Wendepunkte und Neuanfänge |
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Mit dem Doku-Drama 1968 von Tassos Boulmetis eröffnet der Reigen griechischer Spiel- und Dokumentarfilme |
Von Elke Eckert
Zum 33. Mal können sich Freunde des griechischen Films in München auf ein Festival freuen, für das die Gruppe »Cinephil« ein spannendes und abwechslungsreiches Programm mit Dokumentationen, Dramen und Komödien zusammengestellt hat. Oft geht es darin um den Zustand der griechischen Gesellschaft zehn Jahre nach Ausbruch der Wirtschaftskrise, fast alle Geschichten erzählen von Neuanfängen. Veranstaltungsort ist wie jedes Jahr der Gasteig. Die Eröffnungsveranstaltung findet im Carl-Orff-Saal statt, alle weiteren Vorstellungen sind im Carl-Amery-Saal zu sehen.
Eröffnet wird die Filmwoche dieses Jahr mit dem Doku-Drama 1968. Über ein halbes Jahrhundert ist seit dem legendären Basketball-Finale zwischen dem AEK Athen und Slavia Prag am 4. April 1968 im Athener Kallimarmaro-Stadion mittlerweile vergangen. Regisseur Tassos Boulmetis, der schon in seinem vielfach ausgezeichneten Zimt und Koriander an historische Ereignisse erinnerte, indem er Lebens- und Liebesgeschichten erzählte, gelingt es auch diesmal, anhand einzelner Schicksale einen sehr persönlichen Blick auf die denkwürdige Sportveranstaltung zu werfen. Ein junges Pärchen setzt bei dem Spiel seine ganz eigenen Prioritäten, bei einem älteren Paar werden Erinnerungen wach, und ein kommunistischer Gefangener bejubelt jeden Korb seiner Mannschaft aus der Gefängniszelle. Noch eine Spur authentischer wird der melancholische und humorvolle Film durch den Besuch eines Zeitzeugen: Ex-Basketball-Profi Christos Zoupas gibt sich im Carl-Orff-Saal die Ehre und erzählt im Gespräch mit dem Publikum, wie er den unvergesslichen Abend erlebt hat. Im Anschluss daran steigt die Eröffnungsfeier in der Münchner Stadtbibliothek am Gasteig. (14.11, 19:00 Uhr und 20.11., 18:30 Uhr)
In Syllas Tzoumerkas' Thriller Das Wunder im Meer von Sargasso stehen zwei Frauen Im Mittelpunkt, die in einer griechischen Kleinstadt ihr Dasein fristen. Polizistin Elisabeth wurde vor ein paar Jahren aus Athen in die Provinz versetzt. Als ein örtlicher Schlagerstar plötzlich tot aufgefunden wird, wird sie mit den Ermittlungen betraut und lernt so dessen verschlossene Schwester Rita kennen, die in einer Fischfabrik schuftet und eines mit Elisabeth gemeinsam hat: den Wunsch, endlich hier wegzukommen. Das Drama, in dem jeder ein Geheimnis zu haben scheint, wurde bei der diesjährigen Berlinale uraufgeführt. (17.11., 20:30 Uhr)
Eine andere Schicksalsgemeinschaft trifft in der Komödie Waiting for the Godmother von Nikos Zapatinas aufeinander. Iraklis und sein bester Freund wollen auf der Insel Naxos neu anfangen, weil sie von Athen genug haben. Phedra aus Köln möchte in ihrer Heimat Urlaub machen. Gemeinsam erleben die drei ein Abenteuer, das sie auch mit dem Tod konfrontiert. (16.11., 16:30 Uhr)
Die Insel in der Ägäis, um die es in In This Land Nobody Knew How to Cry geht, ist frei erfunden. Deshalb lässt es sich da auch entspannt und sorglos leben. Als ein französischer EU-Abgeordneter und eine Wirtschaftsexpertin aus Brüssel dem Eiland einen Besuch abstatten, bricht die Wirklichkeit in diese Idylle ein. Die Komödie von Giorgos Panousopoulos ist zum ersten Mal in Deutschland zu sehen. (20.11., 20:30 Uhr)
Sehr viel ernster geht es in Maria Lafis' Holy Boom zu. In Griechenlands Hauptstadt jagt ein Teenager den Briefkasten seiner Nachbarn in die Luft, was für die Empfänger der Postsendungen drastische und weitreichende Folgen hat: Ein junges Paar bekommt es mit der Drogen-Mafia zu tun, einer Asylsuchenden droht die Abschiebung, und eine verbitterte Mutter wird ihr verschollenes Kind nie mehr wiedersehen. Auch das vielschichtige Drama feiert seine Deutschlandpremiere. (16.11., 20:30 Uhr und 24.11., 18:30 Uhr)
Nikos Labôts Drama Her Job hat ebenfalls eine gesellschaftspolitische Ebene. Im Zuge der durch die Wirtschaftskrise bedingten Massenentlassungen verliert Vater Kostas seinen Job. Um die Familie durchzubringen, heuert Kostas Frau Panagiota, die sich bisher um den Haushalt und die Kinder gekümmert hat, bei einer Putzfirma an. Mit der neuen Arbeit beginnt für Panagiota ein neues Leben. Weltweit mehrfach auf Festivals ausgezeichnet, ist das berührende Frauenporträt erstmals in Deutschland zu sehen. Hauptdarstellerin Marisha Triantafyllidou ist am 23. November zu Gast im Gasteig. (15.11., 18:30 Uhr und 23.11., 20:30 Uhr)
Auch Elpida in Tonia Mishiaiis Beziehungsdrama Pause braucht einen Impuls von außen, der sie plötzlich den Wunsch verspüren lässt, etwas Neues zu beginnen. Ein Maler, der ihr Haus streicht, weckt ungeahnte Sehnsüchte und lässt sie erkennen, wie lieblos und monoton ihr Alltag ist. Schafft sie es, aus ihrer Ehe auszubrechen? (18.11., 18:30 Uhr)
In Angelos Frantzis' düsterem Drama Still River steht die Beziehung von Anna und Petros an einem Wendepunkt, als Anna plötzlich schwanger wird. Ohne dass die beiden, die gerade wegen eines Jobangebots in eine sibirische Kleinstadt gezogen sind, miteinander geschlafen haben. Die persönliche Vertrauenskrise wird noch dadurch verstärkt, dass die Schwangerschaft von verschiedenen Gruppen im Ort für die jeweils eigenen Interessen missbraucht wird. (18.11., 20:30 Uhr)
Seine ganz eigenen Pläne verfolgt auch jeder Protagonist im Mafia-Thriller Blue Queen von Alexandros Sipsidis. Nach einem geglückten Raubzug ist der Pate Angelos endlich im Besitz des wertvollsten Diamanten der Welt. Die sogenannte »Blaue Königin« weckt aber auch bei ein paar anderen Bandenmitgliedern Begehrlichkeiten. (17.11., 18:30 Uhr)
In Scopophilia verbringt Filmstudent Alexis krankheitsbedingt viel Zeit zuhause und hackt häufig die Computer seiner Nachbarn. Als er dabei eines Tages Zeuge eines Mordes wird, will er gemeinsam mit seiner Freundin Niki den Täter aufspüren. Doch auch der ist auf der Suche – nach Alexis. Der Psychothriller von Natalia Lampropoulou und Ilektra Aggeletopoulou wird zum ersten Mal in Deutschland gezeigt. (17.11., 16:30 Uhr)
Auch in The Waiter ist es der Nachbar des allein lebenden Kellners Renos, der dessen ruhiges, durchstrukturiertes Leben von einem auf den anderen Tag komplett verändert. Als der nämlich verschwindet, bekommt Renos Besuch von einem mysteriösen Pärchen und nichts ist mehr so, wie es war. Steve Krikris' Debütfilm beruht auf Geschehnissen, die der Regisseur und Drehbuchautor selbst in den 1980er-Jahren erlebt hat. Den Handlungsort hat er allerdings von New York nach Athen verlegt. Der Mystery-Thriller wurde bei den griechischen Filmpreisen 2019 in sämtlichen Kategorien ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis für den besten Hauptdarsteller, und ist zum ersten Mai in Deutschland zu sehen. (15.11. und 22.11., jeweils 20:30 Uhr)
Im Drama The Right Pocket of the Robe löst der Tod eines Hundes eine Lebenskrise aus. Um seine Trauer über den Verlust zu bewältigen, muss sich ein Mönch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. (21.11., 21:00 Uhr)
Nicht ganz so existentiell, aber durchaus knifflig sind die Probleme, die Yiannis' Hund seinem Herrchen in Smuggling Hendrix bereitet. Der Musiker wird wegen Kreditschulden von Kriminellen verfolgt und will deshalb Zypern schnellstmöglich verlassen. Doch Hund Jimmy hat seinen eigenen Kopf und sorgt dafür, dass es an der Grenze zu Komplikationen kommt. Marios Piperidis' Tragikomödie mit Adam Bousdoukos in der Hauptrolle hat diese Woche auch ihren Deutschlandstart. (16. und 22.11., jeweils 18:30 Uhr)
Musiker und Künstler stehen auch im Mittelpunkt der diesjährigen Dokumentarfilme. Kein Geringerer als Richard Wagner soll nämlich in When Tomatoes Met Wagner den Geschmack von Biotomaten positiv beeinflussen. Regisseurin Marianna Economou begleitet zwei Akademiker, die in ihrem Heimatort im Herzen Griechenlands eine Tomaten-Plantage neu beleben. Die witzige und lebenskluge Doku war bereits im Frühjahr auf dem DOK.fest ein Publikumshit und ist außerdem der griechische Vorschlag für die Oscars 2020. (23.11., 18:30 Uhr)
The Invisible Hands ist eine Formation, die der amerikanisch-libanesische Musiker Alan Bishop gegründet hat, nachdem er kurz nach den Aufständen von 2011 nach Kairo gekommen ist und seine Songs zusammen mit drei jungen Musikern ins Arabische übersetzt hat. Der gleichnamige Dokumentarfilm erzählt seine Geschichte. (19.11., 18:00 Uhr)
Die Doku Greek Rock Revolution, die ihre Deutschlandpremiere feiert, ist eine Hommage an die Rockszene Griechenlands. Sie boomt trotz Wirtschaftskrise, weil die jungen Musiker ihren Frust in Kreativität umwandeln. Der spanische Regisseur Miguel Angel Cano Santizo begleitete die beliebtesten Rockbands auf ihren Konzertreisen um die Welt und ließ die Künstler aus ihrem Leben erzählen. (19.11., 20:00 Uhr)
Sehr persönlich ist auch das Porträt von Eleni Alexandraki über den Schriftsteller Kostis Papagiorgis, mit dem sie gut befreundet war. Papagiorgis ist 2014 einen Tag nach seinem 67. Geburtstag gestorben. In Kostis Papagiorgis – The Sweetest Misanthrope zeichnet Alexandraki das Bild eines Mannes, der voller Widersprüche steckte und dessen Werk auch für nachfolgende Schriftstellergenerationen von Bedeutung ist. (24.11., 16:00 Uhr)
Eine Plattform für den Regienachwuchs ist der Programmpunkt »Kurzfilme aus Griechenland«. Gezeigt werden preisgekrönte Beiträge von den Talentbörsen des Landes, dem Kurzfilmfestival in Drama und dem Filmfestival in Thessaloniki. (23.11., 15:00 Uhr)
Zwei filmische Höhepunkte des Festivals beschäftigen sich mit historischen Ereignissen. Die bewegende Dokumentation Der Balkon – Wehrmachtsverbrechen in Griechenland erinnert an den 3. Oktober 1943. An diesem Tag verübte die deutsche Gebirgsjägereinheit »Edelweiß« ein Massaker an den Bewohnern des griechischen Bergdorfes Lingiades. Ende der 1980er Jahre reiste der Historiker Christoph Schminck-Gustavus an den Ort des Wehrmachtsverbrechens und unterhielt sich mit Überlebenden. Auf diesen Gesprächen beruht der Dokumentarfilm von Chrysanthos Konstantinidis, der darüber hinaus Einblick in einzigartige historische Dokumente gewährt. Sowohl der Regisseur als auch Prof. Dr. Schminck-Gustavus sind bei der Filmvorführung anwesend und stehen für ein Publikumsgespräch zur Verfügung. (21.11., 18:00 Uhr)
The Favourite spielt im England des 18. Jahrhunderts am Hof von Queen Anne. Weil die oft kränkelt, lenkt ihre enge Freundin Lady Sarah die Geschicke des Landes, das sich mit Frankreich im Krieg befindet. Um die gebrechliche Monarchin kümmert sich immer häufiger die junge Abigail, die erst seit kurzem bei Hofe ist und trotzdem bald zur neuen Vertrauten der Königin wird. Die Machtspiele zwischen den drei Frauen können beginnen. Der herrlich bissige Kostümfilm ist starbesetzt, unter anderem mit Emma Stone und Rachel Weisz. Olivia Colman erhielt für ihre Rolle als Königin Anne den Oscar als beste Hauptdarstellerin. In neun weiteren Kategorien war das neueste Werk von Yorgos Lanthimos, der schon mit The Lobster für Furore sorgte, nominiert. (24.11., 21:00 Uhr)
33. Griechische Filmwoche
14. – 24. November 2019
Gasteig, Carl-Amery-Saal
Rosenheimerstr. 5, 81667 München
Eintritt: 7€
Eine Veranstaltung von cinephil – Freunde des griechischen Films, in Zusammenarbeit mit Filmstadt München e.V. und Münchner Stadtbibliothek.
Mehr Informationen unter griechischefilmwoche.de