Rauchschwaden in der Jurta |
||
Szene aus Flowers of Freedom |
Von Dunja Bialas
Es gibt Sehnsuchtsräume der Westeuropäer, klar. Seit Goethes West-Östlichem Divan, der sich von der Dichtung Hafis inspirieren ließ (um hier einmal der Fack ju Göhte-Bewegung eine Absage zu erteilen), und der Romantik mit ihrer Hingabe an den Orient (womit der arabische Raum gemeint war), richtet sich das sehnsuchtsvolle Seufzen heute in die weitere Ferne. Seit der Unterdrückung der Tibeter durch die chinesische Regierung gilt die Sympathie des aufgeklärten deutschen Mittelstandes dem Volk auf dem Dach der Welt und den vielen Exiltibetern, die sich auf der ganzen Welt zerstreut haben.
Wie lebt eine Kultur ohne geographischen Raum? fragen die 15. Ethnologischen Filmtage in München. Die Filmreihe, die von Peter Neugart verantwortet wird, wählt sich bewusst den Hype, um, ganz enthnologisch, durch die ausgewählten Filme genauer hinzusehen. Denn dies ist eine Aufgabe der »Visuellen Anthropologie«, der Unterabteilung der Ethnologen, die sich im Filmschaffen manifestiert. Sehnsucht Tibet – Ein Leben im Exil ist das Filmdebüt des deutschen Regisseurs Christian Beyer, der in Nepal und Indien das schwierige Alltagsleben der Exil-Tibeter zeigt. Bewegende Interviews geben Auskunft über die einschneidenden Erlebnisse in Tibet, die sie zur Flucht bewegten. Eine notwendige Entromantisierung, um einem Volk wieder seiner unfolkloristische Würde zurückzugeben (Erstaufführung, Sonntag, 01.11., 19 Uhr, in Anwesenheit des Regisseurs).
Ein Forum für den interkulturellen Dialog zu sein ist das Anliegen der ethnologischen Filmtage. Dazu gehört auch der Mut, „neue Aussagen zu wagen“, wie Peter Neugart betont. Eine völlig neue Perspektive auf die in Deutschland gleichfalls romantisierten Nomadenvölker der Mongolen wagt die gebürtige Mongolin Sanchirchimeg Vanchinjay. Winternebel der als deutsch-mongolische Co-Produktion entstand, zeigt eine vor den Toren der Hauptstadt als Winterquartier aufgebaute Jurte-Siedlung. Was sich von der Ferne schön ursprünglich ausnimmt, entpuppt sich beim näheren Hinsehen jedoch als echte Umweltplage. Schuld daran sind die vielen Holzfeuer, mit denen die Nomaden kochen und heizen. Unter diesem Phänomen liegt ein komplexes Verhältnis von Armut und Reichtum, Nomadisieren und Sesshaftigkeit, Themen, die sich in der modernen Welt neu darstellen (Eröffnung der Filmtage, Freitag, 23.10., 19 Uhr, in Anwesenheit der Regisseurin).
Einen neuen, durchaus humorvollen Blick wagt Flowers of Freedom von Mirjam Leuze. Ein kirgisisches Dorf findet sich, dank seiner Zyanidvorkommen, im globalen Kampf um Rohstoffe wieder. Die Frauen übernehmen, streiten um ihre Rechte und werden fast nebenbei zu wichtigen Gestalterinnen des demokratischen Aufbruchs – eine schafft sogar den Sprung ins Parlament (Samstag, 24.10., 19 Uhr, in Anwesenheit des Filmteams).
Die bedrohten Völker Russlands sind seit jeher Gegenstand der Ethnologen. Das Tundra-Buch. Die Geschichte von Wukwukai, dem kleinen Stein ist ein filmisches Kleinod über den bei seinem Volk als weise geltenden Rentierzüchter Wuwukai, der im Einklang mit seinen Tieren und der Tundra lebt (Dienstag, 27.10., 19 Uhr, in Anwesenheit einer Vertreterin der Gesellschaft für bedrohte Völker).
Ein Highlight der Ethnologischen Filmtage, die nicht nur die globalen Schattenseiten aufwerfen wollen, ist die Wiederaufführung des 1991 entstandenen Yma Sumac – Hollywoods Inkaprinzessin. Die »jodelnde und tiriliernde« und direkt von den letzten Inkaherrschern abstammende Sängerin hatte den erstaunlichen Stimmumfang von sechs Oktaven. Sie wurde als Volksliedsängerin der Anden gefeiert und schaffte es bis nach Hollywood, wo sie mit Charlton Heston in Secret Of The Incas zur Leinwandikone wurde (Mittwoch, 28.10., 19 Uhr, in Anwesenheit des Regisseurs).
Die 15. Tage des Ethnologischen Films
23.10. bis 01.11.2015, Monopol-Kino, Schleißheimerstr. 127.