Cinema Moralia – Folge 222
Das Kino – ein Ort des Aushandelns |
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No need for diversity, just necessity! | ||
(Foto: Entertainment One Germany) |
»I didnt want you to enjoy the film. I wanted you to look very closely at your own soul.«
Sam Peckinpah»The task I am trying to achieve is above all to make you see.«
D. W. Griffith»Wer sah deiner Meinung nach gut aus im Anzug?
Der Gary Cooper. Ein Kunsthistoriker hat einmal gesagt: Eine Skulptur von Michelangelo, die kannst du den Hügel hinunterrollen, und sie wird nicht zerbrechen. Das Gleiche galt für Gary Cooper: Roll him down the hill and he will not break. Der steht da unten wieder auf, putzt sich ab und ist wieder cool.«
Und Mastroianni?
Ganz groß. Dem konntest du dreißig Sakkos hinhängen, und er hätte immer das richtige rausgesucht. Es gibt ja ein Stilgespür, und das hatte er. Wobei man sagen muss: Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, und das alles in Schwarz-Weiß, das ist natürlich das Schönste überhaupt...
Hans Hurch, im Gespräch
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Vor drei Jahren starb Hans Hurch. Das ist immer noch sehr traurig! Mit Hans hätte ich heute wahnsinnig gern ein, zwei, drei Bier getrunken und zum Beispiel über Roberto Minervini gesprochen.
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Ein Zufallsfund: SZ-Seite vom Dienstag 26.08.1980. Dort die »Filmtipps« vor knapp 40 Jahren in München, hier einmal ungekürzt abgeschrieben:
Weekend (1967) von Jean-Luc Godard, seine letzte Arbeit vor dem Mai 1968, »ein Film, verirrt im Kosmos, gefunden auf dem Schrotthaufen« (Godard), dem Schauplatz des Untergangs der Bourgeoisie. Spätprogramm in der Lupe 2. ― Zum Vergleich: Easy Rider (1969) von Dennis Hopper, der in seinem Vertrauen auf die Freiheiten der räumlichen Bewegung gegenüber Godard unbeirrbar sich an Mythen bindet und seine Ballade dennoch nicht mehr zu einem guten Ende bringt. In Originalfassung, Mittwoch und Donnerstag, Spätvorstellung im Europa.
Les jeux
sont faits (1947) nach Jean-Paul Sartre von Jean Delannoy, der zumindest in den vierziger Jahren dem Kino zahlreiche echte Möglichkeiten aufzeigte, Literatur zu verfilmen. Bis Donnerstag, Nachmittagsprogramm im Theatiner.
Mutter Krausens Fahrt ins Glück (1929) von Piel [Sic!] Jutzi nach Erzählungen von Heinrich Zille. »Gegenüber diesem Film versinken gepriesene Werke der deutschen
Produktion in ihr verdientes Nichts«, schrieb »Der Abend« nach der Uraufführung. Und der »Film-Kurier«: »Der bedeutsamste, neuartigste Unterweltfilm Berlins ist so entstanden.« Bis Donnerstag, täglich 20.30 Uhr im Filmmuseum
Mr. und Mrs. Smith (1941), Hitchcocks einzige amerikanische Komödie. »Da ich die Art von Leuten nicht verstand, die in dem Film gezeigt wurden, habe ich die
Szenen photographiert, wie sie geschrieben waren.« (Hitchcock). Bis Donnerstag, Spätprogramm im Theatiner.
Aus dem Programm der Filmkunstwochen: Malpertuis (1971) von Harry Kümel. Antike Mythen, abendländische Märchenmotive und Traditionen des Schauerromans in einer homogenen Phantasie von den Grenzen der Allmacht eines gefräßigen Tyrannen. Am Donnerstag im Isabella.
Coming Home (1977), Hal Ashbys Vietnam-Heimkehrermelodram. Am Dienstag im Kino West. Saint Jack (1979) von Peter Bogdanovich. Am Dienstag im Rex. Die dritte Generation (1978) von Rainer Werner Fassbinder. Am Donnerstag im Türkendolch. Gezeichnet: HGP.
Dieser Text erzählt in jedem Wort mehr über den Verfall der deutschen Filmkultur, als viele lange Leitartikel.
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Darf man, wenn man ihn loben will, sagen, ein Film sei »schön«. Ich glaube schon, andere glauben nicht. Schönheit steht unter Verdacht.
Ein Grund mehr, sie zu verteidigen. Denn das, was siegt, zu verteidigen, bringt nicht nur keine Ehre.
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»Ausverkauft« war das Delphi-Kino am Freitagabend bei meinem ersten regulären Kinobesuch »post-corona«. Ich wollte nochmal Berlin Alexanderplatz sehen, der Film bestand das zweite Sehen gut, trotz kleiner Längen. Bei drei Stunden kein Wunder.
Der Abstand zwischen den Leuten: Riesig. Hysterisch. Man muss nur auf die Straße treten und das Volk rückt dicht an dicht, im Kino aber
herrscht Abstandshaltung, wie bei den Legehennen, nur bürgerlicher. Insgesamt nur vielleicht 80 Leute in einem Kino, das knapp das Zehnfache fasst. Ausverkauft war das nie im Leben, auch nicht im Rahmen der Auflagen. Vor allem aber: Kino ist anders. Kino ist Schmutz und Dichte, der schlechte Atem des fremden Nebenmanns, das Knie der unbekannten Nachbarin. Kino ist schmutzige Phantasie.
Und dann bei so einem Film. Das Gefühl war das einer Pressevorführung, und zwar für einen
Arthouse-Film, also ohne Blogger, wie in den Neunzigern, als wir anfingen: Wohltemperiert, gesittet. Selige Zeiten. Für die Presse. Kino aber war damals erst recht anders: Sittenlosigkeit, Gestank, Verfall, Midnight, vor allem Risiko. Zumindest auch.
Diese Filmvorführung war risikolos. Aber ich hätte den Film gern gesehen ohne Berührungsverbote und mit Infektionsgefahr.
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Burhan Qurbanis Berlin Alexanderplatz, über den ich noch mehr schreiben werde, erzählt von einem bunten Deutschland, und zeigt Körper als Material, Zeit als Treibstoff, die Metropole als Bühne.
Er formuliert Döblins angestaubten, wenn auch immer noch bezirzenden Expressionismus um zu einem Film aus unserer Gegenwart.
Ein Film, bei dem der Hauptdarsteller nicht schwarz ist, um
einen Diversitätscheck zu bestehen.
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Das bringt uns aufs nächste Thema: Die Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein (FFHSH) hat einen Diversitätscheck für alle Projekte lanciert, und sich damit bestimmt viele Brownie-Points verdient, bei irgendwelchen Verbänden zumindest.
Den Film, den Kinofilm insbesondere, bringt solches erzwungene (natürlich nicht in echt, aber de facto) Diversifizieren nicht voran. Burhan Qurbanis kluge und aus dem Stoff entstandene Entscheidung, aus dem Proletarier Franz Biberkopf den afrikanischen Flüchtling Francis B. zu machen, stünde zukünftig im Verdacht, nur sekundären Erwägungen politischer Korrektheit geschuldet zu sein.
Unbefangen übersehen könnten wir sie genauso wenig wie vorher. Übersehen kann nicht
verordnet, erzwungen werden. Und auch wenn es viele schwarze und farbige (ich weiß schon: nicht PC, aber POC ist auch kein Wort) Deutsche gibt, ist die Mehrheit der Deutschen weiß. Dafür oder für die Entscheidung, dies auch in einem Film zu zeigen, sollte man sich nicht rechtfertigen müssen. Sowenig wie für andere Hautfarben.
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In unserer Politik dominieren phantasievolle Wohlfühlgeschichten. Dazu gehören folgende Aussagen: Alle Lebensstile sind gleichrangig. Einen alternativen Lebensstil zu diskriminieren, ist ein Verbrechen. Wer gegen die Gleichstellungspolitik ist, ist ein Rassist, fremdenfeindlich und Sexist. Keine Religion und keine Kultur ist einer anderen überlegen.
Wenn Sie diese Sätze unterschreiben, haben wir Gesprächsbedarf. Ich glaube nämlich, dass kein vernünftiger Mensch
diese Sätze unterschreiben kann, aber zunehmend wird es konform, ihnen nicht zu widersprechen.
Politik verwandelt sich in eine Therapie für Minderheiten. Dazu gehört die neue und gerade sehr modische Anwendung des schönen Begriffs der Diversität. »Diversität« ist ähnlich wie »Multikulturalität« ein Begriff für die gleichmäßige Repräsentation aller Religionen, Kulturen und Ethnien – ein klassischer Fall von Orwell'schem Neusprech.
Tatsächlich bedeutet Diversität in diesem Zusammenhang nichts als Konformismus.
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Wer Diversität per se eine Supersache findet, muss eigentlich auch das Coronavirus toll finden. Denn das Virus ist wie die Natur überhaupt, wild, plural, divers, damit allerings auch ungleich, diskriminierend. Das Virus lehnt moderne Gleichheit ab und kennt viele Unterschiede: des Geschlechts, des Alters, der Hautfarbe. Alte sind häufiger und schwerer betroffen als Junge, Männer mehr als Frauen, dunklere Hautfarben mehr als Weiße. Das sind die Schattenseiten der Diversität.
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Diversität ist gerade »in«. Aber Diversität ist mindestens eine Illusion, wahrscheinlich eine neue Ideologie des Zeitalters.
Das Diversitätsnarrativ gibt vor, Diversität sei per se etwas Positives. Tatsächlich kommt es sehr darauf an.
Die Illusion unseres Zeitalters ist die, dass alles und jedes politisch »repräsentiert« sein müsste. Dies gehört zu den Trugschlüssen der Postmoderne. Die Postmoderne ist eine Epoche, in der die Antithese gestrichen wurde. Doch eine Gesellschaft, die nur auf Thesen beruht und diese nicht vermittelt, wird scheitern.
Die Postmoderne behauptet, dass es in Politik und Gesellschaft um Repräsentation als solche ginge, dass also ein Parlament, ein Gremium, eine Filmkultur
Abbild von etwas sein müsste – am Ende einer ganzen Gesellschaft. In dieser Logik muss dann, weil die Gesellschaft diverser wird oder »multikultureller«, wie man früher gesagt hätte, die entsprechende Multikulturalität/Diversität abgebildet werden, also auch die Filmkultur und das Parlament diverser werden. Dies ist aber mitnichten der Fall.
Es geht nicht darum, Diversität zu fördern, es geht darum, Diversität zu akzeptieren. Manchmal geht es sogar eher darum, Diversität im Zaum zu halten und sie zu reduzieren. Das sind die gesellschaftlichen Aufgaben.
Am Ende funktioniert Gesellschaft nur, wenn die hochkomplexen Fragmentierungen und Individualisierungen nicht in eine Aufspaltung vieler Grüppchen münden, sondern in einen Zusammenhalt.
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Das ganze Getue mit »diversity«, mit Inklusion und so weiter, als ginge es im Kino nur darum, die richtige Sprachregelung zu haben und jeder Gruppe der Gesellschaft einen Platz zu reservieren – davon müssen wir wegkommen. Und wir müssen das natürlich nicht etwa, um einer Härte und Schwere, um irgendeiner rechten Agenda das Wort zu reden, sondern wir müssen es, um uns auf das Wesentliche zu konzentrieren und uns klarzumachen: Dass das Kino nicht in erster Linie nur ein sozialer Raum ist, sondern ein ästhetischer Raum – erst das unterscheidet ihn vom sehr geschätzten Biergarten. Erst in zweiter Linie ist das Kino ein sozialer Raum, vielleicht auch erst in dritter, dann erstmal ist es auch ein kultureller Raum. Ein ästhetischer, ein kultureller und dann vielleicht ein politischer Raum – wenn wir sagen: Kino ist ein politischer Raum, dann ist gemeint, dass das Kino eine Arena ist. Eine Arena, in der gestritten wird, nicht etwa eine Arena, die irgendetwas repräsentiert, was angeblich von der Gesellschaft akzeptiert und ausgehandelt wurde – nein, es ist selbst der Ort dieses Aushandelns.
(to be continued)