Ich will mich nicht künstlich aufregen |
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Julian Radlmaier, Ein proletarisches Wintermärchen (Neue deutsche Filme) |
Von Dunja Bialas
Von Dunja Bialas
»Montage, mon beau souci«, Montage, meine schöne Sorge, hatte Jean-Luc Godard 1956 geschrieben, und den Akt des Aneinanderfügens zweier filmischer Bilder am Schneidetisch – anders als zum Beispiel der Filmtheoretiker André Bazin – als konsequente Verlängerung der Inszenierung verstanden. Ähnlich verhält es sich mit den Filmen, die erst durch Montage entstehen, die aus verschiedenen Schnipseln der Filmgeschichte zusammengesetzt werden oder aus sogenanntem Found-Footage, bereits belichteten Filmmaterial, das auf dem Flohmarkt zusammengekauft, oder, in der modernen Variante, bei Ebay ersteigert wird. Vorgefundenes Material, das in neue Zusammenhänge gebracht wird, oder in der Montage in seinen Zusammenhängen erst noch konstruiert, bisweilen auch detektivisch rekonstruiert wird.
Letzteres geschah mit dem Inhalt des schwarzen Aktenkoffers, der vor einiger Zeit ersteigert wurde und sich bei näherer Betrachtung als äußerst brisantes und skandalträchtiges Material entpuppte. Auf den Fotos, die sich in dem Aktenkoffer befanden, war eine Dame zu sehen, die sich in den späten 60er Jahren in einem Liebesverhältnis mit ihrem verheirateten Vorgesetzten befand. Dieser hatte, neben dem außerehelichen Beischlaf, noch eine zweite Passion und führte in Art eines Liebesverwalters Buch über die Affäre. Aus dem Kofferfund wurde ein Kunstprojekt in Form eines Künstlerbuchs, und Philip Widmann hat aus dem Material einen gleichermaßen erhellenden wie amüsanten Film über die Mittelmäßigkeit und Durchschnittlichkeit der Affäre und aller Beteiligten gemacht, und nannte seinen Film, der vor allem aus der Montage von unbewegten Bildern entstand: Szenario (Sonntag, 20:30 Uhr, Werkstattkino).
Das UNDERDOX-Filmfestival, bekannt für sein Programm mit Mischformen aus filmischen Dokument und Experiment, stellt in seinem neunten Jahr den Montagefilm in sein Zentrum. Filmische Basteleien, könnte man auch sagen, um dem Ganzen den hehren ästhetischen Anspruch ein wenig zu nehmen. Die Montage lässt sich dann unweigerlich mit Claude Lévi-Strauss in Verbindung bringen, der in seiner ethnologischen Schrift »Wildes Denken« (1962) bricolage (franz. für Basteln) als Nehmen und Verknüpfen dessen, was schon da ist, bezeichnet hat. Genau in dieser Zeit wiederum, in den 60er Jahre, hatte die italienische Avantgarde ihre große Blüte, und bastelte, was das Zeug hielt. Carmelo Bene, enfant terrible der Theaterszene, drehte 1968 seinen ersten von insgesamt nur fünf Filmen, den wilden Nostra signora dei turchi. Eine filmische Phantasmagorie, die Handlungslogik und Narrativität zum Auflösen bringt, Szenen disparat montiert und insgesamt, wie Olaf Möller es beschreibt, »es seinem Vaterland kulturell so richtig derb besorgen« wollte. Ein Skandalfilm, der seinen Vorgänger in Alberto Grifis Montagefilm La verifica incerta hatte, der wiederum vom Filmkritiker Raffaele Meale begeistert folgendermaßen beschrieben wurde: »Ein Meisterwerk über die Filmindustrie, geschlachtet durch den Akt der Montage.« (Samstag, 18:30 Uhr, Filmmuseum)
Es werden also Filme geschlachtet bei UNDERDOX und deren Bestandteile in neue Zusammenhänge gebracht. Einen reichen Fundus an Filmschlachtungen bietet auch das Kurzfilmprogramm Underdox Experimente mit beispielsweise dem Montagefilm Gebrochene Sinnlichkeit der Türkin Zeynep Tuna. Sie hat von VHS-Raubkopien türkischer Pornofilme, die in den 70er Jahren durch allerlei Rafinesse an der Zensur vorbeigeschmuggelt werden konnten, einen ganz eigenen Montage-Film gemacht, einen Sexfilm, der auch der weiblichen Perspektive standhält. (Dienstag, 22:30 Uhr, Werkstattkino).
Andere Ausweidungen geschlachteter Filme finden sich auch in Norbert Pfaffenbichlers klugem Sidekick zur Filmgeschichte. In A Messenger From The Shadows montiert er ausschließlich Filmausschnitte, die den »Mann mit den 1000 Gesichtern«, Lon Chaney, zeigen, zu einem neuen »Notes on Film«-Film, diesmal als »Monolog« (Samstag, 18:30 Uhr, Filmmuseum, zu Gast: Norbert Pfaffenbichler).
Genug der Filmschlachtungen, hin zu den neuen Film(ent)würfen. Sehr an Luis Bunuels El ángel exterminador erinnert die Autonomie der Dienstboten (Angestellten wäre ein zu moderner Begriff) von Julian Radlmaiers Ein proletarisches Wintermärchen. Ähnlich den Dienstboten bei Bunuel, die eine merkwürdige Autarkie entfalten, kommen auch bei Radlmaiers surrealistisch inspiriertem Spielfilm drei Georgier auf aus den Klassenverhältnissen ausscherende Gedanken, und bringen mit ihnen die Gesellschaft der Reichen durcheinander (Samstag, 20:30 Uhr, Werkstattkino, zu Gast: Julian Radlmaier).
Radlmaiers Film ist nur eine von mehreren Position neuen deutschen Filmschaffens, die UNDERDOX in seinem neunten Programm präsentiert. Mit dabei ist auch die Arbeit von Stefan Hayn, der in der Sorgfalt eines Malers einen Film aus selbsterstellten Gemälden über das Schaffen von Jean-Marie Straub erschaffen hat: S T R A U B. Die Leerzeichen im Titel symbolisieren dabei die Leerzeichen der Interpretation, in welchen die Werkinteraktion statthaben kann (Montag, 18:30 Uhr, zu Gast: Stefan Hayn).
Mit einem treffenden Titel wird die diesjährige Ausgabe mit dem Film von Max Linz Ich will mich nicht künstlich aufregen eröffnet. Ein Kuratorin in Nöten, die eine Ausstellung machen möchte über »Das Kino. Das Kunst« gerät in den Berliner Diskurs- und Geldvergabedschungel und solidarisiert sich auf ihrem Weg mit Punks und 80er Jahre anmutendem Outfit. Keine Macht für niemand? Max Linz hat nicht nur uns den Spiegel vorgehalten, sondern womöglich auch Ihnen, den Besuchern von Kunstausstellungen oder von UNDERDOX (Donnerstag, 20:00 Uhr, Filmmuseum). Der Film, der den Rundumschlag auf Metaebene wagt, ist der Film, mit dem UNDERDOX dieses Jahr eröffnet.
Dies natürlich nicht nur, weil wir den Film gut finden, dies ist ganz und gar gewollt. Wir halten uns mit dem Eröffnungsfilm den Spiegel vor, damit unser Antlitz als Fratze/Farce erkennbar wird, über die wir selbst auch lachen können.
Denn es genügt ja nicht, ein Festival mit einem hohen Anspruch an die gewählten Filme auf die Beine zu stellen. UNDERDOX hat dieses Jahr außerdem die große Ausstellung mit Videokunst, VIDEODOX, kuratiert (unter tatkräftiger Unterstützung von Kay Winkler und in Kooperation mit dem Berufsverband Bildender Künstler). Kino und Kunst kommen hier zusammen, in den beeindruckenden Wandelhallen der Galerie der Künstler (täglich von 11 bis 18 Uhr).
Ein paar der um 1000 Euro konkurierenden Arbeiten werden auch im Kino gezeigt. Narges Kalhor, Studentin an der HFF und Sandra Filic, Künstlerin der Münchner Akademie der Künste, haben es mit ihren Arbeiten in das Filmprogramm geschafft und sind zu sehen am Montag, um 20:30 Uhr im Werkstattkino. Wenn es wieder heißt: Das Kino. Das Kunst.
Die Autorin ist Leiterin des UNDERDOX-Festivals
9. Underdox Filmfestival. 09.-16. Oktober 2014