Frauenblicke & Männerphantasien |
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Nicht perfekt, aber der bemerkenswerteste Film im Wettbewerb: Lisa Millers Landrauschen |
»In einer Zeit, in der ein postmoderner Kapitalismus alles: das Privateste, Arbeit, Zeit, Glück, Intimität, Lebenszufriedenheit in Wert setzt und dieses in-Wert-setzen ausquetscht, auswringt, in dieser Zeit muss unser politisches Verständnis weiter gehen.
Wir müssen also die Ordnungsfunktion des Staates, die Differenz zur Gesellschaft weiter fassen und neu denken. Wir müssen Garantiesysteme entwickeln, die Humanität schützt, Kreativität schützt, die Freiheit, die
Lebenszufriedenheit die Familie, Arbeit, Glück verteidigt; die der Durchökonomisierung des Privaten eine Grenze setzt.
Liberalität ist eben nicht der Stolz darauf, dass man zur Gesellschaft nicht dazugehört. Liberalität bedeutet, die Menschen nicht gehen lassen wollen. Das bedeutet, die Strukturen zu erkennen warum sich Regionen, Gruppen, Menschen verabschieden, und diese Strukturen zu ändern. Diese Strukturen zu ändern heißt, die Institutionen des Gemeinwesens zu
st ärken. Den öffentlichen Raum.«
Er ist die neue Hoffnung all derer, die die Hoffnung auf junge, progressive Politik noch nicht aufgegeben haben – Robert Habeck, der grüne Minister und Polit-Shootingstar aus Schleswig-Holstein, der just am Tag der Preisverleihung in Saarbrücken zum neue Parteivorsitzende der Grünen gewählt wurde.
Gut getimed war daher Following Habeck der Dokumentarfilm von Malte
Blockhaus im Wettbewerb des Festival Max-Ophüls-Preis; vielleicht zu gut, denn mit einem Preis wurde das Werk nicht bedacht
Dabei war der Film trotz mancher konventioneller Momente mehr als die übliche Politiker-Doku – auch weil sein Gegenstand die üblichen Grenzen des Genres sprengt. Der Regisseur präsentiert Habeck als Ausnahmepolitiker: Charismatisch, mutig, vergleichsweise unverdorben.
Dabei ist sein Film keineswegs kritiklos – vor allem erzählt er von der Verhaltensstarre einer Politik, die in Ritualen gefangen ist, von der wohlgepolsterten Lähmung deutscher Verhältnisse, dem Stillstand eines Landes, das spürt dass etwas Altes zu Ende geht, und etwas Neues beginnen muss, ohne dass es das Neue schon einen Begriff hätte.
Und was für die Politik gilt, gilt nicht minder fürs Kino.
Überhaupt war das 39. Filmfestival von Saarbrücken diesmal wieder ein sehr politisches Festival. Um den Fall Dieter Wedel ging es dabei gar nicht – bis auf die Saarbrücker Lokalpresse, die skandalgierig jede Regisseurin nach dem Fall fragte, obwohl Wedel in seinem Leben weder jemals einen Kinofilm gedreht, noch jemals das Max-Ophüls-Festival besucht hat.
Aber man kann auch nicht mehr an reinen Zufall glauben, wenn ausnahmslos alle wichtigen Preise an Regisseurinnen gingen.
Die prämierten Filme waren allerdings tatsächlich ausgezeichnet. Landrauschen von Lisa Miller, der diesjährige Ophüls-Preisträger, ist nicht perfekt, aber der bemerkenswerteste Film im Wettbewerb: Denn die Regisseurin hat keinerlei Filmausbildung und die Darsteller
sind Laien. Landrauschen ist die bezaubernd inszenierte Geschichte einer jungen Frau, die sich trotz zweier Uni-Abschlüsse noch nicht gefunden hat. Ohne Job flieht sie aus der Metropole aufs Land, wo sie Abstand, Frieden und Ruhe sucht, dann aber die Liebe und neuen Lebenssinn findet.
Trotzdem es noch einen zweiten Film mit dem Motiv gab, war Landflucht kein generelles Thema. Hagezussa hieß ein leider leer ausgegangener, atemberaubender Film, in dem Regisseur Lukas Feigelfeld in Form einer Hexengeschichte mit der Mär vom idyllischen Landleben und der tieferen Weisheit der Natur ein für alle Mal aufräumt
Der stilistisch aufregendste und handwerklich perfekteste Film hieß Blue My Mind und kommt aus der Schweiz. Lisa Brühlmann, die den Regiepreis erhielt, erzählt in märchenhafter Form Pubertätserschütterungen und von einem Körper, der sich verändert, von Angst und Ungewissheit – voller surrealer Überraschungen war dies der visuell aufregendste Film im Wettbewerb. Nur die Tatsache, dass er bereits in der Schweiz vielfach prämiert worden war, und dass Hauptdarstellerin Luna Wendler bei der Berlinale als Shooting-Star präsentiert wird, dürfte ihn um den Hauptpreis gebracht haben.
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»Esther, das ist doch ein jüdischer Name. Und außerdem bist Du ne rote Socke« – drei Tage nach dem Mauerfall wurde die zwölfjährige Esther Zimmering in ihrer Identität erschüttert. Von da an wusste sie: Es gibt in der untergehenden DDR auch Nazis und nicht nur aufrechte Kämpfer für Fortschritt und Weltfrieden. Eine erste Irritation hatte sie schon vorher erlebt: Als ihr Vater ihr nicht sagen durfte, wo sie arbeitete – er war Arzt bei der HVA der Nationalen Volksarmee.
Fast 30 Jahre später erzählt Esther Zimmering, inzwischen eine bekannte Schauspielerin die Geschichte ihrer Kindheit und Familie in ihrer ersten Regiearbeit: Swimmingpool auf dem Golan. Es sind verschlungene Pfade der Erinnerung und Rekonstruktion, des Aufdeckens von Familiengeheimnissen, von Vergessenem und Verleugnetem: Die Geschichte von Juden in der DDR, von einer Berliner Familie, von der nur wenige vor 1939 den Weg ins rettende Exil nach England und Palästina schafften. Zimmerings Film ist unbedingt persönlich und es ist die Leistung der Berliner Produzenten Nora Ehrmann und Paul Zischler und der Montage von Friedrike Anders die Unmengen Archivmaterial und die mäandernden, gelegentlich auf Abwege führenden Suchbewegungen zusammenzuhalten und zu einem konzisen, auch immer produktiv driftenden Film zu fügen. Es sind solche herausfordernden, fragenden Filme und frische Perspektiven, die den Reiz des Programms des Festivals Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken ausmachen – die Überschreitung der schieren Tatsachen in Richtung eines Schwebezustands zwischen Wirklichkeit und Phantasie.
Genau darum geht es zum 39. Mal wieder sechs Tage lang auch in Saarbrücken – längst ist das Filmfestival Max-Ophüls-Preis das nach der Berlinale wichtigste deutsche Filmfestival und der wichtigste Termin für den deutschsprachigen Nachwuchs- und Independent-Film. Das Wort »deutschsprachig« ist in diesem Fall wichtig, denn neben deutschen laufen hier auch österreichische,
schweizer und gelegentlich luxemburger Filme.
Saarbrücken ist ein besonders wertvoller Ort der Entdeckungen, und der Zukunft des Kinos. Denn neben Spiel- und Dokumentar-Filmen gibt es hier auch Wettbewerbe für Kurzfilme und – eine Spezialität – für sogenannte »mittellange« Filme zwischen 30 und 60 Minuten. Gerade in dieser Sektion finden sich oft die mutigsten, im guten Sinne riskantesten Filme des Festivals.
Eröffnet wurde das Festival Max-Ophüls-Preis mit der Deutschlandpremiere von Der Hauptmann von Robert Schwentke, der im März im deutschen Kino anläuft. Schwentke überhöht eine wahre Geschichte aus den letzten Tagen des Dritten Reichs zu einer Travestie über den Faschismus, und schlägt am Ende den direkten Bogen zur Jetztzeit. Schon zuvor hat er klar gemacht, dass uns gar nicht so viel trennt – auch im Gegenwartsdeutschland gibt es den rassistischen, gewaltbereiten, machtgeilen Mob auf den Straßen. Insofern ist dies ein ganz aktueller und hochpolitischer Film – eine hervorragende Entscheidung zur Eröffnung in Saarbrücken.
Der Hauptmann führt gerade dem Nachwuchs vor, worauf es ankommt, wenn man gutes Kino machen will: Nicht auf Geld und Stars, nicht auf Unterwerfung unter ein imaginäres Publikum, nicht um Charaktere, die man lieben oder immer verstehen muss. Sondern auf Neugier, auf Stilwillen, auf Mut – Mut zur Geschmacklosigkeit, Mut zur eigenen Phantasie. Wie weit das die Filme des diesjährigen Jahrgangs erfüllen, wird der diesjährige Jahrgang zeigen.
Zumindest einige Filme sprechen dafür, dass sich Saarbrücken unter seiner immer noch neuen Leiterin Svenja Böttger, bemüht, noch deutlichere Kontrapunkte zum grassierenden Mainstream zu setzen, mit seiner Diktatur der Dreiaktstruktur, der »Erzählabsichten« und des Zwangs zur Identifikation mit Charakteren, die selbst erfahrenen Regisseuren von den Dramaturgen der Gremien eingebläut werden.
Um solche herausfordernden, fragenden Filme und frischen Perspektiven muss
es gehen beim Festivals Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken.
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Sarah spielt einen Werwolf heißt das sehr gelungene Debüt der Berliner Filmhochschülerin Katharina Wyss: Das einfühlsame, originell erzählte Portrait einer 17-jährigen, die zunehmend vereinsamt, und sich in ihre eigene Realität zurückzieht. Ein Film über die unheimliche Nachtseite des Heranwachsens und unseres Lebens überhaupt. Gerade die Regie dieses souverän inszenierten Films ist sehr gelungen. Die ebenso rätselhafte wie enorm kraftvolle Präsenz der Hauptdarstellerin Loane Balthasar lässt Abgründiges hinter der scheinbaren Verschlossenheit ihrer Figur durchscheinen, ein Missbrauch möglicherweise, allemal der Horror der Kindheit und ein Abschied von den Eltern.
1000 Arten Regen zu beschreiben von der Kölner Regisseurin Isa Prahl ist ein spannendes Familiendrama: Der 18-jährige Sohn der Familie hat sich in sein Zimmer zurückgezogen und will es nicht mehr verlassen. Keine psychische, sondern eine soziale Krankheit hat ihn befallen: »Hikikomori« heißt das in Japan, wo Zehntausende junger Männer sich der Welt um sich herum entziehen.
Ein
Wohlstandsphänomen, das mit Furcht vor der Freiheit viel zu tun hat, aber auch mit der Unfähigkeit, gefühlte Überforderung und den Druck durch die älteren Generationen produktiv werden zu lassen, nach Außen zu tragen und dort in Widerstand gegen unmenschliche Verhältnisse zu verwandeln.
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Bereits im Vorjahr war das Saarbrücker Programm geprägt von auffallend vielen Filmen von Regisseurinnen. Dieser Trend setzt sich fort – wenn auch etwas abgeschwächt. Und interessant genug: Frauen erzählen natürlich nicht immer nur von Frauen oder spezifisch weiblichen Erfahrungswelten – die früheren Vorstellungen, man könnte nur glaubwürdig und authentisch erzählen, wenn man von sich selbst erzählt, sind längst zum Klischee geronnen.
Thematisch sieht man im
diesjährigen Programm auch oft Stoffe, die von Probleme junger heranwachsender Männer handeln, oder von großen Jungs, die unter zuviel Testosteron, zuviel Muskelmännlichkeit fast schon platzen. Männerphantasien wabern über die Leinwand. Zum Beispiel Cops von Stefan Lukacs. Ein Film über eine Polizeieinheit, die von Gruppenritualen und männerbündischem Gehabe geprägt ist. Einer der Polizisten aber leidet unter einem posttraumatischen
Stressyndrom.
Oder auch Endling, dem hervorragenden mittellangen Film des Münchner Filmstudenten Axel Schaad. In der untergehenden Zechenwelt des Ruhrgebiets angesiedelt, erzählt er von einem Bergarbeiter, den die Schließung der Zeche in eine Lebenskrise stürzt.
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Es sind solche Filme, von denen man sich viel mehr in Deutschland wünscht. Von denen man hofft, dass sie Schule machen und den deutschen Film aus seinem Winterschlaf wecken. Weil es sie bislang nicht gibt, kann der deutsche Film mit dem aus Frankreich, aber auch aus Dänemark und – wie sich bestimmt auch in Saarbrücken wieder zeigen wird – dem aus Österreich nicht auf Augenhöhe mithalten.
Viel Genrekino war in Saarbrücken zu sehen – etwa mit dem Endzeitthriller Fremde. Oder ein Film über die Liebe zu einem Alien. Ansonsten verspricht das Festival unter 16 den Wettbewerbsfilmen »ausgesprochen konsequente Erzählhaltungen« und – hoffentlich! – »virtuose und explizite Bildsprachen«: In Cops erschießt ein junger Polizeirekrut in Notwehr einen psychisch kranken Mann. In Reise nach Jerusalem geht es um eine Frau in den Mühlen der Jobcenter. Das sind nur eine wenige Streiflichter aus einem sehr vielfältigen Programm.
So ging am Sonntagabend ein Festival voll inspierierender Vielfalt zuende – vielen der Werke und vor allem ihren Machern wird man in den nächsten Jahren wiederbegegnen.