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artechock special August 2000
 
 

14. Fantasy Filmfest 2000:
Im Angesicht des Todes

Der himmlische HEAVEN
 
 
 
 

Es hat sich ganz schön was angehäuft in dieser einen Woche Fantasy Filmfest: Ein kaum überschaubarer Leichenberg an Erschossenen, Erstochenen, Erschlagenen, Erhängten und Vergifteten, Überfahrenen und Zerstückelten, Ertränkten, Elektrokutierten, Explodierten, von Monstern Gefressenen, Zertrampelten, Zerrissenen und von Außerirdischen Zerstrahlten. Zusammengerechnet hätte das locker (dafür hätte schon allein GAMERA 3 gesorgt) die Bevölkerung einer ganzen Kleinstadt ergeben.
Der Horror-Film (und er ist - in einer Unzahl von Verkleidungen - noch immer das eigentliche Genre des Fantasy Filmfest) ist seit jeher eine Art unserer Kultur, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, ohne das wirklich zugeben zu müssen. Er ist oft genug ein Versuch, das Unfassbare des endgültigen Endes in den Griff zu bekommen, ein Mechanismus der Umleitung des wahren Grauens in die kontrollierten Bahnen der Fiktion.
Selten konnte man sich das so fast schon programmatisch bewusst machen wie beim diesjährigen Fantasy Filmfest. Angefangen beim Eröffnungsfilm AMERICAN PSYCHO, der dazu allerdings in seinen Differenzen zur Romanvorlage von Bret Easton Ellis gelesen werden muss - wo das Buch in seinem gnadenlosen Bild der 80er massiv Tod und Gewalt, die von dem Kult der durchdesignten Lebensoberfläche unsichtbar gemacht werden sollten, zurück ans grelle Licht bersten lässt, leistet der Film schon wieder etwas Verdrängungsarbeit. Mit am deutlichsten im Abschlussfilm FINAL DESTINATION, der's schafft, sich eine im Rahmen des Teenie-Horror-Subgenres erstaunlich ernste und schmerzhafte Beschäftigung mit dem Sterben auf's Tablett zu laden und dann aber zunehmend hysterisch versucht, sie da wieder runter und alles in abgesichertere Muster eingeklinkt zu kriegen.
Wollte man Tendenzen ausmachen, ließ sich beobachten, dass das Festival insgesamt erwachsener geworden ist und dies direkt mit einer fortgesetzten Verlagerung vom US-amerikanischen zum europäischen und asiatischen Film korreliert. Solche Pauschalisierungen sind freilich immer etwas riskant, da sie pragmatische und subjektive Faktoren der Auswahl unterschlagen, aber es ist wohl trotzdem legitim festzustellen, dass die Filme aus Hollywood am meisten darum bemüht waren, den Tod auf eine Weise als Gaudi und Spektakel zu inszenieren, die am konsequentesten den Brückenschlag zur Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit beim Publikum verhindert. (Wer will, darf jetzt hier gerne selber weiterdenken, inwiefern das auch was mit dem System des Kapitalismus zu tun haben könnte - wir ersparen uns das mal für den Moment.) Nicht, dass es nicht auch amerikanische Filme gab, die da mehr unter die Haut gingen (z.B. FINAL DESTINATION eben, bevor er anfängt, dicht zu machen), oder genug asiatische und europäische, die es genauso wenig taten. Aber wenn man beispielsweise die beiden spanischen Beiträge betrachtet, THE NAMELESS (LOS SIN NOMBRE) und THE ART OF DYING (EL ARTE DE MORIR), die beide vom Plot her sehr nah an gewohnten Genre-Backformen aus Hollywood waren und doch ganz anders ausfielen, merkt man schnell, wo sich ganz grundlegende Unterschiede auftun.
Nur noch marginal vertreten war konventionelles Splatter-Kino, einst Brot und Butter des Fantasy Filmfest. Das Genre hat sich überlebt, ein Gutteil seiner ursprünglich schockierenden Ästhetik ist längst vom Mainstream kooptiert. Und mit diesen im ungünstigen (und damit leider überwiegenden) Fall pubertärsten Todes-Bildern ist auch längst die Übermacht der reinen gore-hounds, der ausschließlich auf Blut fixierten Festival-Besucher gewichen. Das Publikum ist breiter geworden und scheint auch in seinem harten Kern offener für unterschiedliche Spielarten des Kinos. Was nicht heißt, dass die Applaus- und Tröten-Fraktion das Feiern verlernt hat (dann hätte das Fantasy Filmfest auch einen Teil seines Herzens verloren), sondern gelernt, dass es mehr im Film und Leben gibt als die Farbe Rot und inzwischen auch die Unterscheidung hinkriegt zwischen Gewaltszenen, wo "Hurras" angebracht und solchen, die gänzlich unlustig sind.
Wenn das Fantasy Filmfest jedenfalls das Niveau des diesjährigen Programms halten kann, dann ist es mitten in seinen besten Jahren und muss sich noch lange keine Gedanken um's Dahinsiechen machen.

Thomas Willmann

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Die Filme: The Good, The Bad & The Ugly

   
 
 
 
 

The Good

AMERICAN PSYCHO, USA/CAN 2000
Ein roter Tropfen fällt herab, durchquert die weiße Leinwand. Ein weiterer folgt ihm. Und noch einer.
Alle, die mal was von Bret Easton Ellis' Skandalroman "American Psycho" gehört haben, wissen: Das muss Blut sein.
Es ist Sauce für einen großen Teller mit einem kleinen Häuflein nouvelle cuisine.

Allen, die sich vom dummen Gezeter und unverständigen Moralgehubere um Easton Ellis' Buch nicht haben scheu machen lassen sondern mit wachem Verstand einfach selbst gelesen haben, darf schon bei dieser Eröffnung der lange dräuenden Verfilmung ein großer Stein vom Herzen fallen: Regisseurin Mary Harron hat den Roman kapiert. Hallelujah.
AMERICAN PSYCHO ist, wie seine Vorlage, eine böse Satire auf die 80er, auf deren Selbstverliebtheit und Oberflächlichkeit, auf Reagonomics und Yuppies, Markenkult und Körperwahn. Und wie seine Vorlage ist der Film äußerst treffsicher im Aufspießen seines Spott-Ziels.
Wenn der Film also etwas leisten wird, dann vor allem, bei vielen endlich den vernagelten Blick darauf freizukriegen, worum es Easton Ellis in seiner Geschichte um den sadistisch serienmordenden Aktienhändler Patrick Bateman wirklich ging. Und das ist sehr löblich und auch gar nicht wenig.

Das Problem des Filmes ist freilich, dass seit der heißdiskutierten Veröffentlichung des Romans sieben Jahre vergangen sind. Und er nun fast schon wieder wirkt wie ein Kostümfilm. Als das Buch herauskam, war sein Thema noch wesentlich näher und brennender, ging's noch um eine Welt, die zumindest in Resten um einen herum noch unmittelbar vorhanden war. AMERICAN PSYCHO schießt sich dagegen auf einen Feind ein, der (auch wenn er in diffundierter und transformierter Form durchaus noch virulent ist) sich längst selbst besiegt hat. Man kann heute befreiter darüber lachen, wie unsäglich die 80er waren - aber auch ohne dass dabei noch viel auf dem Spiel stünde.
Zumal der Film eine Grundentscheidung trifft, die im gleichen Maße verständlich und sinnvoll ist wie letztlich doch feige: Für die fast unerträglich exzessiven Gewaltszenen des Romans (wegen derer er so umstritten war und ist bei allen, die Kontext für ein unwesentliches Detail halten) versucht AMERICAN PSYCHO gar nicht erst, ein bildliches Analogon zu finden. Das ist insofern klug, als im Rahmen eines kommerziellen Films eine adäquate, grenzüberschreitende Intensität und Drastik wohl tatsächlich unmöglich gewesen wäre - und jede abgeschwächte, in Mainstream-akzeptable, abgesicherte Muster gepresste Form ein übler Verrat am Sinn und Zweck der Szenen gewesen wäre. Dass einem bei Easton Ellis bei Batemans Morden wirklich schlecht wurde, da gar kein Thrill und Krimi-Grusel mehr dabei war, es weh tat und widerlich war - das war die Absicht und die Leistung des Romans.
Dass Mary Harron meint, dies nicht in Bilder übersetzen zu können (zumindest nicht, solange ihr Film regulär vermarktbar bleiben soll), ist legitim. Was sie damit aber auch einbüßt ist die Wucht der Rückkehr des Verdrängten. Bei Easton Ellis wurde in diesen Szenen all das greifbar, was an unausgesprochener, unsichtbarer Gewalt unter der glatten Yuppie-Fassade schlummerte, manifestierte sich massiv das, was das von ihm beschriebene System in Wirklichkeit auf vermeintlich saubere und zivilisierte Art mit seinen Verlierern anstellte. Da wurde klar, dass bei allen Lachern, die eine Satire mit spöttischer Beschreibung der Oberfläche kassieren kann, es doch tiefer um tödlichen Ernst geht.
Das Fehlen dieser Komponente ist es wohl noch mehr als der größere zeitliche Abstand zum Gegenstand, was dem Film eine gewisse Hohlheit verleiht. Zumal Harron den Tod dann doch nicht ganz konsequent off-screen läßt sondern für ein paar Momente in die Gefilde vertrauten Splatters abrutscht. Da liegt die Gefahr manchmal ganz nah, auch die Morde zum Teil der satirischen Gaudi werden zu lassen, das eigentlich Nicht-Komensurierbare doch zu subsummieren.

Ob man an AMERICAN PSYCHO die Verdienste oder die Defizite schwerer wiegen läßt, ist letzlich eine Frage der Erwartung an das Genre der Literaturverfilmung: Mary Harrons Werk ist für sich genommen eine gut gemachte, hervorragend gespielte und viel Freude am treffenden Spott hervorrufende Abrechnung mit den 80ern, im Gesamteindruck leichtgewichtiger als in seinen zahlreichen wunderbaren Details. Als Adaptation der Romanvorlage ist es treu in vielen Einzelheiten wie im Geiste - aber es ist in seiner Wirkung und Tiefe nicht annähernd ein vergleichbares Äquivalent zu "American Psycho", und es ist kein Versuch einer Aktualisierung. Der Stand der Erkenntnis ist kein wesentlich anderer als der vom Buch-Erscheinungsjahr 1993, Patrick Batemans Spur scheint sich gegen Ende der 80er zu verlieren. Dabei könnte man sie so spannend in unser Jahrtausend verfolgen: In Bret Easton Ellis' aktuellem, heute spielenden Roman "Glamorama" reicht Bateman auf einer Party dem Protagonisten die Hand - und hat noch immer rote Flecken auf den Manschetten.
(Thomas Willmann)

BEST LAID PLANS, USA 1999
Wir sind wieder einmal eingeladen in eines dieser trostlosen kleinen Käffer mitten im großen amerikanischen Nirgendwo. Die Provinz als Wüstenblume, als böser Scherz des Zufalls. Das wahre Leben ist also anderswo und würde unser Städtchen nicht diesen schwül-erotischen Namen führen, keiner würde es vermissen, dieses bessere, aufregendere Leben, keiner würde von einer anderen Existenz überhaupt ahnen. Tropico heißt die Ortschaft hier, die der britische Regisseur Mike Barker seltsam unbevölkert lässt, eine tote Stadt. Die Räume, die er aufmacht, sind allein für das Kranke, das Verbrauchte, das Verlorene bestimmt: eine Müllverbrennungsanlage, eine Tierklinik, ein All-Night-Diner, eine Pfandleihe, eine Nobelvilla, deren Besitzer längst das Weite gesucht hat.
Nicks Vater war Geschichtsprofessor - auch eine Art, sich hinauszuträumen aus der Enge und Nick hofft jetzt nach dem Ableben des alten Herrn auf eine handfestere Fahrkarte in die große weite Welt. Aber der Termin beim Anwalt entpuppt sich als herbe Enttäuschung. Schulden haben das Erbe weggefressen und Nick wird wohl weiter sein Dasein fristen müssen als Angestellter im Müllrecycling. Sein alter Kumpel Bryce scheint es da besser getroffen zu haben: er hat den Job des housesitters sich ergattert und darf als solcher die Vorzüge der mit allem Schnickschnack ausgestatteten Villa genießen. Nach Einbruch der Dunkelheit sitzen sie beiden im städtischen Diner Tropico Nocturne und sinnieren über die verpassten aber immerhin denkbaren Möglichkeiten. Ende der 60er, erzählt Bryce, gab es ein beliebtes Partyspiel unter den Erwachsenen. Die Männer werfen ihre Autoschlüssel in eine Schüssel und die Frauen ziehen sich den Mann für die Nacht. Denk mal über die Möglichkeiten nach - unsere Väter sind vielleicht gar nicht wirklich unsere Väter (wie dieses Schlüsselspiel ausgesehen hat haben wir ja bei Ang Lee beobachten dürfen, in seinem ICESTORM).
BEST LAID PLANS ist wahrscheinlich (was freilich nicht das einzige, wohl aber ein nicht unerhebliches Qualitätskriterium ist) der unaufdringlich-intelligenteste Film dieses Festivals. Alessandro Nivola gibt den Nick mit jener Aura stoischer Ruhe, die immer schon hart an der Resignation entlangschrammt, was wir eigentlich so zuvor nur gesehen haben in den gefrorenen Gesichtszügen des allertraurigsten aller Hollywoodhelden, Sterling Hayden. Und wenn der nach einem Ausweg suchte aus der Tristesse der Städte, in Kubricks THE KILLING, in Hustons ASPHALT JUNGLE, konnte ihm - Sklave des Kapitalismus - natürlich zunächst nur das Geld einfallen. Die Dollarnote als Fetisch der Freiheit, als großer Emanzipator. Mike Barker hat eine versteckt in der Luxusvilla, die Bryce gerade hütet, die von dem Liberator an sich unbezahlbar gemacht wurde: kein geringerer als Abraham Lincoln hat ein paar Worte gekritzelt auf eine solche Dollarnote. Ein unverkäufliches Sammlerstück - es sei denn man könnte den Diebstahl so arrangieren, dass keine Anzeige erstattet werden kann. Weil der Entdecker selbst bedroht ist, von einer Anzeige der Vergewaltigung zum Beispiel an einer Minderjährigen...
Verbrechen ist Big Business, reine Ökonomie, das haben die Amerikaner lang schon erkannt und immer wieder thematisiert seit die kleinen Cäsaren und die public enemies ihre bestens ausgeknobelten Pläne verfolgen auf der großen Leinwand, aber wenn jetzt hier der schwarze Bilderbuch-Gangster seinem Opfer Nick eine Vorlesung hält über die Gesetze der Marktwirtschaft, über die Wechselwirkung von Eigeninteresse und Wettbewerb und die Störfaktoren in dieser Gleichung ist das ein derart bitterböses Vergnügen, wie es wohl nur der Schuss schwarzer englischer Humor zuwege bringen kann, den der Regisseur mitbringt.
Barker hat seinen finsteren Film in warme, schummerige Primärfarben gehüllt, rot und blau vor allem, die die Ausweglosigkeit der Helden beinahe zu verhöhnen scheinen. Auch eine ganz und gar amerikanische Geschichte dabei über den Klassenkampf in einer als klassenlos propagierten Gesellschaft, einmal zitiert Nick aus dem GREAT GATSBY - "So we beat on, boats against the current, borne back ceaselessly into the past" - jener großartigsten aller Parabeln über die Mitleidlosigkeit einer Gesellschaft der Self-made Men gegen eben diese. Der Erzähler bei Fitzgerald heißt übrigens auch Nick und diese Namensgleichheit ist mit Sicherheit kein Zufall in dieser bis ins Detail ausgetüfftelten Geschichte über die hochfliegenden Pläne und den unvermeidlichen Fall, der folgt aus ihnen, über die Bürde der Vergangenheit - der jüngsten hier - in die sich auch die Helden des noir immer wieder verstrickten. "Du denkst immer nur ans ficken", wirft Nick seinem Kumpel Bryce einmal vor, als alles schon rasant abwärts geht, "aber darum geht es nicht in der Welt. Alles dreht sich um das Geld, um die Macht." "Das ist die Perspektive eines Historikers," entgegnet Bryce darauf lakonisch und denkt dabei bestimmt an Nicks geistiges Erbe, an den Vater, der mit etwas Fantasie vielleicht gar nicht der Vater ist, sondern nur eine Figur in dem großen Schlüsselspiel, das Mike Barker hier angezettelt hat, "aber ich bin Literaturstudent und in der Literatur dreht sich eben alles um Sex, ums Ficken." Zwei Welten also, auf den ersten Blick, aber alles hängt ja mit allem zusammen am Ende, in Tropico und in dem wahren Leben, anderswo.
(Regine Welsch)


BLOODY ANGELS (1732 HØTTEN), Norwegen 1999
Bei manchen Filmen drängen sich die Referenzpunkte einfach auf - ohne, dass das diesen Filmen etwas von ihrer Eigenständigkeit nehmen würde. In der ersten Hälfte von 1732 HØTTEN hallen deutlich die Echos von TWIN PEAKS und FARGO durch die kalte, schneeverwehte Kleinstadt voller bizarrer Bewohner. Bilder, so bleich wie der Norden, in denen ein bulliger Komissar aus Oslo durch den feindseeligen Ort stapft in dem ein Junge gewaltsam zu Tode kam, den alle für den bestialischen Vergewaltiger und Mörder eines kleinen behinderten Mädchens hielten. Man trinkt Butterfly- statt Coca-Cola (und hat im nationalen Cola-Wettbewerb damit mal den 4. Platz gemacht), man kickt Katzen, der fiese Pfarrer hat einen kleinen Hund, die Mutter des toten Mädchens klammert sich an ihre Stofftiere, die junge Polizistin lächelt nie, außer über Bill Cosby, die Pensions-Wirtin macht den Komissar an, und der Vergleich von Fahndungsfotos mit Leichengesichtern wird als Memory-Spiel interpretiert - einer dieser Filme über verschrobene und verquere Landbevölkerung also. Dass die im speziellen Fall hier auch ein gar nicht so lustiges Geheimnis verbirgt, merkt man schnell, aber glaubt erst mal nicht, dass es so schlimm kommen kann.
Aber irgendwann findet man sich in Fritz Langs FURY wieder statt in TWIN PEAKS, und Regisseurin Karin Julsrud (die mit 1732 HØTTEN ein ganz außerordentlich stilsicheres, cleveres und hinreißendes Debut feiert) läßt nach und nach den Spaß versickern, der einem zu Beginn mit solch großer makaberer Freude in den Film gezogen hat. Und kaum hat man sich's dann halbwegs im Lynchjustiz-Drama bequem gemacht und glaubt zu wissen, wie der Schneehase läuft, trägt einem eine perfide, in diesem Genre (zumindest mir) bisher unbekannte Wendung aus der Bahn und läßt einem geradewegs auf ein brillantes Ende zurasen.
(Thomas Willmann)

COMPLICITY, GB 2000
Cameron ist ein böser Junge. Cameron raucht wie ein Schlot, Cameron säuft (und das nicht nur im Dienst, wo der Journalist gerade an einem Feature über britischen Whiskey arbeitet), Cameron kokst. Das sieht nicht gut aus und wenn wir nun im politisch korrekten Mainstream-Hollywoodkino uns befänden könnten wir sicher sein, dass es ein ganz schlimmes Ende nehmen wird mit unserem Helden.
Die Briten freilich sehen das alles erheblich lässiger. Wenn hier einer zu Fall kommt, dann sicher nicht, weil er einmal einen Schluck über den Durst getrunken hat. COMPLICITY, nach dem Roman von Iain Banks, ist ein schönes companion piece zu BEST LAID PLANS und man kann hier wunderbar vergleichen, wie unterschiedlich Fragen des Klassenkampfes die Alte und die Neue Welt umtreiben. Ums Geld geht es hier eigentlich keinem, alles ist eine Frage der Ideologie, der rechten (und der linken) politischen Einstellung. Ein blutiger Abgesang dabei auf die Gültigkeit solcher Positionierungen und etwas Wehmut macht sich breit beim Sehen, über den Verlust der Feindbilder, die doch immerhin einiges an Sicherheit, an Standortbestimmung boten für uns Verlorene. Johnny Lee Miller, der sich an allen Ecken und Enden der sozialen Skala bereits aufgehalten hat im Film, als Junkie in TRAINSPOTTING zugange war bei Danny Boyle und für Allan Rudolph einen bildschönen Yuppie abgab in AFTERGLOW, ist ein Mann der Prinzipien, ein Streiter wider den military-industrial complex und Kommunist aus Leidenschaft in einer hoffnungslos post-kommunistischen Welt. Du hättest wohl gerne, sagt einmal einer zu ihm, dass alles auf eine große faschistische Verschwörung hinausliefe.
Im britischen Kino werden die Helden nicht belohnt für ihren eisernen Prinzipien, hier ist kein Platz für die John Waynes oder Jimmy Stewarts und auch Cameron wird auf drastische Weise erfahren, dass es keine conspiracy gibt, sondern nur die complicity, keine Verschwörung, sondern nur eine Mitschuld, ein Haftbarmachen, was so ungleich brutaler ist, weil man sich nicht mehr zurückziehen kann auf den Posten des einsamen Richters und Henkers.
Ein ganz unspektakulärer Film auf den ersten Blick nur, wo das Grauen der sich auflösenden Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch dann umherschleicht auf den regennassen Strassen, im nebligen schottischen Hochland. Ein Netz fataler Leidenschaften zieht sich zusammen um Cameron, ein Serientäter mordet scheinbar politisch motiviert und unter den üblichen Verdächtigen hat sich die Polizei nun ausgerechnet Cameron ausgespäht als idealen Kandidaten. Die Geschichte von einem, der auszog sich gegen die ganze Welt zu behaupten, hineingestoßen in eine Situation, die er selbst nicht versteht und die ihm keiner glaubt - das ist natürlich klassisches Kinoterritorium und nicht zuletzt Alfred Hitchcock hat sie immer wieder gerne erzählt, in England THE THIRTYNINE STEPS, in Amerika NORTH BY NORTHWEST. Hier, 1999 bei Gavin Miller, lässt sich das ganz und gar unromantisch an, für den Helden ist nichts mehr zu gewinnen, nicht einmal das blonde Mädchen. Das Leiden, der Schmerz taugt nicht mehr zur Katharsis, ist nicht Katalysator der Reinigung, folglich kann es auch keine Erlösung geben. Der Staat ist eine Maschine, die ideologiefrei funktioniert: das ist das wirklich beängstigende Moment, das dieser Film so erbarmungslos uns mal eben mitgibt in einer stakkatohaften Choreographie der Schnitte zwischen brutalem Polizeiverhör und Gefängniszelle, in der Cameron vegetiert, schuldlos, verständnislos - kein unbeugsamer Held sondern ein misshandeltes Häufchen Elend, weinend, rotzend, frierend. Nicht wirklich eine Geschichte von Schuld und Sühne, COMPLICTY, sondern von Sühne ohne Schuld und genau darin am Ende so erschreckend, so pessimistisch.
(Regine Welsch)


FORTRESS 2: RE-ENTRY, Luxemburg 1999
Filme mit Christopher Lambert und das Fantasy Filmfest - das gehört zusammen wie das A- und B-Hörnchen. Ein Jahr ohne Christopher wär' einfach nicht vollständig, da würde uns tief drinnen was fehlen. (Nein, wirklich, ohne Ironie!) Das Fantasy Filmfest ist inzwischen ja so ziemlich zur letzten Zuflucht geworden, wo man den einstigen HIGHLANDER noch auf einer richtigen Leinwand sehen kann - und man muss zugeben: Jedesmal, wenn wieder zwölf Monde verstrichen sind, wird's noch ein bisschen schwerer zu glauben, dass der Mann wirklich mal ein großer Star war. Letztes Jahr machte er in RESURRECTION allerdings noch den Eindruck, als wäre immerhin er selbst von seinem Status nach wie vor fest überzeugt und glaube an ein unausweichliches Comeback. Dieses Jahr durften wir ihn schon zurückgenommener erleben, weniger auftrumpfend in der Heldenpose, schon mit einem Hauch der Resignation in den Augen. Und dafür mit einem der schönsten Filme, in dem er je gespielt hat.
Das liegt daran, dass Regisseur Geoff Murphy (der mit UNDER SIEGE 2 schon bewiesen hat, dass sein Name für Funde kleiner, funkelnder Kino-Juwelen an den unerwartetsten Orten bürgt) im Gegensatz zu seinem Hauptdarsteller noch nie Größenwahn hegte. Der hat keine Illusionen, hier den neuen CITIZEN KANE zu drehen, versucht nicht, großes Gewicht zu hubern, wo keines ist - sondern nimmt seinen Job einfach ernst und macht ihn verdammt gut. Das ist endlich mal wieder ein Film, der tatsächlich so ist, wie das die bunten, billigen, aufregenden, knalligen Plakate (bzw. heute meist leider nur noch Videocovers) echter B-Pictures versprechen. Kein Gramm Fett, kein überflüssiges Gequatsche, kein langes Gefühlsduseln sondern anderthalb Stunden purer, knackiger Kino-Spaß. Da schämt sich einer nicht für das, was er macht, sondern kommt zur Sache: Maximal zehn Minuten zwischen zwei Action-Szenen, und nach einer halben Stunde steht die Hauptdarstellerin nackend unter der Dusche. Jawoll!
Das ist kein Film, der ständig ironisierende Überlegenheit ausspielen will, sondern einer, der lieber immer wieder mit unerwarteter Cleverness überrascht, der regelmäßig wahren Witz aufblitzen lässt. Und endlich auch mal wieder ein Film mit einem richtig schönen Bösewicht, einem von der alten Schule, einem dieser unterkühlt chargierenden, kultivierten Sadisten mit Upper-Class-Akzent, der hier fassungslos zusehen muss, wie seine schönen Pläne so langsam um ihn herum zusammenbröckeln, weil sein als rechte Hand fungierender Computer immer alles ein wenig zu wörtlich nimmt.
Weil dann auch noch unser Liebling Pam Grier ein kleines, feines Gastspiel gibt, weil so viele nette Zitate aus Gefängnis- und Gefangenenlager-Filmen unaufdringlich eingeflochten sind, weil Aerobic- und Selbsthilfe-Videos selten so schonungslos als purer Psycho-Terror demaskiert wurden und weil uns die kurze Fernseh-Szene mit dem nackten Mann, der nackten Frau, der Gitarre und dem Metronom ("Is this one of those Independent Films?") gar so gut gefallen hat, erklären wir FORTRESS 2 hiermit kurzerhand zu einem der Filmfest-Highlights - und fordern: Keine Rücksicht auf die zarten Hoffnungen des Luxemburgischen Kinos - gebt Geoff Murphy endlich $100 Mio. Budget und die Regie beim nächsten großen Hollywood-Action-Blockbuster!
(Thomas Willmann)


HEAVEN, Neuseeland, 1998
Während eines Schnitts vergeht eine 24tel Sekunde - die Zeit zwischen zwei Filmbildern.
Während eines Schnitts kann alle Zeit der Welt vergehen oder gar keine, können wir weit in die Zukunft springen, fern in die Vergangenheit oder nur an Ort und Stelle den Blickwinkel wechseln.
Dieser potentielle Zusammenbruch der Chronologie zwischen zwei Einstellungen ist eines der essentiellsten Momente von Kino-Magie, und zugleich eines der am strengsten domestizierten, der am schärfesten in Regeln und Sicherungsmechanismen geschnürten. So selbstsicher ist das Kino da im Korsett bürgerlicher Ästhetik geworden, dass Rückblenden zum nie die Verständlichkeit bedrohenden Standard geworden sind, und man selbst den übernatürlichen Blick in die Zukunft unter Kontrolle bekommen hat. Wenn nicht einer kommt wie Scott Reynolds und das vertraute Kartenspiel unorthodox mischt und uns ein paar neue Tricks damit zeigt.

Heaven ist eine von der Geburt in einen Männerkörper verschlagene Frau, die als Tänzerin im billigen "The Paradise" arbeitet - und ihrem Boss hilft, beim Spiel die Unwägbarkeiten des Glücks zu umgehen: Heaven kann in die Zukunft schauen - oder besser gesagt: Heaven wird ständig von ungewollten Blicken in die Zukunft überfallen. Und nicht alles, was sie dabei sieht, ist so harmlos wie die richtigen Lottozahlen. Der Plot webt um die Figur Heavens ein dichtes Netz von Verrat und Gewalt, in dessen eigentlichem Zentrum der bankrotte Architekt Robert (ein guter Freund von Heavens Boss) steht.
HEAVEN geht ruhig und methodisch zur Sache, zeigt Pokerface und läßt sich erst nach und nach in die Karten blicken. Man wiegt sich lange in Sicherheit, glaubt, locker mitziehen zu können - und merkt erst, wie hoch der (emotionale) Einsatz geworden ist, wenn der Film einem keine Möglichkeit mehr zum Aussteigen lässt und dann genüsslich ein As nach dem anderen auf den Tisch blättert. Zum Glück gehört man hier auch zu den Gewinnern, wenn man von Regisseur Scott Reynolds übertrumpft wurde - denn es ist die reinste Freude, einem solchen Meister des Eskamotierens beim Handwerk zuzusehen.
Das Faszinierndste an HEAVEN ist dabei, wie unforciert, wie in sich ruhend und wie fern von jeder billigen Taschenspielerei zu Werke gegangen wird. Das ist vollkommen fern davon, nur ein auf zwei Stunden ausgewalzter Trick zu sein, ein letztlich auf einer Pointe fußendes Kartenhaus - viel, viel ferner, als es beispielsweise THE SIXTH SENSE je war.
Was HEAVEN vor allem sicher verankert, ist sein Respekt, seine Liebe für Charaktere - und zwei großartige Schauspielerleistungen: Danny Edwards in der Titelrolle und Richard Schiff als schmieriger "Chairman of the Board", Heavens Boss. Nicht dass der eigentliche Hauptdarsteller Martin Donovan seine Sache schlecht machen würde - aber die wahre Show gehört nicht ihm. Edwards erspart uns als Heaven jegliches Transen-Klischee, gibt sie mit wunderbarer Würde und Wärme und tiefer, gar nicht tränenheischender Tragik. Und bei Richard Schiff fällt es schwer, überhaupt zu glauben, dass der spielt: Wenn man ihn in diesem Film sieht, ist es fast unmöglich sich vorzustellen, dass der etwas anderes ist als ein mieser, kleiner Nachtclubbesitzer mit delusions of grandeur. Und dann holt er im entscheidenden Moment doch noch etwas Menschlichkeit, echter Verletzlichkeit aus der Figur.

Die Verletzlichkeit der Figuren - das ist es letztlich auch, was HEAVEN zu weit mehr macht als nur einem grandios geglückten formalen Experiment. Es sind die Wunden, die Orientierung bieten im chronologischen Labyrinth des Films. Die verletzten Körper (und HEAVEN erspart - so ruhig und zurückhaltend er sich geben kann - wenn die Gewalt ausbricht nichts, wird gnadenlos drastisch) können die Sprünge auf der Zeitachse nicht einfach im Augenblick des Schnitts überbrücken. Sie tragen die Spuren der Vergangenheit in sich eingeschrieben, sie selbst werden zum sichtbaren Zeichen dessen, was ihnen geschehen ist. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es. Im Herzen von HEAVEN geht es darum zu zeigen, dass sie es - wenn überhaupt - nur ganz, ganz langsam tut.
(Thomas Willmann)


A LIVING HELL (IKI-JIGOKU), Japan 2000
Kennen Sie dieses Gefühl in Alpträumen, wenn es ist, als würde man durch Sirup laufen, wenn sich alles unglaublich langsam bewegt, aber gleichzeitig unerklärlich schnell passiert, wenn man sich wie in einer Schleife gefangen fühlt, ein hysterisches Auf-der-Stelle-Treten? Lange hat kein Film dieses Gefühl so gut eingefangen wie IKI-JIGOKU. Die bizarren, gräßlichen Ereignisse scheinen sich nur so überschlagen zu wollen, aber präsentiert werden sie zumeist mit einer ungeheuren Langsamkeit, einem methodischen, kriechenden Rhythmus.
Der Höhepunkt ist eine minutenlange Sequenz, die (bis auf wenige Zwischenschnitte) aus der subjektiven Sicht des Opfers gefilmt ist - der Hauptfigur, die im Rollstuhl sitzt und sich nie ernsthaft versucht zu wehren, was ein schönes Bild ist für die Situation des Publikums -, mit einer leicht verzerrenden Fischaugen-Optik, dazu immer und immer das gleiche Arpeggio auf dem Soundtrack, und die Peiniger (die geisteskranke Familie des Opfers) stehen abwechselnd reglos in der Tiefe des Raumes Spalier oder zappeln und hampeln vor der Kamera herum als wären sie das monströse Resultat einer unheiligen Liaison von Jim Carrey und Hannibal Lecter - ein laaaaanger Moment inspiriert surrealer Hysterie.
Was den Film dennoch davon abhält, ein Meisterstück an Alptraum-Kino zu sein, ist das deutliche Gefühl, dass bei vielem mehr der Zufall als ein künstlerischer Wille Regie geführt hat. Die Produktionsgeschichte spricht dafür (Budget $10.000, neun Tage Drehzeit, drei Tage Schnitt - alles wesentlich weniger, als das Endergebnis je vermuten ließe), und manches, was der bei der Vorführung anwesende Regisseur Shugo Fujii zu sagen hatte. Was alles nicht weiter von Belang wäre - schließlich ist's gänzlich egal, ob ein großer Film Glücksfall oder durchdachtes Meisterwerk ist - wenn der Film weniger den Eindruck hinterließe, dass er eigentlich etwas anderes sein wollte, als er ist. Der seltsame, lethargisch-somnambule Rhythmus scheint oft genausowenig kontrolliert wie andere filmische Eigenarten - manches ist wohl eher Resultat eines Scheiterns am Versuch konventionellerer Ästhetik als bewußte Alternative. Es drängt sich öfters der Verdacht auf, dass die Verschmelzung von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE und Brian De Palmas SISTERS, die der Film ganz offen und unverholen anstrebt, eigentlich nicht nur auf inhaltlicher Ebene geplant war und die erhebliche stilistische Diskrepanz hauptsächlich auf reichlich geringem filmsprachlichen Reflektionsvermögen beruht.
So bleibt IKI-JIGOKU gelegentlich in der unergiebigen Mitte stecken zwischen der frenetischen, rohen, naiven Energie einer echten Amateur-Produktion und dem festen, beklemmenden Griff einer gekonnten, erfahrenen Durchstilisierung. Und man muss (und darf aber auch) sich wie im krausen Geflecht eines echten Traums mit den spontanen Momenten der wahnhaften Transzendenz zufrieden geben.
(Thomas Willmann)


NANG-NAK, Thailand 1999
Liebe ist stärker als der Tod - das haben wir im Kino schon öfter zu sehen bekommen. Und sollen es gewöhnlich tröstlich finden und schön, bekommen es als hochromantischen Sieg präsentiert. NANG-NAK aber präsentiert uns das faulige Innere dieser Vorstellung hinter der Valentinstag-Politur: Er macht aus der thailändischen Legende von der nicht enden wollenden Liebe einer treubraven Ehefrau eine Geschichte über den Grusel des Nicht-Loslassen-Könnens. Nang-Nak, die Titelheldin, will nicht akzeptieren, dass alles, auch die größte Liebe, einen Endpunkt hat und umsorgt ihren nichtsahnenden Ehemann auch nach ihrem Tod. Der ergibt sich willig in die Illusion, ignoriert die sich häufenden Zeichen, das nicht alles so rosig ist, wie es scheint. Was den Film auszeichnet ist der tiefe, sanfte Schrecken, der die Bilder der zärtlichen Liebe immer mehr vergiftet, die kriechende Korruption, gepaart mit einer großen Trauer und Tragik. Es ist ein langer Weg zur Akzeptanz, dass ein scheinbar unüberwindbarer Verlust manchmal trotz allem der geringere Preis sein kann.
Inszeniert ist das mit jenem gekonnten Pathos, den man, anders als in Hollywood, in Asien noch ohne Peinlichkeit und spürbarer Berechnung hinkriegt. Sinnliche Bilder, die flott genug geschnitten sind, um nicht einer Postkarten-Ästhetik anheimzufallen; eine (nicht nur in Hinsicht auf die Musik) schön komponierte Tonspur. Ein bisschen zu glatt, etwas zuwenig ästhetisches Risiko, um eine Art A THAI GHOST STORY zu werden, ein ebenbürtiges Äquivalent zu absoluten Hong Kong-Klassikern (deren Vorbild spürbar ist). Aber allemal ein äußerst schöner Film.
(Thomas Willmann)


PITCH BLACK, AUS/USA 2000
Das wahre Leben soll gefälligst anderswo bleiben, wenn wir ins Kino gehen zumindest, denn dafür ist diese monströse Traumfabrik immerhin auch da. Lassen wir uns also, im wohligen Dunkel des Saales, entführen in eine jener zappendusteren Endzeitwelten, für die gerade die Australier immer wieder ein Händchen haben. PITCH BLACK ist der Film des Produktionsdesigners mehr noch als des Regisseurs. Ein Film, dem Graham Walker seinen Stempel aufgedrückt, seinen Look verpasst hat und das ist für alle Freunde des MAD MAX natürlich eine feine Sache. Gleich sind wir mittendrin, da wird nicht viel Aufhebens gemacht um Erklärungen und Wahrscheinlichkeiten, nichts ist mit Exposition, und Vergangenheit bleibt allemal vage. Das ist das Kino des just believe, pures Adrenalin. Die Helden sind Männer und Frauen der Tat, zum Grübeln bleibt da keine Zeit. Ein Raumschiff stürzt auf einen feindlichen Planeten, die Welt als gigantisches sonnenverbranntes Outback und dann entfaltet sich eine Fabel des reinen gothic horror, wie ihn auch die Amerikaner kannten in ihrer Literatur, bei Melville, Bierce, Poe oder Lovecraft - wo die glücklich unterworfenen virgin territories grausam Rache nehmen an ihren Eroberern: Landschaft mit Monstern.
Die Pioniere hier sind Archetypen, des Kino und der Fantasie, die Damsel in Distress, der Verräter, der Killer. Van Diesel, der seinen Killerinstinkt (und dabei sind wir schon wieder in der geheimen Allianz von Business und Verbrechen) zuletzt ganz nonchalant schon unter Beweis gestellt hat in dem leider wenig beachteten klaustrophobischen Kammerspiel des BOILER ROOM, ist der Schwerverbrecher Riddick, der mit einer ungewöhnlichen Gabe ausgestattet ist: er hat sich, im Knast, die Augen operieren lassen, jetzt kann er nur in der Finsternis wirklich gut sehen ganz so wie die monströsen Wesen, die in den unterirdischen Höhlen des Planeten hausen. An der Oberfläche dieser Welt, dieses Films, saugt die Sonne vampirgleich jede Farbe aus dem Zelluloid. Riddick hat den animal instinct, den es braucht um zu überleben und wird dabei nolens volens zum Moses, der seine Leute in die Sicherheit führt, mitten durch das Meer der Dunkelheit.
PITCH BLACK kommt einem, beim Sehen, um vieles kürzer vor als die immerhin gut 108 angegebenen Minuten. Eine dichte, atemlose Nachtmahr in einer kleinen überschaubaren Welt, die aber doch grenzenlos wird in der Dunkelheit, in der wir nichts und alles zu sehen vermeinen. Auch ein Film für all diejenigen Testosteronjunkies unter uns, für die the male animal immer noch die erotischste aller (Kino)Fantasien ist und bleibt. Leider - und das ist die einzige Einschränkung, die ich hier aus gegebenem Anlass machen muss - wird der Killer am Ende ein bisschen zum Gutmenschen bekehrt. Das hätte dann doch lieber im Dunkel der Geschichte bleiben sollen.
(Regine Welsch)


SCÈNES DE CRIMES, F 1999
Der Tod transformiert die Landschaft: Was eben noch ein beliebiges Stück Wald war, undifferenziertes Gestrüpp, ist plötzlich ein Repositorium der Spuren, ein lesbarer Ort, Text und Nexus der Tangenten von Täter, Opfer und Gewalt - ein Tatort, eine scène de crime.
Der Tod transformiert die Körper: Was eben noch ein junges Mädchen war, lebendiges Individuum, geliebte und gehasste und gekannte Person, ist plötzlich nur noch ein Buch der Wunden, ein Leib für Identifizierung und Obduktion. Eine Ansammlung von besonderen Kennzeichen, ein Gerinsel der Leiden. Ein kryptisches Tat-Abbild, in das vage Schemen des Mörders eingebrannt sind. Das Opfer wird zur Statistik, zu Kreuzen auf einem Formular.
Der Tod transformiert die Lebenden: Plötzlich sind sie Hinterbliebene, Zeugen, Verdächtige. Plötzlich definieren sie sich nur noch über die Beziehung zu dem Menschen, der nicht mehr da ist. Plötzlich wird ihr Leben zum Alibi.

SCÈNES DE CRIMES ist ein Film der Spurensuche, aber keine der üblichen Kino-Jagden auf einen Serienmörder. Es geht um die Narben, die die Tat bei den Betroffenen hinterlässt, um den Schnitt im Leben, um die schlagartigen Transformationen. Und es geht um die Polizisten, die zunächst einmal Beamten sind, Vollstrecker nicht der Gerechtigkeit sondern einer Bürokratie. Es sind Menschen, befleckt und konfus wie alle, die sich in dem abstrakten Bilde einer gesellschaftlichen Rolle wiederfinden.
Es ist ein nüchterner, aber keineswegs kalter Film, ein Film abgeklärter Trauer - weniger bedeutungsschwanger und zerknirscht als L'HUMANITÉ, weniger krimihaft als SPOORLOS - THE VANISHING (um Referenzpunkte abzustecken).
Methodisch und unaufgeregt wie seine Protagonisten von der Polizei geht Regisseur Schoendoerffer zu Werke, legt rhythmisch Stein auf Stein wie der Wahnsinnige in Poes "Cask of Amontillado" und errichtet dabei ein immer mehr den Atem zuschnürendes Gefängnis für das Publikum. Es sind keine Schocks und Epiphanien, die hier beeindrucken, sondern eine stete, erdrückende Zunahme des Gewichts.
SCÈNES DE CRIMES ist wohl dass, was man gemeinhin einen "realistischen" Film nennt, wenn man für Kino solche Vokabeln benutzt, aber nicht nur das Ende, das einen surrealen Hauch hat, weil sich auf verquere Weise die Prophezeiung eines angeblich hellsehenden Scharlatans erfüllt, spricht dagegen, sondern auch die große Kontrolliertheit, Stilisiertheit des Films. Es wäre vielleicht besser, von einem in vielen Details mimetischen Film zu sprechen, einem, der aus dem Leben Bekanntes täuschend ähnlich nachbilden kann. Einem, der sich den Blick nicht nur von den Gepflogenheiten eines Genres vorgeben lässt, der weniger an einer neuen Iteration eines ritualisierten Plots interessiert ist. Und der so einen Teil echten Schmerzes unter den vertrauten Kontrollmechanismen freischaufeln kann - eine Investigation des Verdrängten. Und somit eine sehr menschliche Fantasie der Unmenschlichkeit.
(Thomas Willmann)

SPIDERS, USA 2000
"So they injected the spiders with alien DNA..."
"I thought it would be something like that!"
Jawoll, olé Super Spinnen-Gaudi! Bei obigem Dialog guckt einer der Zuhörer mal kurz Oliver Hardy-mäßig verdutzt in die Kamera - aber sonst lassen sich die Macher von SPIDERS kaum anmerken, dass sie das alles nicht so ganz ernst meinen. Und das ist gut so. Nichts schlimmer als billige Monsterfilme, die nicht zu dem stehen, was sie sind. Ich meine: Wir als Publikum sitzen freiwillig in einem Film über durch Alien-DNA mutierte Riesen-Spinnen. We're in on the joke. Muss uns nicht dauernd jemand sagen, dass das jetzt nicht LAWRENCE OF ARABIA ist. Und dass es das in echt alles gar nicht gibt.
Nein, flott und lustig, aber nicht penetrant selbstironisch muss es sein - and SPIDERS hits the spot. Da darf man sich an Dialogen freuen, die mindestens so monströs sind wie die Spinnen ("This spider is a killing machine!" merkt die Hauptdarstellerin bereits nach knapp anderthalb Stunden; "What are you doing there, soldier?" fragt der Oberschurke einen halbzerfetzt und kaum noch lebend am Boden liegenden Soldaten), an Schauspielerleistungen, die punktuell für wenigstens vier William Shattner-Awards for Inept Overacting gut sind (aber den Rest des Films kompetent tragen), einer Monsterspinne namens "mother in law" (Schwiegermutter), an handgeknüpften Spinnennetzen und an putziger Massenpanik. Kurz: An allem, was man, wenn man ehrlich ist, eben von einem billigen Monsterfilm erwartet und was daran Spaß macht. Das ist nicht "schlecht" (weil, schockschwerenot!, "unrealistisch" oder, och mei!, illusionsdurchbrechend), sondern das gehört so.
Und wenn man sich der ganzen Sache gerade so richtig schön überlegen fühlt, zieht SPIDERS doch noch ein, zwei Überraschungen aus dem Hut, beweist den entscheidenden Tick Cleverness. Vor allem aber: Der Rhythmus und die Ballance stimmen, die Spinnenattacken sind gerade recht verteilt, um keine Langweile aufkommen zu lassen - und als man schon leicht enttäuscht über sein geringes Gewicht das Ende gekommen wähnt, bricht der Film aus dem lange bestimmenden Kammerspiel-Modus aus, öffnet ein neues Spielfeld und setzt eine schöne, befriedigende Coda drauf. Yippieh!
(Thomas Willmann)

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The Bad

THE CONVENT, USA 2000
Guten Trash kann man nicht planen. Guter Trash passiert einfach. Doch leider: Was einst Prädikat war für jene sublimen Kino-Momente, wo sich zwischen Anspruch und Vermögen weltengroße Kluften auftaten, wo das Scheitern am Einfachsten zum ungewollten Reüssieren im Surrealismus führte - das ist inzwischen zum Label geworden, das sich bequem allüberall draufpappen läßt, wo wieder mal jemand in unserer fundamental durchironisierten Spaßkultur zu faul war, sich die Mühe zu machen irgendetwas an seinem oder ihrem Film ernst zu nehmen. Um aber mit der "Trash"-Fahne so fröhlich wedeln zu dürfen wie es Mike Mendez in THE CONVENT tut, müsste man halt schon wieder was können. Der Haken am absichtlichen Spiel mit der Trash-Ästhetik ist nämlich, dass man dabei ja dauernd wissende Überlegenheit signalisiert. Und die will durch irgendwas gedeckt sein.
THE CONVENT ist nun aber blöderweise einer dieser Filme, die nicht viertel so clever sind, wie sie sich geben. Da, wo er sich offensichtlich für besonders witzig hält, ist er meist im besten Falle platt oder allzu deutlich kalkuliert, oft aber schlicht hochnotpeinlich - bei den Szenen mit Coolio als Polizist z.B. kann man sich nur noch im Kinosessel winden und kräftig für die Filmemacher mitschämen. Dafür sind andere Sachen lächerlich, die es so nicht gedacht sind - es gibt sogar einige Momente, wo's schon wieder lustig ist, dass der Regisseur einen so ganz und gar unlustigen Gag für lustig hielt und man also nicht über den Gag lachen kann sondern darüber, dass die Verantwortlichen sich tatsächlich nicht entblödet haben, ihn zu bringen. Was aber letztlich doch eine sehr armselige und abstrakte Form des Humors ist.
Nicht, dass THE CONVENT nicht seine inspirierten Momente hätte: Da gibt es z.B. einen Dialog zwischen zwei Mädchen, der filmisch brav im Schuss-Gegenschuss aufgelöst wird - nur dass die Mädchen dabei gerade auf zwei Mobiltoiletten sitzen und einzig selbiger geschlossene Türen von außen zu sehen sind. Und hin und wieder schlägt das Schulspiel-Gekaspere der Akteure (allen voran der Ober-Satanist mit seinem herrlich faken britischen Akzent) und die Anhäufung der Absurditäten dann doch in so etwas wie surreale Hysterie um. Meist aber wirkt's einfach nur wie der Welt allerdanebengegangenster Monty-Python-Sketch. Und drum bleibt THE CONVENT ein Film, der so schlecht ist, dass er schon wieder schlecht ist.
(Thomas Willmann)

KOMODO, Australien 1999
Jetzt sind wir doch mal ehrlich: Warum schauen wir Monsterfilme an? Weil wir fiese Monster sehen wollen, die genüsslich arglose Menschen zermalmen, zermampfen, zerstampfen, zertreten, zermatschen, zerbatzen oder zerkratzen, in Stücklein und in Fetzchen reissen und diese lutschen, kau'n, zerbeissen. So ist es doch.
Und am Anfang schaut's ja noch ganz gut aus bei KOMODO - ein kleiner Hund kommt zu Tode (eigentlich meist Zeichen eines guten Monsterfilms), ein Pärchen wird (offscreen) verspeist, es kracht und rumst ganz ordentlich im Gebälk, und wir dürfen hoffen, dass wir nur deshalb noch nichts explizit Blutrünstiges gesehen haben, weil niemand als Appetithappen schon alle Überraschungen verbrät.
Und dann meint der Film, dass wir ernsthaft an den Seelennöten eines traumatisierten Teenagers interessiert sein könnten. Oooops. Nicht, dass ein Monsterfilm sich nicht ein Stückweit ernst nehmen dürfte, sich nur in besserwisserischer Selbstironie ergehen sollte (das ist genauso nervig). Aber wenn wir I NEVER PROMISED YOU A ROSE GARDEN sehen wollen, gehen wir gewiss nicht in einen Film namens KOMODO. Auf die Gefahr hin, zynisch zu klingen: Eine rührende Sterbeszene sei einem Monsterfilm ja gegönnt, aber es geht einfach nicht an, dass alle Opfer immer nur sentimental tränendrüsig dahinscheiden. Und etwas vorgetäuschte Psychologisierung der Charaktere gehört klar zum Handwerk - aber solch Oscar-Schmalz wie hier ist bäh.
Um sich sowas leisten zu können, müsste so ein Film schon generell verdammt gut funktionieren. (Und dürfte halt dann andererseits auch nicht auf so üble Klischees wie den grinsenden Alibi-Neger zurückgreifen.) Der bräuchte dann z.B. auch sowas wie wirklich furchterregende Monster. Die Riesen-Komodos hier sind tricktechnisch sehr ordentlich zusammengezimmert, aber ein gescheites Gefühl der Bedrohung vermitteln sie nicht. Wie ziemlich alles in dem Film: Nix Halbes und nix Ganzes. Die Ambitionen verplätschern im Laufe der Zeit genauso wie jegliche anfängliche Spannung, aber leider nicht rechtzeitig und komplett genug, um noch einer ehrlichen, saftigen Monster-Gaudi Platz zu machen. Und so bleibt nur zu hoffen, dass uns wenigstens die Fortsetzung erspart bleibt: WARAN.
(Thomas Willmann)

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The Ugly

THE SLEEPWALKER (LA SONÁMBULA), Argentinien 1998
Ich gebe es offen zu: Eine faire Würdigung kann ich diesem Film möglicherweise allein wegen einer Grundtatsache nicht angedeihen lassen. Seine Bilder sind weit überwiegend in digitalem Schwarz-Weiß aufs Zelluloid gebannt. Und das finde ich so elementar unansprechend, dass ich fast keine Chance hatte, mich irgendwie auf den Film einzulassen. Enorm flache, stets leicht blaustichige, verwaschene Bilder ohne jegliche Detailstruktur, flächig und mit aufgeweichten oder (bei harten Kontrasten) schimmernden Konturen, zudem ohnehin von der Bildkomposition nicht gerade aufregend und schlecht ausgeleuchtet. Das sieht aus wie Fernsehen der 50er Jahre als Videobeamer-Projektion. Und, um Herrn Schotten zu zitieren: "Ich weiß schon, warum ich Filmfan bin und nicht Videofan."
Also leider von vornherein mit ziemlichem Handicap ins Rennen gestartet. Ich kann aber nicht behaupten, dass dem Film auf dem Parcours viel gelang, was für mich den Blick endlich hinter die unattraktive Oberfläche gelenkt hätte. Das Science-fiction-Märchen vom Fluchtversuch einer messianischen Gestalt aus einem totalitären Staat kennt man ja nun wirklich zu Genüge, und so umwerfend produktiv empfand ich den hier hinzugefügten Dreh mit einer Traumebene nicht. Freilich, in Argentinien ist Diktatur, Hatz auf den oppositionellen Underground, staatlich kontrollierte Erinnerungslöschung bestimmt ein Thema, das einige Nerven trifft. Das kann ich für mich allerdings nur auf der Ebene eines sehr distanzierten Interesses verbuchen. Das unmittelbare Filmerlebnis blieb bei mir hängen an dem sehr behäbigen Tempo, den blassen oder chargierenden Darstellern, dem Gefühl, alles aus zweiter Hand serviert zu bekommen und dabei aber Ideen und Dekors von THINGS TO COME über FAHRENHEIT 451 und MAD MAX bis BRAZIL nicht einmal handwerklich sonderlich gut kopiert zu sehen - und dem (ähnlich vom deutschen Kino nur zu bekannten) Eindruck, dass der Stolz darauf, in Argentinien jetzt auch mal Science-fiction mit digitalen Spezialeffekten zu machen doch um einiges größer war als das künstlerische Vermögen. (Zu allem Überfluss sehen die Computereffekte - technisch sauber, aber ohne Sinn für Design - dann auch noch irgendwie aus, als wären sie dem Nachmittagsprogramm des Bayerischen Fernsehens entsprungen.)
Dennoch: Alle, die beim Filmsehen weniger stark auf die sinnliche Oberfläche reagieren (oder digitales Schwarz-Weiß schön finden) sollten sich von einem eigenen, prüfenden Blick nicht abhalten lassen. Denn das Ende von LA SONÁMBULA hat für mich doch noch einigermaßen funktioniert - und das war in Farbe.
(Thomas Willmann)

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