13.02.2003
53. Berlinale 2003

»Ich habe Ballett gemacht und Oper«

Martial Arts Choreographi in Rot aus »Hero«
Zhang Yimous Hero

Ein Gespräch mit dem chinesischen Regisseur Zhang Yimou zu seinem Film Hero

Kunst und Politik treffen sich in den Filmen des 1951 geborenen chine­si­schen Regis­seurs Zhang Yimou. Aufge­wachsen in der Provinz, nahe der alten Kaiser­stadt Xian, geächtet als Sohn eines Generals der im Bürger­krieg gegen Mao unter­le­genen Kuom­in­tang-Armee, in den Wirren der Kultur­re­vo­lu­tion selbst ein Opfer zwangs­weiser Land­ver­schi­ckung. Nach Erfah­rungen als Photo­graph und dem Besuch der Pekinger Film­hoch­schule wird er bereits mit seinen ersten Werken zum führenden Vertreter der „Fünften Gene­ra­tion“, der „Nouvelle Vague“ des chine­si­schen Films, die an europäi­sche Tradi­tionen, etwa die des Neorea­lismus anknüp­fend, das Kino im Reich der Mitte aus den starren Forma­lismen der partei­hö­rigen Pflich­tü­bungen befreite, und zu einer eigenen stark symbo­lis­ti­schen Bild­sprache fand. Der Durch­bruch kam 1988 auf den Berliner Film­fest­spielen, als Zhang Yimou Debüt Das rote Kornfeld prompt den Goldenen Bär gewann, und ein heraus­ra­gendes Jahrzehnt für das chine­si­sche Kino einlei­tete – er selbst wurde mit Preisen geradezu über­schüttet: Ein Silberner Löwe in Venedig für Rote Laterne 1991, ein Goldener Löwe für Die Geschichte der Qiu Ju (1992), 1994 das grandiose Epos Leben!, für das Zhang Yimou den Großen Preis der Jury von Cannes und einen Auslands-Oscar erhält, 1998 bekommt er wiederum einen Goldenen Löwen in Venedig für Keiner weniger, 1999 für Heimweg wiederum den Silbernen Bären in Berlin. Seine Filme handeln vom alltäg­li­chen Leben und poli­ti­scher Gewalt, dem Einzelne und der Geschichte. Am letzten Freitag hat Zhang Yimous neuer Film Hero auf der Berlinale Premiere. Rüdiger Suchsland führte mit ihm folgendes Interview.

artechock: Hero ist ein Film, den man nicht gerade von Ihnen erwartet: Es handelt sich um einem Martial-Arts- Film, es gibt viele Kung Fu Kämpfe... Wie passt denn das zu ihnen?

Zhang Yimou: Ich war schon immer ein Fan von Kung-Fu-Storys, von Comics, die in moderner Form alte chine­si­sche Legenden verar­beiten. Es gibt da ja bei uns eine riesige Menge an entspre­chender Literatur. Schon lange wollte ich einen solchen Film drehen, und weiß eigent­lich nicht, warum ich mich das nicht schön früher getraut habe. Die „fünfte Gene­ra­tion“, also meine Filme­ma­cher-Gene­ra­tion hat sich natürlich mit so was nicht beschäf­tigt. Da waren anspruchs­vol­lere Themen gefragt. Vor fünf Jahren hab ich mit dem Drehbuch zu Hero – mein erstes Origi­nal­dreh­buch übrigens – begonnen und dann kam dummer­weise zeit­gleich Ang Lee mit seinem so unglaub­lich erfolg­rei­chen Kampf­kunst­film Tiger & Dragon. Wir hatten Angst, dachten, alle würden nun über uns lachen. Es sah ja so aus, als hätten wir keine Ideen gehabt und einfach etwas nach­ge­macht. Nach einiger Zeit Pause habe ich mich dann entschieden: Ich mache es doch. Jetzt gibt es den Film und ich stehe auch dazu.

artechock: Was faszi­niert sie an Kampf­kunst?

Zhang: Ich mag Kung-Fu auch, weil es etwas einzig­artig chine­si­sches ist. Die Geschichten zeigen eine gewis­ser­maßen archai­sche Vorstel­lungs­welt von Kriegern, in die auch einfache Leute entfliehen können. Die Themen sind universal: Freiheit, Liebe, Hass und all diese Emotionen.

artechock: War der Film für Sie eine neue Erfahrung?

Zhang: Ja. Wir haben für diesen Film auf Kampf­spe­zia­listen aus Hongkong zurück­ge­griffen. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass es eine ganze Menge Zeit braucht, einen guten Effekt zu machen. Für ein paar Minuten braucht man Stunden, was für uns das Ergebnis hatte, dass wir fünfein­halb Monate gedreht haben. Das war meine bisher längste Drehzeit. Die Umstände waren ganz anders, als bei all meinen bishe­rigen Filmen.

artechock: Mit Hongkong haben Sie auch ander­weitig zu tun gehabt: Die Haupt­rollen in Hero spielen bekannte Hongkong-Darsteller: Maggie Cheung, Tony Leung und Jet Li. Und sie produ­zierten den neuen Film ihres Kollegen Wong Kar Wei mit dem Titel 2046. Wachsen das chine­si­sche Festland und die ehemalige britische Kron­ko­lonie auch im Film­be­reich mehr und mehr zusammen?

Zhang: Es gibt mehr Austausch, ja sicher, aber es gibt auch funda­men­tale kultu­relle Unter­schiede. Die bishe­rigen Filme sind einzelne Aktionen, die wenig Aussa­ge­kraft haben. Tatsäch­lich passiert dies: Die Hong­konger gehen immer mehr aufs Festland und versuchen auch, thema­tisch dort ihre Filme anzu­sie­deln. Das ist aber eine einsei­tige Bewegung zum Festland hin. Das Festland ist die Quelle der Geschichten. Wenn ich nach Hongkong gehe, dann will ich essen oder einkaufen.

artechock: Das chine­si­sche Kino wird gemeinhin nach soge­nannten Gene­ra­tionen unter­teilt. Sie gehören zur „Fünften Gene­ra­tion“, der chine­si­schen „Nouvelle Vague“ der ersten Abschluss­klasse der Pekinger Film­aka­demie nach der Kultur­re­vo­lu­tion. Inzwi­schen gibt’s eine Sechste und eine Siebte. Wie stehen Sie zu deren Arbeit?

Zhang: Es gibt sogar schon eine Achte Gene­ra­tion. Die chine­si­sche Film­land­schaft bietet ein viel kompli­zier­teres Bild als bei unserer Gene­ra­tion. Aber jede muss ihren eigenen Weg suchen. Viele der jungen Filme­ma­cher heute arbeiten auch im Fernsehen und in der Werbung.

artechock: Gibt es überhaupt noch diese Einheit der Gene­ra­tionen? Wo sehen Sie sich selber?

Zhang: Diese ganze Eintei­lung ist ziemlich klischee­haft und unwis­sen­schaft­lich. Man hat sich aber daran gewöhnt, also meinet­wegen gehöre ich zur „Fünften Gene­ra­tion“. Aber auch die war nur am Anfang eine homogene Gruppe. Wir hatten zusammen studiert. Dann haben wir Filme mitein­ander gemacht. Bei Chen Kaiges Gelbes Land stand ich hinter der Kamera. Bei Alter Brunnen als Schau­spieler davor.
Zu Beginn gab es starke Gemein­sam­keiten. Dann hat jeder von uns von Film zu Film eine eigene Hand­schrift entwi­ckelt. Heute haben unsere Filme nicht mehr viel mitein­ander zu tun. Viel­leicht sollten wir aufhören, in Gene­ra­tionen zu denken.

artechock: Diese „Fünfte Gene­ra­tion“ von der Sie sprechen, ist stark von der Erfahrung der „Kultur­re­vo­lu­tion“ zwischen 1966 und 1975 geprägt. Sie selbst haben einmal von der „Tragödie der Kultur­re­vo­lu­tion“ gespro­chen. Sie wurden zwangs­weise aufs Land verschickt. Was bedeutet diese Erfahrung aus heutiger Sicht noch für Sie?

Zhang: Da mein Vater einst General der (anti­kom­mu­nis­ti­schen) Kuom­in­tang gewesen war, hatte ich aus Sicht der Partei einen besonders negativen fami­liären Hinter­grund. Diese Erleb­nisse wirken sich bis heute aus. Nach wie vor gehe ich wenig aus mir heraus, bin eher verschlossen. Man kann sagen, auf diese Weise prägt die Kultur­re­vo­lu­tion mein Leben und meine Arbeit bis in die Gegenwart. Andere Regis­seuren der fünften Gene­ra­tion hatten es da viel­leicht leichter. Die sind auch kriti­siert worden, aber schneller wieder auf die Füße gekommen.

artechock: Sie begannen mit großen epischen Geschichten wie Das rote Kornfeld 1988 oder Rote Laterne 1991 und kleinen Land­ge­schichten wie Die Geschichte der Qui Ju 1992 oder Keiner weniger 1998. Worin sehen Sie die Konti­nuität Ihrer eigenen Arbeit?

Zhang: Sie liegt dort, wo Sie sie sehen! Die größte Konti­nuität in meinem Werk ist der Wechsel. Ich habe immer neue Heraus­for­de­rungen gesucht. Wichtig ist für mich, von China zu erzählen. Der auffäl­lige Wechsel von großen epischen Geschichten zu kleineren hat aber haupt­säch­lich histo­ri­sche Gründe. In den 70er und 80er Jahren wollte man histo­ri­sche Wurzeln wieder­ent­de­cken. Fast alle meine Filme sind ja Lite­ra­tur­ver­fil­mungen und so überträgt sich eigent­lich nur eine Tendenz, die in der Literatur herrschte, auf den Film. Inzwi­schen hat sich vieles verändert. Dieses Interesse an der Geschichte ist erloschen. Es gilt nur noch das Jetzt und der Konsum. Mit dieser Entwick­lung habe ich mich in meinen letzten drei Filmen beschäf­tigt.

artechock: Sie begannen mit histo­ri­schen Stoffen. Ihre Filme spielten oft in der Vergan­gen­heit, werden aber oft als symbo­li­sche, versteckte Ausein­an­der­set­zung mit der Gegenwart wahr­ge­nommen. Inwiefern trifft das zu?

Zhang: Wenn man Filme macht, hat das immer etwas mit der Zeit­ge­schichte zu tun. Damals in den 80er Jahren wollten auch wir selbst – die Filme­ma­cher der Fünften Gene­ra­tion – uns wieder in die Erfah­rungen der Geschichte hinein­be­geben, darüber nach­denken und disku­tieren. Das hat alle inter­es­siert.
Als ich mit dem Filme­ma­chen begann, war mein Weg überhaupt nicht vorge­zeichnet. Ich habe Film in erster Linie studiert, um einen Abschluss zu machen.

artechock: Obwohl Sie sehr bekannt sind, haben Sie viel mit Zensur zu kämpfen Wie arbeitet man unter solchen Bedin­gungen?

Zhang: In China hat man schon immer mit der Zensur gelebt. Jeder hat das im Kopf. Denn man will ja seine Zuschauer erreichen. Bestimmte Stoffe werden gar nicht behandelt, trotzdem ist es oft schwer, ein Projekt zu reali­sieren. Weil ich so bekannt bin, werde ich noch schärfer kontrol­liert.

artechock: In ihrem Film Happy Times gaukelt der Pensionär Zao einem blinden Mädchen eine künst­liche Welt vor. Glauben sie an die positive Kraft der Lüge oder sagen wir der Illusion?

Zhang: Ja, im Zentrum steht eine liebens­werte Betrü­gerei. Mir war es aber besonders wichtig, von den gesell­schaft­li­chen Verän­de­rungen im heutigen China zu erzählen, die der Kapi­ta­lismus mit sich bringt. Alles strebt nach Konsum, nur das Geld zählt noch. Im Vergleich damit erscheinen mir die Lügen der Haupt­figur wie eine Rückkehr zu den tradi­tio­nellen Werten.

artechock: Happy Times war ein Kopro­duk­tion mit einem großen Holly­wood­studio. Verändert das neue Kapital aus Übersee Ihre Art des Filme­ma­chens? Was waren die Auswir­kungen?

Zhang: Aber die Verwen­dung von auslän­di­schen Geld­mit­teln zur Finan­zie­rung von Filmen ist eigent­lich schon lange verbreitet. Es wurde nur nie so heraus­ge­stellt. Ich habe das zum ersten Mal bei dem Film Judou 1990 auspro­biert, ich bin es gewohnt. Die Kontakte zur west­li­chen Film­branche sind viel­leicht inzwi­schen besser. Aber im Grunde hat sich nicht viel geändert, jeden­falls nicht für mich.

artechock: Nach Keep Kool 1996 ist Happy Times Ihre zweite moderne Stadt­ge­schichte. Auch bei der Suche nach der Haupt­dar­stel­lerin sind sie neue Wege gegangen – übers Internet.

Zhang: Wir haben einige Monate lang im Internet gesucht. Mehrere 10 000 Kandi­da­tinnen haben sich gemeldet. Am Schluss haben wir uns für Dong Jie entschieden. Sie ist im Film ja blind. Das war nicht einfach für sie. Da hatten wir den Einfall, mit ihr an eine Blin­den­schule zu gehen, um sie dort zu trai­nieren. Sie hat dort auch eine Freundin gefunden, die etwa das gleiche Alter hatte. Die war später auch auf dem Set und so konnte Dong Jie immer nach­fragen, wenn sie nicht mehr weiter wusste. Es war sehr schön das zu beob­achten.

artechock: Manchmal ist Ihnen zuhause vorge­worfen worden, sie betrieben den „Ausver­kauf“ chine­si­scher Werte, würden nur noch das schöne Elend fürs westliche Auge insze­nieren.

Zhang: Diesen Vorwurf finde ich schon fast komisch. Sobald ich einen neuen Film heraus­bringe, kommt zuhause in China dieser Vorwurf, wie ein Knüppel, den man mir zwischen die Beine werfen will. Ich kenne den Westen auch zu wenig, um »für den Westen« Filme zu machen.
Aber ich drehe nun mal Filme, die in China spielen. Ohne diese stimmige Atmo­sphäre wären meine Filme leer. Im Prinzip mache ich Filme, die wenig mit der Kultur­szene von Peking zu tun haben. Nichts über Intel­lek­tu­elle und Künstler. Meine Werke sind vielmehr durchs Land geprägt, durch die Erfahrung der Land­schaft meiner Heimat­pro­vinz Provinz Zhangxi in Zentral­china. Ich kenne die dortigen Menschen und deren Gefühls­welt.

artechock: Zu den Konstanten Ihrer Filme gehört nicht nur, dass sich Ihre Figuren oft auf Reisen begeben, sondern auch, dass Ihre Haupt­fi­guren in der Regel Frauen sind. Was ist so inter­es­sant an weib­li­chen Haupt­fi­guren – für einen männ­li­chen Filme­ma­cher?

Zhang: Wenn ich Filme mache, mache ich das, was ich will. Ich glaube, dass mich die auslän­di­schen Kollegen gerne in diese Schublade eines „Frauen-Regis­seurs“ stecken. In China ist das wohl noch keinem so aufge­fallen. Viel­leicht ist der wich­tigste Grund, warum ich Frauen gerne darstelle, der, dass ich ein Mann bin. (Lacht) Wenn ich Geschichten erzähle, ist es natürlich inter­es­sant, einen Kampf mit dem Schicksal darzu­stellen, egal ob der positiv oder negativ ausgeht. Und Frauen sind da natürlich gut geeignet, weil sie sozusagen den größeren Wider­stand zu über­winden haben.

artechock: Alle Filme, die wir bisher von Ihnen kennen, sind Klassiker, nicht nur des Asia­ti­schen Kinos, sondern Welt-Klassiker. Nun kann es für einen Regisseur auch eine Gefahr sein, zum Klassiker zu werden. Was tun Sie dafür, nicht zu erstarren, künst­le­risch jung zu bleiben?

Zhang: Ich meine nicht, dass ich ein Klassiker bin. Natürlich gibt es eine ganze Menge Erwar­tungen. Je höher man im Ansehen der Leute steigt, umso größer wird auch der Druck. Und wenn irgendein Regisseur sagt: »Ach, ich mach mein Zeug, mich inter­es­siert dieser Druck nicht«, dann ist das Quatsch. Das ist ein Einfluss, dem jeder ausge­setzt ist. Er muss mit den Erwar­tungen des Publikums umgehen. Und es kann immer trotzdem sein, dass das Publikum sagt, »Also bisher hat er so tolle Filme gemacht, das war jetzt aber nix.«
Natürlich hat so ein Film wie Rotes Kornfeld sehr viel mit mir zu tun, aber ich versuche, dann auch immer wieder, etwas völlig anders zu machen. Das Wich­tigste ist, immer sich selbst treu zu bleiben. Dazu zählt auch, dass ich es nicht ablehne, andere Künste auszu­pro­bieren. Ich habe Ballett gemacht und Oper. So erhält man sich seine Qualität hoffent­lich.