125 Jahre Kino – und was kommt jetzt? |
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Kino Otok – Islands for Forgotten Cinemas – Ivan Ramljaks Bestandsaufnahme untergeganger Kinos |
Von Dunja Bialas
Streng genommen beginnt ja erst mit dem Jahr eins das neue Jahrzehnt. Es besteht also noch Hoffnung: Die Nullrunde ist endlich vorüber, die Zwanziger Jahre, die zum letzten Jahreswechsel euphorisch begrüßt wurden, können jetzt endlich losgehen.
Das Kino hatte vor ein paar Tagen sein 125. Jubiläum. Das verstrich ohne Aufruhr, es gab keine Feierlichkeiten, keine Ansprachen, kaum Feuilleton und natürlich keine Filmvorführungen. Am 28. Dezember 2020 hatte das Kino nichts zu feiern, es war zu, niemand zeigte Lumières' erste Filme La Sortie de l’Usine Lumière und L’Arroseur arrosé vom Kinematographen, wie 1895 zur Geburtsstunde des Kinos. Die Welt und die Bilder waren im großen Stream der Wohnzimmer untergegangen.
So gilt auch 125 Jahre nach der Grundsteinlegung für eine neue Ära der Medialität: Die technische Entwicklung ist die Keimzelle der Film- und Kinogeschichte. Umso genauer sollten wir auf aktuelle Entwicklungen achten, denn sie lassen auf die Zukunft des Kinos schließen. Wird das Kino als Ort verschwinden? Werden die Blockbuster überleben? Wird das Kino in einer geschützten Nische als Kunst erblühen?
Corona hat ein paar der Entwicklungen der letzten Jahre beschleunigt. Dazu gehört das Streamen, aber beispielsweise nicht die Mobilisierung der Bilder. Der Katalysator Covid-19 hat eine sprunghafte Digitalisierung unseres gesamten, sogar unseres sozialen Lebens hervorgebracht, einhergehend mit einer neuen Sesshaftigkeit. »In Kriegen, Revolutionen und Pandemien gewinnen immer die neuen Technologien«, sagte vor ein paar Tagen der Philosoph Boris Groys im Interview mit der »Süddeutschen Zeitung«. »In der Pandemie wird die rasante Entwicklung der digitalen Technologien forciert. Was wir erleben, ist keine Disruption, sondern die Radikalisierung der Entwicklung, die ohnehin stattfindet.«
Was aber bleibt von der coronainduzierten Kultur- und Kino-Krise? Welchen Wandel wird das Kino im nächsten Jahrzehnt erleben? Wie können wir ihn so gestalten, dass das Kino bleiben kann?
Es folgt: eine Bestandsaufnahme aktueller Phänomene, die ahnen lässt, wie sich das Kino in Zukunft entwickeln wird.
Das neue Jahrzehnt beginnt, geben wir das Kino nicht auf.
Wie die von der Filmförderungsanstalt (FFA) in Auftrag gegebene Studie »Finanzielle Auswirkungen von Covid-19 auf Kinobetreiber« nahelegt, müssen sich die Kinos auf weiteren Besucherschwund gefasst machen. Die coronabedingten Restriktionen auf den Kinobesuch wirkten sich bereits vielfältig aus: Kinosäle konnten während der kurzen Zeit ihrer Wiedereröffung nur zu etwa 20 Prozent ausgelastet werden. Zahlreiche Besucher*innen wurden im Sommer an der Kinokasse abgewiesen oder hatten bei den unflexiblen Online-Kassensystemen das Nachsehen. Da aufgrund der Programmiervorgaben und gegebenen Sitzplatzabstände oftmals ein realer Abstand von bis zu 3 Metern entstand (anstelle der vorgeschriebenen 1,5 Metern), bemühten sich die Kinoverbände vergeblich um einen Sitzabstand nach »Augenmaß«. Kino als Gruppenunternehmung, in jüngeren Kreisen immerhin noch beliebt, wurde durch die Abstandsregelungen verunmöglicht. Das unerfreuliche Fazit der Studie ist: »Insgesamt ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach Kinobesuchen nach der Wiederöffnung der Kinos deutlich unter dem durchschnittlichen Wert der Vorjahre liegen wird.« Nach dem zweiten Lockdown und insgesamt fünf Monaten Kino-Schließung müsste man hier wohl noch etwas deutlicher werden.
Verbunden mit der coronabedingten Kinoschließung und dem Besucherschwund ist ein Finanzloch in der Filmförderungsanstalt entstanden, das Auswirkungen auf das gesamte Fördersystem, also auch der Filmproduktion, hat. Fakt ist, dass bis zum 30.06.2021 die Abgaben der Kinos an die Filmförderungsanstalt als »Corona-Soforthilfemaßnahme« gestundet werden. So müssen Kinos normalerweise ab einem Jahresumsatz von 100.000 Euro bis zu drei Prozent an die Behörde abgeben, Geld, das in die Realisierung neuer Projekte fließt. »Filmabgabe« heißt dieser Kunstgriff des Regelkreis-Fördersystems. Angesichts einer anhaltenden Schließung der Kinos ist aber nicht davon auszugehen, dass die für die Filmabgabe notwendige Besucherzahl erreicht wird.
Die FFA wird mit einem Finanzierungsloch in das neue Jahrzehnt starten. Jetzt könnte tatsächlich der Fall eintreten, dass die FFA unter einen Rettungsschirm des Bundes gestellt werden muss. Der in Fachkreisen vielfach geäußerte Wunsch, die FFA abzuschaffen, könnte womöglich in Erfüllung gehen.
Auch das Filmangebot versiegte scheinbar mit Corona. Diese Wahrnehmung aber verdankt sich der Fixierung von Branche und Presse auf Blockbuster wie den neuen »James Bond« Keine Zeit zu sterben oder den neuen »Eberhofer« Kaiserschmarrndrama, der es fast geschafft hätte, sich in die frei gewordenen Bond-Spieltermine zu setzen. Aktuell ist der Bond-Start auf Ende März 2021 verschoben, Kaiserschmarrndrama wurde auf August 2021 terminiert und startet damit mit einem ganzen Jahr Verspätung.
Potentielle Kinobesucher*innen bekommen durch die entsprechende Berichterstattung den Eindruck vermittelt, dass sich ein Kinobesuch nicht lohnt, weil es die Filme nicht hergeben. »Vor allem braucht es neue, gute Filme. Die sind derzeit Mangelware«, weiß das NDR-Kulturjournal noch Mitte September. Verschwiegen werden Filme wie Berlin Alexanderplatz, Harriet, Undine, Il Traditore oder Futur Drei. Allein Die Känguru-Chroniken und Tenet scheinen zu zählen: Sie sind die einzigen, denen man zutraute, wieder Geld in die Kassen zu bringen, entsprechend die Berichterstattung und Aufmerksamkeit. Der Rest wurde wie zweitklassige Ware behandelt.
Filmverleihe und die großen Kino-Multiplexe, die den wichtigen Bodensatz der Filmwirtschaft bilden, sind anders als Arthouse-Kinos bislang kaum in den Genuss der Corona-Hilfsmaßnahmen gekommen. Hier greifen Einzelunternehmer-Regelungen, nicht aber die Soforthilfemaßnahmen für die Kultur. Bereits lancierte Verleih-Kampagnen für den Filmstart, bei denen viel Geld in die Hand genommen wurde, sind jedoch reale und prekär wirkende Verluste. Nur die Stärksten werden bei diesem Kulturdarwinismus überleben, und wohl dem, der sein Geld noch nicht in einen jetzt abgesagten Filmstart investiert hatte.
Ein Beispiel: Grandfilm hat für den Start des Berlinale-Gewinners Doch das Böse gibt es nicht fast eine Viertelmillion Euro in die Hand genommen. Der Film hätte am 5. November in den Kinos starten sollen, nur eine Woche vorher wurde der Kultur-Lockdown beschlossen. »Dass wir ihn jetzt nicht auswerten können, stellt für uns eine existenzielle Bedrohung dar«, schreibt Grandfilm in einer Pressemitteilung.
Wieder einmal krankt auch das System. Die Corona-Hilfe »Neustart Kultur« kann nur für Filmprojekte der FFA oder des BKM abgerufen werden, für Filme also, die im deutschen Fördersystem verankert sind. Der Verleih von Kaiserschmarrdrama – ein erwartbarer Selbstläufer – wird mit einer halben Million Euro subventioniert. Internationale Filme ohne deutsche Beteiligung fallen raus, wie Doch das Böse gibt es nicht oder
Bertrand Bonellos großartiger Zombi Child (ebenfalls bei Grandfilm), ein weiterer untergegangener Titel des vermaledeiten Kinojahrs 2020. Die Auswüchse dieser Förderpraxis: Von den 14 Millionen Euro Corona-Verleihhilfe gehen über 60 Prozent an nur fünf Verleiher, darunter die Big Player
Constantin (sechs geförderte Titel), Leonine (ehemals Universum, sechs Titel), Warner (vier Titel). Die unabhängigen Verleiher, von denen es um die vierzig in Deutschland gibt, werden nicht bedacht.
Was vom Kino übrig bleibt, wenn die kleinen Verleiher verschwinden, wird sich zeigen. Stichwort: Monokultur.
Was bleibt dem frustrierten Zuschauer dann noch anderes übrig, als sich aufs Sofa zurückzuziehen und zu streamen? Wer aber im Wohnzimmer Filme sieht, ist kein »Publikum« (zu dem es die Teilnahme am öffentlichen Leben braucht), sondern je nach Eigendefinition selbstbestimmter Individualist, realitätsverweigernder Slacker oder gemütlicher Couchpotato. Die Schrumpfung der Kino-Nomaden zu Sofa-Monaden jedoch vernichtet die Diskurszusammenhänge. Jeder sieht, was er mag, meist immer das Gleiche und jeder etwas anderes. Filme werden für das Streamingangebot algorithmisiert oder verschwinden im Nirwana des endlosen digitalen Raums.
Die Reaktion auf die Orientierungslosigkeit des Zuschauers lässt nicht auf sich warten. Netflix besinnt sich auf die Vorzüge des linearen Fernsehens und startete im November in Frankreich ein Pilotprojekt mit dem Ziel, der »tyranny of choice« ein Ende zu bereiten und auf Filme aufmerksam zu machen, auf die die Abonnenten oder Algorithmen selbst nicht kommen. Das »Direct« genannte lineare Angebot sei »a good option for viewers and takes nothing away from on-demand viewing«, heißt es.
Es gibt aber auch Geschäftsideen, die nicht an der Mechanik des Streamens schrauben, sondern lieber gleich die Kinos ausschalten. Disney+ will künftig den Kinostart gänzlich überspringen und durch eine Direct-to-Consumer-Strategie ersetzen. Warner Bros. will immerhin an der Kinoauswertung festhalten, das Kinofenster aber
dennoch schließen: Filme würden dann zeitgleich im Kino und auf der unternehmenseigenen Streamingplattform HBO Max starten. Denis Villeneuve, dessen Dune betroffen ist, schießt gegen Warner Bros., vor allem aber gegen die Telekommunikationsfirma AT&T, die seit 2018 die Geschicke von Warner bestimmt: »Warner Bros.’ sudden reversal from being a legacy home for filmmakers to the new era of complete disregard draws a clear line for me. Filmmaking is a collaboration, reliant on the mutual trust of team work and
Warner Bros. has declared they are no longer on the same team.«
Universal Pictures will die Exklusivauswertung in den Kinos auf zwei Wochen verkürzen. Netflix, das ebenfalls eine kurze Kinoauswertung seines Filmangebots gewährt (siehe unser Interview), steht im Vergleich
plötzlich gar nicht mehr so schlecht da.
Je länger die Kinos geschlossen sind, desto mehr gewöhnen wir uns daran, Filme zu streamen. Netflix, Amazon Prime, Disney+, Apple und Sky erfreuen sich seit Corona-Beginn über steigende Abonnentenzahlen. Das Problem: Hier fließt das Geld in die Tasche einzelner Unternehmen, die teilweise keine Abgaben an die FFA oder gar Steuern zahlen. Couchpotatoes unterstützen damit nicht nur die Großkonzerne, sondern schwächen zusätzlich die örtlichen Strukturen.
Die behördlichen Maßnahmen und unbedachte Äußerungen von Wissenschaftlern führten zusätzlich zu einer Verunsicherung des Publikums, das in Anbetracht der getroffenen Corona-Hochsicherheitsmaßnahmen den Kino- und Theaterraum als besonders gefährlich wahrnimmt.
Studien, die für die Kultur positive Ergebnisse liefern, werden in der Öffentlichkeit kaum publiziert oder debattiert. So blieb die Studie über die Risikobewertung von Aerosolen in Alltagssituationen, darunter auch in Kinos, des auf Luftströmungen spezialisierten unabhängigen Hermann-Rietschel-Instituts an der TU Berlin von der Politik unbeachtet. Ein Tag im Büro oder das Zusammensitzen im Wohnzimmer ist gemäß der Studie gefährlicher als ein Kinobesuch. Auch der für die Kunst erfreulich verlaufene sechswöchige Pilotversuch an der Bayerischen Staatsoper, der eine Saal-Auslastung von 500 mit Maske bewehrten Opernbesuchern zuließ (statt 200), ohne dass es zu einem »Infektionsgeschehen« kam, wurde von der Politik nicht kommentiert.
Trotz nachgewiesen unwahrscheinlicher Infektionen blieben die Leute verunsichert dem Kino fern. Den Grund liefert die FFA-Studie mit bezeichnender Formulierung: Die Menschen fühlen »angesichts bestehender (!) Infektionsrisiken Unbehagen, mit einer größeren Gruppe unbekannter Personen längere Zeit in einem geschlossenen Raum zu verbringen«. Dies treffe vor allem auf Risikogruppen zu. Eigene Erfahrungswerte aber haben anderes ergeben: Rüstige Rentner*innen sind weiterhin unternehmungslustig und gehen nach wie vor ins Kino, Theater oder in die Konzertsäle. Die mittlere Altersgruppe – womöglich mit Eltern im Risikoalter – ist hingegen beim Besuch von Kinos auffallend zurückhaltend und auch sonst im persönlichen Kontakt besonders vorsichtig. Dabei handelt es sich um aufgeklärte Menschen und sogar selbsternannte Freunde des Kinos. Mit dem mittleren Alterssegment, das dem Kino fernbleibt, bricht aber genau die Generation weg, die beides kann: Noch Kino und schon streamen.
Viele der Maßnahmen wurden getroffen, ohne überhaupt Kenntnis über die realen Gegebenheiten der Kultur zu haben. Zum Beispiel gehen die Novemberhilfen am azyklischen Agieren der Verleiher vorbei, die ihre Kampagnen bereits Monate vorher anschieben. Nach Auffassung der Politik handeln die Kulturschaffenden wohl ausschließlich spontan und kurzsichtig, weshalb man ihnen auch kurzfristig den Hahn zu- und wieder aufdreht. Angesichts solcher Fehlannahmen werden die Stimmen lauter, die der Politik – trotz augenscheinlich großzügiger Maßnahmepakete – grundlegendes Versagen bescheinigen. Es herrscht Unkenntnis über das Wirtschaften einer ganzen Branche, die beharrlich vorgetragenen Forderungen von Fachgremien und Verbänden werden stoisch ignoriert.
»Die Politik muss praxisnahe Mittel und Wege finden, die Kinobranche zu unterstützen – mit einem Hilfspaket, das die individuelle Situation der Betroffenen abbildet«, schreibt Grandfilm in seinem Brandbrief anlässlich des Kultur-Lockdowns im November 2020. Auch die Kinobetreiber stufen die Maßnahmen der Politik als weltfremd ein. In Bayern kündigten sie ein juristisches Normenkontrollverfahren an, weil die Politik nicht sachgerecht agiere. Mehrfach wurden Planungssicherheit und angemessene Zeiträume für die Wiedereröffnung angemahnt – zuletzt auch von Christine Berg, Sprecherin des Hauptverbands deutscher Kinos. »Wir hoffen auf das nächste Jahr. Dafür brauchen wir jetzt wirklich planbarere Öffnungen. Da muss die Politik ran, damit wir auch ein bisschen wissen, was das Jahr 2021 zumindest in den ersten drei, vier Monaten bringen wird.«
Stattdessen agieren die Politiker weiterhin im kopflosen und intuitiven Hopplahopp- und Hauruckverfahren. »Auf Sicht fahren« nennen sie das. Während die Fahrt aber trotz Corona-Nebel weitergeht, gefährliche Kurven nimmt und sogar Crashs drohen.
Gegen das Verschwinden der Kinos steht seit längerem die Subventionierung der Kinos nach dem Vorbild der öffentlich geförderten Theater im Raum. Dazu müssten bestimmte kulturelle Kriterien erfüllt werden, wie beispielsweise Filme im Original oder unterrepräsentierter Filmnationen zu zeigen, besondere Filmveranstaltungen abzuhalten, also Maßnahmen aufzubieten, die dazu geeignet sind, das Kino aus dem reinen Unterhaltungsbereich herauszuschälen und der Kultur und Bildung zuzuschlagen. Eine Subventionierung des Spielbetriebs würde die Kinobetreiber aus dem kommerziellen Druck entlassen, könnte sie zu Kuratoren und Kulturbetreibern machen.
Viel zu Wort kam in den letzten Monaten auch Lars Henrik Gass, Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen und Ex-Vorstandsmitglied des Bundesverbands Kommunale Filmarbeit, mit seiner Idee, das Kino zu »musealisieren«. Auch er spricht davon, die Abspielstätten zu subventionieren, außerdem die Filmförderung von der Kinoauswertung zu entkoppeln und damit die eng verzahnte Filmwirtschaft in ihren Bereichen unabhängiger zu machen, außerdem »Kinematheken« in den Städten einzurichten.
Der Musealisierung hängt allerdings auch immer die Mumifizierung an und Filme wie tote Materie zu zeigen, der der Kultus abhanden gekommen ist. »Les statues meurent aussi«, mahnte Alain Resnais 1953 in seinem gleichnamigen Filmessay, auch Statuen können sterben, und zwar, wenn sie im Museum eingeschlossen werden.
Eine »Theatralisierung« der Kinos hingegen würde die Theater zum Vorbild nehmen und die Abspielstätten in lebendigen Aufführungen und Publikumsbegegnungen dynamisieren. Das klingt in unseren Ohren besser, auch wenn am Ende vermutlich ähnliches gemeint ist.
Eine andere Idee ist die der Virtualisierung des Kinos, die bereits voranschreitet. Gegenüber der Musealisierung (oder Theatralisierung) passt sich das Kino in diesem Modell an die neuen medialen Gegebenheiten an, die Entwicklung erscheint deshalb so zeitgemäß. Mit dem ersten Shutdown gingen einzelne Verleiher prompt zum Streamen über und bieten seitdem ausgewählte Filme online an. Ein Vorreiter war Eksystent, Grandfilm zog nach, Rise and Shine folgte. Dropout Cinema entwickelte das Konzept des »Virtual Cinema« und zeigte After Midnight online – und im Kino.
Ziel war, den Big Streamern nicht das Feld zu überlassen, aber auch vergangene Verleiharbeit sichtbar zu machen, und nebenbei die Kinos durch eine Gewinnbeteiligung zu unterstützen. Auch Kinematheken streamen heute Filme aus ihrem Bestand, wie das Filmmuseum München und das Arsenal Institut Berlin mit seinem Saal »arsenal 3«. Der »dritte« Kinosaal scheint sich ohnehin als Begriff für die Virtualisierung des Kinos zu etablieren. So hat auch das Filmhaus Nürnberg seinen virtuellen Kinobereich »Kino 3« genannt.
Der Hauptverband Cinephilie plant außerdem die Streamingplattform »Cinemalovers«, die von den Kinos gemeinsam betrieben werden soll. Parallel zum Kinobetrieb wird in diesem Modell ein ergänzendes Programm kuratiert, das kulturelle Tiefe und randständige Filme – als diverser Gegenentwurf zur sich eventuell anbahnenden Monokultur – garantiert. Ob der Kampf um die schlussendlich begrenzte Aufmerksamkeit des virtuellen Netzpublikums gelingt, wird sich wohl erst am Ende des Jahrzehnts zeigen.
Bis es soweit ist, gehen wir ins Kino. Sofern es wieder möglich ist.
Wir wünschen dem Kino ein gutes, neues Jahrzehnt.