27.07.2017

Tage der Jugend

Tage der Jugend
Yulia Lokshinas Tage der Jugend
(Foto: Yulia Lokshina)

Die Gewinnerfilme des Starter-Filmpreises bei den 65. Filmkunstwochen

Von Dunja Bialas

Die Isar­me­tro­pole ist ein Ort der Filme und des Film­schaf­fens. Kurz erinnert sei daran, dass die Unter­zeichner des Ober­hau­sener Manifests mehr­heit­lich Münchner waren, und an die soge­nannte »Münchner Gruppe«, die sich um Rudolf Thome, Max Zihlmann und Klaus Lemke herum als Gegen­be­we­gung zu den »Ober­hau­se­nern« bildete. Vor genau fünfzig Jahren wurde die Hoch­schule für Fernsehen und Film (HFF) gegründet, die eine Reihe erfolg­rei­cher Alumni hervor­ge­bracht hat.

Die Stadt München selbst würdigt das Film­schaffen des Nach­wuchses seit 1985 mit einem eigenen Preis, dem Starter-Filmpreis. Der Name ist Programm: zugleich Start­hilfe, Türöffner und Signal für den Beginn einer möglichen Film­kar­riere wird der Preis ganz am Anfang des Film­schaf­fens verliehen. Drei Auszeich­nungen werden ex aequo vergeben, die je mit 6000 Euro dotiert sind, hinzu kommt ein Produk­ti­ons­preis im selben Wert. Unter den vergan­genen Preis­träger sind viele namhafte Regis­seu­rinnen und Regis­seure zu finden, darunter Maren Ade, Benjamin Heisen­berg, Ralf Westhoff, Katja von Garnier, Romuald Karmakar, Rainer Kaufmann, Nicolas Humbert und Ute Wieland.

Die Preis­träger 2017 werden erstmals bei den Film­kunst­wo­chen in einem gemein­samen Programm gezeigt. Das ist möglich, denn dieses Jahr haben ein kurzer und drei mittel­lange Filme das Rennen gemacht, darunter auch zwei Spiel­filme, was für den in den letzten Jahren vom Doku­men­tar­film domi­nierten Preis erwäh­nens­wert ist. Die Namen der Preis­träger sollte man sich für die Zukunft merken: Gewonnen haben Moritz S. Binder mit seinem Spielfilm Thumb, Michael Ciesielski mit seinem Kurz­spiel­film Kleinheim, Annelie Boros mit dem Doku­men­tar­film Fuck White Tears, in dem die Entste­hung des eigenen Films zugleich Plot des Films ist. Yulia Lokshina erhielt für ihren sehr sinn­li­chen Doku­men­tar­film über ein russi­sches Sommer­fe­ri­en­lager Tage der Jugend den Produk­ti­ons­preis.

Was treibt die Starter-Regis­seure an, Filme zu machen? Alle vier studieren derzeit noch an der HFF München, haben aber bereits ein anderes Studium hinter sich, eine Ausbil­dung in der Tasche oder einschlä­gige Erfah­rungen bei Film- und Fern­seh­pro­duk­tionen gesammelt. Oft sind es persön­liche Gründe, Lebens­er­fah­rung oder der eigene Werdegang, die sie zum Filme­ma­chen gebracht haben. Die in Moskau geborene Yulia Lokshina sagt, ein wichtiger Antrieb fürs Filme­ma­chen sei, die Welt verstehen zu wollen. »Das Nicht­ver­stehen ist viel eher die Norm im Leben als eine Ausnahme.« Für ihren Film Tage der Jugend begibt sie sich auf die Spuren der patrio­ti­schen Bewegung ihres Landes, die bis in die Zeit ihrer Großel­tern zurück­reicht. Sie besuchte das Sommer-Camp auf Sachalin, um nach­zu­emp­finden, wie sich das Aufwachsen am »anderen Ende dieses riesigen Landes« anfühlt, auch, wenn es darum geht, die Liebe zum Vaterland zu finden. Über­rascht hat sie die Zartheit und Fragi­lität, die sich inmitten der Erzie­hungs­dogmen auftat. Tage der Jugend ist so auch mit einem sehr großen Gespür für die Stim­mungen gedreht, die in den Gesich­tern der Jugend­li­chen ablesbar werden. Besonders erwähnt sei deshalb auch Kame­ra­mann Zeno Legner, der bei den Kammer­spielen München gelernt hat und seit fünf Jahren Kamera an der HFF studiert. Da Tage der Jugend den Produk­ti­ons­preis erhielt, der würdigen soll, wenn ein Projekt mit geringen Mitteln oder gegen widrige Umstände entsteht (Motto: Filme­ma­chen um jeden Preis), sei hier noch die Produk­ti­ons­firma WirFilm erwähnt, eine Initative von HFF-Studie­renden. Deren Ziel ist, »Menschen und ihre Ideen kennen­zu­lernen und die jeweilige Vision im Team dann so umzu­setzen, dass ein Film entsteht, der gesell­schaft­lich relevante Themen aufgreift und gleich­zeitig unter­haltsam ist, der Neues wagt, uns bewegt und zum Nach­denken anregt.«

Die gesetzte Selbst­auf­gabe der Produk­ti­ons­firma kann als Leit­ge­danke für den Star­ter­film­preis gelten, dessen Vergabe-Kriterien der kreative Umgang mit dem Medium und die stilis­ti­sche Inno­va­tion sind. Der Kurz­spiel­film Kleinheim zeigt inno­va­tiven Umgang mit der Realität, der an das Wirk­lich­keits­expe­ri­ment von Dogtooth des Griechen Giorgos Lanthimos erinnert. Zwar fallen hier keine Flugzeuge vom Himmel, die Leute eines Dorfes leben jedoch ebenso abge­schieden von der Welt. In einer Mischung aus Schla­raf­fen­land (»ach, hätt ich jetzt gern ein Eis«, schwupp, schon landet es, von einer Drohne abge­worfen, auf dem Hemd) und The Truman Show hat Michael Ciesielski eine groß­ar­tige Parabel über die baye­ri­sche Dorf­abge­schie­den­heit geschaffen.

Annelie Boros hat in Fuck White Tears ihre eigenen Erfah­rungen, in Kapstadt einen Film über die Studen­ten­de­mons­tra­tionen zu machen, verar­beitet. Befragt von den schwarzen Demons­trie­renden, was ihre Moti­va­tion als Weiße aus Deutsch­land sei, diesen Film zu machen, gelangt sie zu den weit­rei­chenden post­ko­lo­nia­lis­ti­schen Frage­stel­lungen, denen sich die guten Doku­men­tar­filme heute stellen. Was ist meine Moti­va­tion? Bis wohin kann ich Anteil­nahme zeigen? Ab wann wird es Exploita­tion, und die Bilder, die ich finde, dienen nur noch meinem Projekt? Ein wichtiger, sich selbst befra­gender Film, der Fragen eröffnet, anstatt sich über Antworten zu verschließen.

Thumb von Moritz S. Binder schließ­lich ist ein beein­dru­ckendes Beispiel für einen Spielfilm, der ganz und gar mit filmi­schen Mitteln erzählt. Dialoge sind nur spärlich gesetzt. Keywan und sein todkranker Vater begeben sich auf eine letzte gemein­same Reise. Es ist eine Fahrt, die beide zusam­men­führen wird, und an deren Ende doch die unaus­weich­liche Trennung steht. Die Geschichte vom Abschied­nehmen zweier Gene­ra­tionen insze­niert Binder als bilder­starkes und fein­füh­liges Roadmovie, in dessen Verlauf unzählige Tran­siträume durch­laufen werden. Binders Insze­nie­rung erweist ein großes Gespür für die Zeit, die Szenen brauchen, um sich fast beiläufig und ganz und gar entdra­ma­ti­siert zu entfalten.

Moritz S. Binder hat zuvor als Jour­na­list und Fern­seh­pu­bli­zist gear­beitet. Umso beein­dru­ckender, dass sein Film eine ganz und gar kine­ma­to­gra­phi­sche Gestalt ange­nommen hat.

Alle Filme sind bei den Film­kunst­wo­chen am heutigen Donnerstag, 27.7., in Anwe­sen­heit der Preis­träger zu sehen (Monopol, 20:30 Uhr). Im Oktober folgt die feier­liche Preis­ver­lei­hung.

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Trans­pa­renz­note: Die Autorin unseres Specials ist orga­ni­sa­to­ri­sche Leiterin und Programm­be­ra­terin der 65. Film­kunst­wo­chen.