Australien 2024 · 93 min. Regie: Adam Elliot Drehbuch: Adam Elliot Musik: Elena Kats-Chernin Kamera: Gerald Thompson |
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Und jedem Alltag wohnt ein Zauber inne... | ||
(Foto: Capelight / Central) |
Die meisten Familienfamilie langweilen inzwischen nur noch. Jedenfalls die der großen Studios, die kalkuliert das produzieren, was die meisten Familien auch erwarten. Geschichten von fadenscheinigem Trost in Krisen und der faulen Magie des gebetskettenartig runtergeleierten »gemeinsam sind wir stark«, von dem leider am Ende auch die ansonsten durchaus passablen neuen Schlümpfe infiziert sind. Das Konzept ist inzwischen so abgedroschen, aber weiterhin gut verkäuflich, dass es sich sogar im Arthouse-Bereich wie ein Virus verbreitet hat und man nach wenigen Minuten weiß, was passieren wird.
Doch zum Glück gibt es weiterhin Ausnahmen, jedenfalls im Animationsbereich, der ja stets für Überraschungen gut war, sogar bei so großen Playern wie Pixar/Disney und Filmen aus diesem Haus wie Oben, Coco oder Soul. Allerdings scheint auch hier etwas wegzubrechen, sieht man sich Alles steht Kopf 2 aus dem letzten Jahr an. Aber auch das ist nicht weiter schlimm, gibt es ja noch die „Kleinen“ wie die Laika Studios, die so große Filme wie Henry Selicks Coraline (2009) oder Graham Annables und Anthony Stacchis Boxtrolls produziert haben oder ein Filmwunder wie der französischsprachige Mein Leben als Zucchini (2016).
Gemein haben die hier erwähnten Filme der „Kleinen“, dass sie mit liebevollster und kreativster Stop-Motion-Technik die vielleicht schwierigsten Momente im Leben eines Menschen so brillant wie tiefsinnig illuminieren – die Momente tiefster Traumatisierung und die Schlupflöcher, die es gibt, um diesen Traumata dann irgendwie ein Bein zu stellen.
So wie Claude Barras Mein Leben als Zucchini thematisiert auch Adam Elliots neuer Film die grenzenlose Einsamkeit, die einem jungen Menschen widerfährt, wenn er nach und nach eltern- und dann auch noch geschwisterlos wird. In Mein Leben als Zucchini muss ich sich der junge Icare mit dem Alltag in einem Waisenhaus arrangieren, in Elliots Memoiren einer Schnecke folgen wir dem Schicksal von Grace Pudel von einem dysfunktionalen Zuhause in noch viel dysfunktionalere Pflegefamilien. Ihr trüber Alltag wird allein durch eine unkonventionelle Rentnerin, ihre Liebe zu Büchern, Schnecken und Meerschweinchen und die Hoffnung, ihren Zwillingsbruder irgendwann wiederzusehen, erhellt. Alles andere ist reinste Tristesse in einem Australien der 1970er Jahre, das man nicht einmal mit einer Zeitmaschine besuchen möchte, hat man diesen Film gesehen.
Doch wie schon in seinem Stop-Motion-Langfilmdebüt Mary & Max – oder Schrumpfen Schafe, wenn es regnet? aus dem Jahr 2009 gelingt es Adam Elliot auch in Memoiren einer Schnecke aus so schrecklichen »Schlüsselwörtern« und „Tatbeständen“ wie Traumatisierung und Selbstermächtigung eine Geschichte und einen Film zu kneten, der bei aller Verzweiflung und einer durch die Stop-Motion-Technik sinnvoll ausgebremsten aber nicht minder analytischen Darstellung von Traumata zeigt, dass selbst in diesen versehrten Lebenslinien ein Zauber innewohnt und ein Potential, das nach Entfaltung, Trost, also Selbstermächtigung sucht und sie auch finden kann.
Bei all dem entfaltet Elliot (in der englischsprachigen Originalfassung) nicht nur mit den Stimmen von Eric Bana, Sarah Snook, Kodi Smit-McPhee, Dominique Pinon, Jacki Weaver und Nick Cave eine flatternde Intensität, sondern vor allem mit seinen Knetfiguren und ihren Innen- und Außenräumen, die sie bevölkern, eine so komplexe und komische Dramaturgie, dass man sich an der Geschichte und ihrer Darstellung kaum sattsehen kann und immer mehr möchte.
Mehr noch als die altmodisch-analoge Stop-Motion-Technik nicht nur die schrulligen Helden und Antihelden dieser Geschichte bestens trifft, sondern die unzähligen Details dieses „Versuchsaufbaus“ deutlich machen, wie komplex Leben nun einmal ist, aber gleichzeitig auch, wie einfach es ist und auf wie wenig es ankommt, um sich aus seinem Alltagskorsett dann auch wieder zu befreien. Denn treffen kann es jeden – auch das zeigt Elliots Film in wenigen Knetmomenten am Anfang der Geschichte nur allzu deutlich. Umso wichtiger ist es natürlich deshalb zu wissen, wie man aus diesen Miseren auch wieder herauskommt.
Doch nicht nur deshalb sind Adam Elliots Memoiren einer Schnecke ein fast schon idealer Familienfilm. Denn nach all der mittelmäßigen Kost, die es seit Jahren im Animationsbereich zu verdauen und ertragen gibt, stellt Elliots Film auch die antrainierten, faulen Sehgewohnheiten auf den Kopf. Nichts ist hier ohne Bedeutung, das kleinste Interieur ist feinsinnig ausgesucht, genauso wie die feinsinnigen Dialoge, die man als spannenden dramaturgischen Motor genauso genießen kann wie als lebenserklärende Philosophie, immer abhängig von den eigenen Erfahrungen und dem Lebensalter, das mit ins Kino getragen wird. Was gibt es Schöneres?