Barbie

USA 2023 · 115 min. · FSK: ab 6
Regie: Greta Gerwig
Drehbuch: ,
Kamera: Rodrigo Prieto
Darsteller: Margot Robbie, Ryan Gosling, America Ferrera, Will Ferrell, Issa Rae u.a.
Die Vertreibung aus dem Paradies als schlechter Witz...
(Foto: Warner Bros.)

Auch Vagina muss man lernen

Greta Gerwig macht deutlich, dass spannende Thesen noch keine Kunst sind und Großschauspieler genauso doof und langweilig sein können wie Barbie-Puppen

Die Kurz­fas­sung von Greta Gerwigs Barbie kann man in der Bibel nachlesen. Es ist die Vertrei­bung aus dem Paradies, nachdem Eva in den Apfel der Sünde gebissen, also  die falschen Fragen gestellt hat. Und auch was dann passiert, ist eigent­lich eine bibel­feste Ange­le­gen­heit.

Aber statt Bibel-Exegese inter­es­siert Greta Gerwig seit ihren ersten Regie­ar­beiten Lady Bird (2017) und Little Women (2019) viel mehr die Rolle der Frau in der west­li­chen Gesell­schaft, der sie aller­dings auch schon in den Arbeiten ihres heutigen Lebens­part­ners Noah Baumbach als Schau­spie­lerin nachging. In Frances Ha (2012) oder Mistress America (2015). Arbeiten, die bei allem erzäh­le­ri­schen und asso­zia­tiven Flanieren stets mit einem starken Narrativ unterlegt waren und dann natürlich doch irgendwie alles Geschichten sind, die mit der Vertrei­bung aus dem Paradies und den Folgen für die Frau zu tun haben.

Die Pandemie hat ja einige Sachen auf den Punkt gebracht, so wie Krisen ja überhaupt erst deutlich machen, wie es um den Wesens­kern unserer Mitmen­schen beschaffen ist. So muss es wohl auch Gerwig und Baumbach gegangen sein, als sie in der Isola­ti­ons­haft der Pandemie auf den schrägen Gedanken kamen, die vom Spiel­zeug­her­steller und Barbie-Produ­zenten Mattel schon lange gehegte Idee eines Barbie-Realfilms in die Tat umzu­setzen. Dass dann auch noch Margot Robbie als Produ­zentin und erste Barbie bzw. hier im Film als »Stereo­typen«-Barbie mit an Bord sein würde und Ryan Gosling als Ken, das war noch nicht abzusehen, wurde aber dankbarer Teil einer gigan­to­manen Werbe­kam­pagne, die Gerwigs Film zum Block­bus­ter­status kata­pul­tierte und mehr noch zum Doppel­start gegen Block­buster-Altmeister Chris­to­pher Nolan und seinen Oppen­heimer trieb. Barben­heimer war geboren.

Dieses Phänomen tut beiden Film so recht wie unrecht. Denn so unter­schied­lich sie im ersten Moment allein schon durch ihre Farb­kom­po­si­tion und den Themen­schwer­punkt Puppe vs Atom­phy­siker wirken, so ähnlich sind sie sich in ihrem Grundton, sind es theo­rie­las­tige Filme, steht in beiden Filme eine gesell­schaft­liche Blase, man könnte auch Paral­lel­welt sagen, im Zentrum (Los Alamos vs Barbie-Land), ringen in beiden Filmen Realität mit Fantasie, Utopie mit Dystopie, was sich dementspre­chend auf die Dialoge und das Narrativ auswirkt.

Doch anders als Oppen­heimer, der eine reale Geschichte mit realen Menschen erzählt, entwerfen Gerwig und Baumbach die sattsam bekannte Version einer Pseudo-Utopie, eine Art Insel Felsen­burg, die wir aus zahl­rei­chen Vorgän­gern wie Dogville, Plea­sant­ville, Truman Show oder zuletzt Don’t Worry Darling kennen.

Besonders Olivia Wildes Don’t Worry Darling (mit Florence Pugh und Harry Styles als »Barbie« und »Ken«) ist in seinem 1950er Jahre-Setting von Frauen, deren Männer stets verschwinden, der Barbie-Welt aus Barbie am nächsten. Mit dem kleinen, aber feinen Unter­schied, dass in Barbie die Frauen das Sagen haben, es jeden Abend eine Girls-Night gibt und die vielen Kens in allen ihren Varia­tionen im Grunde nur Stell­ver­treter einer imaginären männ­li­chen Sehnsucht sind, die nicht erfüllt werden muss. Erst mit der Vertrei­bung von Barbie aus dem Paradies in die mensch­liche Realität ändert sich dieser Zustand, weil Ken – angefixt von den patri­ar­chalen Struk­turen der Realwelt – diese nun auch in der Barbie-Welt imple­men­tieren will.

Gerwigs Film sieht sich bis hier spannend, witzig, ja immer wieder sogar hyste­risch durch­ge­knallt an, zitiert auch neun­malklug-barbieesk Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum und stimmt zu diesem Zeitpunkt vom Set-Design bis zu den grotesken Figu­ren­kon­stel­la­tionen so ziemlich alles – denn jeder ist hier nur eins: entweder Ken oder Barbie –, dürfen sich sogar die Figuren noch ein wenig entwi­ckeln, was sie ja auch müssen, geht doch wie in jedem Alter­nativ-Welt-Film ein Riss durch die Welt, bricht das reale Leben in die vermeint­liche Utopie.

Diese ja eigent­liche Klimax dieses Genres wird von Gerwig und Baumbach jedoch konse­quent ausge­he­belt (oder einfach vergessen), weil die reale Welt, bis auf ihre patri­ar­chalen Struk­turen, sich eigent­lich genauso gaga verhält und Plaste und Elaste eben auch hier Standard sind.

Da sich aus dieser Konstel­la­tion kein Drama, aber auch kein wirklich drama­ti­sches Komö­di­en­po­ten­tial mehr schlagen lässt, belassen Gerwig und Baumbach es beim Mono­lo­gi­sieren von Thesen und Theorien aus den letzten Jahr­zehnten der Gender-Forschung und femi­nis­ti­scher Theorie. Doch es geht sogar noch ein wenig weiter, erhält der Zuschauer nämlich auch eine Ahnung, dass die Vielfalt der Barbie-Puppen Selektion fast schon Prä-Internet-Quali­täten hat. Denn so wie das große Verspre­chen der digitalen Welt, jeder/s oder gleich alles sein zu könnnen, versprach und verspricht ja auch die Barbie-Welt mit ihrem schier endlosen »Avatar-Sortiment« den vielen Mädchen und wenigen Jungen spie­le­risch derdie zu sein, dieder ersie wollte. Wie in zahl­rei­chen Thea­ter­pro­duk­tionen der letzten Zeit – etwa Der Preis des Menschen oder Der Entre­pre­neur – werden auch in Barbie diese Theo­ri­en­seg­mente in Monologe zerlegt und mitein­ander zu Pseu­do­dia­logen verschach­telt und auf ein Narrativ im Grund ganz verzichtet, ist die Story tatsäch­lich lächer­lich und so vorher­sehbar wie die Funk­tio­na­lität einer Barbie-Puppe.

Hinzu kommt, dass sich Gerwig und Baumbach eigent­lich überhaupt nicht um die Spieler:innen ihrer Puppen und deren Beziehung zuein­ander kümmern, so wie das in Toy Story sehr liebevoll ausge­ar­beitet war und immer wieder von neuem drama­ti­sche Höhe­punkte bescherte. Hier ist allen­falls ein wenig Tele­pa­thie angesagt und ein Mutter-Tochter-Paar, das trans­ge­ne­ra­tional ihre Frau- und Barbie­pup­pen­so­zia­li­sie­rung aufar­beitet. Und das war es dann auch.

Immerhin behält sich Gerwigs Film vor, keine dogma­ti­schen Leit­li­nien nach­zu­plap­pern, ist Barbie immer wieder politisch inkorrekt, aber dann wieder auch versöhn­lich, will Gerwig sowohl die biolo­gi­sche Geschlechts­frak­tion um J. K. Rowlings ins Boot holen als auch spie­le­risch mit ihren Gegnern paktieren. Dieses ein wenig feige Balan­cieren dürfte immerhin verhin­dern, dass Gerwig als TERF ange­feindet wird. Und dann gibt es im Barbie-Land und natürlich auch im Ameri­ka­land einfach alles, was sich jede Bubble wünscht, ist man erst Frau bzw. Mensch, wenn sie Vagina hat, darf frau aber auch tran­si­den­titär leben, solang sie Barbie-Land als Refugium wählt, Filter­bla­sen­rea­lität auch hier an jeder Ecke.

Für diese bunten blub­bernden, bunten Bonbon­blasen schreiben Gerwig und Baumbach dann immer wieder mal mehr, mal weniger platte, süße, blöde oder kluge Dialog­fetzen, anek­do­tisch, essay­is­tisch, einfach alles, was einem irgendwie in den Sinn kommen könnte.

Und das macht dann auch irgendwie Sinn, ist ernst und ein bisschen tief­sinnig, dann aber auch alberner Quatsch mit Soße, in dem sich dann natürlich auch die Mann-Frau-Frau-Mann-Hier­ar­chien auflösen oder als das akzep­tiert werden, was sie sind: ein trauriger, aber zu bekämp­fender Teil des mensch­li­chen Dilemmas, so wie das Chris­tentum oder jede andere Religion. Aber weil sich das alles nach spätes­tens 25 Minuten dann auch schnell wieder­holt und Margot Robbie in fast jeder Einstel­lung und Ryan Gosling in fast jeder zweiten Einstel­lung im Bild sind, ist es dann auch ganz schnell sehr lang­weilig, weil das Drama halt nur aus Drama Queen und Drama King besteht und Puppen halt nun mal so wie Schau­spieler schnell an den Aufmerk­sam­keits­de­fi­ziten ihrer Umwelt leiden.

Die viel­leicht span­nendste Frage bei diesem pseu­do­in­tel­lek­tu­ellen Kinder­ka­rus­sell ist viel­leicht, wer das sehen soll? Aus einer 6. Klasse eines städ­ti­schen Münchner Gymna­siums habe ich gehört, dass die Mädchen dort schon ganz heiß auf den Film sind. Das würde zu den Verkaufs­zahlen seit der Corona-Pandemie passen, nach der Barbie-Puppen sich besser als je zuvor verkauft und Mattel Rekord­um­sätze beschert haben: 86 Millionen Exemplare wurden 2021 abgesetzt, mehr als hundert Puppen pro Minute.

Und dann ist da noch die GenZ, die wie im Film explizit darge­stellt eher kritisch einge­stellt ist, aber gerade das dürfte bei dem fetten femi­nis­ti­schen Außen­border, der hier angelegt wurde, um dem Film sein Tempo zu geben, dann auch passen. Und natürlich all die Gene­ra­tionen davor. Und nicht zu vergessen all die Vogue-Leser:innen. Also ein Fami­li­en­film der Super­la­tive?

Future-Barbie sollte es wissen.

Atomic Blonde

Taktik und Didaktik: Greta Gerwigs Barbie ist weder Kritik noch Liebeserklärung, sondern allenfalls gutes Marketing

Man hätte sich mehr erwartet. Aber viel­leicht ist das schon der Fehler. Denn was will man im Ernst eigent­lich von so einem Film erwarten, nachdem man sich den einen oder anderen Trailer im Netz ange­schaut hat? Und die Trailer zu Barbie, das muss man allen sagen, die noch nicht drin waren, sind eine Ansamm­lung der besten Szenen des Films.

Das Schlimmste ist, dass einem zu diesem Film, auch wenn man nicht einge­schlafen ist, vor lauter Lange­weile nichts einfällt. Wie bei den Puppen selbst ist die Verpa­ckung des Films viel schöner, als das was drin ist.
Mehr als das bekannte Märchen von der traurigen Puppe, die Mensch werden will, ist nämlich nicht drin.

Also beschreiben wir halt...

+ + +

Das Mattel-Logo ist das aller­erste, was man sieht. Alles geht dann los wie Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum: Die gleiche Musik von Richard Strauß, die gleichen Nicht­men­schen, die vor der Höhle auf irgend­etwas stupide herum­klopfen; in diesem Fall aller­dings keine Affen, sondern Klein­kinder, Mädchen. Helen Mirren als Erzäh­lerin sagt shake­speare­haft aus dem Off Sätze, die sich in etwa so anhören: »Seit Anbeginn der Zeit spielten Mädchen mit Puppen. Genau gesagt mit Baby­puppen, die sie auf ihre Mutter­rollen redu­zierten. Dann kam Barbie. Barbie änderte alles. Jetzt konnten Mädchen alles sein: Präsi­dentin, Astro­nautin, Konzern­chefin.« Dazu sieht man die Mädchen von vorher, wie sie ihre Baby­puppen zerstören und unter ihnen steht eine über­le­bens­große Barbie, äh Margot Robbie.

+ + +

Das mit der Präsi­dentin ist Fake-News, aber so genau muss man es nicht nehmen. Auch sonst schlei­chen sich in die perfekte Barbie-Welt schnell Irri­ta­tionen ein: Gibt es eine Behin­derten-Barbie im Rollstuhl? Eine Schwan­gere? Eine Fette? Trash-Barbie und Weird-Barbie? Nachdem der erste Tag ein perfekter Tag war, ist schon am zweiten Tag alles anders: Die Milch ist sauer, der Frühs­tück­stoast ist verbrannt, es gibt einen Hund, der in die Barbie-Häuser kackt. Es gibt Probleme.
»Barbie ist nie etwas peinlich« erfahren wir noch. Aha!

+ + +

Warum stört es eigent­lich manche Frauen so, dass Barbie einem bestimmten Perfek­ti­ons­ideal entspricht? Wem soll sie denn sonst entspre­chen? Viel­leicht einem anderen Perfek­ti­ons­ideal, darüber könnte man debat­tieren, aber unper­ferkter geht es nicht.
Im Film gibt es einmal den Witz, man könnte eine »Ordinary-Barbie« machen. »Schreck­liche Idee« sagt der CEO von Mattel, »die wird niemand kaufen.« Die Idee des Außer­ge­wöhn­li­chen und der Glaube an seine Kraft sind die Antriebs­fe­dern jeder Kunst und jeder Unter­hal­tung, ob Industrie oder nicht. Das, was die Popkultur des Massen­zeit­al­ters dem hinzu­ge­fügt hat, das ist der schmale Grad zwischen Verherr­li­chung und Verach­tung, den wir Ironie nennen.

Besonders ironisch ist dieser Film aber nicht, er tut nur so.

+ + +

Viel­leicht – man wird ja mal fragen dürfen – ist Greta Gerwig auch ein bisschen über­schätzt? Viel­leicht mögen wir sie einfach so sehr, dass wir nicht mehr die gebotene minimale kritische Distanz zu ihr haben, ohne die man auch nicht mehr loben kann, sondern zum Fan wird. Weil Greta Gerwig sehr wohl­erzogen ist, sehr klug, gut aussieht, aber nicht zu gut, gebildet ist, weiß und bürger­lich. Weil sie bestimmt ihre Zahn­bürsten ordent­lich aufstellt und Bio-Zahnpasta benutzt. Weil sie einfach perfekt ist, noch da wo sie nicht perfekt ist. Weil sie alles in allem dem Werte­kanon von Berlin Mitte und damit der Republik so gut entspricht, wie sonst nur Annalena Baerbock und man solche Leute eben auch dann nicht kriti­sieren möchte, wenn sie es viel­leicht verdienen, weil man sich freut, dass sie überhaupt mal da sind. So geht es aber nicht. Der Verbre­cher hat ein Recht auf seine Strafe und der Künstler hat ein Recht auf Kritik.
Man muss Schwach­sinn Schwach­sinn nennen, wenn er es ist. So wie dieser Film. Ein einziger ganz schlimmer Schwach­sinn, ein lang­wei­liger, zutiefst öder Käse. Genau das Kino, wegen dem man nie Film­kri­tiker geworden ist, weil es auch formal nicht inter­es­sant ist und die Ausstat­tung nur einfach aus Fiftie Shades of Rosa besteht, was bestimmt mache für genial halten, aber...

+ + +

Und die Handlung? Welche Handlung?

+ + +

Man tut Greta Gerwig und ihrem Mann Noah Baumbach auch nicht zu viel Unrecht, wenn man in diesem Fall keine Schon­hal­tung an den Tag legt, denn sie verdienen ja mit dem Film ganz gut, und es ist leicht zu erfahren, dass die beiden gar nicht erste Wahl für diesen Stoff waren, und dass dieser Stoff vermut­lich auch nicht ihre erste Wahl gewesen ist. Sondern sie wurden gefragt, nachdem man andere nicht anheuern wollte. Da hätten wir auch Ja gesagt.

+ + +

Greta Gerwig ist übrigens auch keine Femi­nistin (bloß weil sie eine Frau ist!). Und die Zeiten, als sie eine Indie-Regis­seurin war, sind lange vorbei. Besten­falls glaubt sie selber, dass ihr Film mehr ist als nur ein weiterer Trick, um Barbie-Waren zu verkaufen.
Aber dafür ist sie zu intel­li­gent.
Trotzdem wieder­holt jetzt jede zweite Lokal­zei­tung den Quatsch mit dem »Femi­nis­ti­schen Blick«. Aber wird es deswegen wahrer?

Barbie ist ein bisschen männer­feind­lich, was nicht schlimm ist, und macht es sich mit dem Femi­nismus allzu leicht, weil es die Männer­ver­hält­nisse einfach um 180 Grad dreht, und umdeutet. Aber das wäre immerhin noch etwas. Nur fühlt sich der Film selber damit auch nicht wohl. Also verharm­lost er auch alles, was in ihm vorkommt, übergießt es mit rosa Zucker­soße.

+ + +

Ein paar gute Witze gibt es: »wie der Zack Snyder Cut of Justice League«; »Köder Barbie«; »Proust Barbie«; »Todes­ah­nungen Barbie«...

+ + +

Ansonsten ist Barbie eine ziemlich anstren­gende, selbst­ver­liebte Enttäu­schung. Und noch nicht mal überdreht, sondern so spießig und konser­vativ, dass die Puppe daneben subversiv wirkt: Revo­luzzer-Barbie.

Es gibt keine einzige sympa­thi­sche Figur, dafür gibt es aber jede Menge mora­li­sche Plat­ti­tüden und Witze für Akade­mi­ke­rinnen.

Und ist Barbie-Welt jetzt eine Metapher auf Amerika?

Im Vergleich zu anderen über­trie­benen Künst­liche-Welt-Filmen wie Plea­sant­ville oder Truman Show verblasst der Film noch während der Vorfüh­rung.

+ + +

Es ist leider so: Manche, die nie mit Barbie-Puppen spielen durften, werden jetzt ersatz­weise in regres­siven Nach­hol­akten zu Fans dieses Films.

Das Ergebnis ist eine als Kunst­in­stal­la­tion getarnte Geld­schnei­derei.

Irgend­wann schreit ein kluges wokes junges Mädchen Margot Robbies Barbie in einer kali­for­ni­schen High­school-Cafeteria an: »Du reprä­sen­tierst alles, was mit unserer Kultur nicht stimmt.« Das muss man über diesen Film sagen.

Später nennt sie einen weib­li­chen »nutcase« eine »Reality Chal­lenged Woman«. Besser kann man es nicht sagen.

Die grauen Herren von Mattel

Purplewashing und Barbie-Horror: Warum Greta Gerwigs Barbie trotzdem so viel Spaß macht

Sie ist, wovor uns unsere Mütter (und wir unsere Töchter) immer gewarnt haben: Barbie. Greta Gerwig, Regis­seurin des gleich­na­migen Films, weiß das natürlich. Und Mattel, Urheber der Plas­tik­puppe mit den unwahr­schein­li­chen Dimen­sionen, weiß das auch. Wissen­schaftler haben heraus­ge­funden: Eine Frau mit den Barbie-Maßen würde umfallen.
Außerdem: zu viel Busen, zu wenig Hirn. Barbie ist: blaue Augen, blondes Haar, und den ganzen Tag in styli­schem Ambiente neue Klamotten über­werfen. Was ist da nahe­lie­gender, als die Design­vor­lagen für einen Film zu verwenden?

Dumm nur, dass das Barbie-Image einem zeit­ge­mäßen Werk in die Quere kommt, noch dazu wenn man Greta Gerwig heißt und die Karriere mit Inde­pen­dent-Mumb­le­core begonnen hatte. Die Erwar­tungen sind hoch. An dieser Stelle beginnt, was als eine der größten Re-Branding-Kampagnen des Kapi­ta­lismus gelten darf: Barbie wird bei Gerwig femi­nis­tisch umcodiert und darf fortan Symbol einer matriachalen Gesell­schaft sein. Dem zuzu­gu­cken macht aber trotzdem Spaß.

Barbie, die kapi­ta­lis­ti­sche Idee

Bringen wir das mit der Ideologie-Kritik mal hinter uns. Mattel, das logi­scher­weise den Film allein schon aus Lizenz­gründen co-produ­ziert hat, hat ein beispiel­loses Marketing losge­treten. Auf der firmen­ei­genen Website wurde die aktuelle Puppen­kol­lek­tion unter dem sperrigen Namen »Barbie Signature: The Movie« schon lange vor dem globalen Kinostart angeboten. Die Erstar­rung von Margot Robbie zur »Barbie-Puppe mit blau-kariertem Outfit« ist für 75 Euro zu haben, Ryan Gosling als Ken mit »Original Ken-Unter­wä­sche« kostet ebenfalls 75 Euro. Das Auto, mit dem Barbie im Film in die »echte Welt« der Menschen fährt, macht 150 Euro. Und, wer’s noch nicht bemerkt hat: Googelt man »Margot Robbie«, färbt sich die Suchmaske rosa. Googelt man »Ryan Gosling«: auch. Googelt man »Greta Gerwig«: ebenfalls. Wer noch mehr googeln möchte, sollte einfach mal »Barbie + coope­ra­tions« eingeben. Und siehe da, alle sind auf die Barbie-Lizenz aufge­sprungen, alle verdienen mit: Da gibt es den pinken Burger King Barbie, Barbie Crocs, Barbie Superga, natürlich Barbie Birken­stocks (wird schließ­lich im Film produkt­plat­ziert) und noch etliche Coope­ra­tions mit Main­stream-Beklei­dungs­ketten wie Gap, Zara, Forever21. Merchan­di­sing-Höhepunkt ist das käuflich erwerb­bare Replikat der neon­gelben Inline-Skates, wegen derer Barbie und Ken in Los Angeles ausge­lacht werden.

Barbie, die Puppe, ist, wovor uns auch Michael Ende in seinem Endzeit-Roman »Momo« (1973) eindring­lich gewarnt hat. Ein Produkt der grauen Herren, die uns die Zeit stehlen wollen, eines, das Lange­weile verströmt und immer neue Konsum­an­reize schafft. Kaufen, kaufen, kaufen: Die Idee von Barbie ist eine kapi­ta­lis­ti­sche. Wenn Barbie – der Film durch das Merchan­di­sing-Aufgebot letztlich in die Marken­welt von Mattel mündet, kann man nur müde fest­stellen: Will­kommen in der echten Welt. Die kapi­ta­lis­ti­sche Warenwelt ist die echte »echte Welt«, wenn es um Barbie geht. Es mögen einem jetzt also nicht wie im Platon'schen Höhlen­gleichnis die Augen schmerzen, wenn man in die reine, kapi­ta­lis­ti­sche Idee von Barbie blickt. Man kommt darüber hinweg.

Das Perfide an Barbie ist, dass der Film selbst aufge­klärten Barbie-Veräch­tern und versierten Kapi­ta­lismus-Checkern den Wind aus den Segeln nimmt, weil er die Kritik immer schon voraus­ge­dacht und einge­preist hat. Michael Endes graue Herren beispiels­weise kommen im Film buchs­täb­lich als umsatz­geiles CEO-Board von Mattel vor. Die Haupt­figur »Stereo­typen-Barbie« genau so zu nennen, konden­siert, was der Femi­nismus immer an der Puppe kriti­siert hat. Das ist dann, wie Johanna Seggelke vom Münchner Film­ma­gazin »Revü« sagt: »Man will unbedingt etwas finden, was den Film angreifbar macht. Aber man rutscht an ihm aus wie auf einem Stück Seife.«

Plastik- und Puppen­spiel-Phantasma

Barbie ist erst die vierte Regie­ar­beit von Greta Gerwig. Zusammen mit ihrem Partner Noah Baumbach (Marriage Story, The Meye­ro­witz Stories, Frances Ha) hat sie das Drehbuch geschrieben und Mattels bereits exis­tie­render Produkt­linie »Karriere-Puppen« ein Narrativ verpasst. Das geht so: Stere­op­typen-Barbie lebt in Barbie-Land ein glück­li­ches Leben in einer Plas­tik­welt. Überall haben die Barbies das Sagen. Sie sind Präsi­dentin, Anwältin, Nobel­preis­trä­gerin und so weiter. Ken bzw. die Kens, denn auch sie kommen wie Barbie nur im Plural vor, sind das Acces­soire von Barbie, mehr oder weniger lästig, mehr oder weniger lächer­lich, mehr oder weniger über­flüssig. Nur Barbie ist erhaben, ihr gehört die schöne Welt.

Diese ist bis ins kleinste Detail durch­kom­po­niert. Oft denkt man bei dem künst­li­chen Ort, an dem immer die Sonne scheint, an Asteroid City, was auch daran liegen mag, dass Gerwig und Baumbach schon mit dem detail­ver­liebten Wes Anderson gear­beitet haben (sie als Synchron­spre­cherin in Isle of Dogs, er als Co-Autor für Fantastic Mr. Fox und The Life Aquatic with Steve Zissou). Allein schon wie das Szenen­bild die Barbie-Welt wörtlich nimmt und ein starres Plastik- und Puppen­spiel-Phantasma kreiert, ist zu feiern. Aus den Milch­tüten wird imaginäre Flüs­sig­keit in die Tassen gegossen, die – ich tu jetzt mal so – leer­ge­schlürft werden. Vom ersten Stock kann Barbie per imaginärem Flug­dienst auf den Boden gelangen. Schwupp! An den Plas­tik­wellen des Meeres stößt sich Ken mit seinem Surfbrett. Das alles ist purer Desengaño, Enttäu­schung der Puppen­spieler-Illusion. Augen auf, es ist nur eine künst­liche Welt.

Greta Gerwigs Barbie ist nicht süßlich-kitschig wie noch die animierte Barbie-Serie der Nuller- und Zehner­jahre. Ihr Film ist ironisch und selbst­iro­nisch und, ja, auch selbst­re­flexiv. Margot Robbie als »Stereo­typen-Barbie« kann im Gegensatz zu ihren intel­lek­tu­ellen und beruflich erfolg­rei­chen Artge­nos­sinnen nichts weiter als schön sein. Für Stereo­typen-Barbie ist es gelebter Body-Horror, als sie eines Tages mit Bad Hair und Platt­füßen aufwacht. Ursache ihrer grotesken Defor­ma­tion ist ein dunkles Voodoo- und Doppel­gänger-Motiv, das sich mit dem Glauben an Elfen und andere Märchen­wesen mischt: ein Mensch war beim Spielen zu traurig, ja depressiv, und hat dabei Barbies Schönheit zerstört (was von Off-Erzäh­lerin Helen Mirren, der femi­nis­ti­schen Hollywood-Schau­spie­lerin schlechthin, süffisant kommen­tiert wird).

Eman­zi­pa­tion vom Hollywood-Narrativ

Mit ihren Platt­füßen gelangt Barbie wie eine von ihrem Fisch­schwanz beraubte Mermaid auf magischem Weg in die Welt der Menschen, wo sie am Ende auch bleiben wird. Doch anders als in den Erzäh­lungen um die kleine (im Übrigen gender­dif­fuse) Meer­jung­frau geht es hier zu keinem Zeitpunkt um Liebe und Erlösung. Weit und breit ist kein Liebes­ob­jekt in Sicht, weder hetero noch queer. Das einzige Indiz von der Verwand­lung von Barbie zur Frau (und damit ihre Zuteilung in eine biolo­gisch-binäre Welt) bleibt der wie eine Schluss­pointe gesetzte Besuch beim Gynä­ko­logen. Und, ja, frau geht auch zum Frau­en­arzt, wenn sie nicht schwanger ist.

Auch wenn das Ausbleiben der Sexua­lität viel­leicht nur prüde ist wie Mattel: Die Asexua­lität von Gerwigs Barbie ist der Kern ihrer Eman­zi­pa­tion vom Hollywood-Narrativ. Selbst wenn sie in der Welt der Menschen das weibliche Geschlecht bekommt, ist sie (und Ken, dem aber kein Penis wächst) doch die meiste Zeit ein Wesen ohne Geschlecht. Zwar sind ihre sekun­dären Geschlechts- und tertiären Sexobjekt-Merkmale – Atombusen, Wespen­taille, lange blonde Haare, endlos lange Beine – stark ausge­prägt, genügen aber sich selbst. Anders als Ken, der nur unter den Blicken von Barbie existiert, braucht Barbie den Blick von Ken nicht, um zu sein: In der Barbie-Welt haben die weiblich kodierten Wesen ohnehin die ganze Aufmerk­sam­keit. Als Ken nach dem Vorbild der männlich domi­nierten Menschen­welt das Mans­plai­ning inklusive Bier­trinken, ärmel­loser Zottel­fell-Mantel und Mustang-Pferden etablieren und Barbie zu seiner Bewun­derin und Bedi­e­nerin degra­dieren will, kommt es zur Barbie-Revolte. Der als Macho-Mann gelesene Ken muss wieder abdanken. Er hat keinen Platz im Barbie-Universe.

Das ist natürlich auch lupen­reines Purple­wa­shing von Barbie, die seit ihrer Erfindung Ende der Fünf­zi­ger­jahre für die Frau als Sex-Objekt stand, allen Bemühungen der Moder­ni­sie­rung durch Mattel zum Trotz. Gerwig leistet der weib­li­chen Eman­zi­pa­tion einen Bären­dienst, wenn sie die Puppe jetzt zum Inbegriff von Frau­en­herr­schaft und Female Posi­ti­vity und damit zur Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur auch moderner Frauen machen will. Dennoch erzählt sie in ihrem Film – und einem breiten Millionen-Publikum – viel von Femi­nismus und der Neuord­nung der Welt und von einem Hand­lungs­ver­lauf, der nicht in Paar­bil­dung mündet.

The winner takes it all

Am Ende ist es Mattel, das absahnt, in der echten Welt der Waren. Und Greta Gerwig mit ihrer guten Idee. Sie hat gerade Wonder Woman-Regis­seurin Patty Jenkins auf den zweiten Platz verwiesen und ist damit schon jetzt die erfolg­reichste Frau Holly­woods. Trotz dieser ökono­mi­schen Super­la­tive aber hatten wir Spaß an dem abge­drehten Schau­spiel von Margot Robbie und Ryan Gosling, an der wörtlich genom­menen Plas­tik­welt. Und an der Camp-Ausstat­tung und den Kostümen.

Geben wir es zu: Barbie ist ein schlauer Film, auch wenn uns das mit dem Kapi­ta­lismus nicht gefällt. Nehmen wir, wie es ist: Barbie ist großes, gene­ra­tionen- und genderü­ber­grei­fendes Guilty Pleasure.