One Battle After Another

USA 2025 · 162 min. · FSK: ab 16
Regie: Paul Thomas Anderson
Drehbuch:
Kamera: Michael Bauman
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Chase Infiniti, Sean Penn, Benicio Del Toro, Regina Hall u.a.
One Battle After Another
Auch visuell immer wieder verblüffend...
(Foto: Warner)

Abschied von gestern

Paul Thomas Andersons exzessives Amalgam aus Coen, Tarantino und eigener Filmsprache sieht sich wie eine Neuerfindung des Regisseurs an und ist trotz auch nerviger Momente verblüffend gegenwärtig und macht Spaß

»Uns trennt von gestern kein Abgrund, sondern die verän­derte Lage«
– Alexander Kluge in Abschied von Gestern

Zuerst ist da einfach nur Irri­ta­tion. Denn wer sich so wie ich in die letzten beiden Filme von Paul Thomas Anderson regel­recht verliebt hatte, weil sie so etwas wie die filmische Formel für großes Glück bedeu­teten, dürfte die ersten 15 oder gar 30 Minuten von Andersons One Battle After Another völlig verblüfft und ein wenig scho­ckiert wahr­nehmen und sich fragen, was das Ganze eigent­lich soll. Zwar ist auch One Battle After Another so wie Inherent Vice (2014) Thomas Pynchon, doch anders als in Inherent Vice übersetzt Anderson hier nicht einen Roman kongenial in filmische Sprache, sondern lässt sich über ein paar Handlungs- und Ideen­stränge von Pynchons Vineland besten­falls inspi­rieren. Und was von der erzäh­le­ri­schen Leich­tig­keit und asso­zia­tiven Tiefe von Licorice Pizza (2021), Andersons letztem Film, bleibt, sind eigent­lich nur Alana Heim und Sean Penn. Doch Heim ist leider schon bald eine erzäh­le­ri­sche Null­nummer und Penn, ja Penn, mutiert in One Battle After Another zu so etwas wie einem der grotesken Helden aus Taran­tinos filmi­schen Gewalt­phan­ta­sien.

Doch wer sich damit arran­gieren kann und die Fähigkeit mitbringt, sich darüber zu freuen, dass ein Regisseur endlich einmal den Mut hat sich neu zu erfinden statt seinen eigenen »beaten tracks« zu folgen, der wird dann auch ein wenig belohnt.

Denn wie schon in seinen Filmen There Will Be Blood (2007) und The Master (2012) irritiert Anderson auch in One Battle After Another mit einer fast schon visionär-prophe­ti­schen, politisch-gesell­schaft­li­chen Gegen­wär­tig­keit. Anderson extra­hiert aus Pynchons »Vineland« zwar die Kern­ge­schichte über ein mili­tantes Kollektiv mit Namen »People’s Republic of Rock and Roll«, das bei Anderson »French 75« heißt, und auch die verquere Vierer­be­zie­hung aus Pynchons Roman, aber was bei Pynchon die 1980er Jahre nach der Wieder­wahl von Reagan sind, ist bei Anderson so etwas wie die absolute Gegenwart. Obgleich die Dreh­ar­beiten für One Battle After Another vor Trumps Wieder­wahl (auch das natürlich eine bezeich­nende Parallele zu der Wieder­wahl von Reagan) statt­fanden, strahlt der Film nicht nur im ersten Teil durch eine militant-terro­ris­ti­sche Befrei­ungs­ak­tion von Migranten aus den Händen einer ICE-Einheit fast schon mehr Gegenwart aus, als möglich scheint, man denke da nur an den inzwi­schen zweiten Angriff auf eine ICE-Einrich­tung am gestrigen 24. September.

Auch im zweiten Teil, der 16 Jahre später unter völlig neuen Bezie­hungs­ko­or­di­naten spielt, scheint im Grunde nicht viel mehr passiert zu sein, als dass aus dem Baby der im ersten Teil skiz­zierten Drei­ecks­be­zie­hung (die somit zur Vierer­be­zie­hung wird) die junge Willa Ferguson-Beverly Hills (Chase Infiniti) geworden ist, die eigent­lich, wie keiner in diesem Film, nicht weiß, von welchen Göttern sie verlassen wurde. Denn ihr vermeint­li­cher Vater »Ghetto Pat« (Leonardo DiCaprio) hat sich wegen ihrer abhanden gekom­menen Mutter Perfidia (Teyana Taylor) und einer tief­sit­zenden politisch-mora­li­schen Trau­ma­ti­sie­rung auf ein Leben als abge­half­terter Big Lebowski, ganz so wie in Ethan und Joel Coens ikoni­schem Film, einge­stellt, ohne Perspek­tive, ohne Ziel, nur die paranoide Sorge um die Tochter lebt noch, die durch den dritten Irren im Team, den früheren ICE Col. Steven J. Lockjaw (Sean Penn), am Leben gehalten wird. Und dann sind da natürlich noch die Irren des »Christian Adven­turer Club«, einer weiß-rassis­ti­schen Miliz, die sich gut und gern auch aus der heutigen Tea-Party-Bewegung oder auch Charlie Kirks Turning Point USA-Verei­ni­gung rekru­tiert haben könnte.

Diese Zutaten wirft Anderson ziemlich erratisch in seine knapp drei Stunden Film und amal­ga­miert dadurch eine absurde Action-Groteske, die zwar durch die ein wenig nervende Konzen­tra­tion auf die beiden Oberirren Ghetto Patt und Lockjaw an charak­ter­li­cher Tiefen­schärfe viel vermissen lässt, aber die durch fast ebenso irre Action-Sequenzen auch wieder eine Menge Boden gut macht. Allein die abschließende Verfol­gungs­jagd über eine Hügel­straße in weiter Prärie ist nicht nur wegen ihrer Kehrt­wen­dungen und dem über­ra­schenden Ende, sondern auch visuell eine der groß­ar­tigsten Verfol­gungs­jagden der letzten Jahre. Hier wie auch an vielen anderen Stellen des Filmes kommt dann auch Radiohead-Johnny Green­woods fantas­ti­scher Score zum Tragen und wird auch die eigent­liche schau­spie­le­ri­sche Entde­ckung von Andersons Film, Chase Infiniti als Willa, noch einmal ausrei­chend gewürdigt.

Und mit dem auch ansonsten brillant besetzten Film – allein die migran­ti­schen Flucht­helfer-Szenen mit Benicio del Toro wären viele weitere Zeilen wert – bleibt am Ende dann doch auch so etwas wie filmi­sches Glück hängen. Zwar nicht in dem Ausmaß, wie es Andersons letzten beiden Filme erzeugen konnten, aber das ist dann auch egal, ist es dieses Mal eher punk­tu­elles als gene­relles, allum­fas­sendes Glück und dem Thema allemal ange­messen. Denn wann, wenn nicht jetzt, sollten wir uns fragen, ob bewaff­neter Wider­stand je eine gute Option war und heute wieder eine sein könnte? Denn so wie schon Alexander Kluge in Abschied von gestern mit der ähnlich isolierten und getrie­benen, von Alexandra Kluge gespielten Anita, so zeigt auch Andersons von Teyana Taylor mit reich­li­chem Over­ac­ting darge­stellte Perfidia, dass das Gestern immer auch das Heute ist.