USA/GB 2021 · 153 min. · FSK: ab 16 Regie: Ridley Scott Drehbuch: Ben Affleck, Matt Damon, Nicole Holofcener Kamera: Dariusz Wolski Darsteller: Jodie Comer, Matt Damon, Adam Driver, Ben Affleck, Marton Csokas u.a. |
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Es braucht mehr als ein Auge, um die Wahrheit zu verstehen | ||
(Foto: The Walt Disney Company (Germany) GmbH) |
Hütet wohl der Ohren,
Oder ihr seid Toren:
Böse Reden nehmt nicht auf,
Schande käm‘ euch in den Kauf.
– Walther von der Vogelweide (um 1170 – um 1230)
Man kann schon fast von einem kleinen Revival des besonderen Ritterfilms sprechen Aber anders als die Bestrebungen der Initiative für den besonderen Kinderfilm, hat es der Ritterfilm erheblich leichter, begeistern sich doch Regisseure aus den unerwartetsten Gefilden für dieses Genre. Allein schon David Lowerys vor ein paar Wochen erschienener The Green Knight, die Neu-Interpretation eines Seitenarms der alten Artus-Sage war so gegenwärtig wie meditativ, texttreu und anspielungsreich.
Und jetzt also Ridley Scott, der Meister des modernen Ritterfilms. Denn im Grunde ist jedes von Scotts großen Werken, angefangen bei seinem Debüt Die Duellisten bis zu Alien, Blade Runner, Black Rain, Thelma & Louise, Gladiator, Robin Hood, Königreich der Himmel und Der Marsianer auch ein Ritter- oder Ritterinnenfilm, ob er nun tatsächlich zu Ritterzeiten gespielt hat (wie Robin Hood und Königreich der Himmel), es Ritter aus noch tieferer Vergangenheit, aus der Zukunft oder unserer absoluten Gegenwart waren. Immer hat Scott das „ritterliche“ Aufeinandertreffen moralisch und körperlich fremder Identitäten interessiert, die über ihren Kampf im schützenden Korsett ihrer Rüstungen (moralischer oder materieller Art) sich gleichzeitig auch davon zu befreien versuchten.
Nicht anders ist das auch in Scotts The Last Duel, einer sowohl durch alte Chroniken wie auch durch den von Scott adaptierten 2004 erschienenen historischen Roman von Eric Jager ausgiebig belegten Begebenheit, die sich im Frankreich des 14. Jahrhunderts zugetragen hatte, nachdem Marguerite de Carrouges, geborene de Thibouville und Gattin des Ritters Jean de Carrouges, behauptete, vom einst besten Freund ihres Mannes, Jacques Le Gris, vergewaltigt worden zu sein. Während Le Gris seine Unschuld beteuerte, forderte de Carrouges ihn zu einem Duell im Rahmen eines Gottesurteils auf, dass das letzte gesetzlich flankierte Duell seiner Art in der Geschichte Frankreichs war.
Doch Scott interessiert natürlich nicht nur das eigentliche Duell, das erst am Ende des Films in aller archaischer Grausamkeit und mit der von Scott üblichen, grandios gesetzten Kolorierung in Szene gesetzt wird. Bis dahin ist es ein langer, so aufreibend- wie aufregender Weg, währenddem Scott so ziemlich alle Ritterstereotypen dekonstruiert, die es gibt. Vom mutigen Kämpfen in Zeiten des Hundertjährigen Krieges bleibt nicht viel mehr als ein auf Ränkeschmieden und finanzielles Überleben ausgerichtetes Rittertum, in dem Ehre bestenfalls zweitrangig ist und auch im Kampf nur selten Rüstungen glänzen, Scott vielmehr jede seiner Kampfszenen in ein matschig-mattes Graubraun taucht, in dem allenfalls das Blut der zahlreichen Opfer pulsierend schimmert.
Aber Scott verausgabt sich nicht in Kampfszenen, sondern beobachtet auch den Alltag dieser Epoche, die Ruhe vor den Auseinandersetzungen, nimmt sich sowohl Zeit für Finanzbuchhaltung, Pferdezucht und Landwirtschaft und das Ankleiden von Jean de Carrouges (Matt Damon), Jacques Le Gris (Adam Driver) und Marguerite de Carrouges (Jodie Comer) vor dem großen Kampf, der für jeden etwas anderes bedeutet.
Auch diese mindestens drei Seiten der Wahrheit bringt Scott mit einem alten Kunstgriff unter, mit der von Akira Kurosawas in Rashômon (in dem ja ebenfalls eine Vergewaltigung und „Ritter“ im Zentrum stehen) perfektionierte multiperspektivischen Brechung der Handlung, die von Scott behutsam montiert, nie an Spannung verliert, allerdings nicht die Wahrheitsdifferenzen ausspielt, die man vielleicht erwartet. Allerdings sind auch nicht die Ritter an sich unbedingt das, was gemeinhin erwartet wird, bürstet Scott hier so gegen den Strich, dass er fast schon in unserer „Wirtschaftsgegenwart“ anlangt, wird der „weiße“, moralisch integre Ritter doch vom nicht nur beim Sex grobschlächtig agierenden und betont hässlichen und entstellten Matt Damon gegeben, der „schwarze“ Ritter jedoch vom wirtschaftlichen Emporkömmling und Charmeur Adam Driver.
Diese gegen alle Erwartungshaltungen zielenden, historisch aber durchaus korrekten Beobachtungen machen Scotts Film erst recht zu diesem atemberaubend gegenwärtigen Gespensterhauch aus den Tiefen der Vergangenheit. Denn was die Tatsachen ja an sich und über Scotts Film schon explizit erzählen – eine junge Frau, die in bester gegenwärtiger #MeToo-Manier nicht mehr bereit ist zu schweigen – wird noch einmal mehr durch Scotts multiperspektivischen Ansatz unterstrichen, der dann auch noch durch ein mittelalterliches Medien-Echo verstärkt wird, wie es auch heute in den sozialen Medien üblich ist.
Und denkt man dann noch an die versehrten Körper in diesem Film, die Körper, die in ihren technoiden Metallpanzern eingeschlossen um ihr körperliches und seelisches Überleben kämpfen, ja irgendwie auch um ihre Identität ringen, dann sind wir fast schon beim Cannes-Sieger, bei Julia Ducournaus Titane angelangt und einem sehr ähnlichen Kampf der Geschlechter, der nur deshalb in seiner Ähnlichkeit überrascht, weil er nach all den Jahrhunderten immer noch notwendig ist.