28.12.2023

Jahresrückblick: Flops und Tops 2023

Anatomie eines Falls
Die beste Schauspielerin des Jahres im besten Film des Jahres: Sandra Hüller in Anatomie eines Falls
(Foto: Plaion/Wild Bunch/Central Film)

Warum die deutsche Filmpolitik besser werden muss – und was dieses Jahr getrendet hat

Von Dunja Bialas

Flops 2023

Zukunfts­kon­zept des Auswär­tigen Amts

Future is not now: Schon jetzt ist das Zukunfts­kon­zept des Auswär­tigen Amts ein Flop. Im »stra­te­gi­schen Dialog« wurde im September im Zuge der »umfas­senden Trans­for­ma­tion« des Goethe-Instituts die Film­fes­ti­val­för­de­rung abge­schafft, die gerade erst aus der Zustän­dig­keit des Auswär­tigen Amts an das Goethe-Institut über­tragen worden war. Geopfert wurde die auch für kleinere Budgets gedachte »de+-Förderung« von Festivals mit inter­na­tio­naler Ausrich­tung. De facto wird damit vom Auswär­tigen Amt der kultu­relle Austausch erschwert, eine Tradition, die seit Gründung der Film­fes­ti­vals in der Nach­kriegs­zeit ein wichtiger Bestand­teil der inter­na­tio­nalen und inter­kul­tu­rellen Völker­ver­s­tän­di­gung war. Nota bene: Inter­na­tio­nale Kultur­pro­gramme anderer Sparten, die vom Auswär­tigen Amt nicht an das Goethe-Institut über­ge­gangen waren, sind von der Strei­chung nicht betroffen. Film­fes­ti­vals können der deutschen Regierung kaum viel wert sein.

FFG-Novel­lie­rung

Auch im »ressort­ab­ge­stimmten Refe­ren­ten­ent­wurf« zur Novel­lie­rung des seit 1967 bestehenden und seitdem konti­nu­ier­lich geän­derten Film­för­de­rungs­ge­setzes (FFG) finden Film­fes­ti­vals keine Erwähnung. Die AG Film­fes­tival wies im Juni in einem Brand­brief darauf hin, dass Film­fes­ti­vals in den letzten 20 Jahren »zu einem wesent­li­chen Faktor in der Wahr­neh­mungs­ö­ko­nomie und somit festem Bestand­teil der Verwer­tungs­kette von Filmen« geworden seien und damit Gegen­stand des zum 1.1.2024 zu novel­lie­renden FFG sein sollten. Zu erinnern ist bei diesem poli­ti­schen Versagen auch an das Credo des Koali­ti­ons­ver­trags und an den damit verbun­denen Auftrag an die Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth, Kinos und Festivals »verläss­lich« zu fördern.

Berlinale

Das Mitglied der Findungs­kom­mis­sion Mariette Rissen­beek hat sich noch 2019 als Nach­fol­gerin für den lang­jäh­rigen Festival-Direktor Dieter Kosslick selbst gefunden. Ende März gab sie bekannt, ihren Vertrag als geschäfts­füh­rende Berlinale-Chefin aus Alters­gründen nicht zu verlän­gern, wodurch auch der künst­le­ri­sche Co-Leiter Carlo Chatrian von der Flieh­kraft des ange­stoßenen Perso­nal­ka­rus­sells erfasst wurde: Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth fand das Ein-Personen-Modell à la Kosslick doch wieder zukunfts­trächtig für die Berlinale, weshalb Chatrian keine Möglich­keiten mehr für sich beim deutschen A-Festival sah. Seine Perso­nalie scheint aber ohnehin nur als Inte­rims­lö­sung geplant zu sein, muss man doch davon ausgehen, dass Rissen­beek bei Vertrags­ab­schluss sehr wohl wusste, wie alt sie im Jahre 2024 sein werde – und sich trotzdem »finden« ließ.

BKM-Verleih­för­de­rung I

Music
Silberner Bär und einer der schönsten Filme des Jahres: Music (Foto: Grandfilm)

Auch 2023 ging ein auf der Berlinale ausge­zeich­neter deutscher Spielfilm ohne BKM-Verleih­för­de­rung in die deutschen Kinos. Selbst wenn man die Filme von Angela Schanelec und insbe­son­dere den betrof­fenen Music für Kassen­gift hält, muss man zugeben, dass hier ein System­fehler vorliegt: Zunächst wird der Film mit öffent­li­chen Geldern gefördert (Darle­hens­prinzip), dann läuft er auf der mit knapp 11 Millionen Euro aus BKM-Mitteln geför­derten Berlinale und gewinnt dort den Silbernen Bären. Der nicht dotierte Preis soll Ruhm für Folge­ein­la­dungen und -gelder anziehen. Anders im Hause Roth: Die BKM-Jury überging den Film bei der Verleih­för­de­rung. Sie hatten den Film nicht verstanden, wurde kolpor­tiert. Music floppte mit knapp 5000 Zuschauern an der Kinokasse. Was sind der BKM wohl ihre künst­le­ri­schen Filme wert?

BKM-Verleih­för­de­rung II

Manchmal ist mehr Geld aber auch nicht gut. Die kultu­relle Verleih­för­de­rung der BKM ist seit Juli auch für größere Projekte geöffnet. Die Ober­grenze für die maximale Förder­höhe ist von 50.000 Euro auf 150.000 Euro angehoben, die Begren­zung auf 40 Kopien bei Kinostart entfällt. Klingt doch erst einmal gut, oder? De facto wird damit die kultu­relle Verleih­för­de­rung auch für besser ausge­stat­teten Arthouse-Main­stream geöffnet. Die FFA wird damit in diesem Sektor entlastet und kann sich nun auf die deutschen Block­buster konzen­trieren. Zur auswer­tenden Wieder­vor­lage im nächsten Jahr.

Tops 2023

Kino­be­suche

Oppenheimer
Zweit­s­tärkster Film des Jahres: Oppen­heimer (Foto: Universal Pictures Inter­na­tional Germany GmbH)

Die fürs erste Halbjahr vorlie­gende Kino­bi­lanz verzeichnet mit 45,2 Millionen Tickets einen Anstieg von fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Maßgeb­lich beteiligt waren Avatar: The Way of Water (5,7 Mio.), Der Super Mario Bros. Film (5), John Wick: Kapitel 4 (1,7). Mit Manta Manta – Zwoter Teil (1,1) und Sonne und Beton (1,1) konnten auch zwei deutsche Block­buster unter den Top Ten mitspielen. Den Barben­heimer-Effekt gab es erst im zweiten Halbjahr, zu dem noch keine Zahlen vorliegen. Jetzt schon aber ist bekannt: Allein der Doppel-Wumms bringt 10 Millionen Zuschauer, davon 5,9 Mio. von Barbie und 4,1 Mio. von Oppen­heimer. Ein Kino­be­treiber warnt trotzdem vor allzuviel Euphorie : Der Barben­heimer-Effekt verfäl­sche seiner Einschät­zung nach die Jahres­bi­lanz und verstelle den Blick darauf, dass die Kinos nach wie vor am Kämpfen sind. Zur Wieder­vor­lage nach Veröf­fent­li­chung der Jahres-Kino­be­suchs­zahlen.

Sandra Hüller

The Zone of Interest
Sandra Hüller als deutsche Mutter in The Zone of Interest (Foto: Leonine)

Die zurück­hal­tend und nuanciert spielende Sandra Hüller ist die Antithese zur komö­di­an­tisch aufge­drehten Margot Robbie (Barbie), verpasst dem Kino aber trotzdem eine ordent­liche Vital­spritze. Knapp 200.000 Leute sahen Anatomie eines Falls – der für Viele beste Film des Jahres hat der deutschen Schau­spie­lerin eine Golden-Globe-Nomi­nie­rung einge­bracht. Auch nächstes Jahr geht der Sandra-Hüller-Boom weiter: Jonathan Glazers The Zone of Interest kommt am 29.2. in die deutschen Kinos. Der Film steht auf der Shortlist für den Auslands-Oscar und ist für drei Golden Globes nominiert.

Analoge Nostalgie

Past Lives
Besuch aus der Vergan­gen­heit: Past Lives (Foto: Studio­canal)

Auf Oscar-Kurs ist auch der deutsche Beitrag Das Lehrer­zimmer. Selbst wenn dem Film des Münchner Produ­zenten Ingo Fliess nicht der große Erfolg beschieden sein sollte wie dieses Jahr der Netflix-Produk­tion Im Westen nichts Neues, folgt der im Academy-Format gedrehte Film dem Trend der medialen Nostalgie. Dazu gehört auch das Drehen auf Kodak-Film­ma­te­rial: The Old Oak (Ken Loach), Asteroid City (Wes Anderson), Fallende Blätter (Aki Kauris­mäki), Past Lives (Celine Song), Killers of the Flower Moon (Martin Scorsese), Oppen­heimer (Chris­to­pher Nolan) und Maestro (Bradley Cooper) sind auf 35mm gedreht. Chris­to­pher Nolan brachte Oppen­heimer sogar auf 70mm heraus. Der Zelluloid-Boom geht nächstes Jahr weiter: Yorgos Lanthimos (Poor Things) und Andrew Haigh (All of Us Strangers) drehten ebenfalls auf Kodak. Zelluloid ist jetzt sogar auch ohne belich­tetes Film­ma­te­rial angesagt: Sofia Coppola wollte Priscilla auf analogem Material drehen, das aber gab das Budget nicht her. Als Trost bringt sie den digitalen Film jetzt als 35mm-Kopie in ausge­wählte Kinos.

Retro-Kino

Fallende Blätter
Wie Kino in den Acht­zi­gern: Fallende Blätter (Foto: Pandora Film Medien GmbH)

Filme wie früher kamen dieses Jahr geballt auf die Leinwand – die neue Zuschauer-Gene­ra­tion konnte mit Killers of the Flower Moon (Martin Scorsese, 81), Rapito (Marco Belloc­chio, 84) und The Old Oak (Ken Loach, 87) einen hervor­ra­genden Hattrick alter weißer Männer sehen. Nicht ganz so alt (66) ist Aki Kauris­mäki, der dieses Jahr mit Fallende Blätter eine späte Fort­set­zung seiner prole­ta­ri­schen Trilogie aus den Acht­zi­ger­jahren vorgelegt hat. Auch Wim Wenders darf mit seinen 78 Jahren in die Liga der alten Männer gerechnet werden. Obwohl er uner­müd­lich Film für Film vorlegt, hat man schon lange keinen so schönen Wenders mehr gesehen wie Perfect Days, der jetzt als japa­ni­scher Beitrag für den Oscar nominiert wurde. Wetten aber, dass es mit der Alther­ren­riege bald vorbei sein wird? Wir freuen uns schon jetzt auf das Spätwerk der Regie-Damen. Eines gibt es bereits: Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste von Marga­rethe von Trotta (81). Das Alters­werk der Frauen: zur Wieder­vor­lage im nächsten Jahrzehnt.