23.10.2014

Auf dem Weg zum Anderen

O SAMBA Die Wiege des Samba
Die Wiege des Samba ist Vila Isabel: O Samba von Georges Gachot eröffnet die 14. Tage des Ethnologischen Films

Ungewöhnliche Leidenschaften an unvermuteten Orten, gewaltfreie Beharrlichkeit als Antwort auf schwere Konflikte – Die 14. Tage des Ethnologischen Films sind mehr als Völkerkunde-Kino

Von Natascha Gerold

Auch dieses Treffen machte keine Ausnahme. Die Ukraine-Krise, Ebola-Epidemie, welt­weiter Terro­rismus: Die Schwer­punkte beim kürzlich zu Ende gegan­genen Asia Europe Meeting, wie der ASEM-Gipfel offiziell heißt, waren weniger inter­kon­ti­nen­taler denn inter­na­tio­naler Natur. Wenn die Flammen von Krisen­herden akut über Grenzen lodern, geraten andere Schau­plätze ins Hinter­treffen. Solchen Prozessen steuern Reihen wie die 14. Tage des Ethno­lo­gi­schen Films – bewusst oder unbewusst, aber jeden­falls aktiv – entgegen. Sie zeigen Arbeiten über­wie­gend deutsch­spra­chiger Filme­ma­cher, die, entweder allein oder in inter­na­tio­nalen Koope­ra­tionen, unge­wöhn­liche Menschen und Lebens­li­nien fernab Europas aufgetan haben. Im Fokus steht heuer Asien, und zwar ganz anders als bei der großen Polit-Veran­stal­tung in Mailand.

Denn es herrschen nach wie vor Unruhen im zentral­asia­ti­schen Hochland, die noch größer zu werden drohen: Der Film Kampf um Tibet (Fr., 31.10. 19 Uhr) von Shi Ming und Thomas Weiden­bach zeigt nicht nur, welche handfeste wirt­schaft­liche Inter­essen den Konflikt schon längst und künftig bestimmen. Er macht auch einen erstaun­li­chen Bewusst­seins­wandel aus, den sowohl die Bevöl­ke­rung Chinas und als auch Tibets dem jeweils anderen gegenüber gerade erleben. Fällt doch bald ein unver­hoffter Licht­strahl auf das Dach der Welt? In Let’s Talk about Free Tibet! (Sa., 1.11. 19 Uhr) lassen Sina Moser und Pia Pedersen Exil-Tibeter zu Wort kommen, sie berichten von Folter, Selbst­ver­bren­nung und ihrer Flucht aus der Heimat. Diesen beiden Doku­men­tar­filmen folgen weitere in der Tibe­ti­schen Filmwoche, die vom 5. bis 10. Dezember im Kino im Einstein (KIM) statt­findet.

Beharr­li­cher, gewalt­loser Wider­stand – erst vor Kurzem gedachte man hier­zu­lande seines Erfolgs bei den Leipziger Montags­de­mons­tra­tionen vor 25 Jahren, protes­tierten Tausende Menschen in Mexiko medi­en­wirksam für die Aufar­bei­tung der unge­klärten Morde an 43 Studenten. Auch der 400 Kilometer lange Marsch der 100.000 landlosen Bauern und Urein­wohner Indiens, denen große Rohstoff­abbau- und infra­struk­tu­relle Projekte die Exis­tenz­grund­lage entzogen, blieb nicht unbemerkt – der Film Millions Can Walk (So., 26.10. 19 Uhr) von Christoph Schaub und Kamal Musale begleitet diese und erzählt von den Hinter­gründen und Risiken, die die Entrech­teten für ihren Zug zur Regierung nach Delhi in Kauf nehmen.

Die Filmreihe zeigt Asien auch als Schatz­kammer unge­wöhn­li­cher Leiden­schaften an unver­mu­teten Orten: So erfährt der Zuschauer unter anderem, Wo die freien Frauen wohnen (Di., 28.10. 19 Uhr) von Uschi Madeisky, Daniela Parr und Dagmar Margots­dotter und dass diese Matri­ar­chats­kultur der Mosuo in Südchina, die freie Sexua­lität und Abwe­sen­heit von Gewalt charak­te­ri­sieren, sich würdevoll gegenüber Ausprä­gungen der modernen Zivi­li­sa­tion behaupten kann. In Step­pen­lauf (Mo., 27.10. 19 Uhr) stellt Anni Seitz eine mongo­li­sche Jugend vor, die in der heimat­li­chen Steppe für Olympia trainiert: ohne finan­zi­elle Mittel, gänzlich ohne geeignete Infra­struktur, dafür mit bren­nenden Herzen für ihren Sport, den Skilang­lauf. Doch diese Hingabe, die von ihren Familien und Bundes­trainer Georg Zipfel tatkräftig unter­s­tützt wird, verlangt nicht nur ein unvor­stell­bares Maß an Einsatz­be­reit­schaft, sie konfron­tiert die Athleten auch mit starken inneren Konflikten, die Seitz in eindrucks­vollen Sequenzen verdeut­licht – hohe Preise für Cool Runnings.

Neben dem jeweils wech­selnden Schwer­punkt räumen die Tage des Ethno­lo­gi­schen Films der Musik als sozio­kul­tu­relles Phänomen stets einen beson­deren Stel­len­wert ein; diesmal eröffnet O Samba (Fr., 24.10. 17 Uhr und 19 Uhr) von Georges Gachot die Reihe. Der betagte Lieder­ma­cher und Sänger Martinho da Vila erzählt und singt darin nicht nur von den Ursprüngen des Sambas, der einst von Sklaven aus Afrika mitge­bracht wurde. Er führt an Schau­plätze wie sein Kizomba-Fest und die Samba­schule Vila Isabel in Rio, wo Samba nicht nur zum Alltag gehört, sondern mit seinen ironisch-heiteren Gesängen immer noch eine Art Über­le­bens­eli­xier ist, das Unrecht und Leid erkennt und ihm mit aller Schönheit trotzen will. Eine Haltung zur eigenen Musik, die auch die von den Sambistas räumlich weit entfernte junge Gene­ra­tion der Country-Musiker teilen dürfte: In Country Roads – Der Herz­schlag Amerikas (Mi., 29. 10. 19 Uhr) von Marieke Schroeder erheben die Singer-Song­writer ihre Stimmen für eine ehrliche Musik mit authen­ti­schem Inhalt fernab der Hoch­glanz­welt Nash­villes.
Ein beson­deres Programm­high­light ist in diesem Jahr N – Der Wahn der Vernunft (So., 2.11. 19 Uhr) des Belgiers Peter Krüger. Darin porträ­tiert er das Werk des fran­zö­si­schen Forschers und Aben­teu­rers Raymond Borremans, der zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts seine Faszi­na­tion für den afri­ka­ni­schen Kontinent in alpha­be­ti­scher Reihen­folge zwischen zwei Buch­de­ckel pressen wollte, jedoch nur bis zum Buch­staben »N« gelangte. In starken meta­pho­ri­schen Bildern und mit der beein­dru­ckenden Poesie des bekannten nige­ria­ni­schen Autoren Ben Okri lässt Krüger Borremans seine Enzy­klopädie aus dem Jenseits fort­setzen – ein expe­ri­men­teller Kunstfilm, der, wie sein Sujet, über Grenzen hinweg­schwebt.

Die 13. Tage des Ethno­lo­gi­schen Films finden statt vom 24.10.-2.11. im Monopol in München.