»Twin Peaks« trifft »Das weiße Band« |
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Laura Laabs’ Rote Sterne überm Feld | ||
(Foto: FFMOP | Laura Laab) |
»Film ist das Medium, um Tote zum Leben zu erwecken.«
Jean-Luc Godard
Für solche Filme ist der Max-Ophüls-Preis gemacht! Für unerwartete Bilder und Bilder des Unerwarteten, des Crossover von Genre und Autorenkino – echt gar nicht so neu, aber leider total vergessen.
Eine Geisterbeschwörung, ein Zeitreisen-Film, so könnte man diesen Film beschreiben. Das deutsche Inception, das Portrait einer deutschen Gesellschaft kurz vor dem Kipppunkt – auch dies lässt sich über Rote Sterne überm Feld sagen, ohne hier jemanden in die Irre zu führen. Die Regisseurin Laura Laabs scheint alles zu kennen und viel zu können, sie wirft
erstaunlich sinnvoll Einfälle aus Philosophie und Politik, Geschichte und Gegenwart, Utopie und Zeitgeist zusammen, zitiert Sixties-Agitprop und UdSSR-Kino, DDR-Musik und Heimatschnulzen, und das Ergebnis sieht manchmal aus wie »Twin Peaks«, mal wie Midsommar, mal wie Das weiße Band – auch diese
Vergleiche stimmen und führen dich in die Irre, denn sie überfrachten den Film. Ich will nur damit sagen, dass es großen Spaß macht, Rote Sterne überm Feld anzugucken, und ich ihn bestimmt noch mehr als einmal sehen will, auch um das innere Dechiffriersyndikat anzuwerfen.
Ansonsten ist dies alles andere als ein kühler Pop-Zitate-Strom, sondern vor allem ein gradliniger und persönlicher Film, bei dem man spürt, dass er der Regisseurin am Herzen liegt, und
so geworden ist, wie er ist, weil er so werden musste.
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Die Handlung kreist um Tine, eine linke Polit-Kunst-Aktivistin, die auf der Flucht vor dem Verfassungsschutz in ihr Heimatdorf in Mecklenburg-Vorpommern fährt: Ausgerechnet nach Bad Kleinen, wo 1993 der RAF-Terrorist Volker Grams und ein Polizist bei einem GSG9-Einsatz unter nach wie vor nicht völlig geklärten Umständen (von wem?) erschossen wurden. Lange Zeit war in Zeugenberichten auch die Rede von einem dritten Toten. Der damalige Innenminister trat kurz nach dem Einsatz
untrer Hinweis auf Einsatzpannen zurück. Darum geht es: Den geschichtlichen Möglichkeitssinn. Und um die Macht und Präsenz der Vergangenheit und ihrer Möglichkeiten in der Gegenwart.
Die Rückkehr Tines wird dann zum Anlass einer Zeitreise, die den Film auf drei Zeitebenen spielen lässt.
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Es werden Windräder in die Luft gesprengt (mit Argumenten der Linken), Moorleichen gefunden, Wehrmachts-Soldaten zum Desertieren gebracht. Und der Erlkönig reitet wieder durch Nacht und Wind. Eine Mutter ist bei der RAF, mehr als ein Vater bei der Stasi, eine LPG macht nach der Wende weiter, und mehr als ein Dutzend sehr guter deutscher Schauspieler ist mit einem Dutzend Laien zusammen zu sehen. Manche der Profis spielen mehrere, Jule Böwe sogar drei oder vier Rollen.
In dem Film kommt die Idee einer »ästhetischen Linken« vor. Man kann durchaus darüber nachdenken, inwieweit dieser Film selbst Ausdruck oder Statement einer solchen ästhetischen Linken ist. Stilistisch erleben wir ein fragmentarisches Spiel mit Ebenen der Form, des Film-Formats, aber auch der Schrift. Die Tatsache, dass die Regisseurin Schrift als Bild begreift und entsprechend mit Schrifttypen arbeitet, kann man bei Godard wie bei Kluge finden.
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Bei der Filmpremiere gab es dann Eierlikör. Nicht nur deswegen: Dieser Film muss das deutsche Kino erschüttern, jedenfalls wenn es mit rechten Dingen zuginge – aber das tut es ja leider fast nie bei uns.
Ich glaube, dass dieser Film leider 80 Prozent des Publikums mit seinen vielen Einfällen und seiner Haltung überfordern wird, da habe ich wenig Vertrauen.
Hoffentlich werde ich widerlegt.
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Für solche Filme ist der Max-Ophüls-Preis gemacht! Für Filme, die neue Bilder suchen, die nicht die immergleichen Selbstfindungsgeschichten achtsamer Narzissten erzählen, die irgendetwas an sich entdecken und sich wahnsinnig mutig vorkommen, weil sie das auf die Leinwand bringen, was in den Green-Shooting-Katalogen und Diversitätslisten der Filmförderer steht, derweil Donald Trump alle Diversitätsbeauftragten rausschmeißt. Vielleicht hängt beides zusammen? Vielleicht bewegen sich die verschiedenen Filterblasen immer weiter auseinander und machen wie früher im Sandkasten nur immer die schönste und neueste Sandburg der anderen Seite kaputt? Und vielleicht sollte es Filme geben, die solche Fragen stellen und entfalten?
Wir könnten in Deutschland jedenfalls Filme gebrauchen, die brechen wollen mit dem geschmacklosen Einerlei des deutschen Filmeintopfs, den Brühwürfelfilmen, deren Fixierung auf Inhaltismus »Deutschlandfunk Kultur« im Auftaktbericht treffend zusammenfasst, dies nur leider als Lob gemeint hat: »Die Inhalte reichen von Familie, Verlust und Tod bis zu den Schwerpunkten Female Empowerment, Männlichkeitsbilder oder queere Identitäten.« Geht es noch fader, erwartbarer, doof-korrekter?
Nachwuchsfilm heißt nicht altbekannte, auf Neu geschminkte Inhalte, sondern neue Formen, heißt Mut und Wagnisse. Dies gibt es an den Filmhochschulen zur Zeit zu wenig, oder besser gesagt: es wird zu wenig gemacht.
Zu Formen und Stilen steht bei »Deutschlandfunk Kultur« natürlich nix.
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Noch eine Zeitreise, aber anders: Zur Eröffnung zeigte man Muxmäuschenstill X von Jan Henrik Stahlberg – das ist ein Fortsetzungsfilm zu Muxmäuschenstill, der hier an diesem Ort vor nun auch schon wieder 21 Jahren gewonnen hat. Und ein bisschen ist die Zeit über diese Idee vielleicht doch hinweggegangen, dachte ich nach der Vorstellung. Vielleicht sind es auch die politischen Verhältnisse.
Irritiert hat die Entscheidung auch, weil der Film ja schon in München lief.
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Was viele Filme, die in Saarbrücken laufen, miteinander teilen, das ist – jedenfalls so wie ich es bisher, am dritten Tag des Festivals, das noch bis Sonntag läuft, wahrgenommen habe – die Frage, wie Filmemacher auf die augenblicklichen politischen Verhältnisse und die zahlreichen Krisen, Desaster oder deutlich näher kommenden Einschläge – Kriege, Terror, Trump, neue Nazis und ihre Wähler – reagieren können, wie Politik überhaupt im Kino stattfinden kann?
Das Team von Muxmäuschenstill X hat das versucht, auf den Punkt zu bringen: »Unsere Welt ist aus den Fugen geraten. So ist unser Gefühl. Es gibt tausende von Problemen, die uns schier erschlagen. Wir fühlen uns ohnmächtig, überfordert. Wir wissen, dass die Politik nicht mehr in der Lage ist, diese Probleme zu lösen. Wir ziehen uns zurück, ins Private. Und kriegen, jeder vereinzelt vor seinem Laptop, unglaublich schlechte Laune bzw. einen depressiven Schub, wenn wir Nachrichten gucken.«
Stimmt alles. Aber hat das »Manifest des Muxismus« dazu irgendwelche Antworten?
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Das Frühstück im »Hotel Leidinger« kann sich sehen lassen – wie überhaupt das ganze Hotel. Nach Saarbrücken fährt man, auch das gehört zur Wahrheit, nur zum Teil wegen der Filme, wenn die nicht gerade sind wie der von Laura Laabs. Man fährt eigentlich eher wegen der Geselligkeit her, und tatsächlich, weil die Rahmenbedingungen, also zum Beispiel die Hotels, überdurchschnittlich gut sind. Dass das Frühstück sich sehen lassen kann, ist allerdings auch dringend nötig. Denn die andere Seite der Medaille ist, dass das mit dem Abendessen in Saarbrücken so eine Sache ist. Auch wenn diese Stadt eine Landeshauptstadt ist – zur Erinnerung: das Saarland ist ein Bundesland –, dann machen doch die guten wie die schlechten Restaurants spätestens um 21:30 Uhr zu, Frankreichnähe hin, Filmfestival her. Man kann dann nur noch zu einer der Dönerbuden gehen, und selbst die schließen meist vor Mitternacht. Alles schon ausprobiert.