20.02.2016
66. Berlinale 2016

Goldener Bär für Lampedusa-Film

Fuocoammare
Die absurden Preisregeln der Berlinale, neuestes Beispiel: Fuocoammare
(Foto: Weltkino Filmverleih GmbH)

Gianfranco Rosi und Mia Hansen-Lowe sind die großen Sieger der Berlinale und auch die unabhänigen Jurys prämieren –Berlinale-Tagebuch, 16. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Ceterum Censeo: Bei der Berlinale gewinnt immer ein Film, der an den ersten fünf Tagen in der 9-Uhr-Pres­se­vor­füh­rung läuft. Fast immer. In nun zwölf der 15 Berli­nalen seit 2002, die von Dieter Kosslick geleitet werden. Diesmal war es der erste Samstag. Und auch die zweite, neuere A-Festival-Regel funk­tio­niert: Es gewinnt zuletzt immer ein Film, den Michael Kölmels »Weltkino« gekauft hat – diesmal hatte der offenbar instinkt­si­chere Verleiher vor Festi­val­be­ginn, wie berichtet, nur einen Film erworben, Mia Hansen-Loves L’Avenier. Aber während des Festivals wurde gemeldet: »Weltkino« kauft Fuoco­ammare, und als ich das gelesen hatte, war ich nahezu sicher. Der Kölmel schafft es wieder!

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Warum solche absurden Regeln funk­tio­nieren? Weiß ich auch nicht. Viel­leicht liegt es an Dieter Kosslicks Art zu program­mieren? Aber auch vor seiner Zeit funk­tio­niert bereits eine Regel: Ein Film aus den ersten fünf Tagen. Da wird die Tendenz noch eindeu­tiger: 18 von 20 Berli­nalen seit meiner aller­ersten im Jahr 1997. Seit Fuoco­ammare zu sehen war, galt er als Favorit.

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Weitere Preise gehen an Smrt u Sarajevu (Death in Sarajevo) von Danis Tanovic, der den Greand Prix de Jury bekam. Mia Hansen-Løve gewann für L’avenir den Silbernen Bär für die Beste Regie.
Der Alfred-Bauer-Preis für einen Spielfilm, der neue Perspek­tiven eröffnet, ging an Hele sa hiwagang hapis (A Lullaby to the Sorrowful Mystery) von Lav Diaz. Der Silberne Bär für die Beste Darstel­lerin ging an Trine Dyrholm für Kollek­tivet (The Commune) von Thomas Vinter­berg, der Preis für den Besten Darsteller an Majd Mastour in Hedi von Mohamed Ben Attia, der Silberne Bär für das Beste Drehbuch an Tomasz Wasi­lewski (United States of Love), der silberne Bär für eine Heraus­ra­gende Künst­le­ri­sche Leistung ging an Mark Lee Ping-Bing für die Kamera in Chang Jiang Tu (Cross­cur­rent) von Yang Chao.

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Die Mitglieder der Inter­na­tio­nalen Jury 2016 waren Meryl Streep (Präsi­dentin), Lars Eidinger, Nick James, Brigitte Lacombe, Clive Owen, Alba Rohr­wa­cher und Malgorzata Szumowska. Einmal mehr ein Über­ge­wicht der Schau­spieler. Aber bei allem Respekt, insbe­son­dere vor Alba Rohr­wa­cher: Schau­spieler sind Medien, sie verkör­pern etwas, aber wenn sie sich selbst verkör­pern ist es selten die inter­es­san­teste Rolle.

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Wenig aufregend finde ich die Preise der »Fédéra­tion Inter­na­tio­nale de la Presse Ciné­ma­to­gra­phique« (FIPRESCI), des inter­na­tio­nalen Verbands der Film­kritik. Im Wett­be­werb vergaben José Romero, Mohammed Rouda und Clarence Tsui den Preis an den überaus öden Smrt u Sarajevu von Danis Tanovic.

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Sehr anständig ist dagegen der dies­jäh­rige »Frie­dens­film­preis«. Der ging an Makhdo­umin (A Maid for Each) von Maher Abi Samra.
Die Jury besteht aus sieben Mitglie­dern, die Filme aus allen Sektionen sichten. Der Frie­dens­film­preis ist mit 5.000 Euro dotiert. Getragen wird der Preis von der Frie­dens­in­itia­tive Zehlen­dorf, der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Welt­frie­dens­dienst e.V. In der Jury saßen Matthias Coers, Teboho Edkins, Helgard Gammert, Ulrike Gruska, Michael Kotschi, Lena Müller, Yael Reuveny, Christian Römer.

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Ein bisschen vorher­sehbar sind die Preise der »Ökume­ni­schen Jury« ausge­fallen: Im Wett­be­werb gewann Fuoco­ammare von Gian­franco Rosi. Begrün­dung: »Fuoco­ammare verschränkt das Schicksal der afri­ka­ni­schen Flücht­linge mit dem Leben einer italie­ni­schen Fischer­fa­milie auf der Insel Lampedusa. In poetisch aufge­la­denen Bildern zeigt Rosi diese getrennten Welten und verbindet sie über die Person eines Arztes sowie über das Motiv des Meeres, das die einen nährt, die anderen tötet. Ein Film, der einen neuen Blick auf die Kata­strophe wirft, ein Film, der sich weigert, den Status quo zu akzep­tieren.«
Im »Panorama« gewann Les premiers les derniers (The First, the Last) von Bouli Lanners, der immer wieder irgendwo Preise bekommt, obwohl er immer wieder irgendwie dasselbe erzählt.
Im »Forum« gewannen zwei Filme – eine über­ra­schende Kombi­na­tion: Barakah yoqabil Barakah (Barakah Meets Barakah) von Mahmoud Sabbagh, der erste Film aus Saudi-Arabien, und Les sauteurs von Estephan Wagner und Moritz Siebert und Abou Bakar Sidibé, einem der Flücht­linge, der sich im Film selber filmt.
Les sauteurs schildert das Flücht­lings­drama aus einem völlig neuen Blick­winkel: Moritz Siebert und Estephan Wagner vertrauen die Kamera ihrem Co-Regiss­seur Abou Bakar Sidibé an, einem jungen Malinesen, der darauf hofft, über die berüch­tigten Zäune von Melilla nach Europa zu kommen. So zeichnen sie das intime Porträt einer Gemein­schaft unter extremen Lebens­be­din­gungen. Der Film ermutigt dazu, hinter den zahllosen Punkten auf den Compu­ter­mo­ni­toren Menschen auszu­ma­chen, die leiden, hoffen und durch­halten.

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Barakah Meets Barakah ist eine klas­si­sche „boy meets girl“-Geschichte in einem erfri­schenden und über­ra­schenden Kontext. Der Film reflek­tiert über den Wert der Freiheit, über die Rolle der Frauen in der Saudi-Arabi­schen Gesell­schaft und über die Frage nach Selbst­ver­wirk­li­chung trotz kultu­reller Beschrän­kungen. Mit Humor und Charme eröffnet er seine poli­ti­sche Botschaft über eine Jugend, die nach Freiheit strebt.
Die Mitglieder der Ökome­ni­schen Jury im Jahr 2016 waren Rev. Micah Bucey, Prof. Dr. phil. Hans-Joachim Neubauer, Prof. Aurore Renaut, Callum Ryan, Jacques Vercueil, Marisa Winter
Seit 1992 sind die inter­na­tio­nalen Film­or­ga­ni­sa­tionen der evan­ge­li­schen und der katho­li­schen Kirchen – Interfilm und Signis – durch eine aus sechs Mitglie­dern bestehende gemein­same ökume­ni­sche Jury vertreten. Die Jury vergibt ihren Haupt­preis für einen Film aus dem Wett­be­werb, sowie je einen mit 2.500 Euro dotierten Preis für einen Film aus der Sektion Panorama und aus dem Programm des Forums.
Die Jury ehrt mit den Preisen Film­schaf­fende, die in ihren Filmen ein mensch­li­ches Verhalten oder Zeugnis zum Ausdruck bringen, das mit dem Evan­ge­lium in Einklang steht, oder die es in ihren Filmen schaffen, die Zuschauer für spiri­tu­elle, mensch­liche und soziale Werte zu sensi­bi­li­sieren.

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Die Jury der „Gilde deutscher Film­kunst­theater“ setzt sich aus drei Juroren zusammen, die Kino­be­treiber und Mitglieder der Gilde sind. Sie vergibt ihren Preis an einen Film des Wett­be­werbs: 24 Wochen von Anne Zohra Berrached.