Things fall together |
![]() |
|
Peter Hellers Cool Mama – eindrucksvolles Plädoyer dafür, gegen die Konvention das bestmögliche Leben zu suchen... |
Von Dunja Bialas
Von Dunja Bialas und Axel Timo Purr
Vielleicht würde die Welt ja eine andere sein, wenn wenigstens ab der 5. Klasse an deutschen Schulen auch Ethnologie unterrichtet werden würde und überregionale, ethnologische Empathie eine echte Chance hätte. Aber da an bayerischen Gymnasien in der 10. Klasse selbst Geschichtsunterricht nur mit einer Stunde angesetzt wird, sind wir noch Lichtjahre von dieser Utopie entfernt. Stattdessen bleiben immerhin die Tage des Ethnologischen Films, in ihrer inzwischen 17. Auflage, die wieder eine Reise durch die Kulturen der Kontinente außerhalb Europas unternehmen. Und keine Frage: der offene, neugierige Blick auf fremde Kulturen ist in einer Zeit zunehmender eurozentristischer Bewegungen mehr als wichtig.
Ein Schwerpunkt der 17. Tage des Ethnologischen Films ist in diesem Jahr einem Land im Aufbruch gewidmet, dem lange Zeit abgeschotteten Myanmar. Dementsprechend eröffnen die Filmtage mit der München-Premiere von My Buddha Is Punk (Di. 24.10. 19 Uhr), Andreas Hartmanns faszinierendem Porträt einer rebellischen Jugendkultur inmitten einer restriktiven, konservativen und zutiefst religiös geprägten Gesellschaft. Hartmann wählt für diesen Streifzug den 25-jährigen, in Myanmar lebenden Punkrocker und Aktivisten Kyaw Kyaw, für den die Symbiose zwischen Buddhismus und Punk eine treibende Kraft in seinem Leben darstellt. Gemeinsam mit seinen Freunden reist er quer durchs Land um sich mit Musik und Demonstrationen gegen den immer noch stattfindenden Bürgerkrieg, gegen die Verfolgung der ethnischen Minderheiten und gegen jegliche religiösen und politischen Dogmen aufzulehnen. Andreas Hartmann verfolgt in My Buddha Is Punk Kyaw Kyaws einsamen Kampf gegen die mächtigen, radikalen Mönche, die in der jungen und fragilen Demokratie Furcht verbreiten und Gesetze erzwingen, die zweifelhaften und extremistischen Positionen Raum geben.
In Sehnsucht nach Myanmar (Mi. 25.10. 19 Uhr) reist die Filmemacherin Seng Mai Kinraw zu den Stationen ihrer Kindheit quer durchs Land und erkennt, dass man manchmal die Heimat verlassen muss, um die Sehnsucht danach zu spüren. Die in Myanmar geborene und aufgewachsene Regisseurin hat ihre Heimat für ein Filmstudium im Ausland verlassen – nun kehrt sie zurück, um ihre Familie zu besuchen. Für Seng Mai ist der Besuch aber mehr als nur die Auffrischung von Kindheitserinnerungen, es ist eine Suche nach ihren Wurzeln und ein Bekenntnis zu ihrer Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit. Sehnsucht nach Myanmar ist ein leiser und gefühlvoller Dokumentarfilm über eine Reise in ein Land, das immer noch gezeichnet ist von der jahrelangen Militärdiktatur – und zugleich ein sehr persönliches Porträt des modernen Myanmar.
Myanmarket (Do. 26.10. 19 Uhr) erzählt von den ersten spannenden Berührungen der Burmesen mit, dem Weltmarkt‘. Denn Myanmar gilt als einer der momentan aufregendsten und vielversprechendsten neue Märkte der Welt. Weltweit hegen Investoren und multinationale Konzerne Hoffnungen auf gute Geschäfte, denn hier warten 53 Millionen potentielle neue Kunden. Doch wie sieht es in dem Land nach fast 50-jähriger Isolation heute wirklich aus? In ihrem Dokumentarfilm Myanmarket geht Regisseurin Eva Knopf dieser Frage nach und taucht ein in das Leben Myanmars, dem früheren Burma. Anhand intimer Porträts der Bewohner erzählt sie Geschichten von der Feinmechanik einer Begegnung – den ersten Berührungen zwischen den Burmesen und »dem Weltmarkt«.
Untitled (So. 29.10. 19 Uhr), den die Tage des Ethnologischen Films in memoriam Michael Gloggower zeigen, der während seiner Reise quer durch Europa und Afrika 2014 an Malaria starb, ist ein faszinierendes, synästhetisches Filmessay über Macht und die Poesie des Zufalls. Am 3. Dezember 2013 brach Michael Glawogger zu einer Weltreise auf, um einen Film zu drehen, der Land und Leute so zeigen sollte, wie sie ihm entgegentreten würden. Im April 2014 starb Michael Glawogger auf dieser Reise in Liberia an Malaria. 2017 realisierte Monika Willi einen Film aus dem Material, das während der Reise Glawoggers durch den Balkan, Italien, Nordwest- und Westafrika entstanden ist.
Kurz vor seinem Tod verfasste James Baldwin einen Text, der sein Leben als homosexueller Schriftsteller im Kontext der schwarzen Bürgerrechtsbewegung reflektiert. In I Am Not Your Negro (Sa. 28.10. 19 Uhr) setzt sich Raoul Peck in Form einer filmischen Collage mit James Baldwin und dem weißen Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft auseinander.
Das Roadmovie Angry Monk – Eine Reise durch Tibet (Fr. 27.10. 19 Uhr) folgt den Spuren des berühmten buddhistischen Mönchs Gendun Choephel und stellt unser verklärtes Bild Tibets radikal in Frage. Regisseur Luc Schaedler begibt sich auf eine Spurensuche nach den Stationen im Lebensweg des legendären buddhistischen Mönchs Gendun Choephel. 1903 in Tibet als Inkarnation eines Lama geboren, begehrt Choephel als junger Mann gegen die Regeln des Mönchslebens auf: Er ist wissbegierig und stellt Konventionen in Frage. Mit seiner freigeistigen Haltung erregt er die Gemüter der tibetischen Obrigkeit und avanciert im Lauf der Jahrzehnte doch zu einem Symbol und Hoffnungsträger für ein freies Tibet.
In Zyklop (Mo. 30.10. 19 Uhr) entdeckt der deutsch-türkische Musiker und Komponist Marc Sinan in Kasachstan nicht nur die traditionelle Musik des Landes, sondern auch seine eigenen armenischen Wurzeln und macht sich auf die Suche des berühmten türkischen Epos »Dede Korkut«, das die Legende von der Vergewaltigung und Schändung einer Nymphe durch einen Oghusen erzählt. Als die Nymphe schwanger wird und ein Kind zur Welt bringt, steinigt es ein Hirte so lange, bis es zu einem Monster, einem Zyklopen wird. In ihrem Dokumentarfilm begleitet die Regisseurin Aysun Bademsoy Marc Sinan auf seiner Reise nach Kasachstan, wo er dem Epos nachspürt, Musikerinnen und Musiker besucht und deren Lieder und Gesänge aufzeichnet. Am Ende wird diese Reise zu einer sehr persönlichen Begegnung Sinans mit seiner armenischen Vergangenheit.
Seit den 70er Jahren macht Peter Heller Filme. In ihnen geht es meist um das Miteinander fremder Kulturen, unseren Blick auf die Anderen, oder darüber, dass andere zu „uns“ kommen. Zu uns, das ist in die westliche Zivilisation. Jedes Jahrzehnt hat er meist über 15 Filme gemacht, kraftvolle Bestandsaufnahmen, über sechzig sind es mittlerweile geworden. Auch heute hält Peter Heller nicht still. Derzeit arbeitet er an gleich zwei Filmprojekten, eins geht über einen bayerisch-italienischen Spaghetti-Imperialisten (PASTA IMPERIALE), das andere über eine Heimat, der Peter Heller viel verdankt: das Maxim-Kino in Neuhausen. Maxim Leben ist der Arbeitstitel, der Untertitel das Motto des Ex-Kinobetreibers Sigi Daiber: „Wer den Tod nicht scheut, zeigt Zelluloid.“ Ein Foto, das den Film ankündigt, zeigt Peter Heller neben dem Kino-Betreiber, es drückt Verbundenheit aus. Im Hintergrund ist auf einem Plakat zu lesen: „Werkschau Peter Heller“.
Angeblich möchte ja Sigi Daiber, der das Kino bis letztes Jahr vierzig Jahre lang geführt hatte, ein neues „altes“ Maxim in Haidhausen aufmachen. Bis es soweit ist, hat sich ein anderer Film-Veteran des Vermächtnisses von Sigi Daiber angenommen. Peter Neugart, Gründer der Mediengruppe München und von manchen wegen seiner Leidenschaft „Kino-Peter“ genannt, zeigt seit ebenfalls vier Jahrzehnten in München Filme. Jetzt präsentiert er bei seiner erfolgreichsten Filmreihe, den Ethnologischen Filmtagen, eine kleine Werkschau zu Peter Heller aus vier Filmen der letzten Jahre, die auch einen „Hit“ seines jüngsten Filmschaffens bereithält: Cool Mama – Afrika a la Schwabing. Über fünfzehn Jahre lang hat Peter Heller für den 2016 fertig gestellten Dokumentarfilm das Beziehungsleben einer Multi-Kulti-Patchwork-Familie in München beobachtet. Wie jede Familie weist auch die Konstellation aus einer Modeschöpferin, einem Nigerianer, fünf Kindern (aus erster Ehe) und der Erstfrau, die alle in München zusammenleb(t)en, so manche Probleme, aber auch Chancen auf. Ein eindrucksvolles Plädoyer dafür, auch gegen die Konvention das bestmögliche Leben zu suchen, auch wenn es nicht immer gut geht. (Mittwoch, 1.11., 19 Uhr)
Afrika ist Peter Hellers zweiter Kontinent. Von seinen über sechzig Filmen hat er ihm einen großen Teil gewidmet, und dabei nie den Blick verleugnet, den er als Weißer auf den schwarzen Kontinent hat, oder die Geschichte, die er als Erbe der Historie zwangsläufig mitbringt. Oft geht es um Postkoloniales und um die Kritik von „Entwicklungshilfe“ (Süßes Gift – Hilfe als Geschäft, 2012). Eindringlich ist in diesem Zusammenhang Kolonialmama (2009), in der er seine persönliche Geschichte mit der Kolonialgeschichte verwebt und die Spuren der eigenen Familie auf dem afrikanischen Kontinent in einem Gespräch mit seiner damals fast 100jährigen Mutter freilegt – ziemlich schonungslos.
Das gegenwärtige Wirken des Postkolonialismus, das sich auch in einem missverstandenen Pro-Afrika-Gefühl niederschlagen mag, macht Markt der Masken (2015) anschaulich, ebenfalls bei den Ethnologischen Filmtagen (Dienstag, 31.10., 19 Uhr). Der Film basiert auf der Kulturalität, die seit den 1910er Jahren zu einem erhöhten Afrika-Interesse, auch französischer Ethnologen und Intellektueller geführt hat. Masken und andere kultische Fetisch-Objekte fanden damals den Weg in europäische Museen und Sammlungen. Die kollektive Regiearbeit von Alain Resnais, Chris Marker und dem Belgier Ghislain Cloquet Les statues meurent aussi (1963) ist eine berühmte kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen. Markt der Masken verfolgt den Beutezug von Sammlern und Kunsträubern von den ärmsten Schnitzern in Westafrika bis zur Galeristenmesse in Brüssel, wo die kultlos gewordenen Objekte Höchstpreise erzielen.
Eines der dringlichsten Themen des schwarzen Kontinents ist heute Europa. Als Festung, als Sehnsuchtsort, vielleicht auch als Notwendigkeit. Life Saaraba Illegal (2016) begleitet über einen Zeitraum von zehn Jahren zwei Brüder einer westafrikanischen Fischerinsel. Einer von ihnen hat es in einem Boot nach Spanien geschafft. Kaum angekommen, musste er untertauchen, wie viele andere auch. Jetzt will ihm sein Bruder folgen. Peter Heller hat hier in Co-Regie mit dem senegalesischen Musiker Saliou Waa Guendoum Sarr gedreht. Er ist Cousin der beiden Brüder und lebt als Musiker in Dakar. Mit Liedern und persönlichen Kommentaren öffnet er den europäischen Kinobesuchern als Begleiter, Interpret und Mittler den Blick auf das Schicksal der Brüder. (Donnerstag, 2.11., 19 Uhr, gezeigt mit Barça ou Bassa – Barcelona oder Tod)
17. Ethnologische Filmtage. Noch bis 2.11.2017 im KIM – Kino im Einstein, Einsteinstraße 42, 81675 München. Eintritt: 6 € (5 € ermäßigt). Peter Heller ist zu Gast.
Mehr Informationen und das ganze Programm findet man unter www.ethnologische-filmtage.de.
Die Ethnologischen Filmtage sind eine Veranstaltung unter dem Dach der Filmstadt München e.V., die das ganzjährig das Angebot der Münchner Kinolandschaft erweitert und ergänzt.