17.02.2017
67. Berlinale 2017

Die Lümmel und der Klas­sen­primus

Schwarzer Kies
Nie wieder war das deutsche Kino so gut wie in Schwarzer Kies
(Foto: Universum-Film AG)

Zwischen Angepasstheit und Rebellion – Eindrücke vom deutschen Kino jenseits des Wettbewerbs – Berlinale-Tagebuch, Folge 08

Von Rüdiger Suchsland

Es könnte so wild sein, das deutsche Kino, so anar­chis­tisch. In Tiger Girl ist es zumindest wild und laut, und manchmal gibt es zumindest Ansätze zum Anar­chis­tisch-Utopi­schen in diesem zweiten Film des Regis­seurs Jakob Lass. Mit Love Steaks wurden er, sein Team und sein »Fogma«-Manifest zur neuen Hoffnung des deutschen Films – ein bisschen über­trieben viel­leicht. Aber mit seinem neuen Film belegt Lass, dass er viel vom Handwerk des Filme­ma­chers versteht. Zwei ungleiche Mädchen freunden sich an und werden als »Tiger« und »Vanilla« zu Neo-Punkern im Berlin von heute.

Zwischen der von privaten Sicher­heits­diensten mit faschis­to­iden Ritualen gelenkten verwal­teten Welt und allge­meiner Depres­sion sorgen die zwei als eine Art Spaß­gue­rilla für Adre­na­lin­schübe.

Ob das wirklich viel Sinn macht, ist noch die Frage, ein neues »Lola Rennt« ist es auch nicht, aber es ist ein gut gelaunter Feelgood-Film, der nur am Ende wirklich enttäuscht und zumindest als Mängel­an­zeige funk­tio­niert: Jugend­wahn gibt es zwar genug im deutschen Film, aber Über­schuss und Anti-Effizienz erlebt man kaum.

Die besten deutschen Filme sind ordent­lich, und brav, Klas­sen­primus- und Ober­leh­rer­filme aus den Berliner, Münchner und Kölner Schulen.

Ein etwas älterer Muster­schüler des Kunst­kinos ist Heinz Emigholz – gleich vier Filme von ihm laufen im Inter­na­tio­nalen Forum. Sie erzählen keine Geschichten, weder Märchen, noch Sozi­al­dramen – sie verführen zum Hingucken. Die andere Seite dieser Offenheit ist aber auch das Gefühl des Verlo­ren­seins, das mancher Zuschauer empfinden mag.
Gegen die Alter­na­tiv­lo­sig­keit des Konfek­ti­ons­films stellt Emigholz das Schweigen und die Stille, die auch nicht restlos befrie­di­gende Auswege sind.

In der »Sektion Perspek­tive«, offiziell ein Ort des Nach­wuchses, obwohl da auch schon mal ein über 50-jähriger seine Filme zeigt – und unter vielen deutschen Filme­ma­chern aber eher als Ghetto oder Brut­kasten für den in der rauen Festi­val­wild­bahn lebens­un­fähigen deutschen Film verschrien, lief Selbst­kritik eines bürger­li­chen Hundes, ein Film des Berliner Film­stu­denten Julian Radlmaier, der bereits in Rotterdam Premiere hatte. Radlmaier gelingt etwas Seltenes: Ein sehr lustiger deutscher Film, der den Mut hat, sich nicht ernst zu nehmen und gleich­zeitig utopisch zu sein, und von der Revo­lu­tion zu erzählen. Eine poli­ti­sche Komödie.

Histo­risch gesehen muss man den deutschen Film aber als offene Wunde beschreiben. Das tun Dominik Graf und Johannes Sievert in ihrem zweiten Doku­men­tar­film zur deutschen Film­ge­schichte: Offene Wunde deutscher Film erzählt von den wilden 70ern, als in Deutsch­land abseits des staats­tra­genden und zunehmend erstar­renden Autoren­kinos von Fass­binder, Wenders und Konsorten (das aber die inter­na­tio­nalen Preise gewann), auch Science-Fiction gedreht wurde, Exploita­tion und Klaus­tro­pho­bie­filme wie Abwärts mit Götz George der den ganzen Film über in einem Fahrstuhl zubringt.

Das üble Schicksal, das gerade guten deutschen Filmen in ihrer Heimat beschieden ist, illus­triert Schwarzer Kies – der beste deutsche Film auf der dies­jäh­rigen Berlinale.
Er stammt aus dem Jahr 1961 von Helmut Käutner, dem einzigen deutschen Regisseur, der je auf einem Cover des »Spiegel« war. Er wurde von der Film­kritik verrissen, vom Zentralrat der Juden verklagt und verschwand bald für sechs Jahr­zehnte im Gift­schrank. Jetzt hat ihn die Murnau-Stiftung pracht­voll restau­riert, und man sieht voller Über­ra­schung ein Meis­ter­werk:

Eine scho­nungs­lose Abrech­nung mit dem West­deutsch­land der Nach­kriegs-Zeit mit alten Nazis und jungen Besatzern und der Amoral einer oppor­tu­nis­ti­schen Nation und ihren Erziehern: Ange­sie­delt in einem ameri­ka­ni­schen Armee-Camp in der Pfalz brettern fort­wäh­rend Düsen­jäger am Himmel. Auf dem Boden machen die Deutschen schmut­zige Geschäfte mit den Amis

Der Titel Schwarzer Kies deutet auch auf Geld und Schwarz­markt hin, es gibt Sex und Crime, Unfall und Selbst­mord. Mitten drin eine bild­schöne Ingmar Zeisberg, die im Pelz­mantel wie eine Frau bei Antonioni aussieht, aber auch nicht zu retten ist:

»Ich will keine Sicher­heit mehr! Nimm mich mit«

Ihr Hilferuf am Ende ist eine Abrech­nung mit der Wieder­aufbau-Zeit und ihren Idealen, die bis in die sicher­heits­trun­kene Gegenwart reicht.

Nie wieder war das deutsche Kino so gut, wie hier.