Vampire mit Zugang zur Blutbank |
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Scheiden tut weh: Lee Suk-kyungs The Day After |
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(Foto: Lee Sung-kyung) |
Ein katholischer Priester spielt Bachs »Ich habe genug« auf der Flöte und begleitet so Sterbende auf ihrem letzten Weg. Dann stirbt er selbst an einer schweren Virusinfektion, oder eben doch nicht, sondern steht wider auf – als Vampir. Weil er aber als Christ nicht töten will, ist er von nun an auf die Blutkonserven im Krankenhaus angewiesen. Bald lernt der Gottesmann eine unglückliche Ehefrau kennen, und spendet ihr höchst irdischen Trost: Beide verlieben sich, beseitigen den Gatten, und die Dame wird auch zur Vampirin, um sich dem Biorhythmus ihres Geliebten anzupassen. Doch der Geist des Ermordeten sucht sie heim… Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, so bewegt sich der Plot von Thirst, dem neuen Film des (Süd-)Koreaners Park Chan-wook, der 2004 in Oldboy bereits seine Version von Alexandre Dumas' Rachegeschichte »Graf von Montechristo« geboten hatte, doch in überaus ehrenwerten klassischen Bahnen: Der Film, der im Mai im Wettbewerb von Cannes seine Weltpremiere hatte, und den Jurypreis gewann, versetzt Emile Zolas Erfolgsroman »Thérèse Raquin« in die Gegenwart – und erzählt das Ehebruchsmelo als religionskritische Vampirgeschichte über einen blutsaugerischen Priester. Inszeniert ist das mit Anleihen an Claire Denis' Trouble Every Day mit viel Glucksen und Gluckern, Beißen und Lecken, durchaus sinnlich und leicht, voll schwarzem Humor, in atemberaubenden, dick aufgetragenen Bildern.
Der Film von Park, einem der wichtigsten asiatischen Gegenwartsregisseure, war nur einer von insgesamt fünf Filmen, mit denen (Süd-)Korea in diesem Jahr beim wichtigsten Filmfestival der Welt vertreten war. Schon bei der Berlinale zu Beginn des Jahres liefen ebenfalls fünf koreanische Filme mit einigem Erfolg im Forum, darunter auch einige ganz unbekannte Namen, und auch andere koreanische Filme, wie der orientalische Western The Good, the Bad and the Weird von Kim Ji-woon, der 2008 in Cannes Premiere hatte, und jetzt in Deutschland startet, erleben weltweit Erfolge.
Insgesamt ist dies eine überraschende Renaissance. Denn noch wenige Monate zuvor schien diejenige Filmnation, die im letzten Jahrzehnt am meisten von sich reden gemacht, und viele Preise gewonnen hatte, künstlerisch wie ökonomisch in der Krise zu stecken: Die interessantesten neuen asiatischen Filme kamen aus unbekannteren Filmländern wie Thailand und den Philippinen, und der Marktanteil koreanischer Filme war enorm gesunken, weltweit, wie zuhause, wo man statt noch vor kurzem über 50 Prozent der Zuschauer gerade noch auf ein gutes Drittel kam. Dieser hohe Marktanteil war lange Zeit auch einem Quotierungsssystem zu verdanken, das – ähnlich wie sonst nur in Frankreich – einheimische Filme bevorzugte, und ein Minimum von 146 koreanischen Filmen pro Jahr in die Kinos brachte. Erst das neue, 2007 von den USA durchgesetzte Freihandelsabkommen reduzierte diese Quote beträchtlich, die seit Ende der Diktatur Anfang der 90er Jahre den Grundstein für den Boom der koreanischen Filmindustrie gelegt hatte. Am Beispiel Korea lässt sich nun exemplarisch studieren, wie labil ein Filmsystem ist, dass sich plötzlich statt über künstlerischen über wirtschaftlichen Erfolg definiert, am Markt aber der schieren Masse und Marketingmacht Hollywoods ausgesetzt ist.
Trotzdem scheint das koreanische Kino gerade wieder neuen Schwung zu gewinnen. Ob man deshalb gleich, wie manche Filmfunktionäre in Cannes, von einer zweiten »neuen Welle« sprechen muss, sei dahingestellt. Aber zumindest sind auch jenseits der international bekannten, inzwischen über 40-jährigen Autorenfilmer Park Chan-wook, Kim Jee-won, Lee Chang-dong (Peppermint Candy, Oasis), Bong Joon-ho (Memories of Murder, The Host), Hong Sang-soo (Turning Gate, Night and Day), von Outsidern wie Kim Ki-duk und von den stark an Amerika orientierten »Hollywood Kids« Shin Cheol (The Ginko Bed) und Jang Sun-woo (Ressurection of The Little Match Girl), neue Namen und Tendenzen erkennbar.
Bereits vor einigen Monaten bei uns gestartet ist Na Hong-Jins Genrestück The Chaser, eine ziemlich gelungene Mischung aus Polizeifilm und Serienkiller-Film. Clever spielt der Regisseur mit den Konventionen dieser Genres, und mischte in die Handlung gekonnt auch Kritik an der Arbeit der Polizei und den Verhältnissen in Korea. Viel erstaunlicher als solche Filme ist aber, wie beständig auch die nachfolgenden koreanischen Filmemachergenerationen an der Tradition des Autorenkinos, an ästhetischen Herausforderungen, der Entwicklung eigenständiger Filmsprachen, aber auch am Kino als Mittel sozialer und sozialer Kritik an ihrer Heimat interessiert sind, an den zum Teil unglaublichen Ungerechtigkeiten der Gesellschaft, der immer noch mangelhaften Rechtsstaatlichkeit.
Ein ganzer Schwung von unabhängigen, zumeist digital auf HD-Kameras gedrehten Filmen ist derzeit globalen Festivals zu sehen: Etwa der hervorragende The Pit And The Pendulum von SohnYoung-soon, eine verschachtelte Geschichte über fünf Schulfreunde, bei deren Wiedersehen sich ein Labyrinth widersprüchlicher Erinnerungen entfaltet. Oder Searching For The Elephant von Jhung Seung-koo, der eine Geschichte seiner Generation erzählt über drei urbane Yuppies und die Einsamkeit des modernen Lebens, die dann trotz sehr stylischer Formsprache doch oft überraschend und humorvoll ist. Beliebt ist das schon bei Thirst zu beobachtende Spiel mit Genre-Konventionen, das zu durchaus anspruchsvollen Erzählformen führt: So zum Beispiel formuliert Park Jin-sungs Evil Spirit: Viy eine Gogol-Novelle in einen schrägen Horrorfilm um, der zugleich als clevere Medienreflexion funktioniert, bei dem der Zuschauer unter anderem einem Film im Film im Film begegnet.
Auch inhaltlich scheint das koreanische Kino in vielem von vorn zu beginnen. Die jüngste Generation der Filmemacher orientiert sich bemerkenswerterweise gerade am europäischen Kino. Bereits in den 50er-Jahren griff das koreanische Kino Anregungen des Neorealismus auf: Der wohl berühmteste Klassiker des koreanischen Nachkriegskinos ist Kim Ki-yeoung The Housemaid von (1960). Der Film, der gerade durch Martin Scorseses »World-Cinema-Foundation« restauriert wird, erzählt von Klassengegensätzen und sozialem Elend, aber auch von ersten Ansätzen des Aufstrebens der südkoreanischen Nachkriegsgesellschaft. Kaum weniger wichtig ist das Werk von Han Hyung-mo, das erst 2008 in einer umfangreichen Retrospektive beim Festival von Pusan – mit Hongkong dem wichtigsten Filmfestival Asiens – der Vergessenheit entrissen und einem jüngeren Publikum erstmals präsentiert wurde. Wie Rossellini ist Han vor allem ein großartiger Frauenregisseur. Madame Freedom heißt Han’s Meisterwerk von 1956, ein repräsentatives Melodrama der 50er Jahre. Der Film zeigt die rapide Amerikanisierung (Süd-)Koreas nach dem Bürgerkrieg, und portraitiert den Kollaps des konfuzianischen Frauenideals angesichts der Moderne, zeigt die Seiteneffekte des Clashs von westlichen Sitten und traditioneller Kultur auf eine Weise, die der breiten Öffentlichkeit gefiel, und die seinerzeit unter der Militärdiktatur strenge Zensur passierte.
Solche Portraits des Aufeinanderpralls von Tradition und rasanter Modernisierung und des Wandels von Arbeitsverhältnissen und über lange Zeit gültiger Werte, aber auch die Infragestellung scheinbar fester Identitäten lassen sich in vielen neuen koreanischen Filmen beobachten. Zugleich erkennt man eine neue Aufmerksamkeit für Privates, für Familienbande und Liebesbeziehungen. Dafür steht Lee Suk-kyungs The Day After über eine Frau, die ihre
Scheidung nicht verwinden kann. Oder Lee Yoon-kis My Dear Enemy, die ebenso bescheiden wie bravurös inszenierte Geschichte einer Frau, die bei ihrem Exlover Schulden eintreibt.
Provozierender, auch in manchen Zumutungen anstrengender selbst für kunstgewohnte Zuschauer, aber unbedingt lohnenswert ist Gok Kims roher, lakonischer Film Exhausted. Er dreht sich um drei
Personen in einer einsam Fabriklandschaft, die in ihrer Ödnis an Antonionis Die rote Wüste erinnert. Ekel-Ästhetik und Erkundungen am Rande des Exzess, die spürbar von Bataille und Warhol inspiriert sind.
Neben der sozialen und persönlichen Identitätsfindung geht es in koreanischen Filmen immer auch um Fragen des Nationbuilding. Während das Mainstreamkino hier oft versucht, allzu schlichte Antworten gibt, findet man hier die große Leerstelle des südkoreanischen Kinos: Nordkorea findet in diesen Filmen nicht statt -von einzelnen Ausnahmen wie Park Chan-wooks auch schon bald zehn Jahre altem JSA – Joint Security Area einmal abgesehen. Aber selbst dieses Defizit dürfte gerade ein deutsches Publikum gut verstehen. Denn wo hätte der westdeutsche Autorenfilm bei allem Willen zum Politischen, sich vor 1989 schon für die DDR interessiert?