23.01.2025

»Twin Peaks« trifft »Das weiße Band«

Rote Sterne überm Feld
Laura Laabs’ Rote Sterne überm Feld
(Foto: FFMOP | Laura Laab)

Laura Laabs’ phänomenaler Film »Rote Sterne überm Feld« sollte das deutsche Kino erschüttern, jedenfalls wenn es mit rechten Dingen zuginge – erstmal aber läuft er in Saarbrücken

Von Rüdiger Suchsland

»Film ist das Medium, um Tote zum Leben zu erwecken.«
Jean-Luc Godard

Für solche Filme ist der Max-Ophüls-Preis gemacht! Für uner­war­tete Bilder und Bilder des Uner­war­teten, des Crossover von Genre und Autoren­kino – echt gar nicht so neu, aber leider total vergessen.

Eine Geis­ter­be­schwörung, ein Zeitreisen-Film, so könnte man diesen Film beschreiben. Das deutsche Inception, das Portrait einer deutschen Gesell­schaft kurz vor dem Kipppunkt – auch dies lässt sich über Rote Sterne überm Feld sagen, ohne hier jemanden in die Irre zu führen. Die Regis­seurin Laura Laabs scheint alles zu kennen und viel zu können, sie wirft erstaun­lich sinnvoll Einfälle aus Philo­so­phie und Politik, Geschichte und Gegenwart, Utopie und Zeitgeist zusammen, zitiert Sixties-Agitprop und UdSSR-Kino, DDR-Musik und Heimat­schnulzen, und das Ergebnis sieht manchmal aus wie »Twin Peaks«, mal wie Midsommar, mal wie Das weiße Band – auch diese Vergleiche stimmen und führen dich in die Irre, denn sie über­frachten den Film. Ich will nur damit sagen, dass es großen Spaß macht, Rote Sterne überm Feld anzu­gu­cken, und ich ihn bestimmt noch mehr als einmal sehen will, auch um das innere Dechif­frier­syn­dikat anzu­werfen.
Ansonsten ist dies alles andere als ein kühler Pop-Zitate-Strom, sondern vor allem ein grad­li­niger und persön­li­cher Film, bei dem man spürt, dass er der Regis­seurin am Herzen liegt, und so geworden ist, wie er ist, weil er so werden musste.

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Die Handlung kreist um Tine, eine linke Polit-Kunst-Akti­vistin, die auf der Flucht vor dem Verfas­sungs­schutz in ihr Heimat­dorf in Meck­len­burg-Vorpom­mern fährt: Ausge­rechnet nach Bad Kleinen, wo 1993 der RAF-Terrorist Volker Grams und ein Polizist bei einem GSG9-Einsatz unter nach wie vor nicht völlig geklärten Umständen (von wem?) erschossen wurden. Lange Zeit war in Zeugen­be­richten auch die Rede von einem dritten Toten. Der damalige Innen­mi­nister trat kurz nach dem Einsatz untrer Hinweis auf Einsatz­pannen zurück. Darum geht es: Den geschicht­li­chen Möglich­keits­sinn. Und um die Macht und Präsenz der Vergan­gen­heit und ihrer Möglich­keiten in der Gegenwart.
Die Rückkehr Tines wird dann zum Anlass einer Zeitreise, die den Film auf drei Zeit­ebenen spielen lässt.

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Es werden Windräder in die Luft gesprengt (mit Argu­menten der Linken), Moor­lei­chen gefunden, Wehr­machts-Soldaten zum Deser­tieren gebracht. Und der Erlkönig reitet wieder durch Nacht und Wind. Eine Mutter ist bei der RAF, mehr als ein Vater bei der Stasi, eine LPG macht nach der Wende weiter, und mehr als ein Dutzend sehr guter deutscher Schau­spieler ist mit einem Dutzend Laien zusammen zu sehen. Manche der Profis spielen mehrere, Jule Böwe sogar drei oder vier Rollen.

In dem Film kommt die Idee einer »ästhe­ti­schen Linken« vor. Man kann durchaus darüber nach­denken, inwieweit dieser Film selbst Ausdruck oder Statement einer solchen ästhe­ti­schen Linken ist. Stilis­tisch erleben wir ein frag­men­ta­ri­sches Spiel mit Ebenen der Form, des Film-Formats, aber auch der Schrift. Die Tatsache, dass die Regis­seurin Schrift als Bild begreift und entspre­chend mit Schrift­typen arbeitet, kann man bei Godard wie bei Kluge finden.

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Bei der Film­pre­miere gab es dann Eierlikör. Nicht nur deswegen: Dieser Film muss das deutsche Kino erschüt­tern, jeden­falls wenn es mit rechten Dingen zuginge – aber das tut es ja leider fast nie bei uns.
Ich glaube, dass dieser Film leider 80 Prozent des Publikums mit seinen vielen Einfällen und seiner Haltung über­for­dern wird, da habe ich wenig Vertrauen.
Hoffent­lich werde ich widerlegt.

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Für solche Filme ist der Max-Ophüls-Preis gemacht! Für Filme, die neue Bilder suchen, die nicht die immer­glei­chen Selbst­fin­dungs­ge­schichten achtsamer Narzissten erzählen, die irgend­etwas an sich entdecken und sich wahn­sinnig mutig vorkommen, weil sie das auf die Leinwand bringen, was in den Green-Shooting-Katalogen und Diver­si­täts­listen der Film­för­derer steht, derweil Donald Trump alle Diver­si­täts­be­auf­tragten raus­schmeißt. Viel­leicht hängt beides zusammen? Viel­leicht bewegen sich die verschie­denen Filter­blasen immer weiter ausein­ander und machen wie früher im Sand­kasten nur immer die schönste und neueste Sandburg der anderen Seite kaputt? Und viel­leicht sollte es Filme geben, die solche Fragen stellen und entfalten?

Wir könnten in Deutsch­land jeden­falls Filme gebrau­chen, die brechen wollen mit dem geschmack­losen Einerlei des deutschen Film­ein­topfs, den Brühwür­fel­filmen, deren Fixierung auf Inhal­tismus »Deutsch­land­funk Kultur« im Auftakt­be­richt treffend zusam­men­fasst, dies nur leider als Lob gemeint hat: »Die Inhalte reichen von Familie, Verlust und Tod bis zu den Schwer­punkten Female Empower­ment, Männ­lich­keits­bilder oder queere Iden­ti­täten.« Geht es noch fader, erwart­barer, doof-korrekter?

Nach­wuchs­film heißt nicht altbe­kannte, auf Neu geschminkte Inhalte, sondern neue Formen, heißt Mut und Wagnisse. Dies gibt es an den Film­hoch­schulen zur Zeit zu wenig, oder besser gesagt: es wird zu wenig gemacht.

Zu Formen und Stilen steht bei »Deutsch­land­funk Kultur« natürlich nix.

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Noch eine Zeitreise, aber anders: Zur Eröffnung zeigte man Muxmäu­schen­still X von Jan Henrik Stahlberg – das ist ein Fort­set­zungs­film zu Muxmäu­schen­still, der hier an diesem Ort vor nun auch schon wieder 21 Jahren gewonnen hat. Und ein bisschen ist die Zeit über diese Idee viel­leicht doch hinweg­ge­gangen, dachte ich nach der Vorstel­lung. Viel­leicht sind es auch die poli­ti­schen Verhält­nisse.

Irritiert hat die Entschei­dung auch, weil der Film ja schon in München lief.

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Was viele Filme, die in Saar­brü­cken laufen, mitein­ander teilen, das ist – jeden­falls so wie ich es bisher, am dritten Tag des Festivals, das noch bis Sonntag läuft, wahr­ge­nommen habe – die Frage, wie Filme­ma­cher auf die augen­blick­li­chen poli­ti­schen Verhält­nisse und die zahl­rei­chen Krisen, Desaster oder deutlich näher kommenden Einschläge – Kriege, Terror, Trump, neue Nazis und ihre Wähler – reagieren können, wie Politik überhaupt im Kino statt­finden kann?

Das Team von Muxmäu­schen­still X hat das versucht, auf den Punkt zu bringen: »Unsere Welt ist aus den Fugen geraten. So ist unser Gefühl. Es gibt tausende von Problemen, die uns schier erschlagen. Wir fühlen uns ohnmächtig, über­for­dert. Wir wissen, dass die Politik nicht mehr in der Lage ist, diese Probleme zu lösen. Wir ziehen uns zurück, ins Private. Und kriegen, jeder verein­zelt vor seinem Laptop, unglaub­lich schlechte Laune bzw. einen depres­siven Schub, wenn wir Nach­richten gucken.«

Stimmt alles. Aber hat das »Manifest des Muxismus« dazu irgend­welche Antworten?

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Das Frühstück im »Hotel Leidinger« kann sich sehen lassen – wie überhaupt das ganze Hotel. Nach Saar­brü­cken fährt man, auch das gehört zur Wahrheit, nur zum Teil wegen der Filme, wenn die nicht gerade sind wie der von Laura Laabs. Man fährt eigent­lich eher wegen der Gesel­lig­keit her, und tatsäch­lich, weil die Rahmen­be­din­gungen, also zum Beispiel die Hotels, über­durch­schnitt­lich gut sind. Dass das Frühstück sich sehen lassen kann, ist aller­dings auch dringend nötig. Denn die andere Seite der Medaille ist, dass das mit dem Abend­essen in Saar­brü­cken so eine Sache ist. Auch wenn diese Stadt eine Landes­haupt­stadt ist – zur Erin­ne­rung: das Saarland ist ein Bundes­land –, dann machen doch die guten wie die schlechten Restau­rants spätes­tens um 21:30 Uhr zu, Frank­reich­nähe hin, Film­fes­tival her. Man kann dann nur noch zu einer der Döner­buden gehen, und selbst die schließen meist vor Mitter­nacht. Alles schon auspro­biert.