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Queen & Slim: Die schwarze »Bonnie & Clyde«-Version (19.8. City) | ||
(Foto: Universal Pictures) |
Von Dunja Bialas
Sommerloch und Saure-Gurken-Zeit: das war der Anfang der Filmkunstwochen, die in den nächsten drei Wochen bereits zum 68. Mal in München stattfinden. Ihr Erfinder ist der Münchner Kinopionier Fritz Falter, der über die Filmkunstwochen sagte: »Seit 1953 habe ich die Internationalen Filmkunstwochen durchgeführt, ein Versuch, mitten in der Saure-Gurken-Zeit, im Sommer, ein anspruchsvolles Reprisen-Programm zu machen.«
Auch 2020 ist wieder Saure-Gurken-Zeit für die Kinos. Es geht noch nicht einmal darum, dass große Titel wie Christopher Nolans Tenet auf Ende August, der neue James Bond, passend mit Keine Zeit zu sterben überschrieben, oder der in Bayern für seine Blockbusterqualitäten nicht zu unterschätzende neue Eberhofer-Krimi Kaiserschmarrndrama auf unbestimmte Zeit verschoben sind. Warum auch auf die großen Titel warten? Das Kino und die Verleiher haben genug Filme zu bieten, darauf weisen in jüngster Zeit auch die AG Verleih und der Hauptverband Cinephilie klar und deutlich hin, um dem Gejammere ein Ende zu setzen. In der Tat: Mit Berlin Alexanderplatz, Undine, Die Kordillere der Träume, Monos und Schwarze Milch suchen derzeit Spitzenfilme nach einem Publikum.
Denn eher sind die Kinosäle derzeit ausgedörrt. Corona hat uns allen ordentlich zugesetzt. Nicht zwingend gesundheitlich, so doch mental. Noch immer sind die Münchner zögerlich, was den Kinobesuch anbelangt. Dabei weiß doch der bayerische Ministerpräsident bestens, was er in die fortwährend angepasste »Infektionsschutzmaßnahmenverordnung« hineinschreiben lässt. Er lässt dort Vorsicht walten, »Vorsicht und Umsicht«, wie er zu sagen pflegt. Wenn also in Bayern der Besuch von Kinos erlaubt ist, dann aus einem einzigen Grund: weil er gesundheitlich sicher ist. Mit Söder gibt es weder Leichtsinn noch Übermut. Die Maßnahmen – 1 Meter 50 Abstand im Saal, Mundschutz in allen begehbaren Kinoarealen – sorgen also für größtmögliche Sicherheit.
An die Sicherheit im öffentlichen Raum – mit Mundschutz und unter Wahrung der Abstandsregeln, damit hier keine Aluhut-Missverständnisse aufkommen – kann man sich also jetzt wieder gewöhnen. Ein Kinobesuch ist nicht gefährlicher als ins Restaurant zu gehen, und weitaus weniger bedenklich, als in den Urlaub zu fahren.
Für all jene, die sich wieder ins Kino »trauen«, haben sich die Betreiber*innen von elf Münchner Arthouse-Kinos wieder ein besonderes Sommer-Programm einfallen lassen. Das geschah relativ rasch, weil erst spät klar war, ob und wann die Kinos wieder öffnen können. Die Schnelligkeit schlägt sich in der Aktualität des Programms nieder. Die diesjährige große Themenreihe widmet sich »Black Lives Matter«. Neben dem Grundlagen schaffenden I Am Not Your Negro (Regie: Raoul Peck) (24.8., City) werden auch der atmosphärische Nächster Halt: Fruitvale Station (20.8., City) von Black Panther-Regisseur Ryan Coogler, der Oscar-Gewinner Green Book (6.8., MuLi) vom weißen Regisseur Peter Farrelly gezeigt. In letzterem ist der schwarze Shooting-Star Mahershala Ali zu sehen, der wiederum im Oscar-Gewinner Moonlight (10.8., City) mitspielt. Von Regisseur Barry Jenkins findet sich außerdem die zarte Liebesgeschichte If Beale Street Could Talk (12.8., City) im Programm. Interessant ist, dass Steve McQueens 12 Years a Slave (12.8., Monopol) 2014 den ersten Black Oscar überhaupt einbrachte. So ist der Oscar auch ein Seismograph für eine sich allmählich wandelnde Hollywood-Gesellschaft – die aber immer noch sehr zögerlich ist. So blieb zum Beispiel Kasi Lemmons – nicht nicht nur schwarz, sondern obendrein eine Frau – der Oscar trotz Nominierungen verwehrt. Man war noch nicht reif für Harriet (20.8., MuLi), dem bewegenden Biopic über die Sklavenbefreierin Harriet Tubman, in dem die androgyne Cynthia Erivo eine einschlägige Performance abliefert. (Alle Filme in OmU oder OF, Spielzeiten in unserem Kinoprogramm.)
Der Themenschwerpunkt teilt sich auf drei Kinos der Filmkunstwochen auf: den City Kinos, dem Monopol und den Museum Lichtspielen, kurz MuLi genannt. Das ist eine Besonderheit der Filmkunstwochen: Einmal im Jahr machen die Arthouse-Kinos gemeinsam Programm, lassen die Konkurrenzsituation hinter sich, in der immer genau ausgeklügelt wird, wer welchen Film bekommt und ihn wann spielen kann. Das Programm mit allen BLM-Filmen findet sich hier.
Auf Klassiker setzen dieses Jahr neben der Theatiner Filmkunst auch das Filmeck Gräfelfing und ABC-Kinobetreiber Thomas Kuchenreuther. Letzterer hat eine besondere Mischung entworfen, die viele Querbezüge in der Filmgeschichte zulässt. Besonders auffällig ist, dass im ABC auch Genre zu entdecken ist. So können im Double-Feature auf der großen Leinwand die klassischen Monster Dracula (21.8., ABC), Frankenstein (21.8., ABC) gefürchtet werden, Thriller wie Don Siegels Der Tod eines Killers (20.8., ABC), Howard Hawks Mafia-Klassiker Scarface (17.8., ABC) sind im Programm, aber auch Herzensangelegenheiten wie Ernst Lubitschs Angel (13.8., ABC) oder Joseph von Sternbergs Morocco (21.8., ABC). (In OF zu sehen, das komplette Programm gibt es hier.)
Ein Filmjahr gliedert sich auch in Geburts- und Todestage. Überraschend, dass Federico Fellini (Filmeck Gräfelfing: Die Nächte der Cabiria, 12.8. und 13.8.) und Eric Rohmer (Theatiner Filmkunst: Le genou de Claire, 14.8., Pauline à la plage, 17.8., La femme de l’aviateur , 18.8., Conte d’été 22.8. und Le rayon vert, 25.8., alle Filme in OmU) beide 100 Jahre geworden wären – Fellini mutet doch in allem viel älter und unmoderner an als die leichthändigen, lichtvollen Filme Rohmers. Noch ein ungleiches Geburtstagspaar sind Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders, die dieses Jahr ihren 75. Geburtstag feiern, was das ABC mit kleinen Hommagen würdigt. Zu sehen ist einer der zentralen Filme Fassbinders, In einem Jahr mit 13 Monden (12.8.), begleitet von dem intimen Dokumentarfilm-Fassbinder-Potrait Fassbinder – Lieben ohne zu fordern (12.8.), außerdem Fassbinders Lieblingsfilm, Douglas Sirks Was der Himmel erlaubt (9.8.). Von Wim Wenders passt eigentlich jeder Titel gut in diese Zeit. Kuchenreuther hat sich die Filme mit Lisa Kreuzer ausgesucht, der damaligen Lebensgefährtin Wenders’. Im Lauf der Zeit (14.8.), Alice in den Städten (16.8.) und Der amerikanische Freund (18.8.) kann so noch einmal unter der Perspektive der weiblichen Figur in Augenschein genommen werden.
Nebenbei können bei den Filmkunstwochen die unterschiedlichen Charaktere und Temperamente der Münchner Kinobetreiber*innen kennengelernt werden. Denn noch etwas ist eine Besonderheit der Münchner Kinostadt: Gespräche mit den Betreibern oder mit dem Personal sind ausdrücklich erwünscht.
Fortsetzung folgt!
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68. Filmkunstwochen München
5. bis 26. August 2020
www.filmkunstwochen-muenchen.de
– Einmalig in Deutschland: die Kinobetreiber*innen machen selbst das Programm!
– 11 Kinos: ABC, City, Filmeck, Isabella, Maxim, Monopol, MuLi, Rex, Rio, Rottmann, Theatiner + 1 Sondervorführung im Werkstattkino macht das Dutzend voll!
– Über 150 internationale Filme
– Über 40 Filmgäste
– Eintritt: 9 Euro (Ermäßigung möglich)
– Karten gibt es direkt bei den Kinos; telefonische oder online-Reservierung wird
empfohlen
– Es gelten die aktuellen Corona-Hygienevorschriften
– Kooperationen mit dem DOK.fest München und der Filmstadt München e.V.
– Gefördert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München
Die Autorin leitet die Filmkunstwochen organisatorisch.