Theatiner Cinephilia |
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Vergangen, aber in ihren Filmen quicklebendig: die große Jeanne Moreau in Jules und Jim. Am 13.8. um 13:15 Uhr in einer Sondervorführung im Theatiner! | ||
(Foto: Theatiner | Jules und Jim) |
Von Dunja Bialas
Die einen nennen sie Nerds, für andere sind sie Teil einer wichtigen Kinobewegung: die sogenannten Cinephilen, die die Filmgeschichte pflegen und es ganz besonders zu schätzen wissen, wenn die Meisterwerke von Zelluloid gespielt werden.
Die Wertschätzung des Zelluloids in einer digitalisierten Kinolandschaft erinnert an die Anbetung des Vinyls angesichts der heute schon wieder untergegangenen CD. Wenn man sich die Entwicklung ansieht, die das Vinyl gegenüber dem Alu-beschichteten Polycarbonat nahm, kann man nur hoffen, dass auch dem Zelluloid ein Comeback beschert ist: Platten gibt es heute wieder, sie sind sogar hip, und dies nicht nur in der DJ-Abteilung. Wer heute eine CD kauft, outet sich als nicht State of the art. Die Formel jetzt lautet: körper- und besitzloser mp3-Stream. Oder eben der hippe Plattenteller. Das Medium zum Anfassen.
Erwartet uns jetzt also eine Zelluloid-Renaissance? Es gibt zahlreiche Off-Kinos in Europa, die sich dem analogen Film, oftmals einhergehend mit einer anderen, abseitigen und nicht-kanonisierten Filmgeschichte, widmen. Fern vom Programm, das die großen Kinematheken fahren. Kino Climates nennt sich ein Treffen der einschlägigen Kinos, wo Wissen über die Kunst der Projektion und Bezugsadressen von Zelluloid-Sammlern ausgetauscht werden. In Deutschland sind dies bespielsweise das Münchner Werkstattkino, das Nürnberger Kommkino, das Hannoveraner Kino im Sprengel oder das Hamburger B-Movie, das soeben zu seinem 30. Geburtstag eine Debatte über eine »andere Kinokultur« abhielt, an der auch »artechock« teilnahm.
Die Crux ist: Eine Renaissance kann das Zelluloid nur dann erfahren, wenn es noch Kinos gibt, die »Film« zeigen können. Und sie sind wenige geworden. Neben den unkommerziellen Off-Kinos und den Kinematheken erscheint ein reguläres Kino, das noch analoges Filmmaterial abspielt, wie ein Dinosaurier inmitten der digitalen Kino-Evolution. Oft, so hat man den Eindruck, wissen die Kinobetreiber nicht, welche Möglichkeiten das analoge Material bieten kann – auch für ein »Kino wie noch nie«-Gefühl, für das das digitale 3D einstehen soll. Im Savoy-Kino in Hamburg, dessen technische Ausstattung und Comfort mit dem Münchner Gloria-Palast vergleichbar ist, ist zum Beispiel derzeit Christopher Nolans Weltkriegsfilm Dunkirk auf spektakulären 70mm zu sehen.
In München gibt es außer dem Werkstattkino, dem Filmmuseum, dem Isabella und dem Kino Münchner Freiheit, wo vereinzelt auch noch Retro-Filmkopien zum Einsatz kommen, noch die Theatiner Filmkunst für den analogen Film. Zumindest einen 35mm-Projektor konnte sich das Kino in der Theatiner-Passage erhalten, der andere musste dem DCP-Projektor weichen. Kinobetreiberin Marlies Kirchner war außerdem gut beraten, als sie eine Soundanlage wählte, die den Ton von beiden Projektoren spielen kann. Die Unvereinbarkeit von analogem Projektor und neuer Soundanlage für die digitale Projektion hat oftmals einen ungewollten Tod der Filmprojektion herbeigeführt, wie etwa im Rio Filmpalast, wo es technisch unmöglich wurde, analog vorzuführen. Der Tellerprojektor stand nach der Digitalisierung wie ein Mahnmal des Fortschritts funktionslos im Vorführraum des Kinos am Rosenheimer Platz.
Die Theatiner Filmkunst jedoch hat sich mit dem Erhalt der analogen Projektion den Dialog mit der eigenen Geschichte bewahrt. Walter Kirchner, der 1957 das Kino eröffnete, war ein Pionier des Filmverleihs. Mit seiner »Neuen Filmkunst«, die er 1953 in Göttingen gründete, brachte er als erster die in der Nazi-Zeit verbotenen Werke auf die Leinwand, zeigte die Filme von Fritz Lang und Sergei Eisenstein und machte das Kino des italienischen Neo-Realismo bekannt. Später brachte er die französische Nouvelle Vague nach Deutschland und die Filme von Luis Buñuel, und er ist sicherlich nicht ganz unschuldig daran, dass sich Ende der 1960er Jahre der Neue Deutsche Film formierte – der gegen Papas Kino antrat, wie die Franzosen.
Seine Verleihtätigkeit ging in den 1970er Jahren in die Lupe GmbH über, ein Fundus für die Filme von Antonioni, Bergman, Fellini und Pasolini und das Repertoire-Kino ganz allgemein. Das Göttinger Archiv, in dem die analogen Kopien lagerten, wurde vor ein paar Jahren aufgelöst und kam bei verschiedenen Sammlern, Privatarchiven oder auch im Archiv des Werkstattkinos unter. Bernd Brehmer, einer der Viererbande des Keller-Kinos, hat hier Vorschub geleistet und nach wochenlanger Auswertung vor Ort mehrere Tonnen an Kirchner-Zelluloid ins Münchner Archiv gebracht.
Zum 60. Geburtstag der Theatiner Filmkunst bekam Brehmer von Kinobetreiberin Marlies Kirchner den Auftrag, ein Jubiläumsprogramm mit den Filmen zusammenzustellen, die das Kino in den letzten 60 Jahren gezeigt hat, möglichst in 35mm. Herausgekommen ist eine einzigartige Hommage an die Geschichte des Kinos und auch an Marlies Kirchner, die das Kino seit 1958 als Theaterleiterin führt und seit 1975 alleine betreibt. Im Zentrum der umfassenden Retrospektive mit 24 Werken stehen vor allem Filme aus den 1950ern und 1960ern Jahren, mit Rückblicken bis in die 1930er und 1940er Jahre hinein. Schwerpunkte liegen dabei auf dem Neo-Realismo und der Nouvelle Vague, wobei nicht vergessen wird, dass diese nicht aus dem Nichts entstanden und nachwirkten (der jüngste in der Retrospektive enhaltene Film ist Jacques Rivettes La belle noiseuse von 1991). Einzelwerke aus den wichtigen Strömungen des Weltkinos bezeugen, wie der Globus in der Vergangenheit insgesamt von Cinephilie erfasst war: Das brasilianische Cinema Novo ist mit Macunaíma (1969) vertreten, das sogenannte Tauwetter des sowjetischen Films mit Wenn die Kraniche ziehen (1957) oder barock-anarchisches Avantgarde-Kino mit Ken Russells Mahler (1974). Ganz besonders hervorheben muss man auch Shadows, John Cassevetes' Filmdebüt von 1959, mit dem er das New Hollywood in Gang brachte.
Das Theatiner hat sich seit dem Beginn der Retrospektive in eine Pilgerstätte des Analogfilms verwandelt. Täglich um 18:15 Uhr füllt sich das Kino, die zahlreichen Besucher wollen die Klassiker und Raritäten auf 35mm sehen, auch weil sie die französischen Komödien ein wenig satt haben.
Wir gratulieren der Theatiner Filmkunst zu ihrem 60. Geburtstag. Wenn ausnahmsweise wir einen Geburtstagswunsch frei hätten, dann würden wir uns wünschen: Dass die Retrospektive immer so weitergeht.
Retrospektive »Aus Liebe zum Kino« noch bis 16.08.2017 in der Theatiner Filmkunst. Am 13.08.2017 feiert das Kino seinen 60. Geburtstag mit To Have and Have Not (11:00 Uhr).
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Transparenznote: Die Autorin unseres Specials ist organisatorische Leiterin und Programmberaterin der 65. Filmkunstwochen.