24.09.2015

Die Apoka­lypse als Chance, oder: Boys in the Bubble – auf Visite beim Fantasy Filmfest 2015

Fantasy Filmfest Turbo Boy
Da ist’s passiert: Nicht mehr blasiert!

Von Anna Edelmann & Thomas Willmann

Wollte man sich auf tradi­tio­nelle Art und Weise einen Standard-Horror­film zusam­men­schrauben, dann wäre – egal welche Versatz­stücke man für die monströse Bedrohung verwen­dete – das veran­kernde Element doch stets die letzt­end­liche Rettung eines (hete­ro­se­xu­ellen, weißen) Norm­paares.
Das Verblüf­fende am Programm des dies­jäh­rigen Fantasy Filmfests war, wie selten diese klas­si­sche Konstel­la­tion das Gerüst stützte: Deutlich häufiger wurde die Handlung durch Kinder getragen – und zwar nicht in der gewohnten Variante der beses­senen, mordenden Grusel­ge­stalten – oder durch einsame Jugend­liche – aber nicht das handel­süb­liche Slas­her­film-Schlacht­vieh. Vielmehr erlebte man Filme, die in Genre-Einklei­dung wirklich etwas über das Kind- und Teenager­sein zu erzählen versuchten.
Am auffal­lendsten aber war, wie oft im Mittel­punkt der Filme eine Eltern-Kind-Beziehung stand. Zwar in den unter­schied­lichsten Varianten – aber allesamt komplexer als die stan­dar­di­sierten Webmuster: Ob in Un illustre inconnu ein Mann ohne Eigen­schaften, der sich als Verklei­dungs­künstler das Aussehen und Leben anderer Menschen aneignet, schliess­lich seine Wahl-Identität in der Vater­rolle findet, die ein anderer bewusst aus seinem Leben verbannt hat. Oder ob in Nina Forever – einer über­zeu­genden, blutigen Allegorie darauf, wie frühere Bezie­hungen durch eine junge Part­ner­schaft spuken – die Eltern eines verun­glückten Mädchens deren Freund zu ihrem Ersatz-Kind machen.

Das begann mit beklem­menden Phan­ta­sien über die Schwan­ger­schaft: In Bruce McDonald’s Hellions noch gewandet in Abzieh­bild-Horror, mit grusligen Kindern in bizarrer Halloween-Kostü­mie­rung. Aber das in voller Absicht – denn es geht in dem Film genau um den ikono­gra­phi­schen Vorrat, aus dem sich unsere Ängste bedienen. Hellions handelt von der Panik vor einer Schwan­ger­schaft – ausge­rechnet an Halloween erfährt eine Klein­stadt-Teenagerin, dass sie ein Kind erwartet. Und im ganzen Ort umgeben von dem üblichen Schauer-Nippes, abends allein im Haus, den Fernseher mit seinem Grusel­film-Programm als Gesell­schaft, mani­fes­tiert sich ihre Angst vor dem, was mit, in ihrem Körper geschieht, und was das für ihr Leben heißt, in einer äußeren Bedrohung, die zunächst ganz genrehaft auftritt – bis der Film sich schliess­lich in seiner Textur immer mehr abstra­hiert, immer mehr der repe­te­tiven Unwirk­lich­keit eines puren Albtraum annähert.

H. (der wenig google­freund­liche Filmtitel besteht tatsäch­lich nur aus einem Buch­staben und einem Punkt) stand hingegen grund­sätz­lich weniger in einer Genre-Genea­logie, als in der Tradition von Surrea­lismus und Magischem Realismus. Der Film von Rania Attieh und Daniel Garcia war eine begrüßens­wert mutige Program­ment­schei­dung des Fantasy Filmfests – schon im Rahmen des Berlinale-Forums zu sehen, das sich ja der expe­ri­men­tellen und avant­gar­dis­ti­schen Filmkunst verschrieben hat, ragte H. merklich über die ange­stammte Defi­ni­tion des Festivals hinaus, was denn »Phan­tas­ti­sches Kino« sei.
In vier Abschnitten erzählt, handelt H. von zwei »Helenas aus Troja«, bzw. zwei Helens aus Troy, New Jersey – beide auf ihre Weise mit dem Scheitern eines Kinder­wunschs konfron­tiert. Die eine, ältere, verwendet ihren in einer kinder­losen und anschei­nend zwar nicht unlie­be­vollen, aber nicht über­trieben kommu­ni­ka­tiven Ehe ange­stauten Drang zur Fürsorge auf das Basteln und Pflegen hyper­rea­lis­ti­scher Baby-Puppen. Die andere, jüngere, erhält die scho­ckie­rende Diagnose, dass sie nicht wie erwartet Mutter wird, sondern lediglich eine Schein­schwan­ger­schaft hatte. Der Film schildert das sehr ruhig, wortkarg, ellip­tisch – doch trotz seiner symbol­träch­tigen Einsprengsel (wie der riesige Steinkopf einer Helena-Statue, der auf dem örtlichen Fluss entlang­treibt) hat er eine mensch­liche Wahr­haf­tig­keit, eine intensive, intime Emotio­na­lität.
Sein dem Genre-Film verwand­teste Element ist das uner­klär­liche, über­na­tür­liche Ereignis, das zahl­reiche Bewohner des Orts befällt; das sie dazu treibt, stun­den­lang reglos vor Wänden zu stehen, sich auf einem verschneiten Feld zu versam­meln, in komatösen Schlaf zu versinken.
Für die beiden Prot­ago­nis­tinnen des Films wirkt dieser Riss in der gewohnten Realität, in der Ordnung der Gemein­schaft aller­dings nur anfangs bedroh­lich. Am Ende entpuppt er sich vielmehr als ihre Möglich­keit, ihre aufge­ge­benen Träume, uner­füllten Begehren auf seltsamen, verscho­benen Umwegen doch noch zu verwirk­li­chen. Was in H. die Zivi­li­sa­tion zerstören könnte, zu einer Neude­fi­ni­tion ihrer Grund­lagen zwingen, das ist für gewisse Indi­vi­duen die Chance auf Neubeginn, auf eine Art Wieder­ge­burt nach eigener Wahl.

Cop Car dagegen war ein Coming of Age-Film, in dem die kind­li­chen Prot­ago­nisten sich selbst para­do­xer­weise in der aller­ersten Szene am erwach­sensten vorkommen: Die beiden geschätzt zehn­jäh­rigen Freunde streichen über die Felder ihres länd­li­chen Heimat­orts und testen aus, wie sich die verbo­tensten Schimpf­wörter anfühlen, wenn man sie aus dem eigenen Mund in die Welt hinaus schubst.
Dann finden sie ein scheinbar verlas­senes Poli­zei­auto – und treiben ihre Mutproben mit dem Fundstück so weit, dass sie schließ­lich ihr »Wir laufen fei von daheim weg!«-Spiel moto­ri­siert fort­setzen. Haben aber das Pech, dass ihr unifor­mierter Verfolger (Kevin Bacon) sein Gefährt dringend zurück haben möchte, ohne dass dabei ans Licht kommt, was er an illegaler Neben­tä­tig­keit betreibt.
Wo andere Filme aus den Prot­ago­nisten coole, clevere, schei­ner­wach­sene »Kevins zu zweit unterwegs« gemacht hätten, belässt Cop Car ihnen ihren authen­tisch kind­li­chen Horizont.
Die Spannung des Films kommt nicht daher, dass man darauf wartet, wie die Buben den Bösewicht trick­reich über­listen – sondern aus dem klas­si­schen Suspense-Prinzip eines Infor­ma­ti­ons­vor­sprungs des Publikums. Nur dass es nicht ein spezi­fi­sches Wissens-Detail ist, das den Prot­ago­nisten fehlt – sondern ihre ganze Weltsicht als Kinder noch ein gene­relles Defizit hat an Lebens­er­fah­rung und Menschen­kenntnis.
Am schönsten illus­triert dies die Szene, in der die beiden Jungs neugierig die Waffen auspro­bieren wollen, die sie in dem Poli­zei­auto finden. Sie funk­tio­niert wie ein Gegen­s­tück zu der vom Meister selbst insze­nierten Alfred Hitchcock presents-Folge Bang! You're Dead, in der ebenfalls ein Bub spie­le­risch mit einer scharfen Waffe unterwegs ist – nur mit dem Unter­schied, dass er überzeugt ist, mit einer Spiel­zeug­pis­tole zu hantieren. Während die Helden aus Cop Car das Publikum zusam­men­zu­cken lassen, obwohl sie ein Bewusst­sein dafür haben, dass von den Waffen in ihren Händen eine Gefahr ausgeht – aber ihre naive Vorstel­lung völlig unter­schätzt, wie groß und unkon­trol­lierbar diese Gefahr ist, und ihr Vers­tändnis von der eigenen Sterb­lich­keit noch ein rein theo­re­ti­sches, unwirk­li­ches ist.
Die Jungs in Cop Car – die nicht wegen irgend­wel­cher trau­ma­ti­scher Vorfälle daheim ausreißen müssen, sondern sich einfach einen Nach­mittag lang der Kinder­phan­tasie hingeben, dass sie sich als Freunde alleine durch die Welt schlagen – machen jene Fehler, die Kinder machen; begreifen Situa­tionen nicht korrekt; kennen Verhal­tens­muster von Erwach­senen nicht. Und selbst wenn sie begreifen, dass sie der klas­si­schen Auto­ritäts­figur nicht ihr Vertrauen schenken dürfen, verstehen sie nicht, dass es Grauzonen gibt, und dass ein Bösewicht nicht zwangs­weise als Gegen­spieler einen good guy mitbringt – was sich als ihre fatalste Fehl­ein­schät­zung entpuppt.
Und selbst am Ende wächst der Zöger­li­chere von beiden nicht groß über sich hinaus – sondern findet aus der Dring­lich­keit der Situation heraus einen Ticken mehr Traute: Es ist wohl der Moment, wo er sich am verlo­rensten, hilf­lo­sesten, allein­ge­las­sensten fühlt – und wo er am erwach­sensten handelt. Cop Car zeigt, dass nicht jeder Moment des Erwach­sen­wer­dens gleich das Ende der Kindheit bedeutet.

Mit The Visit hat sich M. Night Shyamalan selbst eine künst­le­ri­sche Verjün­gungskur, ein Zurück-zu-den-Anfängen verordnet: Ein auf eigene Faust finan­ziertes Wunsch­pro­jekt, bei dem seine Krea­ti­vität nicht durch Studio­auf­lagen einge­schränkt, dafür aber durch selbst gesetzte Grenzen heraus­ge­for­dert wurde; gedreht mit nur einer Handvoll Darsteller und fast ausschliess­lich in einem einzigen Haus.
Außerdem unter­wirft er seine stilis­ti­schen Präten­tionen hier dem Found Footage-Prinzip: Da es sich vorgeb­lich um eine von einer der Haupt­fi­guren selbst gedrehte Doku handelt, muss Shyamalan seine gewohnt bewusste Kadrie­rung stets in der erzählten Welt plausibel moti­vieren.
Freilich bleibt er seinem Marken­zei­chen treu – auch The Visit läuft auf eine über­ra­schende Wendung hinaus. Aber er hat dazu­ge­lernt im Umgang mit falschen Fährten – und lässt sogar mit selbst­iro­ni­scher Distanz die Charak­tere Spott treiben mit dem Rätsel­raten des Publikums, und den Befürch­tungen, zu welchen an den sich sträu­benden Haaren herbei­ge­zo­genen Absur­ditäten ihn das verzwei­felte Bemühen um Unvor­her­seh­bar­keit getrieben haben könnte.
Aber es gibt eine Ebene des Films, die jenseits des Twists und der Genre-Versatz­stücke funk­tio­niert. Das ist nichts ganz Unge­wöhn­li­ches für Shyamalan – mehr oder minder gelungen hat er sich darum in fast allen seiner Filme bemüht. Nur wird der Kampf um Erhalt oder Reeta­blie­rung einer Familie in The Visit offen­sicht­li­cher, weil man weniger durch über­na­tür­li­ches Brim­bo­rium abgelenkt wird.
In gewisser Hinsicht ist The Visit mehr ein Märchen- als ein Horror­film: In seinem Mittel­punkt steht ein Brüder­chen-und-Schwes­ter­chen-Paar, das zum ersten Mal die Groß­el­tern besucht, zu denen die Mutter vor Jahren wegen eines nebulösen Zwischen­falls jeden Kontakt abge­bro­chen hat. Wie im Märchen sind die Kinder dort im einsamen Haus am Waldrand, bei der Oma mit dem verfüh­re­ri­schen Zucker-Backwerk aus dem über­ra­schend geräu­migen Ofen, auf sich allein gestellt.
Aller­dings sind sie – ähnlich der Kinder in Cop Car – nicht von einer Raben­mutter vertrieben oder verstoßen. Sie hoffen, in Gestalt der Groß­el­tern eine Art emotio­nalen Ersatz für den abwe­senden Vater zu finden. Und zugleich versucht die ältere Schwester, für die Mutter die Geister der Vergan­gen­heit auszu­treiben – versucht, auch mittels ihrer Kamera das Medium zu sein, das den Kontakt wieder herstellt und jene Vergebung vermit­telt, welche Furcht und falscher Stolz nicht erbitten wollten, obwohl zwischen Groß­el­tern und Mutter nie echter Hass geherrscht hat.
Für den Erfolg oder Miss­er­folg dieses Vorhabens ist es im Endeffekt nicht entschei­dend, ob die Dinge so sind, wie sie scheinen: Das einst Gesche­hene wird ohnehin nie wieder unge­schehen sein – und dass man versäumt hat, gewisse Dinge auszu­spre­chen, heißt nicht, dass sie nie da waren.
Wie oft bei Shyamalan hat sich Familie (oder Gemein­schaft) nicht über die Deckungs­gleich­heit mit einer idea­li­sierten Schablone zu defi­nieren: Es geht um den Zusam­men­halt der vorhan­denen Glieder, und nicht um jene, die aus der Kette gerissen wurden.

Die Teenager-Zeit ist eine der Entfrem­dung, der »Alie­na­tion« – und die Manga-Verfil­mung Parasyte: Part 1 übersetzt das sehr unmit­telbar in Bilder: Außer­ir­di­sche Parasiten landen auf der Erde, über­nehmen die Körper zahl­rei­cher Menschen – nur der junge Shinichi kann seinen Invasor noch im Ansatz aufhalten und mit ihm einen bizarren Waffen­still­stand erringen. Das Para­si­ten­wesen begnügt sich mit der Kontrolle über Shinichis rechte Hand – der ein Auge, Mund und selbst kleine Hände wachsen. So fern­seh­mäßig unin­spi­riert außer diesem CGI-Effekt fast alles an Parasyte: Part 1 ist, so bemüht ist er doch, halbwegs humorvoll und bewusst von einem Lebens­ab­schnitt zu handeln, in dem einem der eigene Körper wie die Welt der Auto­ritäts­per­sonen wirklich vorkommen können, als seien sie plötzlich von Außer­ir­di­schen gekapert.
Der jugend­liche Held von Deathgasm hingegen fühlt sich auch ohne Aliens fremd genug in seinem Körper und seinem Leben. Er findet Zuflucht im insze­nierten Außen­sei­tertum des Metal-Adepten. Aber in dieser char­manten, unter­halt­samen Wieder­auf­er­ste­hung des Neusee­land-Splatters liegt das Heil nicht ausschließ­lich in der Pose des Rebellen: Auch unter im Allein­sein Verbün­deten gibt es falsche Freunde. Und mit Corp­se­paint an einem sonnigen Tag auf einer Parkbank mit der Cheer­lea­derin ein Vanil­leeis zu schlecken kann seinen uner­war­teten Reiz haben.

Eine andere Art der zarten Annähe­rung gab es in Maggie:
Sie haben sich seit längerem nicht gesehen, sie wurden von den Eltern vonein­ander fern­ge­halten, und nun haben sie endlich einmal wieder einen Moment für sich. Um sich zu erzählen, was im Leben so passiert ist – und um sich einzu­ge­stehen, dass sie sich vermisst haben. Leicht scheu ist der Kuss, der zwischen ihnen folgt, obwohl es nicht ihr erster ist.
Es ist ein erstaun­lich unbe­schwerter Kuss – dafür, dass beide wissen, dass es wohl ihr Abschieds­kuss bleiben wird.
Denn die Titel­heldin von Maggie und ihr Schwarm sind beide unheilbar infiziert, ihre allmäh­liche Verwand­lung hat bereits begonnen: Maggie ist ein ruhiges Fami­li­en­drama vor dem Hinter­grund einer Zombie-Epidemie – in einer Welt, in der der Horror akzep­tiert und büro­kra­ti­siert ist.
Der Kuss ist leider aber auch der fast einzige etwas unbe­schwer­tere Moment in einem Film, der einem in großer Gleich­för­mig­keit mit jeder Note bewusst machen will, wie trost- und auswegslos alles ist. Gerade dadurch jedoch fehlt eine Folie, vor der die Tragik wirklich greifbar wird; fehlt ein emotio­nales Anknüpfen an jenen schönen Momenten, die verloren gehen.
Maggie ist ein Film über das Loslassen. Und er hätte die Ansätze zu einem Film über das univer­sel­lere Thema der Vergäng­lich­keit. Aber nicht nur entscheidet er sich, Maggies Vater (Arnold Schwar­ze­negger, der erstmals körper­liche Spuren der Zeit offen zeigen darf) zum eigent­li­chen Prot­ago­nisten, sein Dilemma zum zentralen Konflikt zu machen. Sondern er bricht das Thema fast krampf­haft bei sämt­li­chen Figuren durch das Prisma der Eltern-Kind-Konstel­la­tion. Weshalb sich der Verdacht aufdrängt, dass es womöglich unter­schwellig doch lediglich um den »Verlust« der Spröss­linge durch die Pubertät geht.

Auch Strang­er­land ist ein Film über die Fährnisse des Teenager-Daseins, der nicht die Perspek­tive der Jugend­li­chen absolut setzent, sondern dem Blick­winkel der Erwach­senen gleiches Recht, gleiche Geltung gibt.
Strang­er­land flirtet mit Zeichen und Mecha­nismen eines Mystery-Thrillers, verführt einen zu einer in den Plot inves­tie­renden Sicht – und erst wenn man erfahren hat, wie konse­quent kryptisch er am Ende bleibt, wird einem rück­bli­ckend wirklich bewusst, wie präzise, fein und viel­schichtig er in Wahrheit als symbol­träch­tige Charak­ter­studie gear­beitet ist. Und wie sehr er auch da über Bande spielt: Recht früh begreift man, dass der Schlüssel zum nächt­li­chen Verschwinden der Teenagerin Lily und ihres kleinen Bruders dort zu finden ist, wo auch die Gründe liegen, warum die zu einer sehr offen­siven, selbst­be­stimmten Sexua­lität erwa­chende junge Frau es in dem austra­li­schen Kaff bei ihrer Familie immer weniger aushält. Doch erst allmäh­lich enthüllt sich, wie sehr ihr Drama das der Mutter (Nicole Kidman) spiegelt und wieder­holt, die sich selbst in der Ehe mit einem deutlich konser­va­ti­veren Mann kasteit.

Bernard Roses Fran­ken­stein wiederum war ein uner­wartet ernster Film über eine Mensch­wer­dung, und insofern auch übers Kind- und Teenager­sein – und die Beziehung zu den Eltern, respek­tive Schöpfern.
Roses Karriere schien ihn nach dem bril­lanten Genre-Start mit Paper­house und Candyman gera­de­wegs in die respek­ta­belste Riege briti­scher Regis­seure zu führen, mit Immortal Beloved und Chicago Joe and the Showgirl. Und dann lief irgendwas schief, und zuletzt war er gar verdammt, David Garrett als Paganini zu insze­nieren. Mag sein, dass Rose nach dem Debakel beschloss, dass er nichts mehr zu verlieren hat – sein Fran­ken­stein jeden­falls schert sich nicht um ein sichtlich minimales Budget, bzw. nutzt es als Chance: Statt auf die behelfs­mäßige Ausstat­tung konzen­triert er sich auf Gesichter, und sucht sein Heil in der puren Inten­sität vor allem Xavier Samuels in der Rolle der Kreatur.
Er versetzt Mary Shelleys Roman in ein heutiges, herun­ter­ge­kom­menes L.A., bleibt verblüf­fend nah am Text (den er immer wieder origi­nal­ge­treu als Voice Over nutzt). Freilich gibt es dann immer auch wieder miss­lun­gene Szene wie jene mit einem klischee­haften, schmie­ren­komö­di­an­tisch gespielten prügel­freu­digen Poli­zisten. Aber Rose findet eine sehr persön­lich wirkende Dring­lich­keit in dem Leiden der ausge­stoßenen Kreatur (die hier aus dem 3D-Drucker eines Biotech-Labors stammt), ihrem Ringen um Identität, um mensch­liche Nähe, um Aner­ken­nung.
Und letztlich steht auch im Zentrum dieses Films die Ausein­an­der­set­zung eines »Kindes« – der Kreatur – mit seinen Eltern. Anders als bei Shelley jedoch sucht das Monster nicht die Konfron­ta­tion mit dem (Über-)Vater – sondern die Liebe einer (Ersatz-)Mutter.

Das war ein ganz anderes Kaliber als Poseso, eine leidlich amüsante, an etwas schlep­pendem Timing leidende Knet-Anima­tions-Parodie auf The Exorcist, The Omen und Konsorten. Das besessene Kind bekommt dabei auch nicht mehr Dimen­sionen als die eines Damian/Regan-Cartoons. Wo der baskische Film hingegen persön­li­chere Aspekte entdeckt an Elementen der Vorlage, ist im Verhältnis des exor­zie­renden Priesters zu seiner vernach­läs­sigten Mutter im Alters­heim: Die ist militante Ex-Kommu­nistin und Anti-Franco-Kämpferin – und entspre­chend verzwei­felt, dass ihr Bub sein Leben ausge­rechnet der Kirche verschrieben hat.
Inter­es­sant ist, wie brav sich der Film – bei allen Seiten­hieben gegen Verfeh­lungen der Amts­kirche, und ein Kruzifix-Maschi­nen­ge­wehr unbe­nommen – letztlich auf die Seite der katho­li­schen Weltsicht schlägt, und wie sehr ihm die revo­lu­ti­onäre Alte zur puren Witzfigur gerät. Da wirkt wohl unter­schwellig auch manches an authen­ti­schem Gene­ra­ti­ons­kon­flikt im heutigen Spanien hinein.

Die freilich schönste Entde­ckung beim Fantasy Filmfest 2015 war Turbo Kid – in dessen Zentrum tatsäch­lich ausnahms­weise einmal eine Zwei­er­be­zie­hung stand. Aber eigent­lich ging es auch da um das Verhältnis von Erwachsen- zu Kindsein, wenn­gleich auf anderer Ebene.
Das mittels Crowd­fun­ding entstan­dene Lang­film­debüt des kana­di­schen Filme­ma­cher-Kollek­tivs Roadkill Superstar spielt nach der Apoka­lypse – im fernen, futu­ris­ti­schen Zukunfts­jahr 1997. Es ist die Vorstel­lungs­welt der Science Fiction-Filme und -Video­spiele der 1980er – die Welt von Mad Max, Cherry 2000, Fallout und dem Nintendo Power­glove. Die Welt einer ‘80er-Jahre-Kindheit mit BMX-Radln, View-Master und regen­bo­gen­far­benen Knie­scho­nern.
TURBO KID nutzt auf mehrfache Weise die Apoka­lypse als Chance: Die Filme­ma­cher konnten sie möblieren mit einer Anhäufung von lieb­ge­wonnen und wieder­ent­deckten Relikten aus ihrer Kindheit (und dabei vermut­lich ihre gesamten Speicher und Keller leeren), konnten sich zurück­ver­setzen in diese Welt, das damalige Lebens­ge­fühl wieder­be­leben. Es ist, als könnten sie nicht nur noch einmal Kind sein, sondern die Kindheit noch einmal besser nachholen, mit all den Dingen, die sie sich jetzt einbilden, damals versäumt zu haben: Als würden sie nun das Baumhaus bauen und ausge­stalten, das ihnen als Kindern nicht vergönnt war.
Zugleich aber erlaubt das Weltende dem jugend­li­chen, nur »The Boy« genannten Helden von Turbo Kid, sich in seiner unter­ir­di­schen Bunker-Zuflucht eine von anderen Über­le­benden und von Verpflich­tungen und Zeit abge­schot­tete Blase zu schaffen. In der er sich seine kind­li­chen Werte bewahrt und auf eigene Weise, in eigenem Tempo erwachsen werden kann.
Doch aus dieser Boycave lockt ihn halb, zerrt ihn halb die hyper­ani­mierte Apple, deren Anhäng­lich­keit und Enthu­si­asmus selbst die wenigen posta­po­ka­lyp­ti­schen Sozi­al­kon­ven­tionen sprengen. Als er versucht, sie auf Abstand zu halten, stellt sie nur, sich erst recht näher drängend, fest: »Your manly bubble is really comfor­table!«
Was Apple ebenfalls abgeht, ist jegliches Bewusst­sein für Vergäng­lich­keit. Ihr bedeutet diese nicht mehr als das Verfla­ckern von ein paar Video­spiel-Lebens­herz­chen. Aber durch sie lernt der jugend­liche Einsiedler in seiner dem Lauf der Zeit entho­benen Welt, zu fühlen und zu begreifen, was Vergäng­lich­keit ist. Und dass, egal wie gerne man in der Kindheit verharren würde, man unaus­weich­lich mit dem Erwach­sen­werden konfron­tiert wird.