14.11.2019

Wendepunkte und Neuanfänge

Tassos Boulmetis 1968
Mit dem Doku-Drama 1968 von Tassos Boulmetis eröffnet der Reigen griechischer Spiel- und Dokumentarfilme

Die 33. Griechische Filmwoche zeigt viele deutsche Premieren und anspruchsvolle Dokumentarfilme

Von Elke Eckert

Zum 33. Mal können sich Freunde des grie­chi­schen Films in München auf ein Festival freuen, für das die Gruppe »Cinephil« ein span­nendes und abwechs­lungs­rei­ches Programm mit Doku­men­ta­tionen, Dramen und Komödien zusam­men­ge­stellt hat. Oft geht es darin um den Zustand der grie­chi­schen Gesell­schaft zehn Jahre nach Ausbruch der Wirt­schafts­krise, fast alle Geschichten erzählen von Neuan­fängen. Veran­stal­tungsort ist wie jedes Jahr der Gasteig. Die Eröff­nungs­ver­an­stal­tung findet im Carl-Orff-Saal statt, alle weiteren Vorstel­lungen sind im Carl-Amery-Saal zu sehen.

Eröffnet wird die Filmwoche dieses Jahr mit dem Doku-Drama 1968. Über ein halbes Jahr­hun­dert ist seit dem legen­dären Basket­ball-Finale zwischen dem AEK Athen und Slavia Prag am 4. April 1968 im Athener Kalli­marmaro-Stadion mitt­ler­weile vergangen. Regisseur Tassos Boulmetis, der schon in seinem vielfach ausge­zeich­neten Zimt und Koriander an histo­ri­sche Ereig­nisse erinnerte, indem er Lebens- und Liebes­ge­schichten erzählte, gelingt es auch diesmal, anhand einzelner Schick­sale einen sehr persön­li­chen Blick auf die denk­wür­dige Sport­ver­an­stal­tung zu werfen. Ein junges Pärchen setzt bei dem Spiel seine ganz eigenen Prio­ri­täten, bei einem älteren Paar werden Erin­ne­rungen wach, und ein kommu­nis­ti­scher Gefan­gener bejubelt jeden Korb seiner Mann­schaft aus der Gefäng­nis­zelle. Noch eine Spur authen­ti­scher wird der melan­cho­li­sche und humor­volle Film durch den Besuch eines Zeit­zeugen: Ex-Basket­ball-Profi Christos Zoupas gibt sich im Carl-Orff-Saal die Ehre und erzählt im Gespräch mit dem Publikum, wie er den unver­gess­li­chen Abend erlebt hat. Im Anschluss daran steigt die Eröff­nungs­feier in der Münchner Stadt­bi­blio­thek am Gasteig. (14.11, 19:00 Uhr und 20.11., 18:30 Uhr)

Spiel­filme

In Syllas Tzou­merkas' Thriller Das Wunder im Meer von Sargasso stehen zwei Frauen Im Mittel­punkt, die in einer grie­chi­schen Klein­stadt ihr Dasein fristen. Poli­zistin Elisabeth wurde vor ein paar Jahren aus Athen in die Provinz versetzt. Als ein örtlicher Schla­ger­star plötzlich tot aufge­funden wird, wird sie mit den Ermitt­lungen betraut und lernt so dessen verschlos­sene Schwester Rita kennen, die in einer Fisch­fa­brik schuftet und eines mit Elisabeth gemeinsam hat: den Wunsch, endlich hier wegzu­kommen. Das Drama, in dem jeder ein Geheimnis zu haben scheint, wurde bei der dies­jäh­rigen Berlinale urauf­ge­führt. (17.11., 20:30 Uhr)

Eine andere Schick­sals­ge­mein­schaft trifft in der Komödie Waiting for the Godmother von Nikos Zapatinas aufein­ander. Iraklis und sein bester Freund wollen auf der Insel Naxos neu anfangen, weil sie von Athen genug haben. Phedra aus Köln möchte in ihrer Heimat Urlaub machen. Gemeinsam erleben die drei ein Abenteuer, das sie auch mit dem Tod konfron­tiert. (16.11., 16:30 Uhr)

Die Insel in der Ägäis, um die es in In This Land Nobody Knew How to Cry geht, ist frei erfunden. Deshalb lässt es sich da auch entspannt und sorglos leben. Als ein fran­zö­si­scher EU-Abge­ord­neter und eine Wirt­schafts­ex­pertin aus Brüssel dem Eiland einen Besuch abstatten, bricht die Wirk­lich­keit in diese Idylle ein. Die Komödie von Giorgos Panouso­poulos ist zum ersten Mal in Deutsch­land zu sehen. (20.11., 20:30 Uhr)

Sehr viel ernster geht es in Maria Lafis' Holy Boom zu. In Grie­chen­lands Haupt­stadt jagt ein Teenager den Brief­kasten seiner Nachbarn in die Luft, was für die Empfänger der Post­sen­dungen dras­ti­sche und weit­rei­chende Folgen hat: Ein junges Paar bekommt es mit der Drogen-Mafia zu tun, einer Asyl­su­chenden droht die Abschie­bung, und eine verbit­terte Mutter wird ihr verschol­lenes Kind nie mehr wieder­sehen. Auch das viel­schich­tige Drama feiert seine Deutsch­land­pre­miere. (16.11., 20:30 Uhr und 24.11., 18:30 Uhr)

Nikos Labôts Drama Her Job hat ebenfalls eine gesell­schafts­po­li­ti­sche Ebene. Im Zuge der durch die Wirt­schafts­krise bedingten Massen­ent­las­sungen verliert Vater Kostas seinen Job. Um die Familie durch­zu­bringen, heuert Kostas Frau Panagiota, die sich bisher um den Haushalt und die Kinder gekümmert hat, bei einer Putzfirma an. Mit der neuen Arbeit beginnt für Panagiota ein neues Leben. Weltweit mehrfach auf Festivals ausge­zeichnet, ist das berüh­rende Frau­en­por­trät erstmals in Deutsch­land zu sehen. Haupt­dar­stel­lerin Marisha Trian­taf­yl­l­idou ist am 23. November zu Gast im Gasteig. (15.11., 18:30 Uhr und 23.11., 20:30 Uhr)

Auch Elpida in Tonia Mishiaiis Bezie­hungs­drama Pause braucht einen Impuls von außen, der sie plötzlich den Wunsch verspüren lässt, etwas Neues zu beginnen. Ein Maler, der ihr Haus streicht, weckt ungeahnte Sehn­süchte und lässt sie erkennen, wie lieblos und monoton ihr Alltag ist. Schafft sie es, aus ihrer Ehe auszu­bre­chen? (18.11., 18:30 Uhr)

In Angelos Frantzis' düsterem Drama Still River steht die Beziehung von Anna und Petros an einem Wende­punkt, als Anna plötzlich schwanger wird. Ohne dass die beiden, die gerade wegen eines Joban­ge­bots in eine sibi­ri­sche Klein­stadt gezogen sind, mitein­ander geschlafen haben. Die persön­liche Vertrau­ens­krise wird noch dadurch verstärkt, dass die Schwan­ger­schaft von verschie­denen Gruppen im Ort für die jeweils eigenen Inter­essen miss­braucht wird. (18.11., 20:30 Uhr)

Seine ganz eigenen Pläne verfolgt auch jeder Prot­ago­nist im Mafia-Thriller Blue Queen von Alex­an­dros Sipsidis. Nach einem geglückten Raubzug ist der Pate Angelos endlich im Besitz des wert­vollsten Diamanten der Welt. Die soge­nannte »Blaue Königin« weckt aber auch bei ein paar anderen Banden­mit­glie­dern Begehr­lich­keiten. (17.11., 18:30 Uhr)

In Scopo­philia verbringt Film­stu­dent Alexis krank­heits­be­dingt viel Zeit zuhause und hackt häufig die Computer seiner Nachbarn. Als er dabei eines Tages Zeuge eines Mordes wird, will er gemeinsam mit seiner Freundin Niki den Täter aufspüren. Doch auch der ist auf der Suche – nach Alexis. Der Psycho­thriller von Natalia Lampro­poulou und Ilektra Agge­le­to­poulou wird zum ersten Mal in Deutsch­land gezeigt. (17.11., 16:30 Uhr)

Auch in The Waiter ist es der Nachbar des allein lebenden Kellners Renos, der dessen ruhiges, durch­struk­tu­riertes Leben von einem auf den anderen Tag komplett verändert. Als der nämlich verschwindet, bekommt Renos Besuch von einem myste­riösen Pärchen und nichts ist mehr so, wie es war. Steve Krikris' Debütfilm beruht auf Gescheh­nissen, die der Regisseur und Dreh­buch­autor selbst in den 1980er-Jahren erlebt hat. Den Hand­lungsort hat er aller­dings von New York nach Athen verlegt. Der Mystery-Thriller wurde bei den grie­chi­schen Film­preisen 2019 in sämt­li­chen Kate­go­rien ausge­zeichnet, unter anderem mit dem Preis für den besten Haupt­dar­steller, und ist zum ersten Mai in Deutsch­land zu sehen. (15.11. und 22.11., jeweils 20:30 Uhr)

Im Drama The Right Pocket of the Robe löst der Tod eines Hundes eine Lebens­krise aus. Um seine Trauer über den Verlust zu bewäl­tigen, muss sich ein Mönch mit seiner Vergan­gen­heit ausein­an­der­setzen. (21.11., 21:00 Uhr)

Nicht ganz so exis­ten­tiell, aber durchaus knifflig sind die Probleme, die Yiannis' Hund seinem Herrchen in Smuggling Hendrix bereitet. Der Musiker wird wegen Kredit­schulden von Krimi­nellen verfolgt und will deshalb Zypern schnellst­mö­g­lich verlassen. Doch Hund Jimmy hat seinen eigenen Kopf und sorgt dafür, dass es an der Grenze zu Kompli­ka­tionen kommt. Marios Piperidis' Tragi­komödie mit Adam Bous­doukos in der Haupt­rolle hat diese Woche auch ihren Deutsch­land­start. (16. und 22.11., jeweils 18:30 Uhr)

Doku­men­tar­filme

Musiker und Künstler stehen auch im Mittel­punkt der dies­jäh­rigen Doku­men­tar­filme. Kein Gerin­gerer als Richard Wagner soll nämlich in When Tomatoes Met Wagner den Geschmack von Bioto­maten positiv beein­flussen. Regis­seurin Marianna Economou begleitet zwei Akade­miker, die in ihrem Heimatort im Herzen Grie­chen­lands eine Tomaten-Plantage neu beleben. Die witzige und lebens­kluge Doku war bereits im Frühjahr auf dem DOK.fest ein Publi­kumshit und ist außerdem der grie­chi­sche Vorschlag für die Oscars 2020. (23.11., 18:30 Uhr)

The Invisible Hands ist eine Formation, die der ameri­ka­nisch-liba­ne­si­sche Musiker Alan Bishop gegründet hat, nachdem er kurz nach den Aufständen von 2011 nach Kairo gekommen ist und seine Songs zusammen mit drei jungen Musikern ins Arabische übersetzt hat. Der gleich­na­mige Doku­men­tar­film erzählt seine Geschichte. (19.11., 18:00 Uhr)

Die Doku Greek Rock Revo­lu­tion, die ihre Deutsch­land­pre­miere feiert, ist eine Hommage an die Rockszene Grie­chen­lands. Sie boomt trotz Wirt­schafts­krise, weil die jungen Musiker ihren Frust in Krea­ti­vität umwandeln. Der spanische Regisseur Miguel Angel Cano Santizo beglei­tete die belieb­testen Rockbands auf ihren Konzert­reisen um die Welt und ließ die Künstler aus ihrem Leben erzählen. (19.11., 20:00 Uhr)

Sehr persön­lich ist auch das Porträt von Eleni Alex­and­raki über den Schrift­steller Kostis Papa­gi­orgis, mit dem sie gut befreundet war. Papa­gi­orgis ist 2014 einen Tag nach seinem 67. Geburtstag gestorben. In Kostis Papa­gi­orgis – The Sweetest Misan­thrope zeichnet Alex­and­raki das Bild eines Mannes, der voller Wider­sprüche steckte und dessen Werk auch für nach­fol­gende Schrift­steller­ge­nera­tionen von Bedeutung ist. (24.11., 16:00 Uhr)

Eine Plattform für den Regie­nach­wuchs ist der Programm­punkt »Kurzfilme aus Grie­chen­land«. Gezeigt werden preis­ge­krönte Beiträge von den Talent­börsen des Landes, dem Kurz­film­fes­tival in Drama und dem Film­fes­tival in Thes­sa­lo­niki. (23.11., 15:00 Uhr)

Zwei filmische Höhe­punkte des Festivals beschäf­tigen sich mit histo­ri­schen Ereig­nissen. Die bewegende Doku­men­ta­tion Der Balkon – Wehr­machts­ver­bre­chen in Grie­chen­land erinnert an den 3. Oktober 1943. An diesem Tag verübte die deutsche Gebirgs­jä­ger­ein­heit »Edelweiß« ein Massaker an den Bewohnern des grie­chi­schen Berg­dorfes Lingiades. Ende der 1980er Jahre reiste der Histo­riker Christoph Schminck-Gustavus an den Ort des Wehr­machts­ver­bre­chens und unter­hielt sich mit Über­le­benden. Auf diesen Gesprächen beruht der Doku­men­tar­film von Chry­san­thos Konstan­ti­nidis, der darüber hinaus Einblick in einzig­ar­tige histo­ri­sche Dokumente gewährt. Sowohl der Regisseur als auch Prof. Dr. Schminck-Gustavus sind bei der Film­vor­füh­rung anwesend und stehen für ein Publi­kums­ge­spräch zur Verfügung. (21.11., 18:00 Uhr)

The Favourite spielt im England des 18. Jahr­hun­derts am Hof von Queen Anne. Weil die oft kränkelt, lenkt ihre enge Freundin Lady Sarah die Geschicke des Landes, das sich mit Frank­reich im Krieg befindet. Um die gebrech­liche Monarchin kümmert sich immer häufiger die junge Abigail, die erst seit kurzem bei Hofe ist und trotzdem bald zur neuen Vertrauten der Königin wird. Die Macht­spiele zwischen den drei Frauen können beginnen. Der herrlich bissige Kostüm­film ist star­be­setzt, unter anderem mit Emma Stone und Rachel Weisz. Olivia Colman erhielt für ihre Rolle als Königin Anne den Oscar als beste Haupt­dar­stel­lerin. In neun weiteren Kate­go­rien war das neueste Werk von Yorgos Lanthimos, der schon mit The Lobster für Furore sorgte, nominiert. (24.11., 21:00 Uhr)

33. Grie­chi­sche Filmwoche
14. – 24. November 2019
Gasteig, Carl-Amery-Saal
Rosen­hei­merstr. 5, 81667 München
Eintritt: 7€
Eine Veran­stal­tung von cinephil – Freunde des grie­chi­schen Films, in Zusam­men­ar­beit mit Filmstadt München e.V. und Münchner Stadt­bi­blio­thek.
Mehr Infor­ma­tionen unter grie­chischefilm­woche.de