"Back to the roots" kann auch ein Aufbruch zu neuen Ufern sein:
Zum 12. Mal gibt sich ab nächstem Mittwoch das Fantasy Filmfest
in München die Ehre, und nach langer Zeit scheint es seinem
Namen wieder gerecht werden zu wollen. Das Phantastische hält
endlich wieder Einzug in die Festivalkinos, die zuletzt immer
häufiger von mißratenen Tarantino-Clones belagert schienen;
üppiges Spritzen von Kunstblut scheint nicht mehr wichtigstes
Auswahlkriterium zu sein. Und so präsentiert sich das Angebot
um einiges breiter gefächert als die letzten Jahre - und verspricht
die Möglichkeit ganz neuer, spannender Entdeckungen.
Zwar tummelt sich nach wie vor manches an amerikanischen
Thrillern und Men-with-Guns-Filmen über die Leinwände (BODY COUNT,
DEAD MAN'S CURVE). Und für alle naiven Gemüter und im Geiste sehr
jung gebliebenen, für alle, die immer noch nicht glauben wollen,
daß Peter Jacksons grandioses BRAIN DEAD das letzte Wort zum Thema
war, gibt es auch dieses Jahr noch verspätete Ausläufer der
fröhlichen Gore- und Splatterwelle, die mal aktuell war, als Milli
Vanilli die Charts beherrschten: neben zwei Werken des
unermüdlichen Brian Yuzna (PROGENY, THE DENTIST 2) und Sachen wie
WISHMASTER und REVENANT darunter auch John Carpenters ebenso
altmodischer wie zutiefst unerquicklicher VAMPIRES. Aber die
wirklich interessanten Filme dürften (soweit das vorab zu sagen
ist) diesmal aus anderen Genres und/oder Ländern stammen: Das
Übernatürliche und Surreale kehrt offenbar verstärkt ins Kino
zurück, sei's als romantische Geistergeschichte oder als
cineastischer Bilderrausch - das versprechen zumindest Filme wie
TOM'S MIDNIGHT GARDEN, THE EIGHTEENTH ANGEL, 99.9, PASSION IN THE
DESERT, AN AMBIGUOUS REPORT ABOUT THE END OF THE WORLD, MEMORIAS
DEL ANGEL CAIDO oder SOBRENATURAL. Nicht minder Konjunktur haben
makabere Komödien - darunter mit dem Eröffnungsfilm SERIAL LOVER
und mit SIX WAYS TO SUNDAY zwei kleine, überaus feine Filme, die
mindestens so sympathisch sind wie ihr Humor schwarz
ist. Besonders stark vertreten im Programm ist dabei das
europäische Kino mit Produktionen von Norwegen über Großbritannien
bis Spanien; schade nur, daß ein begrüßenswerter Trend der letzten
Fantasy Filmfeste nicht fortgesetzt wurde: Schwer
unterrepräsentiert zeigt sich das asiatische Kino mit nur drei
Beiträgen (der charmante und leichtfüßige Agententhriller DOWNTOWN
TORPEDOS aus Hong Kong; der phänomenal erfolgreiche Anime PRINCESS
MONONOKE und CURE aus Japan) - unter denen sich hoffentlich dennoch
erneut eines der Festival-Highlights verbirgt.
Ein echter Leckerbissen ist dieses Jahr die Retrospektive: Mit
sieben Filmen wird ein kleiner Überblick gegeben über das Schaffen
von Jimmy Sangster. Als einer der führenden Drehbuchautoren der
legendären britischen Hammer-Studios hat er das Horror-Revival der
späten '50er, frühen '60er Jahre wesentlich mit in Gang gebracht;
hat (meist in Symbiose mit Regisseur Terence Fisher) Frankenstein
und Dracula für eine neue Generation wieder auferstehen lassen und
für Seth Holt zwei wunderbare psychologische Thriller geschrieben;
und hat, obwohl er sich frei von jeglichen Prätentionen stets als
rein kommerziellen Autor ansah, nie weniger als bestes Handwerk,
manchmal aber beste Populärkunst geschaffen. Damals schon vom
Publikum heiß und innig geliebt, von der Kritik aber noch als
Trivialfilme abgetan, sind diese Werke längst auf dem Weg, als
gelungenes, innovatives und einflußreiches Kino anerkannt zu werden
- und dürfen zu ihren großen Bewunderern Leute wie Martin Scorcese
zählen. Zwei Gründe zur besonderen Freude: Erstens hat
Veranstalter Rosebud
Entertainment angekündigt, daß diese Genre-Perlen in perfekten
Kopien direkt aus den Hammer-Archiven zur Aufführung kommen (also
für alle, die sie bisher nur von Video her kennen, eine Chance, sie
zum ersten Mal wirklich zu sehen). Und zweitens wird Jimmy Sangster
persönlich anwesend sein, um Fragen zu beantworten, Memorabilia zu
signieren und vor der Vorführung von THE CURSE OF FRANKENSTEIN am
Sonntag, den 2. August, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Egal,
welch Interesse am übrigen Programm des Festivals vorhanden ist:
Wem Kino etwas bedeutet, darf sich zumindest das auf keinen Fall
entgehen lassen.
Thomas Willmann
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