Das Imperium

L'Empire

Frankreich 2024 · 110 min. · FSK: ab 12
Regie: Bruno Dumont
Drehbuch:
Kamera: David Chambille
Darsteller: Lyna Khoudri, Anamaria Vartolomei, Camille Cottin, Fabrice Luchini, Brandon Vlieghe u.a.
L'Empire
Das Kirchen-Raumschiff steht bereit
(Foto: Filmgalerie 451)

Völlig losgelöst

Bruno Dumonts Science-Fiction-Komödie »L’Empire« jongliert mit spektakulärer Weltraum-Architektur und dem Manichäismus als Prinzip der Weltenordnung. Das wirkt überaus befreiend

Gut gegen Böse: Spätes­tens seit der Wieder­wahl von Donald Trump gehorcht die Welt wieder dem binären Schema. Es geht um Männer gegen Frauen, um Auto- gegen Demo­kraten und um die Ökonomie der Narzissten gegen die soli­da­ri­sche Welt. Die alther­ge­brachten Werte des »Guten«, sofern man sich auf die Pfeiler des Grund­ge­setzes vers­tän­digen kann, sowie der Respekt vor dem Weiter­leben der mensch­li­chen Spezies, sehen sich neuen Tendenzen des »Bösen« gegenüber: skru­pel­losem Profit­streben, Klima- und Natur­ver­ach­tung, Sozi­al­dar­wi­nismus, »Me first«.

Um den Kampf von »Gut« gegen »Böse« geht es bekannt­lich auch schon in der Bibel. Eben diesen Manichäismus reak­ti­viert Bruno Dumont in seiner spek­ta­kulären Science-Fiction-Komödie L’Empire, benannt nach dem Star Wars-»Imperium«. Ange­sie­delt ist die Handlung an der norman­ni­schen Küste, wo die Filme von Dumont meist spielen und die eine gewisse örtliche, zeitliche und mentale Abge­schie­den­heit von der Welt symbo­li­siert. Das ländliche Prole­ta­riat, Bauern oder Fischer, steht für Boden­s­tän­dig­keit und den einfäl­tigen Simpel, gleich­zeitig sind die Menschen offen für die Spiri­tua­lität, die die Felder und Dünen unter dem weiten Himmel empfangen; die Côte d’Opale ist der viel­sa­gend »halb­trans­pa­rente« Schau­platz der Handlung. Die dort lebenden Menschen werden von verfein­deten extra­ter­res­tri­schen Kräften, den »Nullen« und »Einsen«, ausge­sucht, um auf der Erde und in den fleisch­li­chen Körpern einen Kampf auszu­tragen.

In größt­mög­li­cher Simpli­zität – Bruno Dumont liebt die auf den ersten Blick einfachen Gesten und Thesen – stülpt er die biblische Heils­ge­schichte um. Auf der Erde ist ein Baby geboren, das dem bösen Messias Margat als körper­liche Hülle dient. Er wurde von den »Nullen« auser­wählt, um als Heran­wach­sender »das Böse« unter den Menschen zu verbreiten – eine offen­sicht­liche Negation der Jesus-Legende. Mit irdischem Namen heißt der kleine Margat Freddy, was wiederum eine Anspie­lung auf die gleich­na­mige Haupt­figur aus Dumonts Debut La vie de Jésus ist, einer Verfil­mung des skan­dal­um­wo­benen Haupt­werks aus dem 19. Jahr­hun­dert, das der abtrün­nige Christ Ernest Renan verfasst hat – um einmal den Horizont zu skiz­zieren, in dem sich Dumonts Film­schaffen bewegt.

Freddys Vater Jony (Laien­dar­steller Brandon Vlieghe) ist ein Gesandter des Bösen; er trifft auf Jane, die auf der Erde für die Werte des Guten kämpft. Gespielt wird sie von der amazo­nen­haften, an »Games of Thrones« gemah­nenden Anamaria Varto­lomei (bereits zu sehen in der Annie-Ernaux-Verfil­mung Das Ereignis). An ihrer Seite hat sie den Adju­tanten Rudy (klin­go­nen­haft, also »Star Trek« und nicht Star Wars: Julien Manier, der für Dumonts »Jeanne D’Arc«-Zwei­teiler als norman­ni­scher Laien­dar­steller gecastet wurde), der wie Jony gerne zum Laser­schwert greift.

Jony und Jane kämpfen auf verfein­deten Seiten im Auftrag von extra­ter­res­tri­schen Macht­in­stanzen, die in riesigen Raum­schiffen im Weltall unterwegs sind und für Stipp­vi­siten die Erde besuchen. Jonys Auftrag­geber Belzébuth etwa, mit hölli­schem Vergnügen von Fabrice Luchini verkör­pert, möchte den bösen Messias selbst einmal in den Armen halten und besucht dafür das Fischer­dorf; und auch die gute Königin (Camille Cottin) lässt sich auf der Erde nieder, den Charme einer Zeugin Jehovas versprühend. Außerdem kehrt das Poli­zis­ten­paar aus der Serie »P'tit Quinquin« wieder, mit dem grimas­sie­renden und prus­tenden Laien-Star Bernard Pruvost. Das setzt inmitten der sphäri­schen Abge­ho­ben­heit eine pseudo-realis­ti­sche Tonlage.

Dumont parodiert glei­cher­maßen den reli­giösen, welt­li­chen und auch den film­his­to­ri­schen Manichäismus, wenn ihm die Weltraum-Saga zur visuellen und moti­vi­schen Hyperbel dient. Verwei­gert werden indes mora­li­sche oder gar didak­ti­sche Füllungen: es geht um »Mora­lismus« als komische, sinn- und wert­ent­leerte Hülle und ums Prinzip als solches. Die wider­stre­benden Kräfte sind nur die Platz­halter der Ideen von »Böse« und »Gut«; sie ähneln einander, kämpfen mit gleichen Waffen und trans­por­tieren keinerlei mora­li­sche Vorstel­lungen. Sie sind also auch »jenseits« von Gut und Böse. Hervor tritt dabei der wunder­bare Dumont-Touch. Der ist zugleich ernst und komisch, einfach und komplex, nieder­schwellig und erhaben, weltlich und religiös.

Und dann ist L’Empire auch noch ein groß­ar­tiges Leinwand-Ereignis. Eigent­lich ist der Sprung so nahe­lie­gend: Wenn es schon Kirchen-Schiff heißt, warum dies nicht wörtlich nehmen und aus den gotischen Kathe­dralen immense Raum­schiffe werden lassen, die in den Himmel hinein­streben und als Inkar­na­tionen des gött­li­chen Prinzips durch das All schweben? Und warum nicht die Reprä­sen­ta­tion der barocken Gottes-Anmaßung, das Versailles von Sonnen­könig Louis XIV., ebenfalls als gigan­ti­sches Raum­schiff in den Himmel schicken? Das Resultat ist eine überaus spek­ta­kuläre Visua­lität der Erha­ben­heit. Dumont ist als Kino-Zauberer kongenial, wenn er das Star Wars-Imagi­na­rium neu inter­pre­tiert – und quasi­re­li­giös anstreicht.

Denn die aufse­hen­er­re­genden Bilder der ins All abhe­benden Groß­ar­chi­tek­turen weisen Bruno Dumont als Kino-Philo­so­phen aus, als der er, auf Basis der negativen Theologie, bekannt wurde. Seinen großen Filmen, La vie de Jésus, L’Humanité, auch Hadewijch, Hors de Satan und dem Jeanne-D’Arc-Zwei­teiler Jeannette und Jeanne d’Arc liegen allesamt philo­so­phi­sche Werke zugrunde, die sich mit dem Chris­tentum ausein­an­der­setzen, ganz ernsthaft und kritisch.

So drückt sich in der Visua­lität von L’Empire auch symbol­kräftig aus, worum es bei »Gut« und »Böse« gehen könnte. Die Kirchen­schiffe als ideelle, spiri­tu­elle und religiös gefasste Werte treten an gegen die mate­ri­ellen und narziss­ti­schen Werte der Dies­sei­tig­keit und einer gewissen sich selb­stü­ber­schät­zenden Hybris. Zugleich sind die extra­ter­res­tri­schen Kräfte spie­gel­bild­lich und glei­cher­maßen schwach, so schwach auch wie das Fleisch, in dem sie stecken. So geht es stre­cken­weise ziemlich zur Sache. Die spontanen Trie­b­ent­la­dungen auf freiem Feld erinnern an Dumonts Kopu­la­tions-Filme Twen­ty­nine Palms und Flandres; auch die Körper­lich­keit nimmt hier teil an einem gewissen Werte-Nihi­lismus, wenn das Fleisch vom Geist scharf getrennt wird.

Dumont schafft die Grat­wan­de­rung, einer­seits natu­ra­lis­ti­sche Boden­s­tän­dig­keit zu illus­trieren und auch zu umarmen – seine Sympathie fällt seit jeher jenen Menschen zu, die empfäng­lich sind für die erhabene Groß­ar­tig­keit der »Schöpfung«. Ande­rer­seits macht er ästhe­tisch erfahrbar, dass die Dinge eben gerade nicht sind, was sie scheinen. Und damit auch unaus­weich­lich bodenlos, surreal und komisch. Wenn sich schluss­end­lich die Kräfte von Gut und Böse im Schwarzen Loch verhed­dern, ergibt sich im extra­ter­res­tri­schen Kampf ein alles verschlin­gendes Patt, das auf der Erde einen klima­ka­ta­stro­phalen Wirbel­sturm erzeugt. Der Manichäismus hat sich damit selbst erledigt. Bis auf weiteres – und Dumont wieder zu jonglieren beginnt.

Wenn die Außerirdischen in der Provinz landen...

Bruno Dumont versetzt das Science-Fiction-Fantasy-Genre mit viel Witz erfolgreich in die Lieblingslandschaft seiner Filme

»Unser Schicksal ist hart.«
– Jane de Baecque in Das Imperium

Strahlend blauer Himmel. Geschwätz am Smart­phone: »Hallo? Ça va? Mir geht es gut. Schau mal das ist die Stelle. Hast du sie gesehen? Die Stelle, von der ich dir erzählt habe. Es ist echt heiß. Ich will braun werden. Ja ich bin ganz nackt. Mein Busen ist schon gebräunt, mein Hintern auch, ich bin ganz zufrieden. Ich bin nicht mal einge­cremt. Hier ist es cool, keiner stört sich daran. Kein Mensch weit und breit. Ich bin nackt, keiner stört sich daran. Ich gehe weil es so heiß ist und ich dringend eine Dusche brauche. Ein nacktes Mädchen, nur mit einem Handtuch begleitet, geht durch die Dünen.«

Ein Fischer steuert sein Boot an die Küste, nach einem Tag harter Arbeit. An Land folgt er seiner Routine, die er wohl schon unzählige Male wieder­holt hat.
Dann begegnet er dem Mädchen aus den Dünen, und in den von unter­grün­diger Attrak­tion durch­zo­genen Smalltalk mischt sich etwas diffuses Anderes...

Ein paar Minuten später fragt sie ihn mit starrem Blick auf den Boden und plötzlich schwerem Atem: »Ist der Margat geboren?« Und er antwortet mit einer anderen, metal­li­schen Stimme: »Der Margat ist geboren.«
Und sie: »Die Zeit ist nahe!«

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Zuhause ange­kommen trifft der Fischer eine Frau, die das vor kurzem geborene Kind verlangt – man glaubt zu verstehen, dass es sich hier um ein geteiltes Sorge­recht handelt. Das Kind soll die nächsten vierzehn Tage bei ihr bleiben.

So beginnt der Film mit einer ganz alltäg­li­chen Szene. Es wäre dies der Beginn einer ganz gewöhn­li­chen Geschichte, wäre da nicht auch gleich­zeitig das Uner­war­tete, Unvor­stell­bare: Dem Gespräch zuvor, das offen­sicht­lich nicht von dieser Welt war, folgt ein schreck­li­cher Unfall, ein phan­tas­ti­sches Überleben, und das Köpfen der Mutter mit einem Laser­schwert...

Bruno Dumonts Das Imperium beginnt voller Wucht und mit Wahnwitz. Doch derartige Über­ra­schungen nehmen im Laufe der Handlung noch zu...

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Diesen Film könnte man am besten als europäi­sche Version von Star Wars oder auch als eine fran­zö­si­sche »Weltraum­oper« beschreiben – vergessen wir dabei nicht, dass Star Wars bei seinem Erscheinen 1977 das B-Movie eines sehr, sehr unab­hän­gigen und eigent­lich schon künst­le­risch geschei­terten New-Hollywood-Regis­seurs gewesen ist, das von den Kritikern seiner Zeit als »billiger Schund« verun­glimpft wurde. Oper bedeutet hier auch nicht, dass in diesem Film etwa irgend­wann gesungen werden würde. Sondern gemeint ist die große Geste und der Spaß an der Wirk­lich­keits­ver­frem­dung. Wer außerdem das Werk des fran­zö­si­schen Regis­seurs Bruno Dumont ein bisschen kennt, weiß, dass man in ihm zwei Phasen, eine ernste, brutale, schwer­mü­tige und eine komö­di­an­tisch-leichte unter­scheiden muss. Das Imperium ist eindeutig dieser letzteren zuzu­ordnen.

Beide Phasen haben gemeinsam, dass sie auf dem nord­fran­zö­si­schen Land spielen, in Flandern und der in Richtung Nieder­lande auseb­benden Normandie; sie haben gemeinsam, dass sie die ländliche Bevöl­ke­rung, vergleichs­weise unge­bil­dete, aber moralisch reine Bauern in den Fokus nehmen, und schließ­lich ist all diesen Film eine tran­szen­dente Kompo­nente eigen, ein Subtext des Reli­giösen, Heiligen, etwas das nicht von dieser Welt ist.

Nicht von dieser Welt sind in diesem Film schon mal die Außer­ir­di­schen.

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Bruno Dumont ist einer der unge­wöhn­lichsten fran­zö­si­schen Autoren­filmer. Sein Werk schwankt zwischen ernstem Melodram (L’Humanité, Flandern) und Provinz­komö­dien (Kindkind).
Mit seinem letzten Film, der Medi­en­sa­tire France, scheint Dumont eine neue Werkphase einge­leitet zu haben: Genre-Dekon­struk­tionen und -satiren. Das gilt auch für das Science-Fiction-Märchen Das Imperium, das zwischen sozi­al­rea­lis­ti­scher Provinz­schil­de­rung und burlesker Weltraum-Oper schwankt und bei der Berlinale einen Silbernen Bären gewann.

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Was wäre eigent­lich, wenn in Flandern, der Heimat der Sch'tis-Komödien, – oder auf der Schwä­bi­schen Alb viel­leicht? – wenn also hier und heute in unserer Gegenwart UFOs mit Außer­ir­di­schen landen würden? Wir würden jeden­falls anders reagieren, als wir uns das immer gedacht haben bei der Lektüre von Boule­vard­zei­tungen, Trash-Romanen oder beim Ansehen unser Lieblings-Science-Fiction-Filme. Viel­leicht würden wir genauso reagieren, wie die Leute in diesem Film: Irritiert natürlich, genervt. Aber auch zuerst gelang­weilt. Sie nehmen das Unge­wöhn­liche scheinbar selbst­ver­s­tänd­lich hin. Und dann sind sie erbaut und erfreut, dass endlich mal etwas los ist und ihr Leben Bedeutung bekommt.

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»Wurde er sauber abge­trennt?« – »Glatt mit einem Schlag.« – »Gut, das ist gut. Die Mutter des Margat war schon halb vom Bösen besessen und dämonisch. Und wenn der Margat heran­reift, weißt du, was du zu tun hast. Sehr gut! Bis dahin, müssen wir, die Einser, ihn im Auge behalten. Damit das Böse in der Bestie keimt, zu der er heran­wächst und alle Fins­ternis auf Erden in sich aufnimmt. Und dann möge er unter­gehen und all das Böse mit ihm.«

Es sind apoka­lyp­ti­sche Visionen, denen wir hier begegnen – und Apoka­lypse heißt Heils­be­schleu­ni­gung. Das heißt, es könnte sich hier um einen Kampf der Engel mit dem Teufel handeln, um eine biblische Geschichte vom Kampf des Guten gegen das Böse.
Bruno Dumont erzählt oft solche Geschichten. Nur dass die Guten hier eben »die Einser« sind und die Bösen »die Nuller«.

Man könnte auch sagen, dass wir hier uns wieder der Wahr­neh­mung der Welt im Mittel­alter annähern – einer Welt, in der es das Heilige und das Außer­ge­wöhn­liche gibt, Geister und Dämonen, in der Männer vor Frauen knien, um ihnen Ehre zu bezeugen oder auch Frauen vor Männern den Kopf senken aus dem gleichen Grund.
Es liegt eine atem­be­rau­bende, anrüh­rende Unschuld in vielen Gesten der Figuren dieses Films.

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Grob gesagt stellen sich viele Figuren hier als Soldaten in einem inter­pla­ne­taren Krieg heraus – weit jenseits all der üblichen Heraus­for­de­rungen, denen die ländlich-touris­ti­sche Region sonst begegnet. Imperiale Welt­eroberer gegen eine zentra­li­sie­rende Macht, die sich in einer weib­li­chen Gestalt mani­fes­tiert. Der Küstenort wird zum Schau­platz des Kampfes ums Universum – all dies kann man ernst nehmen, muss man aber nicht. Man kann es auch als einen einzigen großen kosmi­schen Witz betrachten.

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Darum geht es vermut­lich dem Regisseur. Denn die Ausein­an­der­set­zungen nehmen die Form von Verschwörungs­theo­rien an, kurvige Frauen im Badeanzug treten auf, groteske Reiter­spiele werden veran­staltet...

Es ist offen­sicht­lich, dass Bruno Dumont mit all dem beab­sich­tigt, das Absurde jener Geschichten heraus­zu­ar­beiten, wie sie im kommer­zi­ellen Hollywood-Kino wie am Fließband produ­ziert werden und für die Film­wirt­schaft immer wichtiger werden. Für den durch­schnitt­li­chen Zuschauer der ganzen Welt stellen sie längst eine Art von Ersatz­re­li­gion dar.

Das Imperium ist ein mit vielen wunder­baren fran­zö­si­schen Schau­spie­lern gespickter Film aus kleinen char­manten Momenten und Einfällen, mehr oder weniger gelun­genen Gags wie das Training mit Laser­schwer­tern und ein fernes Echo von Roger Vadims Klassiker Barba­rella mit Jane Fonda und Luc Bessons Valérian – die weiterhin bisher gelun­gensten Verschmel­zungen fran­zö­si­scher und ameri­ka­ni­scher Science Fiction.