Weißes Rauschen

White Noise

USA/GB 2022 · 136 min. · FSK: ab 16
Regie: Noah Baumbach
Drehbuch:
Kamera: Lol Crawley
Darsteller: Adam Driver, Greta Gerwig, Don Cheadle, Raffey Cassidy, Jodie Turner-Smith u.a.
Was bleibt, ist immerhin der nackte Wahnsinn...
(Foto: Netflix/24 Bilder)

Wer von uns stirbt zuerst?

Noah Baumbach verfilmt Don DeLillos großen Roman aus dem Jahr 1985, weil er auch von unserer Gegenwart erzählt. Das stimmt so nicht ganz und macht den Film zu einer bizarren Groteske ohne Grundlage

The family is the cradle of the world’s misin­for­ma­tion. There must be something in family life that generates factual error. (...) He asks me why the strongest family units exist in the least developed societies. (...) The family is strongest where objective reality is most likely to be misin­ter­preted. What a heartless theory, I say. – Don DeLillo, White Noise

Es ist so eine Sache mit der Verfil­mung von lite­ra­ri­schen Vorlagen. Es kann so richtig gut gehen, wie etwa mit Stanley Kubrick und Barry Lyndon. Es kann ein wenig indif­fe­rent sein, so wie bei Christian Schwochow und der Deutsch­stunde von Lenz. Oder einfach irri­tie­rend sein, so wie bei Noah Baumbach und White Noise von Don DeLillo.

White Noise gilt so wie die Romane von Thomas Pynchon als eher unver­filmbar, aber Paul Thomas Anderson hat mit Inherent Vice gezeigt, dass »unver­filmbar« ein sehr dehnbarer Begriff ist. Und Baumbach hat in Inter­views darauf hinge­wiesen, dass er Don DeLillos 1985 erschie­nenen Roman nach einer Erst­lek­türe in College-Tagen kurz vor der Corona-Pandemie erneut gelesen hätte und derartig verblüfft über die Gegen­wär­tig­keit (und Verfilm­bar­keit) von DeLillos Roman gewesen sei, dass es keinen Weg mehr zurück gegeben habe.

Das liegt vor allem an zwei grund­sätz­li­chen Themen, die DeLillos Roman spannend für unsere Gegenwart machen und die Baumbach auch zentral posi­tio­niert: Ein »Airborne Toxic Event«, also ein Chemie-Unfall, der eine ganze Klein­stadt in den Exodus und Wahnsinn treibt und damit auch und vor allem den Konsum-Irrsinn der ameri­ka­ni­schen Gesell­schaft hinter­fragt. Beispiel­haft wird das an Jack Gladney (Adam Driver) durch­ex­er­ziert. Jack ist Professor für Geschichte und Experte für Adolf Hitler-Studien, ohne aller­dings Deutsch zu verstehen. Er und seine vierte Ehefrau Babbette (Greta Gerwig), die ebenfalls mindes­tens eine Scheidung hinter sich hat, durch­leben den üblichen Patchwork-Familien-Wahnsinn, der nicht nur dadurch forciert wird, dass die Kinder die Krise besser bewäl­tigen können als die Eltern, sondern dass Jack und Babbette auch noch unter einer neuro­ti­schen Todes­angst leiden, in der sich jeder fragt, wer der erste sein wird, der von ihnen sterben wird.

Die Bezüge zur gesell­schaft­li­chen Desin­te­gra­tion während der Corona-Krise lassen sich trotz Baumbachs immer wieder in eine groteske Komödie ausar­tender Insze­nie­rung leicht herstellen. Doch DeLillos achter Roman, mit dem ihm nicht nur durch die Verlei­hung des National Book Award sein Durch­bruch als Autor gelang, sondern durch den er auch Autoren wie David Foster Wallace, Jonathan Lethem, Jonathan Franzen, Dave Eggers, Martin Amis, Zadie Smith und Richard Powers nach­haltig beein­flusst hat, ist natürlich viel mehr als Konsum­kritik und die Desin­te­gra­tion einer Familie nach einer von Menschen verur­sachten Kata­strophe, ist auch ein Pamphlet über konspi­ra­tives Denken, akade­mi­sche Dekadenz und ein Abgesang auf Reli­gio­sität. Themen, die dann alle auch sehr gleich­wertig ernst­ge­nommen werden und in sehr langen, stark philo­so­phisch geprägten Dialogen und Monologen, wie im Eingangs­zitat ange­deutet, auch ausführ­lich disku­tiert werden.

Baumbach zieht sich aus diesem Konvolut alles, was ihm gefällt, und remixed es in dem asso­zia­tiven Stil, den er in seinen Filmen seit Frances Ha bis zu den The Meye­ro­witz Stories (New and Selected) und zuletzt in Marriage Story immer stärker verfei­nert hat. Basieren diese Filme jedoch auf Baumbachs eigenen Dreh­büchern mit immer wieder auch auto­bio­gra­fi­schen, emotional und grup­pen­dy­na­misch sehr dichten Momenten, verlässt sich Baumbach hier ganz und gar auf DeLillo und wie er DeLillo gelesen und verstanden hat. Das fühlt sich gerade durch seine Haupt­dar­steller Adam Driver, der in Marriage Story zentral war, und Baumbachs gegen­wär­tige Lebens­ge­fährtin Greta Gerwig, die in Frances Ha so großartig aufspielte, zu Anfang auch noch sehr vertraut und gerade über die Kern­fa­mi­li­en­szenen ganz nach dem neuro­tisch-ameri­ka­ni­schen Unterton an, den Baumbach auf seinen filmi­schen Iden­ti­täts­su­chen stark betont hat und der immer wieder ein wenig an einen neuen Woody Allen erinnert hat.

Doch sehr schnell verliert Baumbach dieses Mal seinen Fokus und vor allem sein Personal, denn irgendwie will er dann doch den ganzen DeLillo unter­bringen, wirft schrille Univer­si­täts­szenen neben düstere Apoka­lypse und entwirft über den von Lars Eidinger lustvoll ausge­spielten Arlo Shell und dessen Affäre mit Babbette ein Panop­tikum der emotio­nalen Monstro­si­täten, das nicht einmal durch die Vernunft der Kinder zusam­men­ge­halten werden kann.

Was das komplexe Buch von DeLillo zusam­men­hält, ist das Expe­ri­men­tieren mit der Sprache, mit Mono- und Dialogen, mit Tonlagen und einer so ironi­schen wie kriti­schen Haltung zur damaligen Gegenwart.

Baumbach schafft es jedoch nicht, überhaupt etwas zusam­men­zu­halten und auch nicht Jacks Ich-Perspek­tive und die gesell­schaft­liche Funda­men­tal­kritik filmisch adäquat zu über­setzen. Seine Erzählung frag­men­tiert zusehends zu einem Gewusel aus zeit­his­to­ri­schen Zitaten, die immer abstruser geraten, so dass gerade der Baumbach so wichtige Aktua­li­täts­bezug mehr und mehr verblasst und die Geschichte sogar langweilt: denn nicht nur wirkt DeLillos Fami­li­en­kritik spätes­tens seit dem Abgesang auf die ameri­ka­ni­sche Familie in Breaking Bad und dem Siegeszug einer ganz neuen »Familie«, dem Internet, etwas abge­hangen, auch die Kritik an univer­si­tären Struk­turen hat gerade in den letzten Jahren mit einer zunehmend auf Konfor­mismus abzie­lenden Debat­ten­kultur eine völlig andere Richtung genommen und lässt alles, was hier gezeigt wird, altbacken und ohne Grundlage dastehen. Und dass Kinder die besseren Eltern sind, auch das ist inzwi­schen natürlich alles andere als neu und witzig.

Was bleibt, ist immerhin der nackte, schrille Wahnsinn, der auf Kata­stro­phen folgt und den Baumbach im Stil alter Kata­stro­phen­klas­siker der 1970er Jahre bizarr genug umsetzt, um die Zeit­lo­sig­keit zu erreichen, die DeLillo über seine Sprache schafft. Und der nicht enden wollende Konsum­wahn­sinn, für den Baumbach in einer toll choreo­gra­fierten Abschluss­szene Bilder, Worte und Musik in Szene setzt, die wir uns schon den ganzen Film gewünscht haben, die spannend, aufregend und endlich einmal wirklich lustig sind.