30.09.2010

Hurra, UNDERDOX!

Romuald Karmakar, Villalobos
Villalobos, der Eröffnungsfilm von Romuald Karmakar, der alle(s) hinwegfegt

Von Dunja Bialas

Romuald Karmakar, Harmony Korine, Pedro Costa, »Salon Istanbul«, Münchner Video­kunst: Dieses Festival sollte man auf keinen Fall verpassen

UNDERDOX, Münchens »mutigstes Film­fes­tival« (ein Film­kol­lege), feiert dieses Jahr das erste Jubiläum seiner legen­dären Festi­val­ge­schichte. Das Festival für »doku­men­ta­ri­sche Expe­ri­mente« wurde 2006 während einer Autofahrt zur Berlinale begründet, zemen­tiert in allen Details auf der Festi­val­te­r­asse des FID Marseille im Juli desselben Jahres, dann kurzer­hand im Oktober als erste Ausgabe aus dem Boden gestampft, mir fast gar keinem Budget, aber wichtiger Hilfe von Freunden, Bekannten und den Film­re­gis­seuren, die fast alle ihre Filme für lau dem Festival zur Verfügung stellten. Fünf Jahre nach diesem toll­kühnen Wurf hat sich zwar gerade in letztem Punkt so manches geändert (Stichwort Welt­ver­triebe), aber UNDERDOX hat sich selbst ja auch gemausert: Raus aus der Geheim­tipp-Nische zum wichtigen Filmer­eignis für Kenner und Liebhaber.

Ja, wir werden in Paris vermisst. Und in Berlin. »Wieso gibt es hier so etwas nicht?«, hat man uns des öfteren gefragt. Viel­leicht deshalb: Wir sind Einzel­kämpfer, Kino­vi­si­onäre und Kinora­di­kale. Wir machen UNDERDOX aus der Einsicht in die Notwen­dig­keit, die bei uns program­mierten Filme zu zeigen, und aus der Lust, bequem gewordene Sehge­wohn­heiten auszu­he­beln. Wir provo­zieren bewusst, zeigen aber auch die Schönheit der Neuerung.

Die UNDERDOX-Filme sind Cine­as­ten­filme und Filme, die großen Spaß machen.
Wie unser Eröff­nungs­film Villalobos von Romuald Karmakar. Ricardo Villalobos, Chilene und Darm­s­tädter, ist einer der wich­tigsten Elek­tronik-DJs der Szene. Ein rasantes Porträt über den DJ-Alltag und das Schweigen der Maschinen (Donnerstag, 30. September, 20:00 Uhr im Film­mu­seum, in Anwe­sen­heit von Romuald Karmakar). (Do., 30.09., 20.00 Uhr, Film­mu­seum, Reser­vie­rungen unter 23 32 23 48).

Es geht dann hoch­karätig weiter. Mit 40 Filmen, viele darunter in deutscher Erst­auf­füh­rung. Bei UNDERDOX endlich zu sehen ist Oxhide, das viel gefeierte und hoch gelobte Verwirr­spiel um Fiktion und Doku­men­ta­tion der jungen Chinesin Jiayin Liu, in dem sich die Familie der Regis­seurin selbst spielt und nebenbei viel über China zu erfahren ist (Fr., 1.10., und So., 3.10., jeweils um 18.30 Uhr im Film­mu­seum).

Erha­ben­heit kann man erfahren bei den Arbeiten der ameri­ka­ni­schen Foto- und Video­künst­lerin Sharon Lockhart, unserem dies­jäh­rigen »artist in focus«. Wir zeigen ihre bahn­bre­chenden Arbeits- und Bild­stu­dien Double Tide und Lunch Break (Fr., 1.10., 21.00 Uhr, und Sa., 2.10., 18.30 Uhr, jeweils im Film­mu­seum).

In Europas Migra­ti­ons­ver­gan­gen­heit blicken wir mit unserem Lost & Found-Film Lettre a la prison (Letter to the Prison). 1969 zwischen Tunis und Paris gedreht, in der Nähe zu Jean Rouch und Chris Marker, verschwand der Film über die ersten tune­si­schen Einwan­derer in Frank­reich, noch bevor er einmal gezeigt werden konnte. Viel­leicht weil Lettre a la prison ein dunkles Kapitel der fran­zö­si­schen Geschichte aufschlägt? Vierzig Jahre später wurde der Film wieder­ge­funden und restau­riert – und feiert seitdem in Frank­reich große Erfolge (Sa., 2.10., 21.00 Uhr, Film­mu­seum).

Provo­zieren lassen sollte man sich nicht von ihm, auch wenn es schwer fällt. American bad boy Harmony Korine lässt es in Trash Humpers ordent­lich krachen und feiert ein lust­volles Zers­tör­werk, zugleich eine scharfe Gesell­schafts­kritik am „young is beautiful“-Wahn der Ameri­kaner (Sa., 2.10., 20.30 Uhr, Werk­statt­kino). Kun1 Action des jungen chine­si­schen Under­ground-Filme­ma­chers Hu Waowao ist ein erst­klas­siges Provo-Tagebuch, das ohne Tabus seine Jugend auslebt und China gerne mal den »Ai-Weiwei-Finger« zeigt (Sa., 2.10. 22.30 Uhr).

Free Land heißt ein kleines Meis­ter­werk über den ameri­ka­ni­schen (Alb)traum. Die Regis­seurin Minda Martin erzählt über die Schwie­rig­keit, mit india­ni­scher Abstam­mung auch noch im heutigen Amerika Wurzeln und ein würdiges Leben zu finden. (Fr., 1.10., 20.30 Uhr, Werk­statt­kino)

Ein ganz wichtiger Programm­punkt bei UNDERDOX ist »Video­kunst auf Kino­lein­wand«. Diesmal gibt es im »Salon Istanbul« Arbeiten aus der Mega­lo­pole am Bosporus zu sehen (So., 3.10., 22.30 Uhr, Werk­statt­kino) und beim Salon der Münchner Video­künstler Filme aus der Münchner Video­szene (Di., 5.10., 22.30 Uhr, Werk­stattkin). Außerdem zeigen wir Arbeiten von Cora Piantoni und Muriel Montini als Video­in­stal­la­tion in der Münchner Galerie Weltraum.

Damit schön gefeiert werden kann, wie es sich für ein Jubiläums­fes­tival gehört, machen wir einfach einen Tag länger Festival und zeigen am Do., den 7.10. im Kultur­hafen Puerto Giesing unsere High Five – eine Kurz­film­aus­wahl aus fünf Jahren UNDERDOX.

Die Autorin ist, wie man dem Text unschwer anmerkt, Mitbe­grün­derin von UNDERDOX. Zugleich ist sie auch Redak­teurin von artechock. Wir haben eine Ausnahme gemacht und ihr Inter­es­sens­ver­qui­ckung gestattet – norma­ler­weise lobt sie sich nicht so viel selbst.