07.12.2017

Die deutsche Traum­fa­brik

Jules und Jim
Helmut Käutners Schwarzer Kies ist eines der Glanzstücke aus der Nachkriegsepoche der Ufa

Ein germanischer Kino-Mythos wird 100 Jahre alt: Die Ufa zwischen Propaganda und Spektakel

Von Rüdiger Suchsland

Es war ein unge­wöhn­lich warmer Früh­lings­abend, jener 3. März 1943. Längst hatte sich das Kriegs­glück der deutschen Wehrmacht gewendet – »Stalin­grad« lag gerade einige Wochen zurück, und erst ein paar Tage zuvor hatte der dämo­ni­sche Reichs­pro­pa­gan­da­mi­nister Joseph Goebbels im Berliner Sport­pa­last seine berüch­tigtste Rede ins Mikrophon der Volks­empfänger gebrüllt: »Wollt ihr den totalen Krieg?« Jetzt stand der gleiche Goebbels, zivil im Abend­anzug, vor dem »Ufa-Palast am Zoo« und gab sich charmant: Strahlend begrüßte er Hans Albers, den Star des Abends und durchaus keinen ganz verläss­li­chen Gesellen im Sinne der NS-Ideologie. Und Ilse Werner, die sich als hollän­di­sche Staats­bür­gerin wöchent­lich bei der Gestapo melden musste, zugleich aber einer der größten Filmstars des Dritten Reichs war, Prototyp jener »modernen jungen Frau«, wie sie in Kriegs­zeiten nun gewünscht war: Die selbst­ständig und selbst­be­wusst im Hosen­anzug aktiv mit zupackend, das Propa­ganda-Ideal der passiv-schmach­tenden »deutschen Mutter« abgelöst hatte. Auch Josef von Báky stand da auf dem roten Teppich, der junge Regisseur des Films, ein weit­ge­hend unbe­kannter Ungar, der mit einigen kleineren Unter­hal­tungs­filmen derart über­ra­schend erfolg­reich war, dass man ihm diesen in jeder Hinsicht beson­deren Film anver­traute. Denn was den Zuschauern an diesem 3. März bevor­stand, war nicht weniger, als eine Kino-Revo­lu­tion: Unge­se­hene Bilder, wie den Ritt Hans Albers' auf der Kano­nen­kugel, der in seiner tech­ni­schen Perfek­tion noch heute sprachlos macht, atem­be­rau­bende tech­ni­sche Tricks wie den Ballon­flug zum Mond, es war erst der dritte deutsche Farbfilm, gedreht im präch­tigen Sattbunt des neuen Agfacolor. Vor allem aber war Münch­hausen der Jubiläums­film der Ufa zur Feier ihres 25-jährigen Bestehens. Ein inte­gra­tiver Film, Unter­hal­tungs­kino für alle Schichten und viele Geschmä­cker, dessen Qualität bis heute Bestand hat, und dem man nicht anmerkt, dass er zu einem Zeitpunkt gedreht wurde, in dem Deutsch­land bereits im Bomben­feuer versank, in dem in den Lagern täglich Tausende ermordet wurden und gerade neun Tage vor der Premiere die Geschwister Scholl in München geköpft worden waren.

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Die Ufa stand immer für ein Kino der Massen, für anspruchs­volle Unter­hal­tung, die nur scheinbar unpo­li­tisch war, aber tatsäch­lich auch mit großem Lein­wand­spek­takel über die häss­li­chen Seiten der Wirk­lich­keit hinweg­täu­schen sollte.

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Ein gutes Vier­tel­jahr­hun­dert zuvor war genau das der Anlass zu ihrer Gründung gewesen: 1917, im dritten Herbst des Ersten Welt­kriegs, das Kino war das neue Medium des Zeit­al­ters. Gene­ral­stabs­chef Erich Luden­dorff wünschte neben neuen Kanonen dringend auch eine Waffe im Kampf um die öffent­liche Meinung: »Für einen glück­li­chen Abschluss des Krieges ist es unbedingt erfor­der­lich, dass der Film … mit dem höchsten Nachdruck wirkt.« So gründeten das Reich und die Deutsche Bank mit einem Stamm­ka­pital von 25 Millionen Goldmark die »Universum-Film Akti­en­ge­sell­schaft« zur Produk­tion von Propa­gan­da­filmen. Eine Staats­grün­dung also, von Anfang an eng verbunden mit natio­naler Politik, Kapi­tal­in­ter­essen der Geldgeber und Propa­ganda. Der Krieg wurde auch durch das Kino nicht mehr gewonnen, aber für die Zukunft war die Ufa gut aufge­stellt.

So machte man in der Republik gleich weiter und schuf Export­schlager von der Stange: Das Cabinet des Dr. Caligari von Robert Wiene, Lubitschs Madame Dubarry, Langs Zwei­teiler Dr. Mabuse und Murnaus Der letzte Mann (1924) für den Emil Jannings den aller­ersten Darsteller-Oscar überhaupt gewann. Der Schlüs­sel­figur dieses ersten Ufa-Jahr­zehnts wurde Erich Pommer: Der geniale Produzent entdeckte Künstler wie Fritz Lang, er band die Genies aller Sparten an sein Unter­nehmen – Dreh­buch­au­toren wie Carl Mayer und Thea von Harbou, Kame­ramänner wie Karl Freund und Eugen Schüfftan, verspon­nene Avant­gar­disten und Anima­ti­ons­ex­perten wie Walter Ruttmann –, und er orga­ni­sierte die Ufa in den eigenen Studios von Potsdam-Babels­berg nach dem Vorbild der schon in den 1920er Jahren tonan­ge­benden Hollywood-Studios: Als eng verfloch­tene Verwer­tungs­kette aller Sparten: Produk­tion, Aufnah­me­stu­dios, Verleih, Kinokette.

Und natürlich das wich­tigste, das Salz in der Suppe des Spek­ta­kel­kinos, die Stars: Henny Porten, Asta Nielsen, Lil Dagover, Harry Piel, Conrad Veidt, später dann Lilian Harvey, Willy Fritsch, Heinz Rühmann, Marlene Dietrich und sogar US-Berühmt­heiten wie Louise Brooks.

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Die Ufa war das, was das deutsche Kino sonst nie hatte, obwohl es das heute drin­gender benötigte denn je. Sie stand für indus­tri­elle Kino­pro­duk­tion. Zu ihren besten Zeiten produ­zierte sie sechzig Filme pro Jahr, also mehr als einen pro Woche. Heute ist das europäi­sche Kino eher gutes Handwerk, damals war es Fließ­band­pro­duk­tion. Für ein paar Jahre konnte die Ufa mit Hollywood mithalten, auch begüns­tigt durch die deutsche Wirt­schafts­krise, die vergleichs­weise billiges Produ­zieren erlaubte, und mit Werken wie Die Nibe­lungen, Metro­polis und Der blaue Engel sogar auf dem US-Markt reüs­sierten.

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Es gibt und gab auch später keinen dezi­dierten »Ufa-Stil«. Was es aber gab: Tech­ni­sche Inno­va­tionen, die ihres­glei­chen suchten. Tatsäch­lich bemühte man sich ständig darum, die Möglich­keiten des neuen Mediums auszu­loten und die Technik weiter­zu­ent­wi­ckeln. So wurde die »entfes­selte Kamera« erfunden, also Techniken, um die enorm schweren Aufnah­me­geräte in quasi schwe­re­lose Bewegung und Taumel zu versetzen. So flogen die Bilder in Murnaus Faust scheinbar über die Erde hinweg. Dann den »Schüfftan-Effekt«, eine kompli­ziertes Spie­gel­ver­fahren um kleine Modelle lebens­groß wirken zu lassen und mit Schau­spie­lern zu koor­di­nieren – erstmals angewandt im Fall der »Zukunfts­stadt« von Metro­polis.

Alles änderte sich durch den Tonfilm. Zwar gelangen der Ufa ein paar frühe Erfolge mit Filmen in Mehr­spra­chen­fas­sungen, bei denen das gleiche Drehbuch in deutscher, fran­zö­si­scher und engli­scher Sprache und mit Stars der jewei­ligen Länder dreimal gedreht wurde. Doch bald setzte sich Hollywood durch. Hinzu kam die tota­litäre »Gleich­schal­tung« des Kinos durch die Nazis ab 1933. Viele Stars arran­gierten sich, doch die meisten der besseren Regis­seure und Kame­ra­leute gingen nach Paris oder Hollywood.

Bereits in der Wirt­schafts­krise hatte der natio­na­lis­ti­sche Verleger Alfred Hugenberg den Konzern günstig über­nommen und in seinem Sinne umge­staltet. Die Ufa war einer der Steig­bü­gel­halter Hitlers. Genutzt hat es ihr wenig. Denn auch sie wurde zunehmend der rigiden Politik von Goebbels Reichs­film­kammer unter­worfen. Sie wurde zur Maschine der Propa­ganda. Unter dem Namen Ufa wurden bis 1942 alle deutschen Film­pro­duk­tionen zusam­men­ge­fasst, und so wurde der blaurote Ufa-Rhombus zum Synonym des deutschen Films.

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Die neuen Erfolgs­men­schen des NS-Staats­kon­zerns Ufa waren plumpe Propa­gan­disten wie Karl Ritter, gerissene Oppor­tu­nisten Wolfgang Lieben­einer, der bis 1945 Ufa-Produk­ti­ons­chef war, und danach in West­deutsch­land unge­bro­chen glänzende Karriere machte und gewis­sen­lose Künstler wie Veit Harlan, der mit Hetz­filmen wie Jud Süß, Der große König und Kolberg selbst die Standards der Nazi-Propa­ganda noch überbot.

Als das Publikum die Premiere von Münch­hausen feierte, konnte man sich für zwei Stunden aus einer Realität davon­stehlen, in der es nichts zu lachen gab. Man konnte sich sogar vorgau­keln, im anar­chis­ti­schen Filou und Hoch­stapler Münch­hausen einem Wider­s­tändler zuzu­ju­beln. Noch im März 1945 besuchten in eine Vorstel­lung des Films über 1000 Zuschauer, während zeit­gleich der Ufa-Durch­halte-Schinken Kolberg nur von 80 Besuchern gesehen wurde.

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Kurz darauf wurde die Ufa abge­wi­ckelt. Im Mai 1946 gründeten die Sowjets die Defa in den alten Ufa-Studios. 1956 wurde sie im Westen, wohin man die meisten Akten und Teile des Vermögens in nieder­säch­si­schen Wasser­schlös­sern gebunkert hatte, wieder­ge­gründet. Nach einer kurzen Blüte, der kleine Meis­ter­werke des Nach­kriegs­kinos wie Georg Tresslers Das Toten­schiff und Helmut Käutners Schwarzer Kies zu verdanken sind, war man pleite. Die Konkurs­masse wurde 1991 wieder­be­lebt – doch Wolf Bauers TV-Produk­tionen wie Der Tunnel und Gute Zeiten, schlechte Zeiten sind nur eine Farce des alten Mythos. Viel­leicht hat der neue Ufa-Chef Nico Hofmann ja genügend Kraft, Geschmack und Mut über den eigenen Schatten zu springen, um den Kadaver dieses großen deutschen Kino­stu­dios wieder zum Leben zu erwecken.