25.05.2011

Zeit für die Halbzeit!

Videokunst aus Japan: Nozomi Matsuyama
»Gift« heißt das Video von Nozomi Matsuyama, das im Japan-Salon »Melting Borderline« im Rahmen der UNDERDOX-Halbzeit zu sehen ist

Das internationale Filmfestival UNDERDOX feiert am 26. und 28. Mai in München »Halbzeit«. Zu sehen sind ein Avantgarde-Dokumentarfilm von Klaus Wyborny, das atemberaubend schöne Spielfilmdebüt von Naomi Kawase und Videokunst aus Japan

Von Dunja Bialas

Klaus Wyborny ist einer der großen Avant­garde-Doku­men­tar­filmer Deutsch­lands. In den 70er Jahren wollte er einmal »Filme wie Schall­platten« machen, um den eintö­nigen »Flucht-Vorstel­lungen der Traum­fa­briken« entge­gen­zu­halten, im Zeitalter des damals anbre­chenden »Kassetten-Fern­se­hens«. Das konnte man damals sogar im Spiegel lesen.
Das inter­na­tio­nale Film­fes­tival UNDERDOX, spezia­li­siert auf Doku­men­tar­film­ex­pe­ri­mente, zeigt jetzt zur Halbzeit seinen neuesten Film Studien zum Untergang des Abend­lands. Inspi­riert ist der Film durch das gleich­na­mige Buch von Oswald Spengler aus dem Jahr 1918, einem Abgesang auf die mensch­liche Geschichte als Fort­schritts­ge­schichte.

Seit 1918 bis heute sind fast 100 Jahre vergangen, aber die mensch­liche Geschichte hat sich auch dieses Jahr als Geschichte des Unter­gangs mani­fes­tiert, mit der Reak­tor­ka­ta­strophe von Fukushima. So hat Wybornys Film Studien zum Untergang des Abend­lands doppelte Aktua­lität: Die Geschichte der Mensch­heit ist als Kreislauf von entste­henden und verge­henden Kulturen zu verstehen. Seine seit 1979 auf Super-8 einge­fan­genen Bilder von indus­tri­ellen Ruinen zeigen die Begrenzt­heit des tech­ni­schen Fort­schritts: Dieser sollte immer vom Ende her gedacht werden. Der Film ist ein Tanzen der Bilder und Töne, mit einer Wyborny typischen, sehr sinn­li­chen Intel­lek­tua­lität. (Donnerstag, 26.5., 19 Uhr, Film­mu­seum München, in Anwe­sen­heit von Klaus Wyborny)

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Die japa­ni­sche Regis­seurin Naomi Kawase hat in Cannes soeben ihren neuesten Film Hanezu no Tsuki vorge­stellt. Wir zeigen ihren ersten Spielfilm aus dem Jahre 1997, mit dem sie auch schon nach Cannes einge­laden war und dort die Caméra d’Or gewann. Moe no Suzaku (The God Suzaku) war in München noch nie zu sehen, und was noch schlimmer ist: Kawases Werk ist hier­zu­lande fast unbekannt.
Kawase charak­te­ri­siert sich durch äußerst sinnliche Aufnahmen der Natur, in die sich die Menschen gleichsam poetisch einbetten. Ihre Filme sind stille Beob­ach­tungen, die direkt in die Herzen der Menschen gehen – und den Zuschauer über­wäl­tigen.

Ähnlich wie Studien zum Untergang des Abend­lands handelt auch Moe no Suzaku von dem Untergang einer Industrie, der noch archai­scheren Holz­in­dus­trie. Als Folge verlassen die Bewohner des kleinen Ortes flucht­artig das Land, ein Tunnel soll gebaut werden, um den Ort an die moderne Zivi­li­sa­tion anzu­binden. Der Film spielt Anfang der 70er Jahre in dem Dorf, in dem Kawase ihre Kindheit verbracht hat. (Samstag, 28.5., 20:30 Uhr, Werk­statt­kino)

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»Melt your line. Dig films!« heißt es dann Sams­tag­nacht beim legen­dären UNDERDOX-Salon, der diesmal Video­kunst aus Japan zeigt. Sechs japa­ni­sche Video­künst­le­rinnen bringen mit ihren Filmen die Grenzen zwischen den verschie­denen Geschlech­tern, Lebens­al­tern und Natio­na­litäten zum schmelzen. Die Videos sind Fiktion und Expe­ri­ment, Animation und Musik­video. (Samstag, 28.5., 22:30 Uhr, Werk­statt­kino, in Anwe­sen­heit von Nozomi Matsuyama und Aiko Okamoto)

Übrigens war der Japan-Salon schon im Januar 2011 geplant, entstanden als Idee für die »Japan-Broschüre«, mit der das Kultur­re­ferat München dieses Jahr einen kura­to­ri­schen Schwer­punkt auf Japan gesetzt hat. Das program­ma­ti­sche »Schmelzen« der Video­ar­beiten des Japan-Salons hat jetzt mit Fukushima natürlich noch eine weitere, poli­ti­sche Dimension bekommen.

Die Autorin des Textes ist übrigens Co-Direk­torin des vorge­stellten Festivals. Mehr zu diesem Thema