20.05.2010

UNDERDOX-Halbzeit: Proletarisches Kino

Peter Goedel, Hinter den Elbbrücken
Peter Goedel, Hinter den Elbbrücken

Die Wiederkehr des proletarischen Kinos der 80er Jahre, ein Filmsalon mit Kino-Viechern und die Wiederaufführung des Echtzeit-, echt langen und echt epochalen Werks Crude Oil von Wang Bing

Von Dunja Bialas

Zur soge­nannten »Halbzeit«, ungefähr ein halbes Jahr, bevor es im Herbst wieder eine Woche lang in München Filme zu sehen gibt, die nicht recht in Schub­laden passen wollen, präsen­tiert das auf »Dokument und Expe­ri­ment« spezia­li­sierte Film­fes­tival UNDERDOX einen Film des deutschen Doku­men­tar­fil­mers Peter Goedel, der zuletzt mit der Wieder­auf­füh­rung seines Films Talent­probe (BRD 1980) Aufsehen erregte. Jetzt, am 20. Mai im Filmmseum, wird sein Film Hinter den Elbbrü­cken (BRD 1986) als Trou­vaille aus dem UNDERDOX-»Lost & Found«-Fundus präsen­tiert. Zu Gast sind Regisseur Peter Goedel und SigiGoetz-Enter­tain­ment-Heraus­geber Ulrich Mannes.

Goedel ist der Chronist einer verschwun­denen Republik. Seine frühen Filme sind außer­ge­wöhn­liche Studien über die »kleinen Leute« oder den »einfachen Arbeiter«, beides mitt­ler­weile verschwun­dene Klassen unserer Gesell­schaft, die der verfemten und verlachten »Unter­schicht« und dem stig­ma­ti­sierten Prekariat Platz machen mussten.

Hinter den Elbbrü­cken zeigt eine Clique von Arbeitern, die in einem freund­schaft­li­chen Geist, der im guten Sinne auch »sozia­lis­tisch« genannt werden kann, zusam­men­halten. Rudi, früher einmal Fern­fahrer, versucht aus dem schweren Fuhrpark von Baufahr­zeugen, wo er jetzt arbeitet, einen gewerk­schaft­lich orga­ni­sierten Betrieb zu machen. Er hat sich für die Sess­haf­tig­keit entschieden und baut an einem Haus, für das er jeden Stein selbst gehauen hat. Seine Freunde Jens und Klaus Peter helfen ihm dabei. Auf hoher See verbringen sie eine Woche zusammen in einem kleinen Kutter. Sie angeln, trinken Bier, reflek­tieren ihr Leben, ihre Wünsche und Träume.

Goedel hat mit Hinter den Elbbrü­cken eine Welt doku­men­tiert, die aus einer anderen Zeit und Wirk­lich­keit zu kommen scheint. Längst wurden »sozia­lis­ti­sche« Träume von einem besseren gemein­schaft­li­chen Leben einge­fangen durch vom Markt geweckte Konsum­be­dürf­nisse.
In klarem Schwarz­weiß und auf 35mm gedreht, ist Hinter den Elbbrü­cken aber auch das Zeugnis einer filmenden Sorg­sam­keit: Mit schwerer Kamera begaben sich Goedel und sein Kame­ra­mann Axel Brandt mit der Männer­clique auf hohe See, filmten die wild aufsprit­zende Gischt und konzen­trierten sich auf die Gesichter der Menschen. Sie greifen auf eine Doku­men­tar­film­tra­di­tion eines Flaherty und Peter Nestler zurück, die auch schon in den 80er unter­ge­gangen war. Hinter den Elbbrü­cken ist ein Film, der sich anstemmt gegen den begin­nenden Strom der Bilder­flut, und der mit der Sorgfalt für das Bild und die porträ­tierten Menschen ein Kino der kine­ma­to­gra­phi­schen »Würde« ist. – Und abgesehen davon: Nie hat man mit so einer Leich­tig­keit mit über­di­men­sio­nalen Schrau­ben­zie­hern Bier­fla­schen öffnen sehen.

Filmsalon mit Kino-Viechern

Weiter geht es mit der »Halbzeit« am 22. Mai um 22:30 Uhr mit dem UNDERDOX-Salon im Werk­statt­kino, der dieses Mal ein »Tier-Salon« ist. In einem Kurz­film­pro­gramm werden Filme mit Bären, Fliegen, Schnecken, Vögeln, Zebras, Fischen und anderen »Viechern« gezeigt, von Filme­ma­chern wie Peter Kubelka, Isabella Rossel­lini, Evi Europa, Karl Kels u.a. Ein Rund- und Rückblick auf gegen­wär­tiges und vergan­genes Tier­film­schaffen, ganz in der verlo­renen gegan­genen Tradition der Tier­do­ku­men­tar­filme, und wie immer beim Salon, nicht ganz ernst gemeint.

In Echtzeit, echt lang und echt epochal: Wieder­auf­füh­rung von Crude Oil von Wang Bing

Die »Halbzeit« ist immer auch die Möglich­keit, Versäumtes nach­zu­holen oder filmische Meilen­steine noch einmal zu zeigen. Crude Oil, ein 840 Minuten langer Film, eigent­lich nur als Film für die Vorfüh­rung in einer Galerie gedacht, war bereits bei UNDERDOX 04 in der Galerie Weltraum zu sehen. Er wird jetzt, wegen seiner epochalen Größe und Länge noch einmal gezeigt, diesmal auf Kino­lein­wand: Am 22. und 23. Mai kann von 12 bis 19 Uhr bei freiem Eintritt noch einmal in den harten Alltag der Arbeiter auf einem Ölfeld in Nordchina einge­taucht werden – in Echtzeit und nahezu unge­schnitten.

Die Autorin leitet zusammen mit Bernd Brehmer (Werk­statt­kino) das von ihr ange­prie­sene UNDERDOX-Festival. Wir von der Redaktion sagen: Hingehen!