UNDERDOX-Halbzeit: Proletarisches Kino |
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Peter Goedel, Hinter den Elbbrücken |
Von Dunja Bialas
Zur sogenannten »Halbzeit«, ungefähr ein halbes Jahr, bevor es im Herbst wieder eine Woche lang in München Filme zu sehen gibt, die nicht recht in Schubladen passen wollen, präsentiert das auf »Dokument und Experiment« spezialisierte Filmfestival UNDERDOX einen Film des deutschen Dokumentarfilmers Peter Goedel, der zuletzt mit der Wiederaufführung seines Films Talentprobe (BRD 1980) Aufsehen erregte. Jetzt, am 20. Mai im Filmmseum, wird sein Film Hinter den Elbbrücken (BRD 1986) als Trouvaille aus dem UNDERDOX-»Lost & Found«-Fundus präsentiert. Zu Gast sind Regisseur Peter Goedel und SigiGoetz-Entertainment-Herausgeber Ulrich Mannes.
Goedel ist der Chronist einer verschwundenen Republik. Seine frühen Filme sind außergewöhnliche Studien über die »kleinen Leute« oder den »einfachen Arbeiter«, beides mittlerweile verschwundene Klassen unserer Gesellschaft, die der verfemten und verlachten »Unterschicht« und dem stigmatisierten Prekariat Platz machen mussten.
Hinter den Elbbrücken zeigt eine Clique von Arbeitern, die in einem freundschaftlichen Geist, der im guten Sinne auch »sozialistisch« genannt werden kann, zusammenhalten. Rudi, früher einmal Fernfahrer, versucht aus dem schweren Fuhrpark von Baufahrzeugen, wo er jetzt arbeitet, einen gewerkschaftlich organisierten Betrieb zu machen. Er hat sich für die Sesshaftigkeit entschieden und baut an einem Haus, für das er jeden Stein selbst gehauen hat. Seine Freunde Jens und Klaus Peter helfen ihm dabei. Auf hoher See verbringen sie eine Woche zusammen in einem kleinen Kutter. Sie angeln, trinken Bier, reflektieren ihr Leben, ihre Wünsche und Träume.
Goedel hat mit Hinter den Elbbrücken eine Welt dokumentiert, die aus einer anderen Zeit und Wirklichkeit zu kommen scheint. Längst wurden »sozialistische« Träume von einem besseren gemeinschaftlichen Leben eingefangen durch vom Markt geweckte Konsumbedürfnisse.
In klarem Schwarzweiß und auf 35mm gedreht, ist Hinter den Elbbrücken aber auch das Zeugnis einer filmenden Sorgsamkeit: Mit schwerer Kamera begaben sich Goedel und sein Kameramann Axel Brandt mit der Männerclique auf hohe See, filmten die wild aufspritzende Gischt und konzentrierten sich auf die Gesichter der Menschen. Sie greifen auf eine Dokumentarfilmtradition eines Flaherty und Peter Nestler zurück, die auch schon in den 80er untergegangen war. Hinter den Elbbrücken ist ein Film, der sich anstemmt gegen den beginnenden Strom der Bilderflut, und der mit der Sorgfalt für das Bild und die porträtierten Menschen ein Kino der kinematographischen »Würde« ist. – Und abgesehen davon: Nie hat man mit so einer Leichtigkeit mit überdimensionalen Schraubenziehern Bierflaschen öffnen sehen.
Weiter geht es mit der »Halbzeit« am 22. Mai um 22:30 Uhr mit dem UNDERDOX-Salon im Werkstattkino, der dieses Mal ein »Tier-Salon« ist. In einem Kurzfilmprogramm werden Filme mit Bären, Fliegen, Schnecken, Vögeln, Zebras, Fischen und anderen »Viechern« gezeigt, von Filmemachern wie Peter Kubelka, Isabella Rossellini, Evi Europa, Karl Kels u.a. Ein Rund- und Rückblick auf gegenwärtiges und vergangenes Tierfilmschaffen, ganz in der verlorenen gegangenen Tradition der Tierdokumentarfilme, und wie immer beim Salon, nicht ganz ernst gemeint.
Die »Halbzeit« ist immer auch die Möglichkeit, Versäumtes nachzuholen oder filmische Meilensteine noch einmal zu zeigen. Crude Oil, ein 840 Minuten langer Film, eigentlich nur als Film für die Vorführung in einer Galerie gedacht, war bereits bei UNDERDOX 04 in der Galerie Weltraum zu sehen. Er wird jetzt, wegen seiner epochalen Größe und Länge noch einmal gezeigt, diesmal auf Kinoleinwand: Am 22. und 23. Mai kann von 12 bis 19 Uhr bei freiem Eintritt noch einmal in den harten Alltag der Arbeiter auf einem Ölfeld in Nordchina eingetaucht werden – in Echtzeit und nahezu ungeschnitten.
Die Autorin leitet zusammen mit Bernd Brehmer (Werkstattkino) das von ihr angepriesene UNDERDOX-Festival. Wir von der Redaktion sagen: Hingehen!