Like A Complete Unknown

A Complete Unknown

USA 2024 · 142 min. · FSK: ab 6
Regie: James Mangold
Drehbuch: ,
Kamera: Phedon Papamichael
Darsteller: Timothée Chalamet, Monica Barbaro, Edward Norton, Elle Fanning, Boyd Holbrook u.a.
Like A Complete Unknown
Ideales Werbeformat für eine Musik und eine Zeit, die in Vergessenheit gerät...
(Foto: Disney)

A series of dreams

James Mangold entwirft in seinem Bob Dylan-Biopic, das auf der Berlinale Deutschland-Premiere feierte, ein Porträt des Künstlers als junger Mann, das ohne große Tiefen und voller Stereotypen ist, aber immerhin auch die dunklen Seiten Dylans zeigt

»I was thinking of a series of dreams
Where nothing comes up to the top
Ever­y­thing stays down where it’s wounded
And comes to a permanent stop«

– Bob Dylan, Series of Dreams

Wie sehr die Berlinale um Stars auf dem roten Teppich ringt, ist seit Jahren bekannt. Hier hat es nun endlich geklappt. Auch wenn James Mangolds Biopioc über Bob Dylan „nur“ eine Deutsch­land­pre­miere ist und bereits in zahl­rei­chen Ländern regulär im Kino läuft, hat sich immerhin Haupt­dar­steller Timothée Chalamet zur Premiere des Films auf der Berlinale angekün­digt.

Das macht den Film größer als er ist. Denn auch wenn Mangold mit seiner Johnny Cash- Bio Walk the Line bereits gezeigt hat, wie weit sein kreatives Spektrum reicht, um ein komplexes Leben erzäh­le­risch und musi­ka­lisch spannend abzu­bilden und 2023 ja auch Indiana Jones ein über­zeu­gendes, weiteres Leben geschenkt hat, bleibt Mangold bei der Bebil­de­rung von Dylans frühen Jahren hinter seinen Möglich­keiten zurück.

Das mag auch daran liegen, dass Mangold nicht aus dem Vollen schöpfen kann. Denn Elijah Walds Buch Dylan Goes Electric!, auf dem Mangolds Film fußt, fokus­siert im Vergleich zu Mangolds Cash-Film auf einen sehr kurzen Zeitraum Leben - es sind gerade mal die vier Jahre zwischen 1961 und 1965. Es ist die Zeit, da Dylan als 19-jähriger in New York eintrifft, sein Idol Woody Guthrie und den Hohe­priester der damaligen Folk-Bewegung, Pete Seeger trifft und wie so oft in Dylans Leben neben den bedeu­tenden Männern auch bedeu­tende Frauen ihr Werk tun, um Dylan zu trans­for­mieren. Männer und Frauen, von denen sich Dylan dann immer wieder fast schon zwanghaft zu eman­zi­pieren versucht, was dann auch dazu führt, dass Dylan am Ende dieses Lebens­ab­schnitts, 1965 auf dem legen­dären Newport-Festival, von der akus­ti­schen auf die elek­tri­sche Gitarre wechselt, um sich aus immer schwerer wiegenden Erwar­tungs­hal­tungen musi­ka­li­scher und privater Natur zu befreien.

Mangold gelingen vor allem in der Begegnung mit dem schwer kranken Woody Guthrie (Scoot McNairy) große Momente, weil hier ohne Worte, nur mit Blicken und am Ende mit Musik eine ganze Beziehung erzählt wird. Und mehr noch von einem Amerika erzählt wird, das noch freimütig und unbe­fangen mit sozia­lis­ti­schen und kommu­nis­ti­schen Ideen expe­ri­men­tierte. Doch in dem Moment, wenn die Frauen ins Spiel kommen, wird es schwierig in Mangolds Film.

Das beginnt bei der von Elle Fanning verkör­perten Susan Rotolo, die auf Bitten Dylans in diesem Film Sylvie Russo heißen muss. Mangold hätte hier die Chance gehabt, sich von dem für Rotolo immer wieder schwie­rigen Image, „nur“ die Frau an der Seite von Dylan auf dem ikono­gra­fi­schen Cover von The Free­wheelin’ Bob Dylan zu sein. Mangold hätte hier wenigs­tens in Ansätzen die intel­lek­tu­elle, poli­ti­sche Akti­vistin zeigen können, die Dylan nach­haltig beein­flusst hat, doch mehr als ein Puttchen Brammel- Stereotyp springt für Rotolo nicht heraus. Das gleiche gilt für die Präsenz von Joan Baez (Monica Barbaro), die hier als als ein Abzieh­bild weib­li­cher Erge­ben­heit daher­kommt und weit von der Baez entfernt ist, die wir vor kurzem erst in Miri Navaskys und Karen O’Connor beein­dru­ckender Doku­men­ta­tion I Am a Noise (2023) kennen­lernen durften. Dieser Alther­ren­blick wird immerhin dadurch gebrochen, dass Mangold konse­quent zeigt, dass Dylan nicht nur der begnadete Künstler ist, sondern auch ein zutiefst verun­si­chertes Arschloch, dem der frühe Ruhm einen wichtigen Teil seines Lebens raubte. Gerade diese Passagen heben sich angenehm von Todd Haynes Schizo-Porträt Dylans in I’m Not There (2007), in der mutwil­lige Kunst sein sollte, was eigent­lich pure Verzweif­lung war.

Und Timothée Chalamet, der hier leiden­schaft­lich aufspielt und singt und dessen Perfor­mance so wie übrigens der ganze Film von Dylan immerhin als gut befunden wurde? Wer Dylans Stimme kennt (und mag), wird immer wieder verblüfft sein, wie sehr sich Chalamet ihr annähert, zumindest an der Ober­fläche. Doch ist sie dann und in fast jedem Song einfach zu schön, fehlt gerade die immer wieder auch inten­dierte brüchige „Häss­lich­keit“ von Dylans Stimme, die gerade im Kontrast zu stimm­li­chen „Neube­sin­nungen“ von Dylan wie auf Nashville Skyline (1969) deutlich wird. Doch Chalamet gelingt es dafür umso mehr, die bis heute linkische Bühnen­prä­senz von Dylan über­zeu­gend darzu­stellen und wie schon erwähnt, seine vertrackten Fehl­zün­dungen im Umgang mit den Menschen, die ihn umgeben, spürbar zu machen, darunter auch der etwas erratisch auftau­chende Johnny Cash (Boyd Holbrook), der wie viele andere Größen in diesem Film, nicht mehr als ein »Name­drop­ping«, ein Schatten bleibt.

Oder ein Traum­ge­bilde, denn das ist es viel­leicht, was Mangolds Film am besten beschreibt, eine Abfolge von Traum­mo­menten, Vorstel­lungen, wie diese kreative Zeit mit ihren kreativen Momenten damals war. Das hat durch das Tempo, das aufwändig und liebevoll insze­nierte Zeit­ko­lorit und das üppige Einspielen von Dylans Musik immer auch etwas von der flüch­tigen, sedie­renden Kraft von Youtube-Shorts oder Tiktok-Clips, ist aber gleich­zeitig ein fast schon ideales Werbe­format für eine Musik und eine Zeit, die mehr und mehr in Verges­sen­heit gerät.

Wer mehr wissen will, wer die Grauzonen besuchen oder die eigenen Traum­be­geg­nungen mit Dylan anrei­chern möchte, der hat nicht nur Martin Scorseses über­ra­gende Doku­men­ta­tion No Direction Home (2005) zur Auswahl, sondern auch D.A. Penne­bakers noch heute unbedingt sehens­werten wilden Mitschnitt Dont Look Back (1967) über Dylans „elek­tri­fi­zierte“ Tour in England, die nach dem hier erzählten Ende folgte und in der sich das Personal in Dylans Leben völlig ändern sollte. Und damit auch das Leben, das plötzlich nicht mehr nur verzwei­felte Insze­nie­rung war, sondern ein konse­quenter Rückzug von Öffent­lich­keit und Insze­nie­rung, eine „Mensch­wer­dung“, aus der dann auch musi­ka­li­sche völlig neue Welten erwuchsen. Eine Zeit, über die hoffent­lich die nächste Film­bio­grafie über Bob Dylan erzählen wird.

Ein Gefühl von Aufbruch

James Mangold kehrt zu seinen Wurzeln zurück und nimmt sich diesmal das Leben des wohl größten musikalischen Literaten der Popkultur vor: Bob Dylan

Bohemian Rhapsody, Elvis, I Wanna Dance with Somebody, Back to Black… Die Liste der Musiker-Biopics der letzten Jahre ist lang. Mit Like A Complete Unknown findet dieser Trend seinen vorü­ber­ge­henden Höhepunkt. In gewisser Weise schließt sich mit diesem Film auch ein Kreis. Regisseur James Mangold insze­nierte im Jahr 2005 mit Walk the Line ein Biopic über Johnny Cash, welches die Ära der modernen Filme über Musiker begann.

Nun also Bob Dylan. Mangolds größter Trumpf ist wie auch schon in Walk the Line sein Haupt­dar­steller: Timothee Chalamet als Bob Dylan liefert eine seiner bisher besten Perfor­mances ab und lässt dabei jeden Zweifel darüber verschwinden, ob ein zu großer Schau­spieler für die Perso­ni­fi­ka­tion einer echten Persön­lich­keit unzu­träg­lich ist. Ob beim Auftritt auf dem Newport Folk Festival, beim Rauchen einer Zigarette oder bei einer Jamses­sion: Timothee Chalamet ist Bob Dylan. Obwohl der Rest des Casts, ange­fangen bei Edward Norton als Bob Dylans Mentor, Elle Fanning als seine frühe Liebe oder Monica Barbaro als Joan Baez, Wegbe­glei­terin in seinem musi­ka­li­schen Werdegang, ebenso gut aufspielen, nimmt die Aura des Haupt­dar­stel­lers in jeder Szene den gesamten Raum ein. Gut so, denn hier geht es ja immerhin um eine der größten Figuren der Popkultur.

Bei einem Film dieser Kragen­weite stellt sich die Frage, wie authen­tisch und chro­no­lo­gisch korrekt das Gesche­hene abge­bildet wird. James Mangold illus­triert weder einen Wikipedia-Eintrag, noch insze­niert er einen detail­liert und gut recher­chierten Film. Er fokus­siert vielmehr auf den Mythos, der hinter dem Namen Bob Dylan steckt, und auf das Gefühl und die Emotionen, die sein Werk vermit­teln. Wie auch bei Bohemian Rhapsody hinter­lässt der Film eben genau das: ein Gefühl. Der Film kann dies vor allem dann entfalten, wenn Bob Dylan auf dem Newport Folk Festival seinen Song »Times they’re a Changin’« singt und man mit dem Konzert­pu­blikum den Aufbruch in neue Zeiten spürt.

Die Biogra­phie von Dylan dient dem Film als erzäh­le­ri­scher Leitfaden. Mangold ergreift die Möglich­keit eines Biopics, die Wirk­sam­keit und zeit­his­to­ri­sche Rezeption einer Person zu beleuchten, was sonst oft ange­sichts der dring­li­chen Abar­bei­tung von trivialen Fakten zu kurz kommt. Neben dem berühmten Auftritt in Newport wird dies besonders sichtbar, wenn Dylan zu Beginn auf seinen Mentor trifft und für ihn und dessen Freund, ein Vorbild von Dylan, nur mit seiner Gitarre einen Song performt. Die Wirkung seiner Texte und deren erzäh­le­ri­sche Stärke wird hier greifbar.

Ummantelt wie so häufig in Mangold-Filmen wird das Ganze von einer Liebes­ge­schichte, dem Liebes­dreieck zwischen Dylan, seiner Jugend­liebe Sylvie (der reale Name wurde auf Dylans eigenen Wunsch hin geändert) und Joan Baez. Die Hin- und Herge­ris­sen­heit zwischen den beiden Frauen nimmt einiges an Platz ein, wenn auch hier dem Film am meisten Tiefe fehlt. Wenn Dylan und Sylvie streiten oder er nachts plötzlich im Hotel­zimmer von Joan Baez auftaucht, um mit ihr zu schlafen, wirkt er eben genauso unnahbar wie als Licht­ge­stalt auf der Bühne. Irgendwie trägt es zur ange­strebten Mysti­fi­zie­rung bei, lässt einen jedoch auch recht kalt.

Hinter der Kamera agiert das gewohnte Stamm­per­sonal von James Mangold. Die Kamera (Phedon Papa­mi­chael) fängt das Geschehen ruhig und immer figu­ren­zen­triert ein, ohne sich dabei extra­va­ganten Kame­ra­fahrten oder außer­ge­wöhn­li­chen visuellen Spie­le­reien hinzu­geben. Die Kostüme (Arianne Phillips) und Kulissen (Set-Deko­ra­tion: Regina Graves; Produk­ti­ons­de­sign: Francois Audouy) tauchen in die 60er-Jahre ein, sind jedoch eher optisches Beiwerk. Alles ist gut, nicht heraus­ra­gend und bewirkt genau das, was es soll: einen Rahmen zu setzen.

Einen Film zu machen, der das gesamte Leben von Bob Dylan abdeckt und chro­no­lo­gisch seinen Werdegang wieder­gibt, ist vermut­lich unmöglich. Zu groß ist seine Vita und zu lang seine Karriere. Sehens­wert ist der Film dennoch dank Mangolds Ansatz, die Figur von Bob Dylan mehr zu beleuchten als seine Lebens­ab­schnitte im Detail nach­zu­er­zählen. Ob dies ausreicht, um das breite Fanpu­blikum zu über­zeugen? Die Antwort weiß wohl nur der Wind.