04.03.2006

»Einfach eine große amerikanische Liebesgeschichte!«

Ang Lee bei Dreharbeiten
Oscarpreisträger Ang Lee (r.) bei den Dreharbeiten zu Brokeback Mountain

Ang Lee über seien schwulen „Post-Western“ Brokeback Mountain

Der aus Taiwan stammende Ameri­kaner Ang Lee ist schon lange ein Grenz­gänger zwischen West und Ost. Immer wieder hat der 51-Jährige, der seit über 30 Jahren in Amerika lebt, diese seine doppelte Zugehö­rig­keit thema­ti­siert. Gleich vier Oscars gewann er im Jahr 2001 allein für seinen Martial-Arts-Film Tiger & Dragon – mehr als jemals ein anderer nicht-englisch­spra­chiger Film. Sein neuester Film Brokeback Mountain, der beim Film­fes­tival in Venedig den »Goldenen Löwen« gewann, gewann in diesem Jahr für Brokeback Mountain den Regie-Oscar.

Mit dem Regisseur sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Nach dem Bürger­kriegs­film Ride with the Devil haben Sie jetzt zum zweiten Mal eine Art Western gedreht...

Ang Lee: Ride with the Devil war eher eine Art Pre-Western. Erst die letzte Szene verweist auf den Western.

artechock: Und Brokeback Mountain ist dann ein Post-Western, oder wie würden Sie ihn bezeichnen?

Lee: Ja, ein Post-Western. Manchmal fragen die Leute mich, warum ich das Genre verdrehe. Dann antworte ich ihnen: Wahr­schein­lich bin ich verdreht. [Lacht]. Denn mein Film zeigt die Realität des Land­le­bens im ameri­ka­ni­schen Westen. Was wir im Western als Filmgenre zu sehen bekommen, ist meiner Meinung nach reine Erfindung: Revol­ver­helden. Machotum. Man ignoriert die andere Seite der Geschichte: Die Komple­xität. Manche Western-Filme sind zwar komplexe Dramen, aber das Bild des Westens, das sie entwerfen, ist nicht sehr komplex. Man benutzt es allen­falls als Hinter­grund.
Als ich zu diesem Thema kann, war mir schnell klar, dass ich beide Seiten zeigen wollte: Einer­seits die Macho-Haltung, ande­rer­seits die weicheren Seiten der Cowboys: Sie haben große Achtung vor der Natur, sie kümmern sich um ihre Tiere, sie bemuttern sie regel­recht. Voller Zärt­lich­keit. Aber zuein­ander sind sie brutal. Erst wenn man sie kennen­lernt, erkennt man ihre weicheren, gefühl­vol­leren Seiten.

artechock: Welches sind Ihre persön­li­chen Favoriten unter den klas­si­schen US-Western?

Lee: Oh, da gibt es natürlich einige groß­ar­tige: Ohne Zweifel John Ford, auch wenn mir ein Teil der poli­ti­schen Botschaften nicht so sympa­thisch ist – aber es sind groß­ar­tige Filme. Howard Hawks hat einige gute gemacht – obwohl er kein reiner Western-Regisseur ist. Sam Peckinpah auch. Bud Boet­ti­cher mag ich wirklich. Ich mag es, wenn Regis­seure den Western-Hinter­grund als Bühne eines univer­salen Dramas nutzen: Auch wenn die Land­schaft weit und monu­mental ist, ist der Rahmen klar umgrenzt. Ein großes, sehr isoliertes Drama, wie auf einer Theater-Bühne.
Ich denke, Western sind wie chine­si­sche Martial-Arts-Filme: Ein natio­naler Schatz. Man kann das Genre sehr effektiv als Rahmen eines exis­ten­ti­ellen Drama auffassen. Das gefällt mir ausge­spro­chen. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass das viel mit der Wirk­lich­keit zu tun hat. Das sind völlig imaginäre Phan­tasmen.
Wenn es um die Wirk­lich­keit des Lebens im Westen, an der „Frontier“ geht, dann muss man auf ganz andere Werke zurück­greifen: Filme wie Peter Bogd­a­no­vichs The Last Picture Show – ein großes Drama –, Geschichten von Schrift­stel­lern wie Annie Proulx, die mit ihrer Kurz­ge­schichte die Vorlage zu meinem Film geliefert hat.

artechock: Sehen Sie sich selbst als Genre-Regisseur? Blickt man auf ihre Filmo­gra­phie, könnte man den Eindruck haben: Sie haben zwei Fast-Western gedreht, einen Kostüm­film, eine Super­helden-Comic-Verfil­mung, einen Martial-Arts-Film...

Lee: Nein, das glaube ich nicht. Viel­leicht springe ich zwischen den Genres hin und her, weil ich eben überhaupt kein Genre-Regisseur sein möchte. Ein bestimmtes Material gewinnt meine Aufmerk­sam­keit, ich will daraus einen Film machen – es sind ja oft lite­ra­ri­sche Vorlagen gewesen, worunter ich auch den Hulk-Comic fasse –, und während der Arbeit daran, leihe ich mir gewis­ser­maßen manche Genre-Stereo­typen aus. Denn die Erwar­tungen im Kino sind genau­ge­nommen eng limitiert: Man muss zumindest Anleihen ans Genre machen, damit das Publikum eine Ahnung hat, was es erwarten kann. Das tue ich auch. Aber ich habe Angst davor, mich zu deutlich auf das Genre einzu­lassen, und irgend­wel­chen Erwar­tungen zu entspre­chen. Meine Produ­zenten, das Publikum und Kritiker würden mir nur vorwerfen, nicht »zu liefern«. Das würde meine kreative Freiheit einschränken. Darum versuche ich, eindeu­tige Genre-Zugehö­rig­keiten so weit wie möglich zu vermeiden. Das meinte ich mit »verdreht«. Ich drehe mir die Sachen so zurecht, wie ich es brauche, nach drama­ti­schen Bedürf­nissen. Ich versuche niemandem – keinen Menschen und keinen Genre­re­geln – zu gehorchen. Ein bisschen muss ich es dann doch. So ist einfach das Leben.

artechock: Ihr letztes Original-Drehbuch war Eat Drink Man Woman. Seitdem haben Sie Dreh­bücher anderer verfilmt. Warum? Waren das reine Auftrags­ar­beiten?

Lee: Nein, ich habe nur einmal eine Auftrags­ar­beit ausge­führt, das war Sense and Sensi­bi­lity. Alle anderen Stoffe habe ich schon selber und ganz eigen­s­tändig entwi­ckelt. Nur bin ich ein besserer Regisseur als Dreh­buch­autor. Darum suchte ich mir für meine letzten Filme Dreh­buch­au­toren, mit denen ich das Script zusammen geschrieben habe.
Bei meinen ersten drei Filmen hatte ich dafür einfach nicht das Geld. Darum musste ich sie selber schreiben. Da habe ich mir dann Geschichten ausge­dacht, die etwas mit meinem eigenen Leben – Gene­ra­tio­nen­kon­flikte in chine­si­schen Familien, Einwan­de­rer­iden­ti­täten zwischen China und USA und zwischen Tradition und Moderne – zu tun haben. Und ich habe viele Sätze eingebaut, die ich von meinen Eltern kannte. Aber nach drei Filmen hatte ich genug. Ich bin sehr froh, dass diese Zeit jetzt vorbei ist. Auch andere Leute haben auch gute Ideen.

artechock: Ihre Filme drehen Sie zumeist an Origi­nal­schau­plätzen außerhalb eines Studios. Ihr lang­jäh­riger Produzent James Schamus behauptet, Sie mögen Studios nicht besonders. Warum?

Lee: Studios können sehr angenehm sein. Aber sie sind nicht immer besonders realis­tisch. Darum gehe ich lieber an Origi­nal­schau­plätze. Womit ich nicht sagen will, dass man nicht sehr viel tricksen kann. Aber gerade manche Schwie­rig­keiten, die Wider­s­tän­dig­keit eines Ortes, an dem nicht alles möglich ist, kann sehr inspi­rie­rend sein. Das bringt gerade Realismus und Lebens­nähe, die dann wieder das Publikum berührt. Weil Film ein foto­rea­lis­ti­sches Medium ist, ist Detail­fülle der beste Weg, um das Publikum dazu zu verführen, eine nicht­rea­lis­ti­sche, emotio­nale Welt zu betreten.
Aber Studios sind sehr bequem. Man kann gerade mit der Kamera viel mehr machen. Außen­auf­nahmen sind hingegen oft sehr anstren­gend. Einige unserer Szenen draußen im Sommer­lager der beiden Haupt­fi­guren hätte man viel bequemer in einem Studio drehen können, anstatt in der Kälte Kanadas wo wir gedreht haben ohne Elek­tri­zität, wo die Nacht so kurz ist.

artechock: Warum lassen Sie die Geschichte von Brokeback Mountain in den 60er und 70er Jahren spielen? Hätte es nicht Vorteile gehabt, sie in der Gegenwart spielen zu lassen?

Lee: Nun eine schwule Liebes­ge­schichte im Westen ist in jenen Tagen schwie­riger gewesen, kompli­zierter, privater. Davon abgesehen: Annie Proulx' Kurz­ge­schichte spielt in dieser Zeit. Warum, das habe ich sie nie gefragt. Aber sie hat mir auch aufgrund der Epoche gefallen. Ich denke, in unseren Tagen wäre das alles in jeder Hinsicht ein gerin­geres Problem. Die Gefühle wären in gewisser Hinsicht weniger rein. Das sage ich, weil Anfang der 60-er noch viele Infor­ma­tionen fehlten. Die beiden haben keinen Wort­schatz, um sich auszu­drü­cken, um auch nur ihr eigenes Benehmen zu verstehen. Besonders für Ennis gilt das. Alles was er fühlt, ist entweder verzerrt oder sehr privat. Das gefiel mir sehr gut für die Geschichte. Erst 20 Jahre später begreift er, was er verfehlt hat. Ich denke, das ist sehr berührend.

artechock: Ich habe auch danach gefragt, weil fast alle Ihre Filme in der Vergan­gen­heit spielen.

Lee: Das fing an, als ich aufgehört habe, über mein eigenes Leben zu schreiben. [Lacht] Ich kenne die Gegenwart nicht so gut. Die Bilder und die Ideen der Vergan­gen­heit haben bereits eine Textur. Wenn Sie mich zum Beispiel fragen würden, was ich über die poli­ti­schen Verhält­nisse in Deutsch­land denke, dann weiß ich einfach nichts zu sagen. Ich weiß noch nicht, was heraus­kommt.
Wenn sie mich nun nach meiner Defi­ni­tion der Vergan­gen­heit fragen, dann kann ich sehr konkret antworten: 23 Jahre! Mit 23 Jahren Abstand beginnt die Vergan­gen­heit. Das habe ich bei meinem Film The Ice Storm entdeckt. Als ich den gedreht habe, konnte ich mich nicht entscheiden: Ist das Vergan­gen­heit oder Gegenwart? Dann entschied ich mich: Ich mache den neuesten Kostüm­film. Aber er lag noch ganz nahe an der Gegenwart.
Bei Brokeback Mountain ist das ähnlich: Der Film endet Anfang der 80er. Das ist schon sichere Vergan­gen­heit.
Ich mag das. Ich fühle mich der Vergan­gen­heit gegenüber sicherer, als gegenüber der Gegenwart. Ich recher­chiere gern und baue eine Welt nach den Resul­taten wieder auf. Die Gegenwart verändert sich zu leicht. Das ist eine Frage der Distanz, die gegenüber der Gegenwart fehlt. Und für das Publikum ist es auch viel leichter, sich mit einer Vergan­gen­heit zu konfron­tieren.
Nur bei fremden Filmen ist alles egal: Zum Beispiel bei Eat Drink Man Woman hat der Film beim Publikum außerhalb Taiwans viel besser funk­tio­niert, weil manche Künst­lich­keit gar nicht mehr ins Gewicht fiel. Die Distanz half, sich auf die Substanz zu konzen­trieren. Distanz hilft der künst­le­ri­schen Aner­ken­nung. Wir brauchen alle künst­le­ri­sche Freiheit: Zeit, Raum, Terri­to­rium. Wenn man mich fragt warum ich einen Western drehe, erklärt sich das genau daher: Als Western-Outsider sehe ich nicht die Ober­fläche, sondern den Subtext. Das half wirklich.

artechock: In Taiwan nahm man den Film als taiwa­ne­si­schen Film auf?

Lee: Ja. Mehr oder weniger. In Taiwan sieht man wenig taiwa­ne­si­sche Filme. Edward Yang bringt sie dort gar nicht mehr raus.

artechock: Die meisten Ihrer Filme leben unter anderem von ihren wunder­baren Land­schaften...

Lee: Ich denke das hat viel damit zu tun, dass ich in der chine­si­schen Kultur aufge­wachsen bin. Die chine­si­sche Kultur ist eine unter­drückte, sehr indirekte Kultur. Man lernt dort, indem man über das Wetter, über die Land­schaft, über schein­bare Alltäg­lich­keiten wie den Mond spricht, indirekt über seine Gefühle zu reden. Man kann das bei anderen chine­si­schen Filme­ma­chern auch finden. Wir inter­es­sieren uns viel­leicht weniger für Tiere… [Lacht]

artechock: Wie haben Sie die »Marlboro«-Falle der falschen Western-Romantik vermieden?

Lee: Es gab ein paar Szenen, da habe ich meinen Mitar­bei­tern gesagt: Hier will ich eine Marlboro-Szene.

artechock: Wie haben Sie Ihre Haupt­dar­steller gefunden?

Lee: Ich habe wenige angefragt, nicht alle haben geant­wortet, bei anderen konnte man die Nervo­sität riechen – in Bezug auf das Thema „Homo­se­xu­lität“. Bei diesen beiden gab es kein Problem. Für mich ist das Thema Heraus­for­de­rung genug, da wollte ich keine zusätz­li­chen Probleme.

artechock: Waren die Liebes­szenen ein beson­deres Problem?

Lee: Nein. Wir haben uns ganz normal vorbe­reitet, und über diese Szenen nicht besonders gespro­chen. Das ist eine Liebes­ge­schichte, das Wich­tigste war, dass sie emotional in die Story hinein­kamen. Davon abgesehen ist es mir selbst immer peinlich, über Sexszenen jeder Art zu viel zu reden. Die Darsteller sind Profis, die wissen schon, wie das geht.

artechock: Wie bereiten Sie überhaupt Ihre Schau­spieler vor?

Lee: Ich übe, ich gebe ihnen etwas zu lesen, einen Film zu gucken. In diesem Fall mussten sie echte Cowboys kennen­lernen, mussten vor allem die Sprache üben. Körper­sprache war hier sehr wichtig.

artechock: Wissen Sie, wie verbreitet Homo­se­xua­lität unter den „harten Männern“ der Cowboys ist?

Lee: Ich habe keine Studie darüber. Aber Sie können sich das vorstellen: Wenn Sie den ganzen Sommer nur mit einem anderen Mann da oben in den Bergen sind… [Lacht] Es sind mehr, als man glaubt. In den USA gibt es sogar eine eigene Gay-Rodeo-Verei­ni­gung. Die Übergänge sind fließend und die mensch­liche Natur ist kompli­ziert: Wie nahe liegt eine Berührung bei einem Ringkampf an einer zärt­li­chen Geste.

artechock: Als Regisseur sind sie ein Gren­zü­ber­schreiter. Ihre Filme unter­scheiden sich vom Main­stream. Haben Sie als Künstler vor nichts Angst? Woher kommt Ihr Mut?

Lee: Manchmal fühle ich mich mit der Welt nur schwach verbunden und bei der Arbeit wohler und erdver­bun­dener, als ohne sie. Ich sage Darstel­lern intime Sachen, die ich zu meiner Frau nie sagen würde. Es ist eine sonder­bare Sache.
Aber darum gehen wir ins Kino: Es ist eine intime Kommu­ni­ka­tion, jeder über­schreitet hier Grenzen.

artechock: Wie waren die Reak­tionen auf Ihren Film in den USA? Ging es Ihnen mit diesem Film überhaupt darum, etwas für die Rechte der Homo­se­xu­ellen zu tun?

Lee: Nein, darum ging es nicht. Das ist einfach eine große ameri­ka­ni­sche Liebes­ge­schichte.

artechock: Einige würden es „uname­ri­ka­nisch“ nennen… würden sagen, sie machen sich über ameri­ka­ni­sche Mythen lustig...

Lee: Manche Kritiker sagen, ich sei gut darin, Amerika zu entlarven. Aber selbst wenn das das Ergebnis wäre: Das war nicht meine Absicht. Aber Hollywood zeigt nur Wunsch­denken. Da ich in Amerika lebe, und ich meine Sinne beiein­ander habe, inter­es­siert mich auch die andere Seite, die genauso wichtig ist. Alles Ameri­ka­ni­sche hat einen globalen Einfluss.