehen. Und über­ra­schen­der­weise redet ihm der Regisseur diese Scheu nicht mit Verweis auf die Fiktio­na­lität aus – sondern pflichtet vehement bei, dass die Liebe in dem Moment in der Tat echt sei. (Und das alles freilich, nachdem uns der Film selbst bereits Szenen zwischen einem Liebes­paar zeigte…)

In einer Reihe von Filmen war das Schau­spiel der Weg zu einer quasi-doku­men­ta­ri­schen Wirk­lich­keit: Ob der portu­gie­si­sche Prot­ago­nist von No Táxi do Jack den Star der verschmitzten Verfil­mung seines eigenen Lebens­wegs gab. Ob die Darstel­le­rinnen von La mif an der Entwick­lung ihrer Figuren mitar­bei­teten und dabei merklich auto­bio­gra­phi­sche Elemente einbrachten. Oder in Una película de policías die Erfah­rungen eines mexi­ka­ni­schen Poli­zisten-Ehepaars bewusst selbst­iro­nisch als reiße­ri­scher Cop-Thriller nach­in­sze­niert wurden – dieser dann aber wiederum konfron­tiert wird mit den Inter­views der realen Prot­ago­nisten, sowie der Rollen­vor­be­rei­tung ihrer Darsteller: Stränge, die sich immer weiter vergor­dern und dabei das Wech­sel­spiel von Ästhetik und Inhalt sinn­fällig machen.

Dass im Vortäu­schen mensch­li­chen Wesens, wenn nicht die ganze Wahrheit, so doch ein Wert liegen kann, war auch die Über­le­gung von Maria Schraders Ich bin dein Mensch.

Mit einem Android als Gegenüber fühlt sich das Allein­sein der Prot­ago­nistin nicht so einsam an. Ein bewusster Selbst­be­trug, gegen den sie sich lange wehrt, auf den sie lange herab­schaut, und in dem sie dann doch einen Funken Reales für sich findet.

Das Kino allgemein, wie es sich von dieser Berlinale reprä­sen­tiert fand, scheint entspannter geworden zu sein, wenn es auf das Verhältnis von Künst­lich­keit zur Realität blickt. Wir haben alle die post­mo­dernen Diskurse, die großen Krisen der Abbild­bar­keit mit- und durch­ge­macht. Uns ist allen die funda­men­tale Arti­fi­zia­lität jeglichen Kinos bewusst.

Man ist da nicht (mehr) naiv. Man hat das mit der Künst­lich­keit inter­na­li­siert, und mit den Grenzen und Gefahren der Media­lität. Man muss nicht jedesmal die Warntafel hoch­halten, wie bedingt das alles ist. Aber das Künst­liche, Mediale ist nun mal ein großer Teil unserer Wirk­lich­keit, ist selbst­ver­ständ­li­cher geworden. Und jetzt muss man auch mal nach vorne schauen, und nicht nur auf dessen Einschrän­kungen, sondern auch dessen Möglich­keiten gucken.

Filmen wie No táxi do Jack oder Auto­trafia genügte es, kurz einmal die Crew, die Film­klappe ins Bild zu rücken. Ein knappes Nicken Richtung Publikum: Uns ist allen klar, dass Film, dass selbst Doku­men­ta­tion insze­niert ist.

Im kurzen Moment der Mise en abyme zugleich ein: »Mal ehrlich: Kino kann schon auch was 'Echtes' trans­por­tieren, und zurück­wirken in die Realität.« Eine gewisse utopische Hoffnung in die Möglich­keiten des Kinos, gewinn­brin­gend und heilsam mit der Wirk­lich­keit zu inter­agieren. Statt sich nur mit sich selbst zu beschäf­tigen.

Exem­pla­risch, wie in Memory Box Fotos, Video, Tonband­auf­zeich­nungen eine Möglich­keit der Genera­tionen darstellten, mitein­ander Verbin­dung zu finden, und eine verschwie­gene Wahrheit aufzu­de­cken. Und zwar nicht nur, klassisch, als Anlass fürs beich­tende Gespräch Angesicht zu Angesicht. Sondern als tatsäch­liche Bewahrer einer ausgelöschten, von einem täuschenden Narrativ über­schrie­benen Wahrheit.

Ein bezeich­nendes Detail in dieser Hinsicht: In wie vielen Filmen plötzlich die Über­wa­chungs­ka­mera nicht mehr die offi­zi­elle Kino-Kurz­schrift für »Achtung! Böse!« war.

Ja, dass sie sogar ins Reich des Mysti­schen, Märchen­haften, Natür­li­chen gerückt, dass sie zum Verbün­deten, Freund, Helfer der Mächte des Guten wurden, wie in Ras vkhedvat, rodesac cas vukurebt?, oder am Ende von Night Raiders.

Fast klassisch wirkte da schon der latente Pessi­mismus von Yujiro Harumotos durchaus inten­siven Yuko No Tenbin (A Balance), in dem eine Doku­men­tar­fil­merin von ihrem Thema uner­wartet persön­lich heim­ge­sucht wird. Und die profes­sio­nelle Wahr­heits­su­cherin sich versucht findet, ihre Enthül­lungen zu vertu­schen. Aber selbst hier lag das Problem in der mora­li­schen Kompro­mit­tier­bar­keit der Menschen, während das Medium selbst zur Aufklä­rung strebt.

Freilich lässt sich diese Wahr­neh­mung der Filme nicht trennen von unserer Realität. Davon, dass wir alle ein Jahr hinter uns haben, wo wir permanent auf Bild­schirme starren, auf Bild­schirme einreden. Das hat unser ohnehin zusehends symbio­ti­sches Verhältnis zu Kameras, zur Wirk­lich­keit des Virtu­ellen nochmal verschoben.

Zumal dieser Zustand nun schon so lange andauert, dass die ersten Filme ihn gezwun­ge­ner­maßen in ihre Entste­hung mit einge­schrieben haben – egal, ob sie der Pandemie auch Einlass in ihre fiktio­nale Welt gestat­teten. Und die damit arbeiten, dass die Wirkung beim Publikum eine andere ist als vor 2020.

Einst hätte das Ende von Natalie Morales’ Zoom-Freund­schafts-Komödie Language Lessons einen nicht weiter über­rascht. Da schwappt nichts aus dem Flussbett der narra­tiven Gewohn­heit. Und in der Welt des Films gab es auch keine coro­nabe­dingten Hinder­nisse, die ihm im Wege gestanden hätten. Aber man ist es nicht mehr gewohnt, dass man aus seinem virtu­ellen Kasterl auch heraus dürfte. Und so erwischt einen das Schluss­bild doch fast unvor­be­reitet.

Und wirkte wie der viel­leicht riskan­teste Stunt auf der Berlinale.

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Für die auch online parallel statt­fin­dende Woche der Kritik war das rein digitale Format gefühlt eine größere Bürde als für die Berlinale – obwohl man meinen sollte, dass sie einen größeren Teil ihrer Inhalte und Essenz auch losgelöst vom physi­schen Raum trans­por­tieren kann.

Einen Vorteil hatte die virtuelle Form: Es war Menschen von überall auf dem Globus zwang­loser möglich, an den rahmenden, beglei­tenden Gesprächen teil­zu­nehmen. Doch dies vermochte das grund­sätz­li­chere Problem nicht aufzu­wiegen: Wer wäre dieser Tage nicht schon »ausge­zoomt«? Wäre wirklich eifrig, sich auch noch stumm die Online-Treffen anderer Leute anzu­schauen, anzuhören? Es war enorm schwer bis unmöglich, sich mitten im Strea­ming­fes­tival auch noch darauf einzu­lassen – während die WdK den öffent­li­chen Gedan­ken­aus­tausch aber gerade als ihren Kernpunkt begreift.

In den Kinos Hackesche Höfe ist die WdK »in echt« ein gewisser Rück­zugsort vom Wahn der Berlinale – ein Nest, im Hinterhof, fast unterm Dach, wo man sich nicht nur wegen der Filme und Podi­ums­dis­kus­sionen einfindet, sondern auch fürs Bier danach mit Gleich­ge­sinnten.

Dass man online sich auf eine andere Streaming-Platform begeben musste, um vom Haupt­fes­tival hier rüber­zu­wech­seln, hat freilich nicht den gleichen Effekt. Und wenn – zumal in diesem starken Jahrgang – der nächste Berlinale-Film für den Maus­zeiger gleich um die Bild­schir­mecke wartet, erfordert es schon absurde Formen der Disziplin, sich lieber für zwei Stunden redende Köpfe in Bild­schirm­fens­tern zu entscheiden. Bei denen sich außerdem – unab­hängig davon, wie inter­es­sant war, was sie sagen – selten ein gestei­gertes Maß an Energie vermit­telte.

Format­un­ab­hängig hat die Woche der Kritik seit dem Amtsende Kosslicks aber noch ein anderes Problem: Sie hat es schwerer, sich als Gegen­ent­wurf zu posi­tio­nieren, gegen ein Festival, dessen künst­le­ri­sche Leitung nun eine sehr ähnliche Auffas­sung von Kino, einen durchaus verwandten Geschmack an den Tag legt. Sie hat es schwerer, wenn etwa Alek­sandre Koberidze, einst eine WdK-Entde­ckung, jetzt im Berlinale-Wett­be­werb beglückt.

Nun klafft zwischen dem Anspruch der WdK und dem, was sie dann tatsäch­lich an Filmen auf die Leinwand zu bringen schafft, seit jeher ein gewisser Wider­spruch. Nicht immer fiel und fällt es leicht, die Über­zeu­gung zu gewinnen, dass das wirklich Kino ist, für das man in größerer Leiden­schaft brennt – statt daran nur theo­re­ti­sche Posi­tionen austa­rieren zu können. Und dass diesmal einem keine Sichtung auf großer Leinwand das Gegenteil beweisen konnte, half nicht gegen den Eindruck, viele Beiträge würden eher unter die Rubrik »Video­ar­beit« fallen als »Filme«. Wenn man nun zu allem Überfluss von der Berlinale auch nicht mehr mit diesem typischen, gemüts­zer­mürbten Febru­ar­ge­fühl rüber­wech­selt, wo es sich anfühlt, als wären eh alle Leinwände der Welt nur mit Dinkel gefüllt… Dann wird’s vollends schwierig. Mit bereits verzückt leuch­tenden Augen betrachtet, wirkt das Programm der WdK (im Guten wie im weniger Guten) dann oft eher wie die Discounter-Variante der Berlinale-Auswahl.

Da wiederum war die digitale Ausgabe dann aber doch auch segens­reich: Nicht an zeit­rau­bende Orts­wechsel und einen festen Zeitplan der Film­vor­füh­rungen gebunden, fiel es deutlich leichter, mal ein Programm der WdK zwischen zwei Berlinale-Beiträge zu schieben. Und verblüf­fend oft traten – unab­hängig vom empfun­denen Quali­täts­ge­fälle – diese Kombi­na­tionen dann in uner­war­teten Dialog.

Es wurde schnell offen­sicht­lich, dass die Menschen hinter den Filmen der WdK von just jenen Dingen umge­trieben wurden, die auch die Berlinale prägten. Dass es da nicht nur Berüh­rungs­punkte, sondern ganze gemeinsam beackerte Flächen gab. Und dass die Woche der Kritik ihre Stärke in der Staf­felü­ber­gabe, im so regen wie unge­planten Austausch, dem Weiter- und Ausspinnen der Berlinale fand.

Auch hier das Reflek­tieren von Schau­spiel und Filmbild zur Realität: In Nicolás Peredas Fauna, wo in einer hinreißenden Szene ein mittel­er­folg­rei­cher TV-Darsteller den Schwie­ger­vater in spe beein­dru­cken muss, indem er ihm seinen Auftritt aus »Narcos« vorspielt – mit dem Hindernis, dass seine Neben­rolle es in der Serie noch zu keinerlei Dialog gebracht hat. Oder in Sion Sonos Escher dori no akai posuto (Red post on escher street) – dem unver­schäm­testen, freud­vollsten Stück Kino im WdK-Programm, das ein Film-Casting als Begeg­nungsort etlicher exzen­tri­scher Charak­tere erzäh­le­risch in alle losen Rich­tungen ausspann, und in seiner typischen Über­dreht­heit getragen wurde von einer für Sono ganz unge­wohnten Gelas­sen­heit, sonnigen Grund­stim­mung, und einer (teils wort­wört­lich) Reihe junger Frauen, deren Persön­lich­keit durch die männliche Insze­nie­rung hervor­leuch­tete.

Auch bei der WdK die Kamera als Mittel, einen Austausch mit den Eltern zu ermö­g­li­chen: Ob Zacharias Zitouni bei First In First Out im Interview eine Möglich­keit sucht, endlich hinter die schweig­same Fassade des Vaters zu dringen, der einst aus Deutsch­land abge­schoben wurde und nun am Hamburger Flughafen Catering macht – auch für Abschie­be­flüge. (Mit dem Ergebnis, dass zumindest sicht­barer wird, dass in dem Mann trotz aller Beteue­rungen des ungerührten Gegen­teils etwas arbeitet – auch wenn die »Erzähl­ar­beit« von der Mutter als Stimme aus dem Off geleistet wird.) Oder ob Kamal Aljafari in An Unusual Summer die fast 15 Jahre alten Videob­änder einer selbstan­ge­brachten Über­wa­chungs­ka­mera für den Auto-Stell­platz der Familie im arabi­schen Viertel Ramalas durch­forstet nach Über­bleib­seln eines fernen Jahrs, einer fern­gerückten Welt, und der spuk­haften Präsenz des mitt­ler­weile verstor­benen Vaters.

An einer ganz ähnlich maxi­ma­lis­ti­schen Zustands­be­schrei­bung der Welt wie Radu Jude versuchte sich Manoj Leonel Jahson & Shyam Sunders Horse Tail – auch wenn dessen Buntheit, visuelle Bricolage, allum­fas­sende Philo­so­phie­rerei nie wirklich dem galop­pie­renden Rhythmus, der Fülle und Weisheit nahe kam, die der schon sehr von sich selbst über­zeugte Film heischte.

Und Phillip Warnells Intimate Distances konnte man rück­bli­ckend als eine Vorbe­rei­tung auf den Gewinner des Silbernen Bären – Preis der Jury betrachten: Die Casting-Direk­torin Martha Wollner spricht an einer Straßen­ecke in Queens wild­fremde Leute an und kommt mit ihnen schnell in erstaun­lich offenen, intimen Austausch. Doch alle offen­siven Kunst­be­mühungen des Films drumrum – die Distanz der Kamera; die arg gewollten Voice over-Einschübe; die lange, bewusst sperrig-desori­en­tie­rende Vorlauf­zeit, bis der Film endlich klar macht, was sein Projekt ist; das starre Durch­ar­beiten eines vorbe­rei­teten Fragen-Kanons unab­hängig vom Verlauf der Gespräche... – all das arbeitet nur gegen den mensch­li­chen Kern, wirkt albern, über­flüssig, klein gegenüber den schlichten Momenten der Begegnung.

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Wie radikal das wirken kann, wenn man all den Schnick­schnack, all das Ego weglässt, das ließ einen dann die Großü­ber­ra­schung des Wett­be­werbs erleben.

Wenn man überhaupt noch einmal mit einem Höhepunkt gerechnet hätte, nach dem cine­as­ti­schen Gipfel­fest in der Festi­val­mitte, dann doch ganz gewiss nicht in dieser Gestalt: Eine drei­ein­halb­stün­dige, rein beob­ach­tende Doku über eine 6. Klasse voller Kinder mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in einer hessi­schen Klein­stadt-Schule.

Nicht, dass man der nicht zugetraut hätte, ein guter, inter­es­santer Film zu sein. Aber doch nicht einer, über den man am Freitag, erfüllt von einer tiefen Fröh­lich­keit, Entspannt­heit, Gelas­sen­heit dann auf eine Weise chattete, dass man mitunter versi­chern musste: »Wir sind keine Sekte! Wir sind eine Glau­bens­ge­mein­schaft!«

Eine kurze Beschrei­bung von Maria Speths Herr Bachmann und seine Klasse läuft Gefahr, ihn uner­trä­g­lich sozi­al­pä­d­ago­gisch, gutmen­schelnd, predigend klingen zu lassen. Aber all das ist seine Titel­figur genau nicht. Es gibt keine Theorie in dem Film, nur Praxis. Bachmann – der ein bisserl aussieht wie Joe Zawinul – ist eher aus Zufall Lehrer geworden, wursch­telt sich auch nur so durchs Dasein.

Der Film ist nie verhät­schelnd, nie verlogen. Er hat durchaus ein Bewusst­sein dafür, dass Bachmann eher die Ausnahme ist. Aber auch eine Grun­dü­ber­zeu­gung, dass dem nicht so sein müsste. Dass das mit dem Mensch­lich-zuein­ander-sein gleich­zeitig sehr verzwickt ist – und aber so simpel sein könnte.

Den Rest des Festivals konnte man, ganz ehrlich, dann Filme nicht mehr recht ernst nehmen, in denen Menschen ihre Probleme nicht einfach rasch und ruhig durch ein klärendes Gespräch, durch Aufein­an­der­zu­gehen lösen können und wollen. Was für absurd menschen- und welt­fremde Ideen das doch sind: Drama! Gewalt!

Das war das wohl Verblüf­fendste an dem Film: Wie lang er nachwirkt. Wie sehr er einen dazu bringt, seinen inneren Bachmann zu finden. Und auch nach Berlinale-Ende noch mit einem »What Would Bachmann Do?« durchs Leben gehen lässt.

Aber die Online-Berlinale wäre dem »echten« Festival nicht so ähnlich gewesen, hätte die Jury sie einem am Ende nicht noch ein bisserl vergällt.

Viel­leicht mehr als nur Zufall, dass gleich zwei »Schul­filme« mit einem Edel­me­tall-Bären bedacht wurden. »In der Schule lernt man fürs Leben!«, scheint derzeit auch das Kino zu meinen. Größer aber könnte der Kontrast im Welt- und Menschen­bild zwischen den beiden usur­pierten Werken nicht sein.

Schade, dass die Jury in ihrer Begrün­dung des Silbernen Bären für Bachmann (nicht unähnlich der Jurys bei »Genera­tion« und »Shorts« im Falle von Cryptozoo und Easter Eggs) fast entschul­di­gend klang, da einmal einen Film auszu­zeichnen, der nicht sagt, wie schlimm und schlecht alles ist. Als wäre das die einzig wahre Kunst.

Und erst recht schade, dass sie am Ende dann doch noch preis­wür­diger fand, was Radu Jude macht. Dessen Barbar­deală cu bucluc sau porno balamuc, der es sich nach den ersten zwei Teilen, die clever und unter­haltsam bemüht waren, offenen Auges und denkend durch die Welt zu gehen, im dritten Teil mit uns verscherzt hat. Da gibt er es auf, Menschen zu zeigen. Und schnitzt sich eine Schieß­bude voller Kari­ka­turen – die dann ganz über­ra­schend leichte Ziele abgeben. Da führt er bewusst, ja geradezu mani­pu­lativ vor, wie zwecklos angeblich Reden, Argu­men­tieren ist. Und setzt als Ziel- und Endpunkt eine – freilich comichaft über­zeich­nete, doch sehr vehement körper­liche – Verge­wal­ti­gungs­fan­tasie an.

Die von Jury wie Presse erstaun­lich sang- und klanglos durch­ge­wunken, wenn nicht sogar bejubelt wurde – weil »es trifft ja die Richtigen«.

Der Film hatte durchaus preis­wür­dige Aspekte. Aber es hinter­lässt einen besonders schlechten Nach­ge­schmack, wenn nun durch den Goldenen Bären ausge­rechnet diese Szene quasi dasteht als Höhe-, End- und Zielpunkt auch dieser Berlinale.

Aber bevor wir da Schaum vor dem Mund bekommen, beschwören wir unseren inneren Bachmann.

Jurys sind auch Menschen, die haben ihre Gründe, und es ist okay.

Deswegen müssen wir die Filme nicht sehen wie sie.

Und uns nicht weniger freuen an all den für uns – also unwi­der­sprechbar objektiv! – feinen Filmen.

See you next Wednesday!