13.02.2003
53. Berlinale 2003

»Ich muss etwas Dampf machen!«

Katrin Saß und Daniel Brühl in GOOD BYE LENIN
Katrin Saß (mitte) in Good Bye, Lenin!

Die Schauspielerin Katrin Saß über sich, die DDR, und ihren neuen Film Good Bye, Lenin!

Katrin Saß, geboren 1956 war Ende der 70er einer der jungen Stars der DDR. Auf den Bühnen von Berlin, Halle und Leipzig hatte sie gefeierte Auftritte, in defa-Filmen war sie schon früh eines der prägnan­testen Gesichter. Bereits 1982 gewann sie bei den Berliner Film­fest­spielen einen Silbernen Bären für ihre Rolle in Herrmann Zschoches Bürg­schaft für ein Jahr. Nach privater Krise und beruf­li­chen Problemen erlebt Saß in den letzten Jahren ein bemer­kens­wertes Comeback. Für ihre Haupt­rolle in Michael Kliers Heidi M. gewann sie 2001 den Bundes­film­preis. Jetzt ist sie auf der Berlinale gleich zweimal zu sehen: In der Haupt­rolle in Wolfgang Beckers Wende-Satire Good Bye, Lenin!, der letzten Sonntag im Wettbewerb Premiere hatte und in Jeff Kanews Historiendrama Babij Jar, das in einer Spezialvorführung gezeigt wird.

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland

artechock: Sie sind doch für die Rolle viel zu jung...

Katrin Saß: Danke! Endlich sagt das mal jemand. Das hab' ich nämlich auch gesagt. Aber ich hab das Buch gar nicht gelesen, da hatte ich schon zugesagt: Ein Kinofilm; Wolfgang Becker; und dann habe ich’s gelesen, und gesagt: Wie alt soll die sein? Die ist ja fast 60!!

artechock: Bei der Berlinale laufen jetzt gleich zwei Filme, in denen Sie mitspielen. Wie sind Sie mit den Resul­taten zufrieden?

Saß: Ich schaffe es nie, den Film als Film zu sehen. Am Ende weiß ich gar nicht, was ich gesehen habe. Bei fremden Filmen schaue ich schon anders hin.

artechock: Und bei Filmen, die ein paar Jahre zurück liegen?

Saß: Das geht. Ich habe neulich ein paar alte Poli­zei­rufe gesehen. Da bin ich zwar erschro­cken, weil ich noch ein paar Kilo mehr drauf hatte, anders aussah – aber auch, weil Poli­zeiruf 110 nicht unbedingt meins war. Das habe ich fünf Jahre gemacht, und es war ok. Aber nicht das, wovon ich geträumt habe.

artechock: Passiert denn jetzt gerade das, wovon Sie geträumt haben?

Saß: Ja. Es ist schon erstaun­lich. Ich habe in den letzten zehn Jahren ja gear­beitet, habe mit Dominik Graf gedreht, und meine private Krise in den Griff gekriegt. Aber das da noch einmal ein Kinofilm kommen würde – damit habe ich nicht gerechnet. Die Anfrage für den Film Heidi M. hat mich schon sehr über­rascht.
Und dann gab es für die Rolle sogar noch den Bundes­film­preis! Und daraufhin kam dann Atze Brauner: »Ah, da hab ich ja meine Besetzung, ab nach Minsk!« Und dann haben wir bei den Russen Babij Jar gedreht, und als ich zurück kam, gab es das Angebot von Wolfgang Becker. Das war schon verrückt.
Das ist ja ganz schön: Zwei Filme auf der Berlinale und zwei ganz verschie­dene Rollen.

artechock: Wenn Sie jetzt Good Bye, Lenin! nehmen, und in diesem Film noch einmal zurück­reisen in die DDR hinein: Wie weit deckt sich das mit Ihren persön­li­chen Erin­ne­rungen, was finden Sie da wieder?

Saß: Na von mir finde ich gar nichts wieder, aber ich hab natürlich 30 Jahre da gelebt. Ich hab' die Wende anders erlebt und ich habe sie auch anders empfunden. 1988 wollte ich bereits weg. Es wurde mir einfach zu eng. Ich wollte in der DDR nicht sterben. Aber ich habe auch Skrupel gehabt: Was wird, wenn Du diesen Ausrei­se­an­trag stellt? Und habe hin und her überlegt: Viel­leicht nutzt Du die nächste Reise, viel­leicht nehmen Sie Dich mal wieder mit... Ich hatte ja die Gele­gen­heit im Westen zu bleiben, mehrfach. Ich hab’s ja nie gemacht.
1987 war ich das zweite Mal auf der Berlinale. Da habe ich mich mit meinem Schau­spie­ler­kol­legen Sylvester Groth getroffen und bin mit dem durch West­berlin gezogen. Da hieß es: Jetzt ist die weg! Aber ich kam zurück. Ich hatte Groth gefragt: Gib mir mal 'nen Tip. Aber er hatte gesagt: Da kann ich nicht. Das musst Du wollen.
Danach wurde es richtig eng. Ich habe begriffen, wie ich auch in diesem Beruf richtig behindert werde. Einen Hauch vom Westen, Amsterdam, zweimal Berlinale hatte ich ja erlebt. Aber eben nur zwei, drei Tage. Ich kam ja nie dazu, mir ein Bild davon zu machen, was da abläuft. Natürlich hatte ich auch Angst: Viel­leicht ist was dran an dem, was die uns da einreden wollten. Der Kapi­ta­lismus ist böse.
1982, als ich den Silbernen Bären gewann, wollten die mich noch in der Nacht rüber­holen. Diese Nachricht zu kriegen: Du bekommt heute Abend den Silbernen Bären, hat mich umgehauen. Ich bekam hohes Fieber, hab mir Waden­wi­ckel gemacht, und stand dann Abends wie im Rausch mit Michel Piccoli auf der Bühne. Mein Name fiel, und ich hab nichts mitge­kriegt. Mit Charlotte Kerr bin ich durch Berlin gezogen, es gab heiße Tele­fo­nate: Die Saß ist abgehaun, und um 9 Uhr stand ich völlig fertig vor dem Hotel: »Wir können fahren!«

artechock: Wie ging es weiter?

Saß: Der Film­mi­nister in Ostberlin sagte kaum Guten Morgen, öffnete eine Flasche russi­schen Sekt, und sagte: »So Mädel. Und jetzt schön aufm Teppich bleiben.« Dann wurde meine Drehgage erhöht, und ich bekam zwei Jahre keinen Auftrag mehr. Ich wurde nicht mehr besetzt. Der Klas­sen­feind hatte mir 'nen Preis über­reicht, nicht Karlsbad oder Moskau. Es stand nicht in der Presse, aber es sprach sich rum. Die freuten sich auch alle, aber ich bekam kein Fernsehen, kein Rundfunk, kein Synchron – zwei Jahre lang kam ich so zurück auf den Teppich. Das gehörte dazu, weil es in der DDR ja keine Stars gab.
Fast auf den Tag nach zwei Jahren kam das erste Angebot. Heute würde ich, wenn es das Land noch gäbe, nicht mehr da sein. Das weiß ich.

artechock: Haben Sie denn einen Sinn für die „Ostalgie“ des Films?

Saß: Ich habe keinen Appetit auf Spree­wald­gurken, ich brauch' die nicht. Wir sind doch da. Mich hat man nicht verbiegen können. Mich wollte man auch nicht verbiegen. Ich wollte mich selber verbiegen. Weil ich dachte, ich muss jetzt sein, wie die und die Schau­spie­lerin. Ich müsste anders reden, mich anders bewegen. Das geht aber gar nicht. Und darüber bin ich froh, sonst säße ich jetzt nicht hier. Ich bin ich geblieben. Auch nach 30 Jahren DDR. Die 30 Jahre kann ich nicht wegwerfen. Ich bin kein Opfer. Mir ging es gut. 1979 habe ich den ersten Film gemacht: Bis daß der Tod Euch scheidet von Heiner Carow, ein Riesen­er­folg. Die Leute sind in einen defa-Film gerannt!
Natürlich kommen durch den Film Dinge wieder hoch, über die man lachen und schmun­zeln kann, es kommen aber auch andere Sachen hoch, nämlich ungeheure Aggres­sionen. 1988/89 war ich in Leipzig. Und immer, wenn ich zur Probe musste, führte mein Weg an der Niko­lai­kirche vorbei. Irgend­wann, eine Probe fiel aus, bin ich stehen­ge­blieben, und habe zugeguckt, als eine Demons­tra­tion begann, dann bekämpft wurde. Es war ungeheuer. Ich habe nicht nur Gänsehaut gekriegt, ich habe einen solchen Hass gekriegt: Das ist alles wieder hoch­ge­kommen. Es stimmte alles. Dieses Buch von einem West-Autor traf nach 12 Jahren die Atmo­sphäre genau.

artechock: Teilnahme aus der Zuschau­er­per­spek­tive. Spürten Sie selbst nie die Versu­chung zum aktiven Wider­stand?

Saß: Biermann habe ich immer bewundert. Da war ich zu jung. Die 10, 15 Jungs, die in der Niko­lai­kirche ange­fangen haben, von der Stasi kurzer­hand zusam­men­ge­schlagen wurden, sind für mich Helden. Aber da sich mit ranzu­hängen, und auch noch 'ne Kerze in die Hand zu nehmen, war mir zu blöd.
Später dann wollten es bald alle gewesen sein.

artechock: Bisher scheint man im Kino über die DDR nur als Komödie sprechen zu können: Sonnen­allee, Helden wie wir, jetzt Good Bye, Lenin! – ein bisschen ironisch, nost­al­gisch, lächer­lich...

Saß: Für eine Tragödie ist noch nicht genug Zeit vergangen. Die Stoffe liegen auf der Straße. Bei Good Bye, Lenin! hoffe ich aber, dass es kein Schen­kel­klopfer ist. Wir wollen, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt.
Aber es war ja auch komisch: Wieso musste man 18 Millionen einmauern, und dann noch jeden Dritten als IM enga­gieren? Darüber darf ich gar nicht nach­denken. Das ist verrückt.

artechock: Wird der Film in Ost und West unter­schied­lich wahr­ge­nommen?

Saß: Ich dachte ja: Es wird der Renner im Osten. Jetzt erlebe ich, dass sich der Westen viel mehr amüsiert, wirklich lachen und beob­achten kann. Der Ostler wartet auf den Fehler. Nicht meinen – das ist ja unsere Katrin – , sondern Wolfgang Beckers. Aber jeder Ostler hatte zehn Jahre Zeit, diesen Film zu schreiben. Sie haben es nicht gemacht. Nun macht es ihnen ein Westler vor.

artechock: Wie gehen Sie der Berlinale entgegen?

Saß: Für mich schließt sich ein Kreis. Jetzt erlebe ich alles viel klarer, als mit 24. Damals kamen die Jour­na­listen nicht ran; ich habe erst jetzt erfahren, das es hieß: Frau Saß gibt keine Inter­views.
Damals war ich naiv: Der Kudamm war für mich wie ein Rummel­platz. Ich dachte: Die vielen Lichter! Das kostet doch viel zu viel Geld! Und : Hier fahren ja lauter Westwagen. Eine bunte helle Welt, von der ich dachte: wenn die Berlinale zuende ist, wird er wieder abge­rissen.
Und noch heute fahre ich, wenn ich nach Zehlen­dorf fahre, nach Hamburg, in »den Westen«. Dieser starke Eindruck ist nach wie vor präsent.

artechock: Was unter­scheidet das Filme­ma­chen im Westen von dem in der DDR?

Saß: Es gibt mehr Miss­trauen. Es ergeben sich kaum noch Freund­schaften beim Drehen. Das gab es tatsäch­lich im Osten. Viel­leicht aber auch nur, weil man in einem Boot saß, oder das ist auch ein Wandel der gesamten Branche. Das ist schade.

artechock: Was haben Sie dann vor?

Saß: Ich muss etwas Dampf machen, ich hab ja nicht mehr so viel Zeit. Ich würde gerne in Frank­reich drehen, die Rollen, die Romy Schneider heute bekommen würde, eine davon erwischen. Amerika reizt mich zum Beispiel überhaupt nicht. Der Reiz ist Frank­reich. In Deutsch­land würde ich gern mal mit Tykwer oder Roehler drehen. In deren Filmen ist eher möglich, was ich am liebsten mache: Nämlich gar nichts. Ich möchte in diesen deutschen Büchern so gern rumstrei­chen, es wird immer alles ausge­spro­chen und erklärt viel zu wenig über Blicke.