Hurra, UNDERDOX! |
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Villalobos, der Eröffnungsfilm von Romuald Karmakar, der alle(s) hinwegfegt |
Von Dunja Bialas
UNDERDOX, Münchens »mutigstes Filmfestival« (ein Filmkollege), feiert dieses Jahr das erste Jubiläum seiner legendären Festivalgeschichte. Das Festival für »dokumentarische Experimente« wurde 2006 während einer Autofahrt zur Berlinale begründet, zementiert in allen Details auf der Festivalterasse des FID Marseille im Juli desselben Jahres, dann kurzerhand im Oktober als erste Ausgabe aus dem Boden gestampft, mir fast gar keinem Budget, aber wichtiger Hilfe von Freunden, Bekannten und den Filmregisseuren, die fast alle ihre Filme für lau dem Festival zur Verfügung stellten. Fünf Jahre nach diesem tollkühnen Wurf hat sich zwar gerade in letztem Punkt so manches geändert (Stichwort Weltvertriebe), aber UNDERDOX hat sich selbst ja auch gemausert: Raus aus der Geheimtipp-Nische zum wichtigen Filmereignis für Kenner und Liebhaber.
Ja, wir werden in Paris vermisst. Und in Berlin. »Wieso gibt es hier so etwas nicht?«, hat man uns des öfteren gefragt. Vielleicht deshalb: Wir sind Einzelkämpfer, Kinovisionäre und Kinoradikale. Wir machen UNDERDOX aus der Einsicht in die Notwendigkeit, die bei uns programmierten Filme zu zeigen, und aus der Lust, bequem gewordene Sehgewohnheiten auszuhebeln. Wir provozieren bewusst, zeigen aber auch die Schönheit der Neuerung.
Die UNDERDOX-Filme sind Cineastenfilme und Filme, die großen Spaß machen.
Wie unser Eröffnungsfilm Villalobos von Romuald Karmakar. Ricardo Villalobos, Chilene und Darmstädter, ist einer der wichtigsten Elektronik-DJs der Szene. Ein rasantes Porträt über den DJ-Alltag und das Schweigen der Maschinen (Donnerstag, 30. September, 20:00 Uhr im Filmmuseum, in Anwesenheit von Romuald Karmakar). (Do., 30.09., 20.00 Uhr, Filmmuseum, Reservierungen unter
23 32 23 48).
Es geht dann hochkarätig weiter. Mit 40 Filmen, viele darunter in deutscher Erstaufführung. Bei UNDERDOX endlich zu sehen ist Oxhide, das viel gefeierte und hoch gelobte Verwirrspiel um Fiktion und Dokumentation der jungen Chinesin Jiayin Liu, in dem sich die Familie der Regisseurin selbst spielt und nebenbei viel über China zu erfahren ist (Fr., 1.10., und So., 3.10., jeweils um 18.30 Uhr im Filmmuseum).
Erhabenheit kann man erfahren bei den Arbeiten der amerikanischen Foto- und Videokünstlerin Sharon Lockhart, unserem diesjährigen »artist in focus«. Wir zeigen ihre bahnbrechenden Arbeits- und Bildstudien Double Tide und Lunch Break (Fr., 1.10., 21.00 Uhr, und Sa., 2.10., 18.30 Uhr, jeweils im Filmmuseum).
In Europas Migrationsvergangenheit blicken wir mit unserem Lost & Found-Film Lettre a la prison (Letter to the Prison). 1969 zwischen Tunis und Paris gedreht, in der Nähe zu Jean Rouch und Chris Marker, verschwand der Film über die ersten tunesischen Einwanderer in Frankreich, noch bevor er einmal gezeigt werden konnte. Vielleicht weil Lettre a la prison ein dunkles Kapitel der französischen Geschichte aufschlägt? Vierzig Jahre später wurde der Film wiedergefunden und restauriert – und feiert seitdem in Frankreich große Erfolge (Sa., 2.10., 21.00 Uhr, Filmmuseum).
Provozieren lassen sollte man sich nicht von ihm, auch wenn es schwer fällt. American bad boy Harmony Korine lässt es in Trash Humpers ordentlich krachen und feiert ein lustvolles Zerstörwerk, zugleich eine scharfe Gesellschaftskritik am „young is beautiful“-Wahn der Amerikaner (Sa., 2.10., 20.30 Uhr, Werkstattkino). Kun1 Action des jungen chinesischen Underground-Filmemachers Hu Waowao ist ein erstklassiges Provo-Tagebuch, das ohne Tabus seine Jugend auslebt und China gerne mal den »Ai-Weiwei-Finger« zeigt (Sa., 2.10. 22.30 Uhr).
Free Land heißt ein kleines Meisterwerk über den amerikanischen (Alb)traum. Die Regisseurin Minda Martin erzählt über die Schwierigkeit, mit indianischer Abstammung auch noch im heutigen Amerika Wurzeln und ein würdiges Leben zu finden. (Fr., 1.10., 20.30 Uhr, Werkstattkino)
Ein ganz wichtiger Programmpunkt bei UNDERDOX ist »Videokunst auf Kinoleinwand«. Diesmal gibt es im »Salon Istanbul« Arbeiten aus der Megalopole am Bosporus zu sehen (So., 3.10., 22.30 Uhr, Werkstattkino) und beim Salon der Münchner Videokünstler Filme aus der Münchner Videoszene (Di., 5.10., 22.30 Uhr, Werkstattkin). Außerdem zeigen wir Arbeiten von Cora Piantoni und Muriel Montini als Videoinstallation in der Münchner Galerie Weltraum.
Damit schön gefeiert werden kann, wie es sich für ein Jubiläumsfestival gehört, machen wir einfach einen Tag länger Festival und zeigen am Do., den 7.10. im Kulturhafen Puerto Giesing unsere High Five – eine Kurzfilmauswahl aus fünf Jahren UNDERDOX.
Die Autorin ist, wie man dem Text unschwer anmerkt, Mitbegründerin von UNDERDOX. Zugleich ist sie auch Redakteurin von artechock. Wir haben eine Ausnahme gemacht und ihr Interessensverquickung gestattet – normalerweise lobt sie sich nicht so viel selbst.