Kinos in München – Arena
Einladung zur Zeitreise |
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Gemütlich und elegant: der renovierte Kino-Saal, mit Kinobetreiber Christian Pfeil | ||
(Foto: artechock) |
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von Streamingdiensten und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Von Dunja Bialas
Obwohl endlich der Sommer angefangen hat, zieht es mich an diesem strahlenden Dienstagmorgen nicht vor die Tür. Mit Christian Pfeil, einem der beiden Kinobetreiber des Arena im Münchner Glockenbachviertel, sitze ich im Kinosaal. Das Licht ist an, die Leinwand ist weiß. Da läuft gerade kein Film, und doch geht ein ganz anderer Film ab, irgendeiner zwischen Zurück in die Zukunft, Midnight In Paris, Die schönste Zeit unseres Lebens oder Hugo Cabret. Das Vehikel dieser Zeitreise ist der frisch renovierte große Kinosaal des Arena. Wie ein Art-Déco-Interieur-Schmuckkästchen wirkt er, elegant und aufregend, wie einst, als man Filme als bewusstseinserweiternde Transportmittel in imaginäre Welten ganz neu entdeckte.
Über die Wände des Saals spannt sich in kleine Falten geworfen ein taubengrauer Stoff. Auf ansteigenden Stufen reihen sich mit rotem Samt überzogene Polsterklappstühle. Ganz hinten im Saal findet sich eine kleine Garderobe für Kleidungsstücke, die man gerne loswerden will, und eine durchgezogene Polsterbank. Vorne spannt sich die Leinwand über die ganze Breite des Saals, eingerahmt von feinem Intarsienholz. Darunter: eine Rosette, aufgefächert aus dem Stoff der Wandverkleidung. Alles wirkt ruhig, elegant, im Stuhl sitzt man weich, aber aufrecht. Hier will man sich benehmen, hier erwartet man hohe Filmkunst. Mindestens Metropolis.
»Hinter der Verkleidung unter der Leinwand verbirgt sich der Subwoofer«, holt mich Christian Pfeil in die schnöde Gegenwart der Technik zurück. Er weist auf die funktionalen Notausgang-Hebel hin, und auf die leider in Silberblech und nicht in Messing angelieferten Sitznummern. Nichts ist perfekt, will er mir sagen, vielleicht auch: der Teufel steckt im Detail. Eigentlich gibt es im Jahr 1912, als das Arena im Zuge des ersten großen Kinobooms in München öffnete, auch keine ansteigenden Kinosäle, alles war ebenerdig. Die Stufen hat er eingebaut, damit man anders als früher »von jedem Platz aus gut sieht«.
Ich mache die Probe. Die ersten beiden Reihen warten mit leicht nach hinten geneigten Rückenlehnen auf. Kein Grund also, für den Blick auf die Leinwand eine starke Nackenmuskulatur haben zu müssen. Der Sitzreihenabstand wurde auf bis zu 1,30 Meter erhöht, was Beinkomfort bietet. Man sieht nicht nur auf die große Leinwand, sondern auch auf die Holzlehnen der Vordersitze, die aus gebeizter Buche gefertigt wurden. Pfeil und sein Compagnon Markus Eisele, die zusammen die Firma »Unser Kino« mit etlichen Kinos an unterschiedlichen Standorten führen, haben zwar das Kinorot für die Bezüge gewählt, aber tunlichst darauf verzichtet, die Sessel von der Stange zu bestellen. Schmale Holzarmlehnen, wie man sie in München bislang nur aus dem Theatiner kannte, reichen ihnen aus, auch kann man in den Stühlen einfach nur sitzen, ohne immer seine Bauchmuskeln anspannen zu müssen, damit die mobile Rückenlehne, die jetzt neuerdings im Kino in Mode gekommen ist, in Position bleibt. Die Folge davon: dauerndes Sit-up statt ungestörtem Filmgenuss.
Das Sitzen im Arena-Schmuckstückchen verspricht dagegen konzentrierte Aufmerksamkeit, umso mehr, als es in den Kinos von Pfeil und Eisele (in München betreiben sie außerdem bislang noch das Monopol), kein Popcorn gibt. »Kino ist eine Kulturstätte, das wollten wir mit diesem Umbau ausdrücken«, sagt Pfeil. Und: »Wir haben uns bei den Stühlen am Theater orientiert.«
So ganz geheuer scheint ihm die neue Anmutung des Kinos noch nicht zu sein, sonst hätte er bei Beginn der Begehung nicht behutsam vor »ein ganz klein wenig Kitsch« gewarnt. Vorzufinden ist in allen Details reines Art Déco, so hätte man das Kino in den 20er Jahren renoviert, wenn man das Geld gehabt hätte. Sogar Bakelitsteckdosen hat Pfeil noch auf Verlangen des Raumgestalters Christian Schaberl besorgt. Die Liebe zum Kino steckt hier wahrlich in jedem Detail: ein geschwungener Handgriff zum Erklimmen der Stufen, dezente Bodenbeleuchtung, für die Griffe von Biedermeier-Kommoden zu kleinen Lampenschirmen umfunktioniert wurden. Sogar das dezent schimmernde Notausgangsschild wurde mit Messing eingefasst. Geschwungenes Nussbaumholz rahmt die Leinwand und setzt sich an den Wänden als Gestaltungsmittel fort. Alles wirkt hochwertig, alles ist große Handwerkskunst. Vermutlich wie es damals gewesen wäre.
Zuletzt hatten Pfeil und Eisele das Arena 2006 umgebaut, als sie das Kino von den damaligen Betreibern Christoph Ott und Joseph Vilsmaier übernahmen. Damals hatte das Arena noch, wie alle hundertjährigen Kinos, nur einen Saal. Pfeil und Eisele, die im Monopol schon auf mehrere Säle gesetzt hatten, um die Programmierung zu erleichtern, zogen kurzerhand noch eine Wand ein. Als Relikt blieb damals eine mit Palmen bemusterte schwarze Tapete übrig, die sich vormals um die Leinwand gerankt hatte. (Mehr dazu steht in unserem Kinoportrait von 2012.)
Und nun, mitten in der allenthalben beschriebenen Kinokrise dieser neuerliche, detailversessene Umbau. Möglich war das, sagt Pfeil, allein durch das »Zukunftsprogramm Kino« des Bundes (BKM), die für die Kinorenovierungen 80 Prozent als echten Zuschuss beisteuert. (Wir berichteten.)
Das Zukunftsprogramm hatte es bereits gegeben, wurde aber unter dem Eindruck von Corona stark erweitert. Der Zuschussanteil wurde verdoppelt, neben Kinos in der Fläche (d.h. auf dem Land) waren nun auch Lichtspielhäuser in größeren Städten antragsberechtigt. Mit Eigenkapital und weiteren Drittmitteln kamen am Ende 150.000 Euro für die Renovierung zusammen, erzählt Pfeil. So war es möglich, sich nicht mit Flickwerk – dort ein neuer Sesselbezug, hier eine Aufpolsterung, dort eine neue Wandbespannung – aufzuhalten, sondern endlich mal das große Ganze anzugehen. Dazu gehörte auch der Einbau einer potenten Entlüftungsanlage, aber vor allem: den Saal von Grund auf neu zu denken.
Für den gestalterischen Wurf, der unmittelbar zur Zeitreise in die 1920er Jahre einlädt, ist Raumgestalter und Szenenbauer Christian Schaberl verantwortlich. Während wir im Kinosaal sitzen, schleift er im Foyer noch das Parkett ab. Ein neuer Tresen kommt her, zwei Wochen vor Wiedereröffnung hat man sich dazu entschlossen, gemäß dem Motto: Wenn das eine erneuert wird, stinkt das andere ab.
Schaberl erzählt mir von seiner Innenraum-Philosophie, aber erst erwähnt er, die Schleifmaschine in der Hand, dass er auch zwei Splatterfilme ausgestattet hat. »Für mich ist das alles hier ein Film«, sagt er und zeigt um sich. »Wir müssten alles so gestalten, als wäre es ein Set von einem Film – unserem Film! Den werden wir am längsten sehen. Das Arena ist eines der ältesten Kinos. Wenn man hierherkommt, will man in einen Saal gehen, der uns in diese Zeit zurückbringt. Das ist mein Set, das ich für das Drehbuch eines Kinogängers entworfen habe, der hierher kommt.«
Den »hingeschmissenen 60er-Jahre-Charakter« des Foyers, wie er begeistert sagt, will er unbedingt erhalten. Die Stoffbespannung der Wand wirft sichtbare Falten, die sich ein Wienerisches »Mei, ist des schön« verdient hätten. Sagt der Raumausstatter, der auch schon das legendäre Atomic Café mitgestaltet hat.
Wenn man derart in Renovierlaune ist, sollte dann nicht auch noch der kleine Saal drankommen? Christian Pfeil präzisiert: Mit dem Umbau sind die Unterschiede zwischen den Sälen geschrumpft, zehn Sitzplätze habe er geopfert, damit der große Saal sich erneuern konnte. »Das ist eine Menge bei einem Saal dieser Größenordnung und unserer hohen Auslastung.« 50 Plätze hat jetzt der »große«, 40 der kleinere. Weshalb man die Säle bei Andrang auch nicht mehr tauschen werde. Im ehemals kleinen Saal haben sich Pfeil und Eisele am Credo der Multiplexe orientiert. Die Leinwand ist hier sogar größer als im Art-Déco-Saal, weil der Raum breiter ist, und Pfeil und Eisele der Leinwand stets die größtmögliche Spanne geben. Nach mehrfachem Umbau und Optimierung, nicht zuletzt durch die Einrichtung einer Unisex-Toilette, mit der drei Quadratmeter gewonnen wurden, gleicht der kleine Saal jetzt einem »gut organisierten Multiplex«, findet Pfeil. Für die erste Reihe gibt es Fußschemel, damit man es sich gemütlich machen kann – und in den Sitzen etwas tiefer rutscht, für diejenigen, die hinter einem sitzen.
Von nun an können die Menschen, die in das älteste Kino im Glockenbachviertel kommen, also nicht nur zwischen den Must-See-Arthouse-Filmen wählen, die Theaterleiter Kilian Plank ausgewählt hat, sondern müssen sich zusätzlich zwischen New Art Déco und funktionaler Übermoderne entscheiden. Garantiert ist in beiden Sälen beste Sicht und 4K-Projektion. Christian Pfeil und Markus Eisele wollen es den Filmbegeisterten leichtmachen, ihre Kinos möglichst oft zu besuchen. Neben verschiedenen Eintrittspreisen, die unter anderem für U21 nur 5 Euro vorsehen, gibt es auch die monatliche Kinoflatrate für 20 Euro, die in allen Häusern von »Unser Kino« gilt.
Für »Heavy Users« ein echtes Schnäppchen, für alle anderen lohnt es sich schon bei zwei Besuchen im Monat. Über den Komfort und die Schauwerte des neuen Arena-Saals hinaus wird sich der Besuch ihrer Kinos künftig noch einmal mehr lohnen: Christian Pfeil und Markus Eisele werden ab dem 1. Juli ein weiteres alteingesessenes Münchner Lichtspielhaus betreiben: den Rio Filmpalast in Haidhausen. Dazu mehr demnächst auf »artechock«.