»Wenn das Ziel nicht Versöhnung, sondern Verstörung ist« |
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Schluss mit lustig: Von der untergründigen Verwechslungskomödie zum tödlichen Ernst |
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland
»Viele Filme, die sich mit Gewalt auseinandersetzen, haben ein Schlupfloch. Ich wollte dem Publikum kein Schlupfloch lassen.« Der Mensch Robert Schwentke hat viel Humor, aber der Filmregisseur in ihm meint es unbedingt ernst. »Ich finde es nicht lustig, wenn Leuten der Kopf weggeschossen wird«, meint der 49-Jährige im Gespräch über seinen neuen Film Der Hauptmann, der jetzt ins Kino kommt. »Darum mag ich auch nicht Tarantino oder Exploitation-Filme.« Ein persönliches Initiationserlebnis für diese Haltung war wohl der Abend als er zum ersten Mal Stanley Kubricks Clockwork Orange in einem Stuttgarter Kino sah. Bei den Gewaltszenen applaudierten Teile des Publikums. »Das ist nicht Kubricks Schuld, aber seine Wut ist vom Publikum nicht verstanden worden. Da habe ich begriffen, dass man als Regisseur sehr vorsichtig mit so etwas sein muss.« Umgekehrt vertraue er der Position des Moralisten gar nicht, und Gewalt gar nicht zu zeigen »wäre ein Verrat an den Opfern«, fügt Schwentke hinzu. Das hätte man sich allerdings denken können, wenn man seine Filme kennt.
Man nimmt es in Deutschland nicht wirklich wahr, aber Robert Schwenkte ist schon deswegen einer der wichtigsten deutschen Filmmacher, weil er vielleicht als einziger das geschafft hat, wovon alle träumen: Er macht in Hollywood große kommerzielle Studiofilme mit Stars wie Bruce Willis, Kate Winslet oder Jodie Foster, und kann es sich trotzdem erlauben, zwischendurch ein persönliches Projekt zu realisieren, wie Der Hauptmann.
Mit diesem Film wirft Schwentke einen Blick auf den Nationalsozialismus, wie man ihn trotz hunderter Fernseh-Dokumentationen und mehrerer Dutzend deutscher Spielfilme noch nie gesehen hat.
Die NS-Vergangenheit hat ihn schon immer umgetrieben: »Bildersturm« hieß sein Tatort von 1998. Er nahm die Debatte um die Wehrmachtsausstellung auf, und zeigte eine Horde von Wutbürgern, die in Köln eine Foto-Ausstellung über die Untaten von Hitlers Armee verhindern wollen – ein
Film, in dem die AfD bereits in der Luft liegt, 20 Jahre vor ihrem Einzug in die Parlamente. Auch andere Drehbücher Schwentkes für den Kölner Tatort waren bestechende, mit Gesellschaftskritik und tieferer Bedeutung angereicherte Gehirnbastelarbeiten.
Alles, für das der Fernsehkrimi kein Ort sein durfte zeigte sich dann 2002 in Schwentkes bestechendem Regiedebüt Tattoo: Ein düsterer, bildkräftiger Serienkiller-Thriller in der Tradition von David Finchers schwarzer Romantik. Schwentke hatte sich nicht gefragt, was man in einem deutschen Film machen darf, sondern einfach gemacht: Einen Film ohne echte Schurken, erst recht
aber ohne reine Helden, Irritationskino.
Und auch hier ging es nicht ohne einen Verweis auf die unvergängliche deutsche Vergangenheit: Die Figur eines »Tatoo-Sammlers« basiert auf einem Zeitungsartikel über einen SS-Mann, dessen Zimmer Lampenschirme und Kissen aus Menschenhaut barg. Furios inszeniert und zwischen Ekel und Fetischismus changierend hatte Tattoo
eigentlich nur den einen Nachteil: Dass er in Deutschland spielt, und diesen Ort in seiner Banalität der Großstadtstraßen und Plattenbautristesse für die radikal stilisierten Abgründe seiner Protagonisten irgendwie unangemessen zu sein scheint. August Diehl und Christian Redl spielten die abgefuckten Ermittler-Hauptfiguren, und alles in allem war Tattoo ohne Frage
ein Ereignis, das die deutsche Filmszene eher verstört als angemessen fasziniert zurückließ. In der Zeit zwischen Komödienboom, »Berlin-Film« und früher Berliner Schule war das deutsche Kino zu sehr damit beschäftigt, Amerika zu imitieren. Das hatte dieser Regisseur gar nicht nötig.
Schwentke hat schon immer sein Ding gemacht. 1989, als die westdeutsche Jugend nach Berlin fuhr, um sich am Fall der Mauer zu berauschen, brach der gebürtige Stuttgarter sein Philosophiestudium ab, und zog nicht nach Osten, sondern in die entgegengesetzte Richtung: Mit einem schwarzweißen 16-mm-Experimentalfilm bewarb er sich an der renommierten Filmschule von Los Angeles, wurde genommen und studierte mit Kommilitonen wie Darren Aronofsky und Todd Field. Die TV-Drehbücher finanzierten das Ganze. Nach drei Jahren kehrte er nach Deutschland zurück. Erste Filmprojekte scheiterten an den Üblichkeiten der deutschen Filmbürokratie. Dann erkrankte er schwer an Hodenkrebs. Schwentkes zweiter Spielfilm Eierdiebe (2003) war die Verfilmung dieses Lebensabschnitts – eine Hodenkrebskomödie mit Wotan Wilke Möhring und ein lebensbejahender Film über den Tod, der dem Regisseur mehrere Angebote aus Hollywood einbrachte. Seitdem hat er seinen Hauptwohnsitz in Los Angeles und pendelt zwischen beiden Kontinenten.
Das erste Ergebnis dieses Schritts nach Amerika war Flightplan (2005), ein »Post-9/11«-Paranoiathriller mit Jodie Foster über eine Gesellschaft in klaustrophobischer Angst in einem zum Panic Room verwandelten Flugzeug. Dann kam 2009 Die Frau des Zeitreisenden – ein hochpoetischer, stiller Science-Fiction-Liebesfilm. Auch dieses Werk bestätigt Schwentkes Liebe zur Romantik. Seine anderen Seiten, aber auch seine Professionalität konnte er in seinen nächsten Filmen ausleben. Sie scheinen für den Regisseur weniger Herzensangelegenheiten als Broterwerb zu sein: R.E.D. (2010) und R.I.P.D. (2013) sind kommerzielle Comic-B-Movies, und auch Insurgent (2015) wird in der Filmgeschichte kaum eine Fußnote hinterlassen.
Anders Der Hauptmann. »Ich bewundere Leute wie Soderbergh. Die machen einen Studiofilm, dann machen sie was Kleines.« An dem Stoff hat er seit fast 20 Jahren gearbeitet. »ich brauchte diese Zeit«, sagt er, »auch um mich an das Thema ranzutasten.«
Eine Herzensangelegenheit, die Schwentkes anderen persönlichen Filmen leitmotivisch sehr nahe sind. Denn immer
wieder erzählt Schwentke von Initiationsreisen: Ein junges unbeschriebenes Blatt trifft auf eine extrem kalte, zerfallende Welt. Auf der Reise entdeckt er sich selbst und wird zu einem anderen Mensch. Mit den letzten Szenen von Der Hauptmann, die im Gegenwartsdeutschland spielen, zeigt Schwentke, dass uns gar nicht so viel trennt von seinen rassistischen,
gewaltbereiten, machtgeilen Figuren.
artechock: Dein Film zeigt viel Gewalt, und er zeigt diese brutal. Da du so etwas auf keinen Fall naiv machst, möchte ich fragen: Was waren deine Überlegungen dazu?
Robert Schwentke: Es gibt diese berühmte Polemik von Rivette in den „Cahiers du Cinema“ über Pontecorvos Film Capo. Ich teile de Argumente. Also: Ich bin mir des Problems der Geschmacklosigkeit sehr wohl bewusst, auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass Gewaltdarstellungen per se verwerflich sind. Pasolins Salò ist meiner Meinung nach immer noch der beste Kinofilm zum Faschismus.
Das ist kein Film, den ich mir gerne angucke, aber den ich unbedingt als Kunst verstehe. Als ernstzunehmende Kunst. Ich weiß, dass manche Fernsehsender immer noch nicht bereit sind, den Film auszustrahlen. Das verstehe ich. Aber man muss unterscheiden zwischen einer ethisch-moralischen Verfehlung und ihrer Darstellung.
Für mich war an Der Hauptmann der Ausgangspunkt die Frage, was ich selbst für richtig halte. Ich wollte meinen eigenen inneren Maßstab, was ich ertrage, anlegen.
Gar keine Gewalt zu zeigen, darf man nicht, das wäre ein Verrat an den Opfern. Aber man darf es auch nicht dramatisch aufbereiten. Ich habe die Darstellung von Gewalt von Anfang an als mechanischen Ablauf
verstanden. Und in der Darstellung dieses Ablaufs zeigt man nicht nur die Gewalt, sondern man analysiert auch die Mechanik der Gewalt, das Geschäft des Tötens.
Ich hatte die Hoffnung, dass man, wen man Gewalt in einen klaren Kontext bringt, man nicht Gefahr läuft, das ausbeuterisch zu benutzen. Exploitation wollten wir natürlich nie. Das waren Überlegungen am Ausgangspunkt dieses Films.
Ebenso meine Erfahrung mit Clockwork Orange: Als ich den zum ersten Mal in Stuttgart gesehen habe, wurde in den hinteren Reihen gejohlt und geklatscht – an den falschen Stellen. Ich glaube, dass Kubrick den Film so ironisch und sarkastisch inszeniert hat, dass nicht alle mitbekommen, wie wütend dieser Film eigentlich war.
Bei meinem Drehbuch möchten ja auch manche, dass
jemand im Film sagt: Der ist doch böse. Ich kann da nur antworten: Mein Anliegen war es, einen Film zu machen, bei dem man danach die Intention des Filmemachers nicht hinterfragen muss.
Ich glaube, der Film spricht für sich selbst, ohne jetzt eine moralisierende Position einzunehmen. Auch das war mir: Ich vertraue der Position des Moralisten eigentlich nicht. Das halte ich für… Naja, das ist ein anderes Gespräch.
Aber: Ich wollt mich auch nicht selbst ausgrenzen und so
tun, als wüsste ich eigentlich mehr. All diese Überlegungen waren schon in meinem Hinterkopf präsent, als ich die erste Fassung geschrieben habe.
Ich muss dazu sagen: Erste Fassungen schreibe ich sehr schnell, ich kotz die so raus… Da fehlt dann der Arm und der Kopf, aber es ist etwas da.
artechock: Aber schon ein Drehbuch?
Schwentke: Ja, schon ein Drehbuch. Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich noch nicht genug Verständnis hatte in Sachen Geschichte und Psychologie und auch in der Darstellung von Gewalt. Ich war noch nicht in der Lage, da wirklich praktische Entscheidungen zu treffen. Mit verschiedenen Fassungen habe ich mich dann da ran getastet. Dann wurde das Drehbuch immer kleiner, schmaler, fokussierter. Dann hatte ich irgendwann ein Drehbuch aus
der Negation heraus geschrieben.
Dann habe ich endlich begonnen, alles zu schreiben, was ich zeigen wollte. Da wurde das Drehbuch dann rasch sehr filmisch.
Ich fand immer: Man darf Gewalt nicht kleinreden, nicht minimieren, was es bedeutet, Menschen umzubringen.
artechock: Es gibt diesen historischen Fall des Willi Herold. Der „Henker vom Emsland“. Du hast vieles relativ exakt gezeigt, mir war nicht klar, wie nahe. Hättest du dir auch vorstellen können, den Film so zu machen, wenn es die Vorlage nicht gegeben hätte?
Schwentke: Ich glaube, das wäre schwierig gewesen. Wenn man dem Zuschauer Dinge zumutet, die er eigentlich nicht sehen will, muss man sich entscheiden, ob man dem Zuschauer ein Schlupfloch lassen will.
Viele Filme die sich mit Gewalt auseinandersetzen, haben ein Schlupfloch. Wie bei Tarantino der Humor – was ich furchtbar finde im Übrigen. Ich finde es nicht lustig, wenn Leuten der Kopf weggeschossen wird.
Und dann gibt es den
Einsatz von Charakteren als moralischer Instanz, der das formuliert, was die Zuschauer gerne formulieren würden. Ich glaube, Fiktion ist auch so ein Schlupfloch.
Ein wahrer Fall kann immer darauf verweisen: Es war so.
artechock: Fakten können aber doch auch eine Ausrede sein?
Schwentke: Ich glaube, wenn ich es mir ausgedacht hätte, hätte ich mich weniger für Strukturen interessiert, es wäre dann eher eine deutsche Version von Lina Wertmüllers Sieben Schönheiten geworden.
artechock: Was war der Punkt, der dich genau zu dieser Geschichte geführt hat?
Schwentke: Ich habe sehr aktiv nach einer Geschichte gesucht über die vierte, fünfte, sechste Täterreihe. Der Nationalsozialismus war ein extrem dynamisches System. Er brauchte viele, viele Menschen, die mitgemacht haben oder mindestens weggeschaut, damit das System überhaupt funktionieren könnte.
Die meisten Filme über das Thema werden in Deutschland aus der Perspektive einer moralischen Instanz erzählt. Das mag richtig sein. Aber ich habe da solche Filme wie Louis Malles Lacombe Lucien vermisst. Weil diese Art von Täterperspektive ganz andere Fragen beim Publikum aufwirft. Wenn das Ziel nicht Versöhnung, sondern Verstörung ist, dann bietet es sich
natürlich an, aus der Täterperspektive zu erzählen.
Denn die Möglichkeit, dass der Zuschauer sich mit einem moralisch aufrichtigen Menschen identifiziert, führt ja oft zu dem Eindruck: Na ja, das haben wir ja jetzt doch hingekriegt. Da müssen wir nicht weitermachen. Das wäre falsch.
Ich habe oft Schwierigkeiten, mich mit dieser Versöhnlichkeit von Filmen zu identifizieren. Da sind mir verstörende oder offene Enden lieber. Dann laufe ich aus dem Kino, Fragen sind offen, dann denke ich drüber nach, und dann denke ich über mich nach oder über die Welt… Ein Prozess wird ausgelöst, den ich sehr toll finde, und der hoffentlich dazu führt, dass eine Diskussion beginnt. Jeder hat ganz andere Gedanken, und schon redet man darüber.
Ich glaube dass es in Der Hauptmann auch um ganz grundsätzliche menschliche Dinge geht. Ich kann nicht erklären, warum wir Menschen diese Fähigkeit haben, einander weh zu tun und ungerecht zu sein.
Da gibt es ja verschiedene Theorien. Vielleicht gibt es da Antworten. Ich habe noch keine gefunden. Ich weiß nur, dass es in uns existiert. Selbst wenn wir es nicht
ausleben: Es schlummert in uns.
Und ich glaube, über solche Dinge zu reden und zu diskutieren, könnte so eine Art Prophylaxe sein – die uns nicht davor bewahrt, aber die uns zumindest dazu zwingt, uns Gedanken zu machen, und Zeichen frühzeitig zur Kenntnis zu nehmen.
Es ist ja Progression, die zum Genozid führt. Wörter können tatsächlich töten – das wissen wir. Wenn man sich darüber bewusst wird: Rhetorik-Ethik-Mord. Die du töten sollst, das sind ja gar keine Menschen. Das sind Zecken, Insekten, Bäume – wenn das passiert ist, dann wird Gewalt legitimiert.
Wenn ich heute jemandem zuhöre, der durch seine Rhetorik das Feld ebnet – dann heißt es da eigentlich schon Stop sagen. Redefreiheit und alles wunderbar
– aber Reden, die menschenfeindlich sind, oder die zu menschenfeindlichen Zwecken führen können – die sollten wir nicht zulassen. Dazu müssten wir genug wissen.
artechock: Aber: Reden und Tun sind zwei verschiedene Dinge. Gedankenfreiheit und Redefreiheit ist ein wichtiges Gut.
Schwentke: Richtig. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Nichts liegt mir ferner, als Zensur. Das einzige, was ich mir erhoffe, ist, dass wir diesen Dingen bewusster begegnen. Bei den Hutu und den Tutsi war es so, dass an den Universitäten anfangs Leute als Kakerlaken bezeichnet wurden. Und die, die so genannt wurden, haben darüber gelacht. Weil sie nicht gewusst haben, dass damit der Weg zum Genozid geebnet wurde.
artechock: Meinst du, die, die es gebraucht haben, haben es gewusst?
Schwentke: Die, die es gebraucht haben, haben es nicht unbedingt gewusst. Aber sie haben den anderen eine Humanität abgesprochen, und diese Dehumanisierung hat dazu geführt, dass der Genozid überhaupt stattfinden konnte.
artechock: Jetzt mal eine Frage für die Galerie: Haben wir denn nichts erreicht und nichts gelernt seit ‘45? Wir Deutsche sind doch über Verhaltensweisen hinausgekommen. Das ist doch eine gute Geschichte.
Warum muss man uns diese Art von Brutalität trotzdem zeigen?
Schwentke: Mir ist das Fehlen einer Erzählung aus der Täterperspektive im Kino und in der Literatur sauer aufgestoßen.
Natürlich haben wir viel gelernt, Deutschland hat sich stark verändert. Aber ich habe das Gefühl, dass diese urmenschliche Gewalt überall wieder aufflammt.