Servus, alter Albtraum! |
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Beglückt und versöhnt mit dem Kino: One Cut of the Dead |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
Don’t judge a book by its cover heißt es im Englischen: Man soll sein Urteil nicht mit dem ersten Eindruck fällen. Nach dem diesjährigen Fantasy Filmfest sagen wir: Do judge a movie by its Grußbotschaft.
Mit erstaunlicher – bei unserer Programmauswahl sogar 98,7% – Treffsicherheit ließ sich anhand der kurzen Videoeinleitung der Regisseure eine zuverlässige Prognose abgeben, was für eine Art Werk einem danach geboten würde.
Vor Heavy Trip zeigten die zwei urlieben finnischen Metaller von nebenan gleich, dass ihr Herz weniger am visuellen, virtuosen Aspekt des Kinos hängt, aber dafür umso stärker schlägt für das gruppenkuschelige Gemeinschaftsgefühl unter Außenseitern, das einem die Zugehörigkeit zum Stamm der Heavy-Metal-Fans geben kann.
Man hätte schon vor dem Film Wetten darauf abschließen
können, dass diese Black-Metal-Komödie damit exakt auf der Resonanzfrequenz des Publikums sein würde. Und so – keine Überraschung – hat es ihm auch, keineswegs unverdient, den »Fresh Blood« Award verliehen.
Ähnliche Sympathiewerte konnte Demián Rugna von Aterrados (Terrified) für sich und seinen Film verbuchen. Sichtlich auch ein Fan; in seinem Fall des Horrorgenres allgemein: Er positionierte sich für sein Videoselfie
vor einem Regalschrank, in und auf und neben dem sich Filmbücher, Stephen-King-Romane, DVDs, Figuren und sonstige Horror-Paraphernalien stapeln, dass sich die Böden biegen und mehr der Inhalt das Regal stützt als anders herum.
Siehe da: Genauso vollgestopft mit Einflüssen, Enthusiasmus und Leidenschaft, aber eben auch strukturell sehr wacklig und amüsant chaotisch entpuppte sich der Film.
Ganz anders als Christopher Caldwell und Zeek Earl, das Regieduo hinter Prospect – mehr Hipster als Geeks. Die einen nicht ins Innere ihres Heims ließen, sondern aus dem Garten grüßten. Was professioneller die Lichtstimmung bedachte, aber auch auf Distanz hielt. In ihrem Science Fiction Independent-Drama täuscht dann auch die sehr eigene und stilisierte Ästhetik, das retro-futuristische Worldbuilding darüber hinweg, dass der Film sich sehr schwertut damit einen glaubhaften Zugang zu menschlicher Emotion, menschlichem Verhalten zu
finden.
Wer aber bereits in zwei Minuten Grußbotschaft so völlig versagt, irgendetwas Interessantes, Ansprechendes, Unterhaltsames rüberzubringen und einen nicht zu langweilen wie Sonny Laguna (nicht im Bild: Co-Regisseur Tommy Wiklund), der lässt einen Schlimmes ahnen für die folgenden, erstaunlich endlosen 78 Filmminuten. Alles, was ihm nach einem knappen Hallo einfiel, war ein Schwenk auf den Rechner im Büroeck.
Puppet Master: The Littlest Reich
hangelt sich gänzlich rhythmusbefreit von Szene zu zusammenhangsloser Szene. Die beliebige Aneinanderreihung von Splatterszenen ab der Mitte des Films wäre uninspiriert und ärgerlich genug – aber dann erdreistet er sich auch noch, so zu tun, als hätte er etwas zu sagen über Faschismus und Völkermord. Hat als Resultat dann aber unabsichtlich nichts zu bieten als Morde von Nazipuppen an hochschwangeren Afro-Amerikanerinnen und ihren herausgerissenen Föten, Juden
oder Schwulen, die vom reflexartig reagierenden Gaudi-Publikum begrölt und gefeiert werden.
Dass so ein billiger Anlass wie ein paar kontextlose Kunstblutfontänen im 90er Jahre Direct-to-Video-Stil das Publikum zu solch einem Jubel verführen konnte, zeigt vielleicht aber einfach nur, wie groß die Sehnsucht war nach etwas Gemeinschaftsgefühl, etwas Festivalstimmung.
Zu sehr hatte sonst der Tagesablauf bei der Münchner Station des FFF etwas von bloßer Routine, Pflichterfüllung fast: Wieder und wieder hinabsteigen aus dem Spätsommer in den dumpfen Bauch des
CinemaxX – wo die Zeit stehen geblieben ist und zwar ihre Spuren hinterlassen hat, aber keine charmanten. Wo sich einem das Gefühl aufdrängt, dass die wenigen Mitarbeiter neben dem Festivalpublikum quasi jeden regulären Kinogast, der sich noch dorthin verirrt, persönlich betreuen können. Was nicht den Umkehrschluss nahelegen soll, dass besagtes Festivalpublikum besonders zahlreich vertreten gewesen wäre. In vielen Vorstellungen waren im größten Saal des Kinos lediglich die
zwei Dauerkartenreihen besetzt.
Es ist schön, dass dieser harte Kern zumindest dem Fantasy Filmfest die Treue hält. Und es ist prinzipiell erfreulich, dass man diesem Stammpublikum ein möglichst umfangreiches Programm bieten möchte. Aber die dichte Taktung des Zeitplans ließ nach nötiger Getränkebesorgung und -rückgabe selten mehr als zehn Minuten zum Austausch über gerade gemeinsam Gesehenes und Aufbau der Vorfreude auf sich gleich Abspielendes.
Und wenn von Festivalseite
selber kaum Interesse daran zu bestehen scheint, ein Rahmenprogramm zu bieten – nur zu einem Film überhaupt war ein Filmemacher als Gast anwesend –, dann muss man sich die noch so kleinen Krümel von »One of us«-Gefühl halt zusammenklauben, wo man sie nur finden kann.
Das bekommen kleinere Genrefestivals mit deutlich geringerer finanzieller Ausstattung wie das /slash in Wien
oder das Regensburger Hard:Line um einiges überzeugender und engagierter hin.
Man dachte ja Ende 2016, dass dem Horrorgenre eine neue Blütezeit bevorstehen müsste. Aber was das Reflektieren des realen Grauens in der Welt angeht, fällt die Ernte 2018 überraschend enttäuschend und g’schissert aus. Man konnte sich mitunter des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Filmemacher die Umwälzungen nicht mit Entsetzen beobachten, sondern die Rolle rückwärts sogar mitmachen. Weite Strecken des Programms wirkten, als hätte sich seit der Reagan-Ära nichts mehr
vorwärts bewegt.
War das Festival letztes Jahr noch zu Recht ganz stolz auf den Beweis, dass Frauen nicht nur Horrorfilme schauen, sondern auch drehen und es andere weibliche Rollen als Folteropfer und Final Girl gibt, schien das alles ausgerechnet dieses Jahr völlig vom Tisch. Im Gegenteil: Am Ende von Murder Me, Monster stand als ultimatives Schreckensbild die expliziteste, eindeutigste Vagina Dentata nicht nur der Film-, sondern möglicherweise der
Kulturgeschichte.
Jene Filme, die sich das Politische ausdrücklich auf die Fahne schrieben, waren so seltsam abstrakt wie Gaspar Noés Climax, ungewollt reaktionär wie Buy Bust, unerträglich allegorisch, plump und scheinheilig wie Kim Ki-Duks Human Space Time and Human (alias Human Rape Space Rape Time Rape and Spam)
oder, nach wirklich intensiven und intelligenten rund 70 Minuten, plötzlich frustrierend und überflüssig deutlich (und dabei schief) wie Cutterhead.
Am ergiebigsten waren – im Rahmen der diesjährigen generellen Schere zwischen wahrer, großer Kunst und ziemlichem Schrott ohne soliden Mittelbau – noch jene Filme, die bewusst umgehen mit dieser Präsenz des Vergangenen: Der Eröffnungsfilm MANDY, der einen einmummt in das Gefühl, im
Valiumdämmer beim 80er Jahre VHS-Marathon immer mal wieder benommen zwischen den halboffenen Lidern durchzulugen. Ein Ritual mehr als eine Erzählung; eine Beschwörung, aber kein Exorzismus; ein Requiem irgendwie auch von Regisseur Panos Cosmatos für seinen Vater George P. Cosmatos, der die 80er Jahre prägte mit Rambo II et al.
Und unser persönlicher, inoffizieller Abschlussfilm Under the Silver Lake: Der – anders als David Robert Mitchells Vorgängerwerk It Follows – sich zeitlich zwar durchaus verorten lässt, aber dennoch Los Angeles inszeniert als Stätte der ineinander diffundierenden historischen Sedimente, der sich immer wiederholenden, immer
anders gleichbleibenden Fantasien und Obsessionen. Eine popkulturelle Schutthalde der Zeichen, wo Nostalgie nahtlos übergeht in Paranoia.
Aber egal ob MANDY die Entschuldigung vorweisen kann, dass er ja nur die altvorderen Götzen aus den Tiefen der Zeit zu sich ruft, oder ob Under the Silver Lake sehr bewusst vorführt, wie das System Frauenkörper sieht und die
Unterhaltungsindustrie im speziellen mit ihnen umgeht: letztlich repliziert Mandy, reproduziert Under the Silver Lake diese Bilder nur, ohne eine Alternative entgegenzusetzen.
Und was beide Filme auch eint: Das Monster, mit dem unsere Zeit anscheinend am treffendsten zu beschreiben ist – unsere Popkultur derzeit generell plötzlich wieder sehr seltsam durchspukend – ist ein halb überhöhendes, halb bilderstürmendes Zerrbild von Charles Manson.
Aber in all dem gibt es dann doch immer die eine, vollkommen von links kommende Entdeckung, die einen ungeachtet aller Trends und Zeiten beglückt und mit dem Kino versöhnt.
Dieses Jahr geht der Wanderpokal an One Cut of the Dead. 37 Minuten lang lässt Shinichiro Uedas Film einen im Glauben, immerhin aber lediglich einen mit minimalem Budget, doch maximalem Enthusiasmus gesegneten Amateurfilm zu sehen, der die Ambition hat, den Ausbruch der
Zombie-Apokalypse in nur einer ungeschnittenen Einstellung zu erzählen. Und der dabei stets enorm sympathisch, aber mitunter leicht ungelenk wirkt. Aber dann weitet er sich – ohne selbst Verrat zu begehen an seinem holprigen Anfang, und ohne dass wir zuviel verraten von dem Rest – zu einer wunderschönen, erstaunlich cleveren, raffiniert ausgetüftelten und überraschend berührenden Hommage an den Irrsinn, die chaotische, verzweifelte Improvisationskunst des
Filmemachens.
Und der demonstriert – siehe oben, Grußbotschaften – wie sehr sich in jeder Minute Film, die jemand hervorbringt, sich letztlich irgendwo eine ganze Persönlichkeit offenbart.