D/GB/I/E 2009 · 148 min. · FSK: ab 12 Regie: Sönke Wortmann Drehbuch: Heinrich Hadding, Sönke Wortmann Kamera: Tom Fährmann Darsteller: Johanna Wokalek, David Wenham, John Goodman, Iain Glen, Edward Petherbridge u.a. |
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Dreigroschenfeminismus der »Münchner Schule« |
Eine Fußballszene gibt es diesmal nicht, noch nicht mal eine mit Totenschädeln, obwohl sich sowas doch irgendwie angeboten hätte unter der Regie des ehemaligen Stürmers von Westfalia Herne und der SpVgg Erkenschwick. Aber er wollte mal einen Film ohne Fußball drehen, hat Sönke Wortmann gesagt, und so muss ein Zuschauer, der sich zufällig in Die Päpstin verirrt, auch auf dieses Vergnügen verzichten – es wäre ein seltenes gewesen. Für Wortmann war Die Päpstin genau das Richtige, um wieder ein wenig Geld zu verdienen – nach Volker Schlöndorffs Rausschmiss brauchte man einen »executive director«, einen, der sich um Renomee nicht schert, der mit Kunst nicht droht, der keinen Ruf zu verlieren hat, sondern einfach die filmische Bückware abliefert, für die Schlöndorff sich zu schade war.
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»Wir müssen zu unseren Überzeugungen stehen, auch wenn der Preis dafür hoch sein mag.«
- Die Päpstin
Doris Heinze steht als erste auf der Credit-Liste. Vielleicht ist sie, die wegen gefälschter Autorennamen, Vetternwirtschaft und doppelt verkaufter Drehbücher geschasste Fernsehredakteurin des Norddeutschen Rundfunks die wahre Päpstin, zumindest die Päpstin des deutschen Kinos. Wer hat das Drehbuch geschrieben? Etwa auch Doris Heinze? Könnte schon sein, wenn man die miserable Mittelalter-Schmonzette gesehen hat. Aber der Name der da steht, ist offenbar kein Alias, sondern einfach ein unbeschriebenes Blatt, und man kann hoffen, leider kaum glauben, dass nach diesem Auftritt keine Einträge mehr dazu kommen: Heinrich Hadding, bekannt nur mit dem überflüssigen Sportdrama Hangtime – Kein leichtes Spiel und der TV-Serie Freunde für immer – Das Leben ist rund. Und jetzt mit dem neuen Herbstblockbuster der Constantin...
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»Ein eindrucksvoller und gefährlicher Lebensweg, ein monumentales und faszinierendes Filmepos.«
- Gutachten der Filmbewertungsstelle, Wiesbaden
Call-Center in Indien. Ein deutscher Film? Deutsch sind hier vor allem die Fernsehgebührengelder. Gesprochen wird Englisch, schließlich möchte man auch außer Landes Geld verdienen, im deutschen Kino gezeigt wird daher eine Synchronfassung – die Constantin hält ihr Publikum seit jeher für überfordert mit Originalfassungen und bringt diese daher nicht auf den Markt, es sei denn sie sind schon deutsch. Deutsch sind angeblich auch die Synchronsprecher der deutschen Schauspieler (manchmal diese selbst), doch so leiernd, monoton und ausdrucksarm wie sie klingen, handelt es sich vermutlich eher um die Mitarbeiter eines Call-Centers in Indien.
Eine Frau als Papst. Was klingt wie Blasphemie, ist aber eine zumindest theoretisch durchaus spannende Story: In Form eines seltsamerweise vor allem in Deutschland erfolgreichen, feministisch inspirierten, historischen Roman der amerikanischen Schriftstellerin Donna Woolfolk Cross wurde sie zum Welterfolg, allein über vier Millionen Mal wurde die deutsche Ausgabe ihres Buches verkauft, weltweit rund zehn Millionen Mal.
Der historische Hintergrund ist die mehr als zweifelhafte Legende jener »Päpstin Johanna«, die es im 9. Jahrhundert gegeben haben soll – als Papst Johannes Anglicus. Die Fakten sind mehr als umstritten, die Kirche leugnet, Historiker sprechen von »einer guten Geschichte« der 12. Jahrhunderts. Doch der Kern von Buchhandlung und dem Film, der nun ins Kino kommt, ist in jedem Fall frei, sehr frei erfunden.
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»Mit dieser starken weiblichen Identifikationsfigur kann sehr episodisch erzählt werden, ohne dass dabei der dramatische Sog der Geschichte verloren geht.«
- Gutachten der Filmbewertungsstelle, Wiesbaden
Überaus lange, fast zehn Jahre dauerten die Vorbereitungen des Films, der Produktionsprozess war holprig und von massivem Ärger begleitet: die zuerst für die Hauptrolle vorgesehene Franka Potente wurde wieder rausgeworfen und durch Johanna Wokalek ersetzt, Regisseur und Oscarpreisträger Volker Schlöndorff (Die Blechtrommel) durch Sönke Wortmann (Das Superweib).
Eine gewisse Publikumsverachtung. Der Hintergrund dafür war die Form des Films: Einen Bestseller mit einer Handvoll Stars zu verfilmen, und sich das ganze vom deutschen Fernsehen, also Gebührenzahler bezahlen zu lassen – so lautet nämlich im Kern das Rezept für den »Amphibienfilm«, ein Ausdruck von Constantin-Aufsichtsrat Günter Rohrbach, mit dem dieser die von ihm erfundene Doppelverfilmung umschreibt: Am Dreh wird gleich mehr gefilmt, um genug Material für einen TV-Mehrteiler zu haben, zugleich die Bilder immer fernsehgerecht – im Kino werde das schon nicht so auffallen, hofft man. Und pünktlich zum Herbst wird die Ernte eingefahren, kommt der Film ins Kino: So war es 2004 mit Der Untergang, 2006 mit Das Parfum, 2008 mit Der Baader Meinhof Komplex und Anonyma, und mit Die Päpstin ist es nun nicht anders. Der Erfolg ist wechselnd, Hitler zog, die deutschen Terroristen und Das Parfüm liefen besser als vieles, enttäuschten aber dennoch die hohen (überzogenen?) Erwartungen des Verleihs. Anonyma floppte total. Eine gewisse Publikumsverachtung liegt allemal in diesem industriellen Verfahren, das die Zuschauer vor allem als manipulierbare Masse begreift und den Film nicht mehr als Kunst, sondern als reine Ware, andererseits ist die Constantin, die längst auch den Aktionären gehört, die einzige in Deutschland angesiedelte Firma, die dadurch ein wenig im Konzert der großen Studios mitspielen kann.
Im Fall von Die Päpstin gab es daher schon vorab massiven Ärger: Der als Regisseur vorgesehene Volker Schlöndorff kritisierte nämlich in der Vorbereitung das ihm aufgezwungene Konzept des »Amphibienfilms«: »Ich bin kein Purist, ich bin nur gegen Mogelpackungen.« Daraufhin wurde er – nach siebenjähriger Vorbereitungszeit am Projekt – vom Vorstand kalt abserviert und durch Sönke Wortmann, der bekanntlich weniger Kunstwillen und Skrupel hat, ersetzt.
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»Johanna begegnet bei ihren Abenteuern durchweg interessanten Charakteren, die jeweils fast schon einem Archetypen entsprechen.«
- Gutachten der Filmbewertungsstelle, Wiesbaden
Aus Sicht der Produktion ist das Konzept aufgegangen: Die Päpstin ist jetzt in Bildern wie Dramaturgie ganz und gar ein Fernsehfilm geworden, für den die große Leinwand viel zu groß ist. Bieder, erzbieder ist das Grundmodell: Ein schwülstiges Coming-of-Age Drama über das Erwachsenwerden: Eine ungeliebte Tochter buhlt in den Jahren nach 800 zuerst um Liebe und Anerkennung des Vaters. Dann verliebt sie sich in einen tapferen Ritter, und wäre eigentlich gern Hausfrau und Mutter. Doch als Graf Gerold (David Wenham) in den Krieg zieht, erinnert sie sich daran, dass sie sich nicht unterdrücken lassen will in der patriarchalischen Gesellschaft des Mittelalters. Also verstellt sie sich, verkleidet sich als Mann, lebt im Benediktinerkloster als Arzt. Und dient immerzu. Die Klügere gibt nach in der Patriarchenwelt.
Dreigroschenfeminismus der Münchner Schule. Zu dem die sowieso tendenziell überflüssige »Filmbewertungsstelle« einen ihrer glanzvollsten Texte des Jahres verfasst hat. Man muss sich das mal, auch in seinem miserablen Deutsch und in der grundsätzlichen Werbetexthaltung, auf der Zunge zergehen lassen:
»Es können auch drei Darstellerinnen Johanna in den verschiedenen Lebensphasen darstellen, ohne dass es dabei zu Irritationen kommt. Weil fast immer aus der
Perspektive von Johanna erzählt wird, verzettelt sich der Film trotz epischen Dimensionen der Geschichte nie – schon der Titel gibt genau die Richtung an. Und wie die Heldin steigt auch der Film selber aus dem Matsch der tiefsten deutschen Provinz in immer feudalere Gefilde auf, so dass schließlich im letzten Drittel das zum Teil am Computer generierte Rom wie das lichte Ziel einer langen Reise wirkt. Aber auch schon das Dorf, die Domschule und das Kloster wurden großzügig und
eindrucksvoll ausgestattet und mit gutem Gefühl für die Stimmungen der Räume fotografiert.«
Als ihre wahre Identität droht, aufgedeckt zu werden, flieht Johanna nach Rom und trifft dort Gerold wieder... Jesus oder ein richtiger Mann lautet nun der Grundkonflikt.
Der einzige kleine, kurze Lichtblick hier ist John Goodman Auftritt als Papst. Goodman weiß, dass er in einem schlechten Film ist, findet sich in wackeligen Pappkulissen unter einem schlechten Regisseur wieder, und versöhnt sich damit, weil er einfach macht, was er will, seinen eigenen Film erfindet. Auch Jördis Triebel als die fast heidnische Mutter fällt überaus angenehm auf.
Dagegen Wokalek? Frau Wokalek wird nach diesem Film so schnell keiner mehr ernst nehmen. Am Ende sieht sie aus wie Max Schreck in Nosferatu. Man kann auch die Beamtenfloskel der Bundesfilmprüfstelle von »Neon« zitieren: »Unser Vertrauen in Johanna Wokalek als Garant für sehenswerte Filme ist bis auf weiteres erschüttert.«
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»Plötzliches Entsetzen packte ihr Inneres wie mit eisiger Faust.«
- Die Päpstin
Hildegard von Bingen mit Papst. Warum man Die Päpstin verfilmen muss, bleibt ein Geheimnis der Produzenten. Mit Schlöndorff als Regisseur aber wäre es in jedem Fall interessant und sehenswert gewesen. Wie lebt man, wenn man über bestimmte Beschränkungen nicht hinweg kommen kann? Das ist eine interessante, aktuelle Frage. Und mit Der Name der Rose, ein im Vergleich großartiger Film, weil er sich auf die Zeit einlässt, hat die Constantin gezeigt, dass sie so etwas kann, und sich aus dem Mittelalter interessante Filmbilder herausholen lassen. Schlöndorff gegen Trotta, Päpstin gegen Vision, auch das wäre ein hübsches Duell gewesen, im Wochenabstand.
Aber mit Wortmann nie und nimmer! Wortmann hatte nie eine Karriere, nie hat einer ihn ernst genommen – ein schlechter unglaublich uninspirierter Regisseur, ein williger Vollstrecker jedes Produzententagesbefehls, der Filme fertigt, wie andere Leute Wurst. Nun bekommen die Zuschauer Hildegard von Bingen mit Papst.
Das Mittelalter-Thriller-Melo der Madame Cross hat Wortmann auf 148 langen Minuten genau als die Schmonzette verfilmt, die man befürchten musste. Gekostet hat es über 20 Millionen Euro, davon ein Viertel deutsches Fördergeld. Ob das Ganze an der Kinokasse Erfolg hat, hängt vor allem davon ab, ob das Kalkül aufgeht, die begeisterten Leser wollten sich nun die Bilder im Kopf durch Leinwand-Bilder überpinseln lassen. Und davon, wie viel die Zuschauer bereit sind, hinzunehmen. Wen Die Päpstin wirklich interessiert, der sollte ein wenig warten, bis der TV-Zweiteiler gesendet wird. Im Kino sieht man nur die Kurzfassung. Die ist allerdings immerhin kürzer.